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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 04.10.2006
Aktenzeichen: 2 Bf 28/05.Z
Rechtsgebiete: HBauO 1986
Vorschriften:
HBauO 1986 § 6 Abs. 5 Satz 5 |
2. Wird die erforderliche Abstandsfläche durch die Außenwand eines zurückgesetzten Staffelgeschosses bestimmt, kann ein im Staffelgeschoss um mehr als 1,5 m hervortretender untergeordneter Gebäudeteil für die Bemessung der Abstandsfläche nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil er im darunter liegenden Geschoss die Grenze von 1,5 m einhält.
2 Bf 28/05.Z
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch den Richter Dr. Ungerbieler und die Richterinnen Haase und Sternal am 4. Oktober 2006 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg im schriftlichen Verfahren vom 18. November 2004 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens nach einem Streitwert von 7.500 €.
Gründe:
1. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus seiner Begründung ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), mit dem das Verwaltungsgericht die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Aufstockung seines Einfamilienhauses wegen einer Verletzung der Rechte des Klägers als Eigentümer des Nachbargrundstücks aus § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Hamburgischen Bauordnung vom 1. Juli 1986 (HmbGVBl. S. 183, m.Änd.) - im Folgenden HBauO 1986 - aufgehoben hat.
Das Bauvorhaben weist an seiner Westseite einen 2,40 m breiten Vorsprung auf, dessen Außenwand im Obergeschoss 1,00 m und im Staffelgeschoss 2,21 m aus dem Baukörper hervortritt und auf 2,00 m an das Grundstück des Klägers heranrückt. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass diese Unterschreitung der Mindesttiefe der Abstandsfläche von 2,50 m (§§ 6 Abs. 9 Satz 2 Nr. 2, 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HBauO 1986) nicht ohne Zustimmung des Klägers genehmigt werden durfte, weil die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 Außenwände hervortretender Gebäudeteile bei der Festlegung der Abstandsflächentiefe außer Betracht bleiben, nicht gegeben sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Vorsprung nicht als untergeordneter Gebäudeteil i.S.d. § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO, namentlich als Vorbau, qualifiziert werden. Ebenso wenig greifen die Ausführungen durch, mit denen die Beklagte die Einhaltung der in der Vorschrift normierten Obergrenze für das Vortreten untergeordneter Gebäudeteile von 1,50 m zu begründen versucht.
a) Vorbauten i.S.d. § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 sind vortretende Gebäudeteile, die vor einer Außenwand angeordnet werden und eine unmittelbare gestalterische und funktionale Beziehung zur Gebäudefassade aufweisen. Sie dienen nicht etwa der Erweiterung von Nutzflächen oder der Ausdehnung des Baukörpers, sondern ermöglichen als architektonische Elemente eine flexible Gestaltung der Wand. Als untergeordnet ist ein Vorbau nur dann anzusehen, wenn er nach Umfang und Auswirkungen gegenüber dem Gesamtbauvorhaben nicht nennenswert ins Gewicht fällt (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Beschl. v. 1.8.2005, 2 Bf 299/02; Urt. v. 21.5.2003, NordÖR 2004 S. 31 ff. ; Urt. v. 17.1.2002, NordÖR 2002 S. 454, 457; Beschl. v. 11.8.1999, 2 Bs 245/99 in juris). Gemessen hieran ist der streitige Vorsprung, im dem sich das Treppenhaus befindet und der rund 16 % der gesamten Grundfläche des Staffelgeschosses ausmacht, kein untergeordneter Vorbau. Es handelt sich vielmehr um einen versetzten Gebäudeteil, der eine eigene Abstandsfläche einzuhalten hat. Er erfüllt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht lediglich eine gestalterische Funktion, sondern dient vorrangig einem Flächengewinn. Eine Verlagerung des Treppenhauses in das Gebäudeinnere würde eine sinnvolle Nutzung des Staffelgeschosses wesentlich erschweren und die jetzt vorhandene Wohnfläche deutlich verringern.
Auf die Ausführungen der Beklagten zu der maßstäblichen Wirkung des Vorsprungs auf die restliche Fassade kommt es hiernach nicht mehr an.
b) Abgesehen hiervon ist § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 im Streitfall auch deshalb nicht einschlägig, weil er nur Außenwände untergeordneter Gebäudeteile, die nicht mehr als 1,50 m hervortreten, privilegiert. Diese Obergrenze hält der Vorsprung zwar im Obergeschoss, nicht jedoch im Staffelgeschoss ein, wo er 2,21 m aus dem Baukörper hervortritt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann das Staffelgeschoss hierbei nicht etwa deshalb außer Betracht bleiben, weil ihm aufgrund seiner geringen Fläche und eingeschränkten Nutzbarkeit im Vergleich zum Obergeschoss nur eine untergeordnete Funktion zukommt. Auch bei solchen untergeordneten Vorbauten, die sich über mehrere ihrerseits versetzte Geschosse erstrecken, bestimmt sich die maßgebliche Bezugsebene für die Berechnung des Höchstmaßes von 1,50 m nicht nach der Funktion der Geschosse, sondern allein nach der abstandsflächenrechtlichen Relevanz der jeweiligen Außenwand, vor die der Vorbau tritt. Dies erschließt sich ohne weiteres aus der in § 6 Abs. 5 Satz 5 HBauO 1986 normierten Rechtsfolge, AAußenwände von untergeordneten Gebäudeteilen, die nicht mehr als 1,50 m hervortreten, bei der Festlegung der Abstandsflächentiefe außer Betracht zu lassen. Bei versetzten Geschossen ist die Abstandsfläche zunächst für jede vortretende oder zurückversetzte Außenwand gesondert zu bemessen. Maßgebend für die Abstandsfläche ist sodann das Maß H, welches die größte Ausladung hat. Wird das Maß H mit der größten Ausladung - wie hier - durch die Außenwand des Staffelgeschosses bestimmt, kann ein im Staffelgeschoss um mehr als 1,50 m hervortretender untergeordneter Gebäudeteil bei der Festlegung der Abstandsflächentiefe nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil er im darunter liegenden Obergeschoss die Obergrenze von 1,50 m einhält.
Demgegenüber verfängt auch nicht der Einwand der Beklagten, dass den nachbarlichen Belangen gerade durch die Ausbildung eines Staffelgeschosses Rechnung getragen werde und bei einem im Befreiungswege genehmigten dritten Vollgeschoss das Treppenhaus insgesamt um nicht mehr als 1,50 m vorgezogen wäre. Ob von der im Bebauungsplan Groß Borstel 21 ausgewiesenen zweigeschossigen Bebauung rechts- und ermessensfehlerfrei eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt werden könnte, erscheint zweifelhaft. Darüber hinaus hätte das Vorhaben im Falle eines dritten Vollgeschosses eine tiefere Abstandsfläche zu wahren.
c) Dem von der Beklagten weiter angeführten Rechtsgedanken des § 4 Abs. 4 Satz 1 HBauO 1986 lässt sich schließlich für den Streitfall nichts entnehmen. Weder ist auf dem Grundstück des Klägers (mit Ausnahme der Garage) ein Gebäude an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen vorhanden noch ist die Behauptung nachvollziehbar, dass das gegenwärtig mit einem eingeschossigen Einfamilienhaus bebaute Grundstück des Beigeladenen nur in der genehmigten Weise wirtschaftlich umgebaut und aufgestockt werden könne.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Für eine Billigkeitsentscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO zu Gunsten des Beigeladenen besteht kein Anlass. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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