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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 1 Bs 388/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 a Abs. 5 Satz 2
AufenthG § 60 a Abs. 5 Satz 4
AufenthG § 82 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 Bs 388/05

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht ... am 7. Dezember 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. Dezember 2005 aufgehoben. Der Antragsgegnerin wird untersagt, die Antragsteller am 7. Dezember 2005 nach Afghanistan abzuschieben.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und insoweit unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung auch für diese Instanz auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller reisten im Februar 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten zunächst die Erteilung einer Duldung wegen der Lage in Afghanistan. Die Antragsgegnerin wies sie daraufhin wegen unerlaubter Einreise mit inzwischen bestandskräftiger Verfügung vom 15. Februar 2002 aus dem Bundesgebiet aus, forderte sie zur Ausreise auf und drohte ihnen die Abschiebung an. Gleichzeitig erteilte sie den Antragstellern fortlaufend Duldungen, zunächst bis März 2003, bis sie einen Asylantrag stellten, der mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2004 ergangenem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg abgelehnt worden ist. Im Anschluss daran erhielten die Antragsteller wiederum fortlaufend Duldungen, der Antragsteller zu 1) aufgrund der Verfügung vom 19. Juli 2005 und die Antragstellerin aufgrund der Verfügung vom 21. November 2005 jeweils bis zum 20. Dezember 2005.

Mit Schreiben vom 30. September 2005 ordnete die Antragsgegnerin gem. § 82 Abs. 4 AufenthG das persönliche Erscheinen der Eheleute für den 10. Oktober 2005 an zu einer Information über die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nach Afghanistan und kündigte ebenfalls die Abschiebung gem. § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG an. Die Antragsteller leisteten der Aufforderung Folge. Sie teilten dabei der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin die Staatliche Handelsschule und hier die Klasse für die schulische Nachqualifikation für Migrantinnen und Migranten besuche. Ausweislich der der Antragsgegnerin an diesem Tag vorgelegten Schulbescheinigung endet diese Klasse am 31. Juli 2006. Die Antragsgegnerin forderte die Antragsteller anschließend mit Schreiben vom 10. Oktober 2005 auf, erneut am 3. November 2005 vorzusprechen und verschiedene Unterlagen mitzubringen, wie u.a. die Reisepässe und Unterlagen über eine freiwillige Ausreise. Die Antragsteller suchten in der Folgezeit die Flüchtlingshilfe der Arbeiterwohlfahrt für eine Beratung auf. Diese wandte sich mit Schreiben vom 13. Oktober 2005 an die Antragsgegnerin und bat um Prüfung, ob dem Ehepaar die benötigte Zeit gewährt werden könnte, um der Antragstellerin die Beendigung der Ausbildung in Deutschland zu ermöglichen, damit sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan bessere Chancen auf dem dortigen Arbeitsmarkt habe.

Die Antragsgegnerin bat die Antragsteller dann mit Schreiben vom 3. November 2005 am 5. Dezember 2005 vorzusprechen und neben den Pässen eine Anmeldebestätigung und Nettoverdienstbescheinigung über die letzten 3 Monate vorzulegen. Nachdem die Antragsteller ihre Nationalpässe abgegeben hatten, ergab eine Rückfrage der Prozessbevollmächtigen der Antragsteller am 2. Dezember 2005 bei der Antragsgegnerin, dass ein erneutes persönliches Erscheinen am 5. Dezember 2005 nicht erforderlich sei und zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rückführung geplant sei. Es bestehe keine Gefahr der Festnahme, wenn sie zu dem angegebenen Termin nicht erschienen. Dennoch wurden beide Antragsteller bei der Antragsgegnerin am 5. Dezember 2005 vorstellig.

In der Woche vorher hatte die Antragsgegnerin erfahren, dass die Antragsteller versucht hatten, am 22. August 2005 mit gefälschten deutschen Pässen über Amsterdam nach Kanada auszureisen, aber entdeckt und nach Deutschland zurücküberstellt worden waren. Trotz dieser Kenntnis verlängerte die Antragsgegnerin am 5. Dezember 2005 die wegen der Ausreise in die Niederlande erloschene Duldung für den Ehemann bis zum 20. Dezember 2005. Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages, dem 6. Dezember 2005, wurde die Wohnung der Antragsteller im Beisein der Vertreterin der Antragsgegnerin, die am Vortag die Duldung verlängert hatte, von der Bundespolizei durchsucht. Die Vertreterin der Antragsgegnerin teilte ihnen dabei mit, dass sie ihre Sachen packen sollten, weil sie abgeschoben würden. Nach ihrer polizeilichen Vernehmung und erkennungsdienstlichen Behandlung nahm die Antragsgegnerin die Antragsteller am 6. Dezember 2005 vorläufig fest und widerrief die am 5. Dezember 2005 und 21. November 2005 ausgestellten Duldungen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe seien entfallen. Das öffentliche Interesse an einer unverzüglichen Aufenthaltsbeendigung überwöge das persönliche Interesse der Antragsteller, da die Abschiebung unverzüglich durchgeführt werden solle, um einen ungenehmigten Aufenthalt wegen eines möglicherweise langwierigen Rechtsbehelfsverfahrens zu unterbinden. Den Antrag der Antragsgegnerin am 7. Dezember 2005 auf Sicherungshaft wies das Amtsgericht Hamburg mit Beschluss vom 7. Dezember 2005 zurück, da das bisherige Verhalten der Antragsteller keinen ausreichenden Anlass für die Annahme biete, sie würden sich durch Untertauchen einer freiwilligen Ausreise entziehen. Sie hätten alle Termine eingehalten und ihrer Prozessbevollmächtigten sei mitgeteilt worden, dass gegenwärtig eine Abschiebung nicht geplant sei.

Gegen den Widerruf der Duldungen haben die Antragsteller mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 Widerspruch eingelegt und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 7. Dezember 2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Duldungen nicht hätten widerrufen werden können. Ein Vertrauensschutz ergäbe sich nicht daraus, dass die Duldungen noch bis zum 20. Dezember 2005 erteilt worden seien. § 60 a Abs. 5 Satz 2 AufenthG sehe gerade den Widerruf einer Duldung vor, wenn der Abschiebung entgegenstehende Gründe entfallen seien. Auch der Schulbesuch der Antragstellerin zu 2) stehe dem Widerruf nicht entgegen, weil die Duldung nicht im Hinblick auf diesen Schulbesuch erteilt worden sei und ihr rechtlich nicht entgegenstehe. Zweifel an der freiwilligen Ausreise der Antragsteller lägen hier insbesondere deshalb vor, weil sie versucht hätten mit gefälschten Pässen auszureisen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 7. Dezember 2005.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg. Der Antragsgegnerin ist im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen, die Antragsteller am 7. Dezember 2005 nach Afghanistan abzuschieben. Zu Recht berufen sich die Antragsteller darauf, dass ihre zwangsweise Abschiebung am 7. Dezember 2005 gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.

Die Antragsgegnerin setzt sich mit der am heutigen 7. Dezember 2005 begonnenen Abschiebung der Antragsteller in Widerspruch zu der von ihr noch vor 2 Tagen verlängerten Duldung des Antragstellers zu 1). Zwar hat sie die den Antragstellern ausgestellten Duldungen am 6. Dezember 2005 widerrufen und erlöschen die am 21. November 2005 und 5. Dezember 2005 verlängerten Duldungen der Antragsteller nach den ihnen beigefügten auflösenden Bedingungen mit dem Wegfall der der Abschiebung entgegenstehenden tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse. Auch spricht viel dafür, dass die der Abschiebung entgegenstehenden tatsächlichen Hindernisse entfallen waren, nachdem Flugplätze in der Maschine nach Afghanistan frei geworden waren. Die Antragsteller mussten sich aber nicht darauf einstellen, bereits am Morgen des 6. Dezember 2005 verhaftet und anschließend abgeschoben zu werden. Insoweit reicht im vorliegenden Falle nicht aus, dass die Antragsgegnerin ihnen ihre Abschiebung mit Schreiben vom 30. September 2005 gem. § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG angekündigt hatte und sie sich auf eine baldige Abschiebung einstellen mussten. Denn die Antragsteller durften darauf vertrauen, dass die Antragsgegnerin nicht überraschend davon absehen würde, ihnen einen Termin zu nennen, zu dem sie sich für den Flug nach Afghanistan einzufinden hatten. Die Antragsgegnerin hatte nicht nur die Duldung des Antragstellers zu 1) noch am 5. Dezember 2005 um 2 Wochen verlängert. Die Antragsteller waren auch zuvor den verschiedenen Aufforderungen der Antragsgegnerin gefolgt, bei ihr vorzusprechen. Entsprechend dem Vorschlag der Antragsgegnerin hatten sie sich noch im Oktober an die Flüchtlingshilfe gewendet, um sich über die Modalitäten einer freiwilligen Ausreise beraten zu lassen. Die Flüchtlingshilfe hatte daraufhin in ihrem Namen an die Antragsgegnerin geschrieben, mit dem Begehren, ihnen den Abschluss der schulischen Nachqualifikation der Antragstellerin zu 2) bis zum 31. Juli 2006 zu ermöglichen und so ihre Wiedereingliederung in Afghanistan zu erleichtern. Am 3. November und 5. Dezember 2005 hatten sie aufforderungsgemäß bei der Antragsgegnerin vorgesprochen und eine Schulbescheinigung eingereicht. Noch am 2. Dezember 2005 scheint die Antragsgegnerin der Prozessbevollmächtigen der Antragsteller mitgeteilt zu haben, dass gegenwärtig keine Abschiebung geplant sei. Bei dieser Sachlage mussten die Antragsteller nicht damit rechnen, am frühen Morgen des 6. Dezember 2005 verhaftet und bereits am 7. Dezember 2005 zwangsweise abgeschoben zu werden, ohne Gelegenheit zu erhalten, kurzfristig ihre Ausreise vorzubereiten und sich beispielsweise mit geeigneter Kleidung auszustatten, um den Unbillen des afghanischen Winters notfalls in einer Zeltunterkunft trutzen zu können.

Demgegenüber vermag sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass sie erst nach der am 6. Dezember 2005 erfolgten Vernehmung der Antragsteller durch die Bundespolizei habe beurteilen können, ob die Staatsanwaltschaft für ihr Ermittlungsverfahren gegen eine Gruppe von "Schleusern" Wert auf die weitere Anwesenheit der Antragsteller legen würde. Der Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin war bereits bei der Verlängerung der Duldung am 5. Dezember 2005 bekannt, dass die Antragsteller im August 2005 versucht hatten, mit gefälschten Papieren über Amsterdam nach Kanada auszureisen. Sie dürfte auch gewusst haben, dass deshalb am Folgetag eine Durchsuchung der Wohnunterkunft der Antragsteller anstand. Denn sie scheint zusammen mit der Bundespolizei am frühen Morgen des 6. Dezember 2005 bei den Antragstellern erschienen zu sein, um diese aufzufordern, ihre Habe für den Flug nach Afghanistan zu packen. Die Antragsgegnerin hat mit der Verlängerung der Duldung am 5. Dezember 2005 die Antragsteller letztlich gleichsam "in Sicherheit gewiegt", dass ihr Abschiebung nicht überraschend in den nächsten Tagen erfolgt. Damit verträgt sich ihre Abschiebung am 7. Dezember 2005 im Anschluss an ihre am 6. Dezember 2005 erfolgte Verhaftung und die Ablehnung der zur Sicherung der Abschiebung beantragten Abschiebungshaft durch das Amtsgericht Hamburg nicht.

Auch der weiter von der Antragsgegnerin telefonisch im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Grund, die Abschiebung solle zum Schutze der Antragsteller erfolgen, da sie durch ihre Aussagen über die Art und Weise des Erwerbs der gefälschten Pässe bei einer Rückkehr nach Hamburg gefährdet seien, trägt nicht. Es ist Sache der Antragsteller zu beurteilen, ob sie einer etwaigen Gefährdung in Hamburg durch eine Ausreise nach Afghanistan begegnen wollen.

III. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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