Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 1 So 74/06
Rechtsgebiete: HmbSG, VwVG


Vorschriften:

HmbSG § 41 a
VwVG § 23
Der Schulzwang zur Durchsetzung der Vorstellungspflicht bildet eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung. Sie setzt voraus, dass die Erziehungsberechtigten schriftlich unter Hinweis auf die Möglichkeit einer zwangsweisen Vorführung aufgefordert wurden, ihr Kind in der Schule vorzustellen.

Die richterliche Gestattung der Türöffnung und Durchsuchung ist nur verhältnismäßig, wenn nach der schriftlichen Aufforderung mehrfach versucht wurde, die Erziehungsberechtigten und das Kind in der Wohnung aufzusuchen.

Das Gericht hat den Erziehungsberechtigten vor dem Türöffnungsbeschluss rechtliches Gehör zu gewähren.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

1 So 74/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Richter E.-O. Schulz, Richterin Huusmann am 9. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. April 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1250 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin zu gestatten, die Wohnung der Mutter des Antragsgegners zu öffnen und nach dem Antragsgegner zu durchsuchen, um diesen im Wege des Schulzwangs persönlich in der Grundschule Vizelinstrasse vorzustellen. Die rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte richterliche Türöffnungs- und Durchsuchungsanordnung sind nicht erfüllt.

1. Die begehrte richterliche Gestattung, die Wohnung zwangsweise zu öffnen und nach dem am 3. August 2000 geborenen Antragsgegner zu durchsuchen, dient der Durchsetzung des Schulzwangs nach § 41 a HmbSG. Der durch das Sechste Änderungsgesetz zum Hamburgischen Schulgesetz vom 4. Mai 2005 (GVBl. S. 197) eingefügte § 41 a HmbSG erlaubt es u.a., Kinder, die trotz schriftlicher Aufforderung einer Vorstellung nach § 42 Abs. 1 HmbSG fernbleiben, der Schule oder der mit der Untersuchung beauftragten Stelle zwangsweise zuzuführen. Der Schulzwang bildet insoweit eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung. Mit ihr soll derihr zugrundeliegende Verwaltungsakt durchgesetzt werden, nämlich die Aufforderung an die Sorgeberechtigten, das Kind nach öffentlicher Bekanntmachung zu Beginn des der Einschulung vorangehenden Jahres einer regional zuständigen Grundschule vorzustellen, um seinen Entwicklungsstand zu überprüfen. Die schriftliche Aufforderung, das Kind der Grundschule oder einer anderen Untersuchungsstelle vorzustellen, ist damit sowohl Grundlage für die Anordnung des Schulzwanges wie auch der richterlichen Gestattung der Türöffnung und Wohnungsdurchsuchung. Die hier verwaltungsintern gebliebene Anordnung des Schulzwangs befreit das Gericht nicht von der Verpflichtung zu prüfen, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen für den Schulzwang gegeben sind. Der Rechtsgedanke des § 75 Abs. 2 VwVG gilt für das Verhältnis zwischen der richterlichen Türöffnungs- und Durchsuchungsanordnung zu der Vollstreckungsmaßnahme des Schulzwangs nicht. § 75 Abs. 2 VwVG bestimmt lediglich, dass Einwendungen gegen den der Vollstreckung zugrundeliegenden Verwaltungsakt und die ihr zugrunde liegende Forderung außerhalb des Vollstreckungsverfahrens zu verfolgen sind.

a. Das Aufforderungsschreiben der Grundschule vom 27. Januar 2006 genügt inhaltlich nicht den Anforderungen, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit an den Schulzwang zu stellen sind. Der Schulzwang ist als Mittel der Verwaltungsvollstreckung nur zulässig, wenn mildere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen. Deshalb muss die schriftliche Aufforderung an die Erziehungsberechtigten, ihr Kind vorzustellen, den Hinweis darauf enthalten, dass anderenfalls das Kind im Wege des Schulzwanges zwangsweise vorgeführt werden kann. Den Erziehungsberechtigten muss deutlich gemacht werden, dass es "ernst" wird, damit sie ihr Kind selbst vorstellen und der zwangsweise Eingriff entbehrlich wird.

Demgegenüber überzeugt der Einwand nicht, der Gesetzgeber habe in § 41 a HmbSG nur auf die Absätze 2 und 3 der Regelung der Vorführung in § 23 VwVG verwiesen und nicht auf die Anforderungen des § 23 Abs. 1 VwVG, der erst dann erlaubt, einen Pflichtigen zwangsweise für eine Vorstellung bei einer Behörde oder anderen Stelle vorzuführen, wenn er zuvor in der Vorladung auf die Möglichkeit der zwangsweisen Vorführung hingewiesen ist. § 41 a HmbSG nimmt § 23 Abs. 1 VwVG nicht deshalb von der Verweisung auf die allgemeine zwangsvollstreckungsrechtliche Regelung der Vorführung aus, weil dieser Hinweis entbehrlich sein soll. § 23 Abs. 1 VwVG gilt deshalb nicht, weil die Regelung des Schulzwanges es auch erlaubt, Zwang gegenüber dem Kind auszuüben, obwohl nicht das Kind sich selbst, sondern die Erziehungsberechtigten das Kind vorzustellen haben.

b. Die Behörde hat ferner die schriftliche Aufforderung, das Kind der regional zuständigen Grundschule vorzustellen, den Erziehungsberechtigten nach § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt zu machen und den Zugang des Aufforderungsbescheides nachzuweisen (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG). Von diesem allgemeinen Grundsatz ist auch der Gesetzgeber ausgegangen. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 41 a HmbSG ( Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes - Einführung von Schulzwang - BüDrs. 18/1962) "Schulzwang wird erst angeordnet, wenn der Verpflichtung auch nach einer förmlich zugestellten schriftlichen Aufforderung nicht genügt wurde". Die Antragstellerin hat nicht nachgewiesen, dass der Mutter des Antragsgegners die Einladung zu einem Vorstellungstermin in der Grundschule am 24. Januar 2006 erhalten hat noch - worauf es ankommen dürfte - dass ihr die schriftliche Aufforderung vom 27. Januar 2006 zugegangen ist, ihren Sohn am 2. Februar 2006 vorzustellen. Die Antragstellerin hat diese Aufforderung der Erziehungsberechtigten des Antragsgegners nicht zugestellt. Der Hinweis der Antragsstellerin reicht demgegenüber nicht aus, es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Mutter weder die erste Einladung zu einem Vorstellungstermin noch die schriftliche Aufforderung, ihren Sohn vorzustellen, erhalten habe. Der Akte ist bereits kein Vermerk zu entnehmen, dass die Grundschule die Aufforderung zur Post gegeben hat.

2. Im übrigen kommt hinzu: Zwar erlaubt die gesetzliche Ermächtigung, die Vorstellungspflicht im Wege des Schulzwangs durchzusetzen es auch, in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einzugreifen und hat der Gesetzgeber dies auch gesehen, wie die Zitierung des Art. 13 Abs. 1 GG in § 115 HmbSG zeigt. Jedoch bedarf jeder Eingriff in das von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung in besonderem Maße der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Eine zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung zum Zwecke der Vollstreckung darf grundsätzlich erst dann angeordnet werden, wenn es nach allgemeiner Lebenserfahrung ausgeschlossen erscheint, dass der Vollstreckungsbeamte bei vorangegangenen Vollstreckungsversuchen nur zufällig niemanden in der Wohnung angetroffen hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27.4.1999 - 2 So 13/99). Hier hat anscheinend bislang kein Vollstreckungsbeamter versucht, den Schulzwang durchzusetzen. Denn es ist schon nicht ersichtlich, dass der Leiter der regional zuständigen Grundschule, der die Wohnung am 14. Februar 2006 vergeblich aufgesucht hat, als Vollstreckungsbeamter zur Durchsetzung des Schulzwangs gehandelt hat. Vielmehr hat die Antragsgegnerin den Schulzwang erst am 14. März 2006 angeordnet.

Der Gesetzgeber hat das Mittel des Schulzwangs eingeführt, um das Verfahren zur Durchsetzung der Vorstellungspflicht zu beschleunigen (vgl. BüDrs. 18/1962). Die Vorstellungspflicht und der Schulzwang dienen der Wahrung des Kindeswohls. Den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit wird es daher genügen, wenn kein Vollstreckungsbeamter sondern ein anderer Bediensteter nach der mit einem Hinweis auf die Möglichkeit des Schulzwangs versehenen schriftlichen Aufforderung versucht, die Vorstellung des Kindes im Wege eines Hausbesuches zu erreichen. Vielfach wird der Besuch einer Lehrkraft oder - wie hier allem Anschein nach - des Leiters der zuständigen Grundschule für die Erziehungsberechtigten ein milderes Mittel darstellen als ein Vollstreckungsversuch durch einen Vollziehungsbeamten.

Jedoch reicht ein einmaliger Versuch, die Erziehungsberechtigten in der Wohnung zu erreichen, in der Regel nicht aus, um davon auszugehen, dass die Vorstellungspflicht mit Hilfe des Schulzwangs im Sinne einer ultima ratio nur im Wege der Türöffnung und Wohnungsdurchsuchung durchgesetzt werden kann. Es kann viele Gründe geben, weshalb die Erziehungsberechtigten und das Kind zu dem Zeitpunkt des Besuchs zufällig nicht in der Wohnung sind. In der Regel werden wenigstens zwei Versuche zu unterschiedlichen Zeiten erforderlich sein. Dabei bietet es sich an, bei dem ersten Besuch ein geeignetes Benachrichtigungsschreiben zu hinterlassen. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Betroffenen zum einen tatsächlich Kenntnis von ihrer Verpflichtung nehmen, ihr Kind vorzustellen und wird ihnen zum anderen Gelegenheit gegeben, einen neuen Vorstellungstermin abzusprechen.

3. Ferner ist den Betroffenen vor Erlass des richterlichen Türöffnungs- und Durchsuchungsbeschlusses rechtliches Gehör zu gewähren. Ihnen ist die Möglichkeit zu geben, diesen schwerwiegenden Eingriff in ihr Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung abzuwenden. Dies verlangt der Grundsatz effektiven Grundrechtschutzes (vgl. BVerfGE 75, 318/328/). Anders als in manchen Fällen der Vollstreckung von Geldforderungen ist nicht zu befürchten, dass die Betroffenen den Vollstreckungserfolg vereiteln, wenn sie Gelegenheit erhalten, zu dem Antrag der Behörde Stellung zu nehmen, die Tür zwangsweise zu öffnen und in der Wohnung nach dem Kind zu suchen. Insoweit kann es sich anbieten, den Antrag nicht nur zuzustellen sondern zusätzlich im Wege eines einfachen Briefes zu übermitteln, um die Kenntnisnahme sicher zustellen.

Die Antragstellerin hat als Unterlegene die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen. Entsprechend Ziff. 1.6.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit bemisst der Senat den Streitwert auf ein Viertel des Hauptsacheverfahrens.



Ende der Entscheidung

Zurück