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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.01.2005
Aktenzeichen: 2 Bf 283/03
Rechtsgebiete: HBauO, BauNVO


Vorschriften:

HBauO § 60 Abs. 1
HBauO § 61 i.V.m. der BaufreistellungsVO
BauNVO § 23 Abs. 5
1. Ein Sonnenschutzdach, das aus einer Metallrahmenkonstruktion und darin geführten beweglichen Bahnen aus Markisenstoff besteht und das einerseits an der Gebäudewand befestigt ist und andererseits von ca. 5 m vor dem Gebäude einbetonierten Metallpfosten getragen wird, ist nach hamburgischem Recht nicht als "Markise" von der Baugenehmigungspflicht freigestellt.

2. Als Sonnen- und Wetterschutz für eine zur Gästebewirtung bestimmte Terrassenfläche einer Gaststätte kann ein solches Schutzdach nicht auf der Grundlage von § 23 Abs. 5 BauNVO außerhalb einer Baugrenze zugelassen werden.


2 Bf 283/03

Verkündet am 20. Januar 2005

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter K. Schulz, Probst und Dr. Möker sowie die ehrenamtliche Richterin Adler und den ehrenamtlichen Richter Berger für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. Februar 2003 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine von ihm gewerblich genutzte Anlage keiner Baugenehmigung bedarf, hilfsweise eine Baugenehmigung für die Errichtung dieser Anlage.

Der Kläger betreibt - nach eigenen Angaben seit November 2001 allein - auf einem Grundstück in Winterhude ( ), welches eine Belegenheit an den Straßen S-Straße und X-Straße hat, ein Restaurant. Die Gaststätte - welche in einem fünfgeschossigen aus der Gründerzeit stammenden Gebäude untergebracht ist - umfasst neben den Räumen im Souterrain, wo 60 Gäste Platz finden, auch vorgelagerte Terrassen- und Grünflächen.

Der Bebauungsplan Winterhude 18 vom 12. Juni 1985 (GVBl. S. 139) setzt für das Grundstück allgemeines Wohngebiet (WA 5 g) fest. Die überbaubare Fläche wird durch Baugrenzen bestimmt. Die parallel zur S-Straße liegende vordere Baugrenze verläuft in etwa entlang der Gebäudefront.

Die zur S-Straße ausgerichtete Terrasse, die diese Baugrenze in voller Tiefe überschreitet, wurde als Sommerterrasse durch Bescheid vom 4. März 1999 - geändert durch Bescheid vom 2. August 1999 - für gewerbliche Zwecke baurechtlich im Befreiungswege genehmigt. Danach darf die Terrasse - die bis zu 5 Meter tief ist und 30 Gästen Platz bietet - bis etwa 3,50 Meter an die S-Straße heranreichen. Zwischen der Terrasse und dem Fußweg befinden sich Büsche und eine Hecke.

Am 17. Juli 2000 beantragte die damalige Betreiberin bei der Beklagten eine Baugenehmigung für eine - zu diesem Zeitpunkt bereits errichtete - Anlage, die in den Bauunterlagen als "einfahrbare Pergolamarkise" bezeichnet wird. Sie besteht aus einer Metallrahmenkonstruktion, in welcher ein Dach aus zwei Stoffbahnen mit Hilfe eines Elektromotors ein- und ausgefahren werden kann. Die Anlage, die an der Südwestfront des Hauses mit der Außenwand verschraubt ist, hat eine Tiefe von 5,60 m, ist 11,50 m breit und erreicht an der Wand - über Straßenniveau - eine Höhe von 2,70 m. Zu der Stützkonstruktion gehören auch drei im Boden einbetonierte Rohrsäulen, die etwa 5,20 m von der Hauswand entfernt stehen. Zumindest seitlich können in die Anlage Schutzplanen eingehängt werden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Bauvorlagen und die im Termin von der Beklagten überreichten Fotografien (Bl. 137 f. d. A.) verwiesen.

Durch Bescheid vom 1. September 2000 lehnte die Beklagte die Erteilung einer Baugenehmigung für die Anlage ab. Sie widerspreche öffentlich-rechtlichen Vorschriften, denn sie überschreite die Baugrenze um 5,00 Meter. Eine bauplanungsrechtliche Befreiung werde nicht erteilt. Die beantragte Sitzplatzüberdachung verunstalte das schöne Gebäude und beeinflusse das Ortsbild negativ. Die Erteilung einer Genehmigung würde im Übrigen einen unerwünschten Vorbildfall darstellen.

Im hiergegen am 25. September 2000 eingelegten Widerspruch wurde ausgeführt, dass die kühlen Witterungsverhältnisse im Frühjahr und Sommer Anlass für die Errichtung der Anlage gewesen seien. Die Anlage beeinflusse das Ortsbild nicht negativ und beeinträchtige auch nicht den Vorgarten, da sie die Pflanzflächen nicht überdecke. Zudem sei die Anlage nicht genehmigungspflichtig, da sie als "Markise" unter die Regelungen der Hamburgischen Baufreistellungsverordnung (BauFreiVO) vom 5. Januar 1988 (HmbGVBl. S.1) falle.

Durch Widerspruchsbescheid vom 31. August 2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Für die Anlage sei eine Baugenehmigung erforderlich, weil sie nicht als "Markise" im Sinne der Baufreistellungsverordnung angesehen werden könne. Die einschlägige Vorschrift gelte nur für untergeordnete bauliche Anlagen und Bauteile, zu welcher das beantragte Vorhaben aufgrund seiner Ausmaße und Bauweise nicht mehr zähle. Die mithin erforderliche Genehmigung könne bereits aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht erteilt werden, da die Baugrenze erheblich überschritten werde. Zwar könnten nach den Vorschriften der Baunutzungsverordnung jenseits der Baugrenze untergeordnete Nebenanlagen und die Baugrenze geringfügig überschreitende Gebäudeteile zugelassen werden. Die Anlage erfülle diese Voraussetzungen jedoch nicht. Sie sei als nicht geringfügig die Grenze überschreitender Gebäudeteil - und nicht etwa als Nebenanlage - zu qualifizieren. Würden seitlich der Anlage noch Abdeckungen angebracht werden, so entstünde sogar ein weiterer Raum, der als Bestandteil des Hauptgebäudes angesehen werden müsste. Es sei ermessensfehlerfrei, die Genehmigung nicht im Befreiungswege zu erteilen, weil die Anlage verunstaltend wirke und einen unerwünschten Vorbildfall schaffe. Der Erteilung der Baugenehmigung stehe auch Bauordnungsrecht entgegen, weil die Anlage in einem Vorgarten stehe, dort aber nicht zugelassen werden könne. Denn sie zähle nicht zu den gesetzlich dort zulässigen Anlagen, zumal die Gartengestaltung und das durch Vorgärten geprägte Straßenbild erheblich beeinträchtigt werde. Die Anlage könne auch bauordnungsrechtlich nicht im Wege der Befreiung genehmigt werden, da eine offenbar nicht beabsichtigte Härte nicht vorliege. Allein ein möglicher Umsatzrückgang der Gaststättenbetreiber reiche hierfür nicht aus.

In der am 5. Oktober 2001 beim Verwaltungsgericht - noch von der vorherigen Gaststättenbetreiberin - erhobenen Klage wurde das bisherige Vorbringen vertieft.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass eine Baugenehmigung zur Errichtung der Markise an der Westfront des Hauses S-Straße nach der Baufreistellungsverordnung nicht erforderlich ist,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2001 zu verpflichten, ihr gemäß Antrag vom 17. Juli 2000 eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Überdachung der Freisitzanlage des Restaurants im Hause S-Straße zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihren Widerspruchsbescheid verteidigt.

Durch Urteil im schriftlichen Verfahren vom 19. Februar 2003 ist das Verwaltungsgericht dem Hauptantrag gefolgt und hat festgestellt, dass die Errichtung der Markise von der bauordnungsrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit freigestellt sei. Die Anlage sei formell und materiell rechtmäßig errichtet worden. Sie unterfalle als "Markise" den Vorschriften der Baufreistellungsverordnung. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Verordnung lasse sich ableiten, dass nur Markisen bis zu einer bestimmten Größe von der Genehmigungspflicht freigestellt seien. Der Begriff der Untergeordnetheit, der in der Überschrift von Abschnitt XII der Anlage zu § 1 Abs. 1 BauFreiVO enthalten sei, beziehe sich nicht auf die Größe der Anlagen. Es gehe dabei allein um die Frage, ob die Anlage oder das Bauteil ihrem Zweck nach einer anderen baulichen Anlage zu dienen bestimmt sei. Dies treffe auf Markisen regelmäßig zu, da sie per se einer anderen Nutzung untergeordnet seien. Der Fall wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn durch den Bau eines festen Daches und fester Seitenwände ein neuer umbauter Raum entstehen würde, was aber nicht beabsichtigt sei. Für die Anlage sei auch keine bauplanungsrechtliche Ausnahme oder Befreiung nach § 1 Abs. 3 BauFreiVO erforderlich, weil die Anlage wegen fehlender bodenrechtliche Relevanz kein Vorhaben im Sinne der §§ 29ff. BauGB darstelle. Sie sei weder Gebäudeteil noch habe sie bauplanungsrechtlich eine eigenständige Bedeutung. Die Markise müsse vielmehr als unselbstständiger Teil der genehmigten Terrasse angesehen werden. Für diese erfülle sie eine Hilfsfunktion. Das Streitobjekt bedürfe auch keiner bauordnungsrechtlichen Ausnahme oder Befreiung. Auf einer genehmigten Terrassenfläche könne keine Vorgartennutzung mehr stattfinden. Die Markise verstoße auch nicht gegen das Verunstaltungsverbot der Hamburgischen Bauordnung.

Die Beklagte hat unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung wie folgt begründet: Die beantragte Anlage sei keine Markise im Sinne der Baufreistellungsverordnung. Das Sonnendach könne zwar vollständig an das Gebäude zurückgefahren werden, aber die Stützkonstruktion verbleibe stets vor dem Haus. Solche Anlagen habe der Verordnungsgeber von einer Genehmigungspflicht nicht freistellen wollen. Die Anlage unterfalle auch dem Bauplanungsrecht und sei wegen Überschreitens der Baugrenze unzulässig. Die Voraussetzungen für eine planungsrechtliche Befreiung seien nicht erfüllt. Die Anlage verstoße zudem gegen die bauordnungsrechtliche Vorgartenregelung, weil sie die vorhandenen Pflanzflächen beeinträchtige.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der mit Zustimmung der Beklagten in das Verfahren eingetretene Kläger beantragt unter Fortführung des erstinstanzlichen Klagantrags,

die Berufung zurückzuweisen.

Die in Rede stehende Anlage sei eine Markise und bedürfe keiner Baugenehmigung. Der Markisenbegriff sei weit auszulegen. Auch feststehende Konstruktionen könnten dem Markisenbegriff unterfallen, wenn sie die Funktion einer Markise, also insbesondere den Sonnenschutz, erfüllten. Die Anlage sei eine unbedeutende Maßnahme im Sinne der Baufreistellungsverordnung. Die aus Aluminium gefertigte Gerüstkonstruktion falle kaum auf und werde durch die Hecken verdeckt. Die Anlage sei mit einer offenen Pergola vergleichbar, für die ebenfalls keine Genehmigungspflicht bestehe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Sachakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Abweisung der Klage in vollem Umfang. Die Anlage war vom Genehmigungserfordernis nicht freigestellt (1.). Die Bescheide, durch die die Baugenehmigung ablehnt wurde, sind rechtmäßig (2.).

1. Die Anlage erfüllt - unstreitig - die Merkmale einer baulichen Anlage im Sinne der gesetzlichen Definition des § 2 Abs. 1 Satz 1 HBauO und ist als solche genehmigungsbedürftig nach § 60 Abs. 1 HBauO. Eine Genehmigungspflicht entfällt nicht deshalb, weil die Beklagte bereits den Bau der "Sommerterrasse" genehmigt hatte (a.). Die Anlage ist auch nicht nach § 61 HBauO i. V. m. mit den Regelungen der Baufreistellungsverordnung von der Erteilung einer Baugenehmigung freigestellt (b.).

a. Die Anlage ist noch nicht baurechtlich genehmigt worden. Gegenstand der im Befreiungswege nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilten Baugenehmigung vom 4. März 1999 (abgeändert durch Bescheid vom 2. August 1999) war ausschließlich die aus Waschbetonplatten bestehende "Sommerterrasse" einschließlich der später errichteten Treppenanlage und Stützmauern. Die im Streit befindliche Anlage war hiervon - ausweislich der genehmigten Bauvorlagen - nicht mit umfasst.

b. Die Anlage bedarf einer baurechtlichen Genehmigung. Sie unterfällt nicht den in Abschnitt XII Nummer 3 der Anlage zur Baufreistellungsverordnung aufgeführten untergeordneten baulichen Anlagen und Bauteilen, wonach Markisen - außer wenn sie gleichzeitig als Werbeanlagen dienen - keiner Baugenehmigung bedürfen.

Die Anlage unterliegt baurechtlich einer einheitlichen Betrachtungsweise. Die aufrollbaren Stoffbahnen und das sie tragende Gestell bilden baulich und funktional eine Einheit. Eine Aufteilung in einen beweglichen Teil (mobiles Sonnendach) und einen stationären Teil (Gerüst, Pergola o. ä.) kommt daher nicht in Betracht.

Die so zu betrachtende Anlage ist keine "Markise" im Sinne der Baufreistellungsverordnung mehr.

Bereits nach dem allgemeinem und rechtlichen Sprachverständnis gehört zum Wesen einer Markise ihre weitgehende Beweglichkeit. Sie muss "aufrollbar" sein oder wie ein "Vorhang" funktionieren (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 1971; Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 1970; Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1988). Dem entspricht auch der rechtliche Sprachgebrauch. So definiert die Niedersächsische Bauordnung Markisen als "bewegliche Sonnendächer" (Ziff. 14.6. der Anlage zu § 69 NdsBauO). Es ist nichts dafür erkennbar, dass der hamburgische Verordnungsgeber von einem anderen Sprachverständnis ausgegangen ist. Eine starr im Boden verankerte Konstruktion aus Querträgern und Pfosten, die auch bei aufgerollten Stoffbahnen unverändert auf bzw. über der Terrassenfläche stehen bleibt und sichtbar ist, entspricht diesem Begriffverständnis nicht.

Auch die Systematik der Baufreistellungsverordnung spricht dafür, dass der Verordnungsgeber die streitige Anlage nicht genehmigungsfrei stellen wollte. Aus der eindeutigen Überschrift des XII. Abschnitts ihrer Anlage folgt, dass nur solche baulichen Anlagen und Bauteile in diesem Abschnitt genehmigungsfrei gestellt werden sollten, die untergeordnet sind. Die Formulierungen der Nr. 3 und 4 dieses Abschnitts zeigen mit der Gegenüberstellung von Markisen und Rollläden in der Nr. 3 einerseits und "anderen untergeordneten Bauteilen in oder an Gebäuden..." andererseits, dass Markisen eher als Bauteile gesehen worden sind, die von den Gebäuden getragen werden. Bei Sonnenschutzanlagen, die aus statischen Gründen nicht nur an einer Wand hängen, sondern darüber hinaus von im Erdboden verankerten Pfosten getragen worden, handelt es sich dagegen um größere Anlagen, die nicht mehr als am Haus befindliche Bauteile angesehen werden können.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm die nach § 69 Abs. 1 HBauO erforderliche Baugenehmigung erteilt, denn die Anlage steht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften (a.). Auch die Befreiung ist zu Recht abgelehnt worden (b.).

a. Die Anlage widerspricht bereits dem Bauplanungsrecht, sodass ihre Konformität mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften dahinstehen kann.

aa. Sie unterfällt dem Regime des Baugesetzbuches nach § 29 Abs. 1 BauGB. Die dafür als Voraussetzung erforderliche städtebauliche Relevanz wird daraus erkennbar, dass § 23 Abs. 5 BauNVO auch untergeordnete baulicher Anlage auf nicht überbaubarer Fläche einer Regelung unterwirft, also von deren städtebaulicher Relevanz ausgeht.

bb. Ein Verstoß gegen das Bauplanungsrecht ist darin zu erblicken, dass die Anlage jenseits der im Bebauungsplan Winterhude 18 nach § 23 Abs. 1 BauNVO festgesetzten Baugrenze steht, also auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche. Die Anlage ist auch nicht nach § 23 Abs. 3 oder § 23 Abs. 5 BauNVO zulassungsfähig.

(1) Die Anlage fällt nicht unter die Regelungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 BauNVO, wonach bereits im Bebauungsplan nach Art und Umfang die Überschreitung einer Baugrenze zugelassen werden kann. Das Gesetz über den Bebauungsplan Winterhude 18 macht von dieser Möglichkeit in seinem § 2 Nr. 3 zwar Gebrauch. Danach kann eine Überschreitung der Baugrenzen bis zu 1,50 Meter durch Balkone, Erker, Loggien und Sichtschutzwände zugelassen werden. Die vorliegend zu beurteilende Anlage erfüllt diesen Ausnahmetatbestand jedoch weder nach der Art noch hinsichtlich des zulassungsfähigen Maßes.

(2) Die Anlage erfüllt auch nicht den Tatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, wonach ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden kann. Der Frage, ob die Anlage Teil eines Gebäudes ist, muss im vorliegenden Zusammenhang nicht nachgegangen werden, denn eine Zulassung kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil bei einer Überschreitung der Baugrenze um mehr als 5 Meter die Anlage nicht nur geringfügig hervortritt.

(3) Eine Zulassung kommt auch nicht auf der Grundlage von § 23 Abs. 5 BauNVO in Betracht. Die klägerische Anlage erfüllt nicht den Tatbestand nach Satz 1 dieser Vorschrift, weil sie keine untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO ist (a). Auch nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO kann die Anlage nicht zugelassen werden (b).

(a) Die streitbefangene Anlage ist keine untergeordnete Nebenanlage, sondern Hauptanlage(teil).

Eine Hauptanlage unterscheidet sich von einer Nebenanlage darin, dass die Nebenanlage für sich keine Daseinsberechtigung hat. Bauliche Teile und Anlagen, die hingegen eine gewerbliche Nutzung - hier eine Speisewirtschaft - substantiell ausmachen, sind bauplanungsrechtlich nicht Nebenanlage, sondern entweder Teil(e) der Hauptanlage oder selbst Hauptanlage. Deshalb ist eine mit einer Gaststätte betriebene Kegelbahn nicht Neben-, sondern Hauptanlage (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Loseblatt-Ausgabe, Stand: 1. Juli 2004, § 4 BauNVO Rz. 15, § 14 BauNVO Rz. 16a; Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 10. Aufl. 2002, § 14 Rz. 3). Gleiches gilt für gastronomische Außenanlagen, sofern sie für die Hauptnutzung des Betriebes - Speise- oder Getränkeverzehr durch Gäste - bestimmt sind. Denn diese Anlagen erweitern die im Gebäude vorhandene Hauptnutzung als Schank- oder Speisewirtschaft und stellen ihren Kernbereich dar. Die hier zu beurteilende Sonnenschutzanlage verfolgt keinen Nebenzweck einer Gaststättennutzung, sondern dient als bauliche Konstruktion unmittelbar dazu, den Hauptzweck einer Gaststätte, die Gästebewirtung, auch bei bestimmten Witterungslagen zu ermöglichen. Der Frage, ob damit - einem Wintergarten ähnlich - bereits "Raum" im baurechtlichen Sinne geschaffen worden ist, kommt für die Abgrenzung einer Hauptanlage gegenüber einer Nebenanlage nach § 14 Abs. 1 BauNVO keine entscheidende Bedeutung zu.

(b) Eine Zulassung der Anlage kann auch nicht nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO erfolgen, wonach bauliche Anlagen auf nicht überbaubaren Flächen zugelassen werden können, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können. Die Anlage zählt nämlich nicht zu den nach § 6 Abs. 3 oder Abs. 4 HBauO in Abstandsflächen zulässigen oder zulassungsfähigen Anlagen. Sie ist weder im Katalog des § 6 Abs. 3 aufgeführt noch erfüllt sie die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 HBauO (Garage, Gebäude oder Stellplatz).

b. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es abgelehnt hat, eine bauplanungsrechtlichen Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu erteilen. Die Grundzüge der Planung mögen dabei noch nicht berührt sein. Ob die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen - insbesondere die städtebauliche Vertretbarkeit der Anlage und ihre Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen - erfüllt sind, kann offen bleiben. Sofern die Erwägungen der Beklagten, eine Genehmigung könnte über den Einzelfall hinaus eine Vorbildwirkung entfalten, nicht bereits die Voraussetzungen einer Befreiung ausschließen, rechtfertigen sie jedenfalls die Ablehnung einer Befreiung im Ermessenswege.

III.

Der Kläger hat nach § 154 Abs. 1 VwGO als unterliegender Teil die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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