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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2004
Aktenzeichen: 2 Bs 13/04
Rechtsgebiete: HBauO


Vorschriften:

HBauO § 79
Auch nach hamburgischem Bauordnungsrecht können für geringfügige Änderungen eines bereits genehmigten aber noch nicht vollständig ausgeführten Bauvorhabens Nachtragsgenehmigungen (auch als Tekturgenehmigungen bezeichnet) erteilt werden, deren Wirkungen sich nur auf die Änderungen beziehen und die ursprüngliche Baugenehmigung insoweit ergänzen, im übrigen aber unberührt lassen.

Eine solche Nachtragsgenehmigung scheidet jedenfalls dann aus, wenn der Bauherr ein anderes Bauvorhaben, also ein aliud erstellt; dann bedarf es einer vollständigen neuen Baugenehmigung.

Soll an Stelle eines genehmigten Einfamlienhauses ein zwar im Wesentlichen gleichartiges Einfamilienhaus errichtet werden, das jedoch eine veränderte Lage auf dem Grundstück, eine auf 48° erhöhte Dachneigung und eine andere Raumeinteilung aufweist und für das deswegen in jeder Hinsicht neue Bauvorlagen eines anderen Bauvorlageberechtigten vorgelegt werden, handelt es sich um ein aliud.


2 Bs 13/04

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter K. Schulz und Probst sowie die Richterin Sternal am 17. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller führt in der Sache nicht zum Erfolg.

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen nicht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern, die Antragsgegnerin nach § 123 Abs. 1 VwGO im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern die beantragte Tekturgenehmigung zu erteilen, und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung vom 14./20. November 2003 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die - wie hier - einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommt, kommt nur dann in Betracht, wenn zum einen ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, welche die Entscheidung in der Hauptsache nachträglich nicht mehr beseitigen könnte, und zum anderen ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 22.12.2003 - 2 Bs 468/03 - m.w.Nachw.). Ob die erste dieser beiden Voraussetzungen vorliegend erfüllt ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls haben die Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass sie eine Tekturgenehmigung für die von der Baugenehmigung vom 25. Juni 2002 abweichende Ausführung ihres Bauvorhabens beanspruchen können.

Der Begriff der "Tektur- oder Nachtragsgenehmigung " ist in der Hamburgischen Bauordnung nicht ausdrücklich geregelt. In der Baupraxis anderer Bundesländer und der dazu ergangenen Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Saarlouis, Urt. v. 27.11.1994 - 2 R 46/93 - in juris; VGH München, Urt. v. 22.3.1984, BayVBl. 1984, 596; vgl. ferner Lechner in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung Bd. I, Stand Oktober 2003, Art. 72 Rdnr. 106 ff. m.w.Nachw.) wird hierunter üblicherweise die Zulassung kleinerer Änderungen eines bereits genehmigten, aber noch nicht vollständig ausgeführten Vorhabens verstanden, die das Gesamtvorhaben in seinen Grundzügen nur unwesentlich berühren. Kennzeichnend für eine derartige Genehmigung ist, dass sich die Prüfung und die Entscheidung auf die Feststellung beschränken, dass die vorgesehenen Änderungen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechen, während sich für die übrigen Teile des Vorhabens diese Feststellung aus der neben der Tektur- oder Nachtragsgenehmigung bestehen bleibenden ursprünglichen Baugenehmigung ergibt. Eine solche Ergänzung der Baugenehmigung ist nach Auffassung des Senats auch nach hamburgischem Bauordnungsrecht bei geringfügigen Änderungen eines noch nicht vollständig ausgeführten Vorhabens grundsätzlich möglich und wird von den Antragstellern hier ausdrücklich begehrt.

Bei der Beurteilung der Frage, wann Änderungen eines bereits genehmigten Vorhabens die Grenze der Geringfügigkeit überschreiten, wird durchweg darauf abgestellt, ob durch die Änderungen Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, erneut oder andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Frage der Zulässigkeit des Bauvorhabens als solches neu stellt (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 27.9.1994, a.a.O; VGH München, Beschl. v. 26.7.1991, BRS 52 Nr. 147; Lechner in Simon/Busse, a.a.O., Rdnr. 106 m.w.Nachw.). Ob diesem Maßstab zu folgen und wie er ggf. näher auszufüllen ist, kann aber offen bleiben. Denn der Senat stimmt mit der zitierten Rechtsprechung und Literatur darin überein, dass eine Tektur- oder Nachtragsgenehmigung jedenfalls dann ausscheidet und das Vorhaben uneingeschränkt auf seine Zulässigkeit hin zu überprüfen und genehmigungsbedürftig ist, wenn der Bauherr ein anderes Bauvorhaben, also ein aliud erstellt. Das ist entgegen der Auffassung der Antragsteller hier der Fall. Das von ihnen nunmehr angestrebte Bauvorhaben lässt zahlreiche Abweichungen von der erteilten Baugenehmigung erkennen, die jedenfalls bei einer Gesamtschau derart gewichtig sein dürften, dass ein aliud vorliegt und eine neue Vollgenehmigung erforderlich ist.

Die mit dem als "Nachtrag" bezeichneten Antrag vom 17. Oktober 2003 eingereichten Bauvorlagen erwecken nicht den Eindruck, als solle das nach der Baugenehmigung vom 25. Juni 2002 entsprechend den genehmigten Vorlagen Nr. 8/1 bis 8/9 auszuführende Einfamilienhaus lediglich in an einigen Stellen abgewandelter Form errichtet werden. Vielmehr dürften die Antragsteller die Errichtung eines zwar gleichartigen, aber durch in jeder Hinsicht andere Bauvorlagen (Lagepläne, Schnitte, Grundrisse und Ansichten) konkretisierten Vorhabens beabsichtigen. So ist nunmehr eine leicht veränderte Lage des Einfamilienhauses auf dem Grundstück und anstelle eines um 35° geneigten Satteldaches ein um 48° geneigtes Satteldach vorgesehen. Beide Gesichtspunkte machen zumindest eine erneute Prüfung der Abstandsflächen nach § 6 HBauO erforderlich. Die stärkere Neigung des Daches wirkt sich zudem auf die Firsthöhe aus, die etwa 1,25 Meter mehr als zuvor geplant beträgt. Die Abmessungen des Baukörpers weichen - wenn auch die Grundfläche nahezu gleich bleibt - ebenfalls voneinander ab; während das genehmigte Außenmaß 10,18 x 9,94 Meter betrug, soll es sich jetzt auf 11,00 x 9,12 Meter belaufen. Außerdem soll vollständig auf das ursprünglich vorgesehene Kellergeschoss verzichtet werden. Auch die Grundrisse von Erdgeschoss und Dachgeschoss stellen sich anders als in den genehmigten Bauvorlagen dar. Entsprechendes gilt für das äußere Erscheinungsbild des Einfamilienhauses, das sich nicht nur durch die stärkere Dachneigung auszeichnet, sondern vor allem auch dadurch, dass Türen und Fenster nach den neuen Ansichtszeichnungen wesentlich anders angeordnet sind. Hinzu kommt, dass die neuen Bauvorlagen von einem anderen Bauvorlageberechtigten stammen und deshalb auch die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften, soweit sie im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft werden, anhand einer Erklärung des Bauvorlageberechtigten nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 HmbWoBauErlG neu nachgewiesen werden muss. Es mag sein, dass unter all diesen Gesichtspunkten im Ergebnis keine Bedenken gegen die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens bestehen und die Prüfung keinen besonderen Aufwand verlangt. Auch mögen die Antragsteller gute Gründe für eine Umplanung haben. Allein das kann jedoch nicht ausreichen, um die Identität des Vorhabens zu wahren. Veranschaulichen lässt sich dies auch durch die Erwägung, dass das geänderte Vorhaben mit der ursprünglich erteilten Genehmigung nicht in Einklang zu bringen wäre, ohne seine Substanz oder jedenfalls wesentliche Teile zu zerstören.

Die Antragsteller können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihnen die positive Bescheidung ihres Ergänzungsantrages von den Bediensteten der Bauprüfabteilung zugesagt worden sei. Eine rechtsverbindliche Zusicherung einer Tekturgenehmigung ist hierin schon deshalb nicht zu erblicken, weil eine Zusicherung zu ihrer Wirksamkeit sowohl nach § 59 HBauO als auch nach § 38 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG der Schriftform bedarf.

2. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis ferner zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage des § 75 Abs. 1 HBauO die Einstellung der Bauarbeiten sofort vollziehbar anordnen durfte. Die Aufnahme genehmigungsbedürftiger, aber nicht genehmigter Arbeiten verletzt das bauaufsichtliche Verfahrensrecht. Das gilt sowohl, wenn die Betroffenen überhaupt keinen Genehmigungsantrag eingereicht haben (§ 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 70 Abs. 1 HBauO), als auch dann, wenn bei der Ausführung des Bauvorhabens von Genehmigungen abgewichen wird (§ 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HBauO). Der hier demnach bestehende Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Bestimmungen rechtfertigt eine Stilllegungsverfügung und die Anordnung deren sofortiger Vollziehung im Interesse der Autorität der baurechtlichen Verfahrensvorschriften nicht erst dann, wenn die formell baurechtswidrige Tätigkeit auch materiell nicht genehmigungsfähig ist, sondern in der Regel bereits bei nur formeller Illegalität. Zwar kommen Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit etwa dann in Betracht, wenn der Genehmigungsanspruch für das Bauvorhaben offensichtlich ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 3.9.2001 - 2 Bs 254/01 -; v. 31.8.2000 - 2 Bs 249/00 -; v. 23.11.1998 - 2 Bs 394/98 -; v. 27.10.1998 - 2 Bs 353/98 -). Dafür ist hier aber nichts ersichtlich. Wie oben ausgeführt kann den Antragstellern eine Tekturgenehmigung für die von der erteilten Baugenehmigung abweichende Bauausführung nicht erteilt werden. Einen Bauantrag, mit dem das neue (andere) Vorhaben vollständig zur Überprüfung gestellt worden wäre, haben sie bislang erklärtermaßen nicht gestellt. Von daher kommt es gegenwärtig auch nicht auf die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags und insbesondere die zwischen den Beteiligten streitige Frage an, ob die Anbauvoraussetzungen des § 4 HBauO erfüllt sind.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO, §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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