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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 01.10.2009
Aktenzeichen: 1 Bs 129/09
Rechtsgebiete: SchBesV, SportSeeSchV


Vorschriften:

SchBesV § 1
SchBesV § 5
SportSeeSchV § 1 Abs. 3
1. Kauffahrteischiff im Sinne des § 1 SchBesV ist ein Seeschiff, das zu mittelbarem oder unmittelbarem Erwerb bestimmt ist. Die Zweckbestimmung eines Seeschiffes richtet sich nicht nach bloß subjektiven Kriterien, sondern ist aus äußeren, allgemein-gültigen Merkmalen, die auf eine bestimmte Nutzung schließen lassen, festzustellen.

2. Die Verpflichtung, ein Kauffahrteischiff nur mit einer nach der Schiffsbesetzungsverordnung vorgeschriebenen Besatzung in Fahrt zu setzen, kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Fahrten als "private" bezeichnet werden. Für konkrete Einzelfahrten sind unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 SchBesV Ausnahmen möglich.

3. Von dem Betrieb eines ohne die erforderliche Besatzung in Fahrt gesetzten Seeschiffes geht eine derart hohe abstrakte Gefahr für Schiff, Besatzung, Fahrgäste und Meeresumwelt aus, dass eine auf § 5 Abs. 1 SchBesV gegründete Festhalteverfügung von der See-Berufsgenossenschaft formularmäßig für sofort vollziehbar erklärt werden kann.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

1 Bs 129/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, und Schulz sowie die Richterin Walter am 1. Oktober 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 8. Juli 2009 geändert.

Der Antrag wird auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Festhalteverfügung vom 26. Mai 2009 in der Fassung der Änderungsverfügung vom 21. August 2009 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren in erster und zweiter Instanz auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Festhalteverfügung hinsichtlich des Schiffes "Tietverdriew".

Bei dem Schiff handelt es sich um ein 17,6 m langes, 1949 in der DDR als Fischereifahrzeug gebautes, motorgetriebenes Holzschiff. Der Antragsteller erhielt im März 2003 für das Schiff von der Antragsgegnerin ein Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe, das bis zum 31. Mai 2009 gültig und mit einem Widerrufsvorbehalt versehen war. Als Widerrufsgrund war in dem Zeugnis "insbesondere der gewerbsmäßige Einsatz als Fahrgastschiff oder Sportanglerfahrzeug" genannt. In einem Bußgeldverfahren wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Einsatzes und Führens eines Schiffes ohne erforderliche Schiffssicherheitszeugnisse ordnete das Amtsgericht Hamburg auf Antrag der Antragsgegnerin am 14. November 2008 die Durchsuchung des Fischkutters MS "Tietverdriew" und der Wohn- und Geschäftsräume des Antragstellers an. Mit der Festhalteverfügung vom 26. Mai 2009 untersagte die Antragsgegnerin das Auslaufen und die Weiterfahrt des Schiffes "Tietverdriew" uneingeschränkt und ordnete die sofortige Vollziehung an. Nachdem sie auf Antrag des Antragstellers für das Schiff unter dem 17. August 2009 ein Sicherheitszeugnis als Sonderfahrzeug und ein entsprechendes Schiffsbesatzungszeugnis erteilt hatte, modifizierte sie die Festhalteverfügung unter Bekräftigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dahingehend, dass der Antragsteller das Schiff entsprechend den erteilten Zeugnissen, nicht aber ohne die erforderliche Besatzung nutzen darf.

Über den Widerspruch gegen die Festhalteverfügung ist noch nicht entschieden. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs insoweit wiederhergestellt, dass der Antragsteller mit Familienangehörigen, Verwandten oder Mitgliedern des "Kuttervereins Tietverdriew", die für ihrer Teilnahme an der Fahrt kein Entgelt entrichten und insgesamt nicht mehr als 12 Fahrgäste bilden, auslaufen darf.

Hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist begehrt die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit er die aufschiebende Wirkung des Widerspruches wiederhergestellt hat.

II.

Der Antragsgegnerin ist hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (A). Ihre damit zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg (B).

A.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragsgegnerin hat Erfolg. Der Antrag ist fristgerecht gemäß § 60 Abs. 2 VwGO zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden (1.). Die Antragsgegnerin war ohne Verschulden gehindert, die Beschwerdefrist einzuhalten (2.), so dass ihr für die wirksam gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2009 mit dem Wiedereinsetzungsantrag erhobene Beschwerde gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

1. Entgegen der Ansicht des Antragstellers hatte der nicht zur Vertretung vor dem Oberverwaltungsgericht befugte Bedienstete der Antragsgegnerin, E. X, der die Beschwerdeschrift vom 20. Juli 2009 unterschrieben hat, nicht vor dem 8. September 2009, als die Antragsgegnerin mit der Stellungnahme des Antragstellers auf seine fehlende Befugnis zur Unterzeichnung der Beschwerdeschrift und damit auf die Fristversäumung hingewiesen worden ist, positive Kenntnis von der Fristversäumung. Denn in seiner dienstlichen Erklärung vom 15. September 2009 gibt er an, sich keine Gedanken über die Folgen darüber gemacht zu haben, dass er den Beschwerdeschriftsatz erneut ausdruckte, selbst unterzeichnete und absandte, nachdem er einen Becher Kaffee über seinem Schreibtisch verschüttet hatte, auf dem der vom hierfür Bevollmächtigten und gemäß § 67 Abs. 4 VwGO befugten Bediensten der Antragsgegnerin, K. Y , unterzeichnete Beschwerdeschriftsatz lag. Darüber hinaus hat er angeben, dass er sich bis heute nicht über die Folgen seiner fahrlässigen Handlung bewusst gewesen sei, obwohl er selbstverständlich gewusst habe, dass vor dem Oberverwaltungsgericht Vertretungszwang bestehe. Aus ihm unerklärlichen Gründen sei es ihm nicht in den Sinn gekommen, seinen Vorgesetzen K. Y. über sein Missgeschick zu unterrichten. Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der dienstlichen Erklärung. Die darin dargestellten Umstände sind hinreichend glaubhaft gemacht. Angesichts der mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten schriftlichen Anweisung des K. Y an den E. X , den von ihm unterzeichneten Beschwerdeschriftsatz am Montag abzusenden "(Fax vorab!) und schon mal die Begründung vorbereiten" bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung der Antragsgegnerin oder der dienstlichen Erklärung des Herrn E. X , so dass es keiner weiteren Glaubhaftmachung durch eine eidesstattliche Versicherung bedurfte.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Antragsgegnerin, wie der Bevollmächtigte des Antragstellers darlegt, den angefochtenen Beschluss am 8. Juli 2009 per Telefax vorab übermittelt bekommen hat und beide Parteien ausweislich der in der Gerichtsakte enthaltenen Empfangsbekenntnisse den Empfang der Ausfertigung des Beschlusses am 10. Juli 2009 quittiert haben. Die Zustellung, die die zu notierende Beschwerdefrist in Lauf setzte, ist damit erst mit der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch den zum Empfang Bevollmächtigten der Antragsgegnerin in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.11.1983, 7 B 91/93 = Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 15; OVG Hamburg, Beschl. v. 2.7.2009, 2 Bs 72/09). Aus der bei der Antragsgegnerin notierten Endfrist 24. Juli 2009 ergeben sich daher keine Zweifel an ihrem Tatsachenvortrag. Der Sachvortrag der Antragsgegnerin, K. Y habe die Beschwerdefrist notiert, erweckt keine Zweifel. Denn anders als der Antragsteller kann das Beschwerdegericht aus der Paraphe "K" hinter der Fristnotierung bei Vergleich mit der aus der Anlage 8 (Bl. 339 d.A.) ersichtlichen handschriftlichen Notiz des K. y keine derartige Differenz erkennen, dass sich daraus Zweifel an der Richtigkeit des Vortrages ergeben. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob eine positive Kenntnis von der Fristversäumung, wenn sie denn bei E. X vorhanden gewesen wäre, der Antragsgegnerin zuzurechnen wäre, wie der Antragsteller meint. Von dem Fehler hat vertretungsbefugte Herr K. y erst mit der Stellungnahme des Antragstellers, die ihm am 8. September 2009 übersandt worden ist, Kenntnis erlangt. Am 16. September 2009, mithin innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO, hat er Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2009 eingelegt, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht.

2. Die Versäumung der Beschwerdefrist durch die Antragsgegnerin war unverschuldet. Hinsichtlich der Beurteilung des Verschuldens bei der Prozessvertretung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 67 Abs. 4 VwGO durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG Gerichtsbescheid v. 10.6.1997, Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 89; Beschl. v. 21.10.1997, 2 C 13/97, juris), der der Senat folgt, die für eine Prozessvertretung durch Rechtanwälte entwickelten Grundsätze sinngemäß. Dem Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt bleibt es unbenommen, sich juristischer Hilfspersonen zu bedienen. Diese rücken dann aber nicht in die Stellung eines Vertreters der juristischen Person des öffentlichen Rechts ein. Ist für die Prozessführung ein Vertreter gemäß § 67 Abs. 4 VwGO eingeschaltet, ist eine Fristversäumung nur dann unverschuldet, wenn ihn hinsichtlich der ordnungsgemäßen Einhaltung der Frist und der Fristenüberwachung weder ein eigenes Verschulden noch ein Organisationsverschulden trifft.

Gemessen hieran trifft den nach der Organisation der Antragsgegnerin sie im Beschwerdeverfahren allein vertretenden K. Y kein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist. Er hat den nicht zur Vertretung im Beschwerdeverfahren befugten Mitarbeiter E. X schriftlich angewiesen, den von ihm bereits unterzeichneten Beschwerdeschriftsatz am 20. Juli 2009 dem Gericht zu übersenden. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist E. X nicht gesetzlicher oder satzungsgemäßer Vertreter der Antragsgegnerin. Nach § 19 der Satzung der See-Berufsgenossenschaft in der Fassung vom 28. November 2006 wird sie vom Vorstand oder der Geschäftsführung gerichtlich vertreten. Beiden gehört E. X nicht an. Ausweislich der Stellenbeschreibung ist er auch nicht bevollmächtigt, die Antragsgegnerin in Beschwerdeverfahren zu vertreten, so dass sein Verschulden an der Fristversäumung im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht nur dann der Antragsgegnerin zugerechnet werden kann, wenn dem ein Organisationsverschulden oder ein Verschulden bei der Überwachung der zur Vertretung vor dem Oberverwaltungsgericht Berufenen oder Bevollmächtigten zu Grunde liegt. Das ist aber ersichtlich nicht der Fall. Wie der Beschreibung der Stelle des E. X zu entnehmen ist, ist er nicht zur Vertretung der Antragsgegnerin bevollmächtigt. Das ist ihm nach eigenem Bekunden auch bekannt. Die zur fristgerechten Versendung erstellte Beschwerdeschrift vom 20. Juli 2009 war vom vertretungsberechtigten K. Y unterzeichnet und E. X mit der technischen Übermittlung an das Gericht im Wege einer Einzelanweisung beauftragt worden. Angesichts der Qualifikation des E. X , der befugt ist, die Antragsgegnerin vor dem Verwaltungsgericht zu vertreten, bestand kein Anlass für K. Y , die ordnungsgemäße Erledigung des Auftrages zu kontrollieren. Mit dem als Augenblicksversagen zu qualifizierenden Fehler des E. X musste er nicht rechnen.

B.

Die somit zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Die Antragsgegnerin hat mit ihren Darlegungen die maßgeblichen Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ausreichend erschüttert (§146 Abs. 4 Satz 3 u. 6 VwGO). Nach der Erteilung eines Sicherheitszeugnisses als Sonderfahrzeug und eines entsprechenden Schiffsbesatzungszeugnisses für das Schiff "Tietverdriew" unter dem Datum des 17. August 2009 ist die Rechtmäßigkeit der Festhalteverfügung unter Berücksichtigung der am gleichen Tage erfolgten Änderung der Festhalteverfügung vom 26. Mai 2009 zu beurteilen (1.). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Antragstellers erweist sich die Festhalteverfügung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung als rechtmäßig (2.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht zu beanstanden (3.).

1. Nach der antragsgemäßen Erteilung eines Bau- und Ausrüstungssicherheitszeugnisses als Sonderfahrzeug und eines Schiffsbesatzungszeugnisses für das Schiff "Tietverdriew" vom 17. August 2009 hat die Antragsgegnerin ihre bis dahin unbeschränkt erteilte Festhalteverfügung mit Schreiben vom gleichen Tage gegenüber dem Bevollmächtigten des Antragstellers dahingehend zurückgenommen, dass nunmehr nur noch das Auslaufen und die Weiterfahrt des Schiffes ohne die nach dem Schiffsbesatzungszeugnis erforderliche Besatzung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt wird. Auch wenn die Festhalteverfügung damit auf einer anderen Rechtsgrundlage als die ursprüngliche Festhalteverfügung fußt, ist sie doch hinsichtlich ihres Regelungsbereiches, der Gegenstand der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts war, aufrecht erhalten worden. Deshalb hat sich der Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht geändert.

2. Die angefochtene Festhalteverfügung erweist sich als rechtmäßig. Allerdings kann die modifizierte Festhalteverfügung der Antragsgegnerin, nachdem ein Bau- und Ausrüstungssicherheitszeugniss erteilt worden ist, nicht mehr auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 Schiffssicherheitsverordnung vom 18. September 1998 (BGBl. I, S. 3023) in der Fassung des Art. 2 der Verordnung vom 1.Oktober 2008 (BGBl. I, 1913 -SchSV-) gestützt werden. Nach dieser Vorschrift verbietet die See-Berufsgenossenschaft das Auslaufen, die Weiterfahrt oder den Betrieb eines Schiffes, das zum Führen der Bundesflagge berechtigt ist, wenn für das Schiff nicht die vorgeschriebenen gültigen Zeugnisse nachgewiesen werden können. Für das Schiff "Tietverdriew" sind unter dem Datum des 17. August 2009 die erforderlichen Zeugnisse als Sonderfahrzeug erteilt worden. Jedoch ist als Ermächtigungsgrundlage für den aufrecht erhaltenen Teil der Festhalteverfügung auf § 5 Abs. 2 der Schiffsbesetzungsverordnung vom 26. August 1998 (BGBl. I, S. 2577 mit späteren Änderungen) -SchBesV- abzustellen. Nach dieser Vorschrift hat die SeeBerufsgenossenschaft das Auslaufen oder die Weiterfahrt eines Schiffes zu verbieten, wenn es an einem gültigen Schiffsbesetzungszeugnis fehlt oder ein Schiff nicht entsprechend dem Schiffsbesetzungszeugnis besetzt ist.

Die Voraussetzungen für eine Festhalteverfügung nach dieser Vorschrift sind erfüllt. Zwar gilt die Schiffsbesetzungsverordnung nur für die Besetzung von Kauffahrteischiffen (§ 1 SchBEsV). Aber das Schiff "Tietverdriew" ist ein Kauffahrteischiff (a). Für die vom Antragsteller durchgeführten und weiterhin beabsichtigten Fahrten ohne die in dem Schiffsbesetzungszeugnis geforderte Besatzung steht der Erlass einer Festhalteverfügung gem. § 5 Abs. 2 SchBEsV nicht im Ermessen der Antragsgegnerin (b). Generelle Bedingungen oder Auflagen sind nicht geeignet, die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen Personen so zu gewährleisten, dass unter ihrer Beachtung von einer Festhalteverfügung abgesehen werden kann (c). Ein Auslaufen und die Weiterfahrt des Schiffes auch ohne die vorgeschriebene Besatzung sind daher allenfalls bei konkret beantragten Fahrten im Einzelfall möglich (d).

a) Das Schiff "Tietverdriew" ist ein Kauffahrteischiff im Sinne von § 1 SchBEsV. Der Begriff des Kauffahrteischiffes ist nicht in Rechtsvorschriften definiert. Er stammt aus der älteren Rechtssprache des See- und Seehandelsrechts und bezeichnet ein Seeschiff, das zu unmittelbarem oder mittelbarem Erwerb durch Seefahrt bestimmt ist. Zu den Seeschiffen, die dem Erwerb durch Seefahrt dienen, zählen z.B. solche, die Personen oder Güter gegen Entgelt über See transportieren, auf See Schlepper-, Bugsier- oder Bergungsdienste leisten, der Seefischerei oder dem gewerblichen Lotsendienst dienen (vgl. BFH, Urt. v. 13.2.1992, BFHE 167, 232 m.w.N.). Keine Kauffahrteischiffe sind die Nichterwerbsschiffe, zu denen die Schiffe gehören, die hoheitlichen oder wissenschaftlichen Zwecken oder der seemännischen Ausbildung dienen, schließlich auch die Privatyachten. Die Zweckbestimmung eines Seeschiffes ist nicht nach bloß subjektiven Kriterien festzulegen, sondern in erster Linie nach äußeren, allgemeingültigen Merkmalen, die nach technischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten auf eine bestimmte gewerbsmäßige Nutzung schließen lassen (vgl. BFH, Urt. v. 13.2.1992 a.a.O.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Schiff "Tietverdriew" ein Kauffahrteischiff i.S. des § 1 SchBesV. Das Schiff ist ursprünglich für die Berufsfischerei als Fischereifahrzeug gebaut worden. Der Antragsteller hat es seit Jahren zu gewerbsmäßigen Angel- und Ausflugsfahrten genutzt. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen. Der Antragsteller hat Ausflugs- und Angelfahrten gegen Entgelt unternommen. Dies ist aus den sichergestellten Aufzeichnungen zu den Einnahmen und der Organisation der Fahrten ersichtlich. Für die "Organisation von Angelausfahrten" hat die Ehefrau unter der Firma "Delphin - maritime Erlebnisreisen" dem "Kutterangelverein Tietverdriew" Rechnungen erteilt, die ersichtlich vom Antragsteller beglichen worden sind. Auch hat der Antragsteller einer Vielzahl von Firmen und Organisationen Quittungen für "Angelausfahrt mit Angelkutter-Verein Tietverdriew" in unterschiedlicher Höhe erteilt. Der Entgeltcharakter der Zahlungen von Einzelpersonen wird nicht dadurch verändert, dass der Antragsteller deren jeweilige Mitgliedschaft in dem "Kutterverein Tietverdriew" behauptet und eine Liste der "Mitglieder" des Vereins geführt hat. Denn auch wenn die für die jeweilige Fahrt gezahlten Beträge vom Antragsteller als "Vereinsbeitrag" deklariert werden, ändert das an ihrem Entgeltcharakter für die Einzelfahrt nichts. Die Beträge sind ausweislich der bei dem Antragsteller im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen Unterlagen für jede Fahrt erneut entrichtet worden. Die Vereinssatzung sieht eine Aufnahme in den Verein durch den Antragsteller als Vorsitzenden, keine Mitgliederversammlung und keine Pflichten der Mitglieder mit Ausnahme der Beitragszahlung vor, deren Höhe und Zahlungsmodalitäten der Antragsteller als Vorstand bestimmt. Da die Mitglieder aus der Mitgliederliste gestrichen werden, wenn sie mit dem Beitrag mehr als ein Jahr im Rückstand sind und dann auch die Forderungen gegen sie erlöschen, besteht die Mitgliedschaft in dem Verein in ihrem Kern darin, Zahlungen für die Fahrten mit dem Schiff "Tietverdriew" zu leisten. Die Höhe der so erzielten Einnahmen geht ausweislich der beschlagnahmten Unterlagen deutlich über die für den Unterhalt und den Betrieb des Schiffes erforderlichen Mittel hinaus. Bei objektiver Betrachtung dient der Betrieb des Schiffes mithin dem Erwerb durch Seeschifffahrt. Konsequent hat der Antragsteller dann auch im Zuge des vorliegenden Verfahrens die für den Betrieb als Kauffahrteischiff notwendigen Zeugnisse bei der Antragsgegnerin beantragt und erhalten. Das dem Antragsteller erteilte Sicherheitszeugnis für Traditionsschiffe, das bis zum 31. Mai 2009 galt, reichte für den auf Erwerb durch Seefahrt ausgerichteten Betrieb des Schiffes nicht aus. Hierfür ist, wie § 1 SchBesV zeigt, im Gegensatz zu Traditionsschiffen im Sinne des § 1 Abs. 3 der Verordnung über den Erwerb von Sportsee- und Sporthochseeschifferscheinen und die Besetzung von Traditionsschiffen i.d. F. der Bekanntmachung vom 3. März 1998 (BGBl. I, S. 394 m. spät. Änd.) -SportSeeSchV- eine durch seemännische Berufsausbildung qualifizierte Besatzung vorgeschrieben.

b) Es entspricht der gesetzlichen Verpflichtung der Antragsgegnerin gemäß § 5 Abs. 2 SchBesV, ein Schiff, das nicht entsprechend dem Schiffsbesetzungszeugnis besetzt ist, am Auslaufen oder der Weiterfahrt zu hindern. Der Antragsgegnerin ist insoweit, wie der eindeutige Wortlaut der Vorschrift zeigt, kein Ermessen eingeräumt. Davon ausgenommen sind auch nicht als "privat" deklarierte Fahrten. Zum einen ändert sich der Zweck eines Seeschiffes als Kauffahrteischiff nicht dadurch, dass der Nutzer Fahrten damit als "privat" deklariert. Wie oben ausgeführt ist der Charakter eines Seeschiffes nach objektiven Kriterien einzuschätzen. Für die objektive und im Interesse der Allgemeinheit erforderlichen Abwehr der mit der Seeschifffahrt verbundenen Gefahren ist eine bloß subjektive Zweckbestimmung nicht ausreichend. Anderenfalls würde der Anwendungsbereich der Vorschriften über die Schiffssicherheit und die erforderliche Besatzung in das weitgehende Belieben des Schiffsbetreibers gestellt und der Bedeutung dieser Regelung nicht Rechnung getragen. Zum anderen besteht bei der Einordnung des Charakters eines Schiffes nach der jeweiligen, auch nur temporären subjektiven Zweckbestimmung des Betreibers eine nicht eingrenzbare Gefahr der Umgehung der im Interesse der Seeschifffahrt, der Meeresumwelt und der Nutzer der Seeschiffe verbindlichen Schiffssicherheitsvorschriften und die Gefahr, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung gemäß § 5 Abs. 1 SchBesV zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der SchBesV nicht genügen kann.

c) Generelle Bedingungen oder Auflagen hinsichtlich der im Schiffsbesatzungszeugnis als Mindestbesatzung aufgeführten Bemannung des Schiffes (Kapitän, Leiter der Maschinenanlage und Schiffsmann Deck (wachbefähigt)), durch welche auch ohne Einhaltung dieser Anforderungen die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen Personen gewährleistet werden kann, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass er über ein nautisches Patent oder ein sonstiges im Schiffsbesatzungszeugnis vorgesehenes Befähigungszeugnis verfügt. Sein Begehren ist auch nicht darauf gerichtet, das Schiff "Tietverdriew" gemäß den erteilten Erlaubnissen und Zeugnissen zu betreiben. Er will das Schiff, ein Kauffahrteischiff, selbst, mithin gänzlich ohne die vorgeschriebene Besatzung, führen. Eine solche vollständige Ausnahme von der notwendigen Schiffsbesatzung kommt im Rahmen von Auflagen und Bedingungen gemäß § 5 Abs. 2 SchBesV unabhängig davon nicht in Betracht, ob der Antragsteller bei Fahrten ohne die vorgeschriebene Besatzung nur Verwandte und Freunde und/oder Vereinsmitglieder ohne Bezahlung mitnehmen will. Denn solche generellen Ausnahmen würden den im Interesse objektiver Gefahrenabwehr für das Kauffahrteischiff vorgeschriebenen Anforderungen an die Besatzung nicht genügen, die Gefahr einer Umgehung begründen und die Überwachung der Vorschriften der SchBesV unmöglich machen.

d) Zur Wahrung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit der Mittel bleibt es dem Antragsteller aber unbenommen, für einzelne konkrete Fahrten mit bezeichneten Freunden und Verwandten eine Ausnahme von der vorgeschriebenen Bemannung des Schiffes zu beantragen. Der Antragstellerin obliegt es dann, ihr Ermessen hinsichtlich der Frage auszuüben, unter welchen Auflagen und Bedingungen bei der konkret bezeichneten Fahrt mit der bezeichneten Besatzung und der Zahl und Art der Gäste die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen Personen gewährleistet ist.

3. Das besondere öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Festhalteverfügung ist in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden. Mit Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass ohne die sofortige Vollziehung der Festhalteverfügung unvertretbare Gefährdungen für Schiff, Fahrgäste, Besatzung und Meeresumwelt bestehen. Denn wie beim Fehlen der notwendigen Schiffssicherheitszeugnisse wird bei einem Seeschiff, für das mit dem Schiffsbesatzungszeugnis die Mindestbesatzung für einen sicheren Betrieb festgestellt ist, die Vermutung begründet, dass die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen Personen nicht gewährleistet ist, wenn das Schiff ohne die erforderliche Besatzung ausläuft. Denn der sichere Betrieb eines Seeschiffes setzt nicht nur ein hinsichtlich des Verwendungszwecks für hinreichend sicher befundenes und ausgerüstetes Schiff voraus. Ohne die für den jeweiligen Verwendungszweck erforderliche qualifizierte Besatzung ist der Betrieb eines sicheren Schiffes ohne Gefährdung für die Schifffahrt, die Meeresumwelt und die an Bord befindlichen Personen nicht möglich. Erst das Zusammenwirken eines sicheren Schiffes und der erforderlichen Besatzung gewährleisten den sicheren Betrieb eines Schiffes auf See. Fehlt eine der beiden Komponenten, geht von dem Betrieb des Schiffes zumindest eine abstrakte Gefahr aus. Bereits diese abstrakte Gefahrenlage, mit der die Antragsgegnerin die Vollzugsanordnung begründet hat, reicht im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen bei einer Realisierung der Gefahren, die von dem Betrieb von Seeschiffen ausgehen aus, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen (für Schiffssicherheitszeugnisse vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28. 7. 2003 - 1 Bs 375/03 - "Klabautermann"). Angesichts der Typik und Offenkundigkeit der Gefahrenlage bei fehlenden oder unzureichenden Schiffssicherheitszeugnissen oder nicht ausreichender Bemannung eines Schiffes genügt für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Festhalteverfügung die vom Antragsteller gerügte "formblattmäßige Begründung" der Antragsgegnerin. Daran ändert der Vortrag des Antragstellers nichts, er habe das Schiff "Tietverdriew" schon seit mehreren Jahren ohne Unfall oder auch nur konkrete Gefährdung seiner Fahrgäste, seiner Besatzung und der Umwelt betrieben. Abgesehen davon, dass sich im Nachhinein nur auf Grund von Schadensereignissen feststellen ließe, dass die Behauptung des Antragstellers nicht zutrifft, ist die Antragsgegnerin nicht gehalten, die abstrakten Gefahren für die Schifffahrt, die Meeresumwelt und die an Bord befindlichen Personen weiterhin so lange hinzunehmen, bis sie sich realisieren.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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