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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.08.2006
Aktenzeichen: 2 Bs 80/06
Rechtsgebiete: AEG


Vorschriften:

AEG § 2 Abs. 3
AEG § 4 Abs. 1
AEG § 11 Abs. 2
AEG § 13 Abs. 1
1. Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) verpflichtet Infrastrukturunternehmen, die genehmigte Infrastruktur bis zur Zulassung der Stilllegung nach Maßgabe des § 11 Abs. 2, 3 und 5 AEG betriebsbereit vorzuhalten (Betriebspflicht).

2. Der Betriebspflicht unterliegen auch Bahnhofsgleise, die einem anderen Infrastruktur unternehmen i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG den Anschluss an das Streckennetz des betriebspflichtigen Infrastrukturunternehmens vermitteln.

3. Außerhalb eines Stilllegungsverfahrens können erforderliche Unterhaltungskosten ein Infrastrukturunternehmen insbesondere dann nicht aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit von der Betriebspflicht befreien, wenn die erforderlichen Aufwendungen darauf beruhen, dass das Unternehmen Beschädigungen seiner Infrastruktur durch Dritte in vorwerfbarer Art und Weise hingenommen hat.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

2 Bs 80/06

Beschluß vom 28. August 2006

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch die Richter Dr. Ungerbieler und Probst sowie die Richterin Sternal am 28. August 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen. Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. März 2006 geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2005 wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) sowie 3) bis 6) tragen diese selbst.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 150.000 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Anordnung der Antragsgegnerin, eine Eisenbahninfrastruktur im Ortsgüterbahnhof Hamburg-E.......... zu sanieren, damit die daran anschließende Eisenbahninfrastruktur einer Anschlussbahn der Beigeladenen zu 2) und 4) wieder erreicht werden kann.

Die Antragstellerin ist eine 100 %ige Tochter der Beigeladenen zu 1). Sie betreibt im Bereich des Ortsgüterbahnhofs Hamburg-E.......... eine Eisenbahninfrastruktur, an die mehrere nicht öffentliche Anschlussbahnen als eigenständige Eisenbahninfrastruktur nach Landesrecht anschließen. Den bestehenden Anschlussvertrag mit der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) kündigte eine andere Tochtergesellschaft der Beigeladenen zu 1) im September 2002 mit Wirkung zum 31. März 2003. Parallel dazu verkaufte die Beigeladene zu 1) Ende des Jahres 2002 das Gelände des Ortsgüterbahnhofs (.....................) an die Beigeladene zu 6). Der Kaufvertrag ist bisher nicht vollzogen; die Beigeladene zu 6) nutzt das Grundstück jedoch und hat dieses ihrerseits der Beigeladenen zu 5) zur Verfügung gestellt, die auf dem Gelände Bauschuttrecycling betreibt.

Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) widersprach der Kündigung und versuchte für ihre Anschlussbahn den Anschluss an das Eisenbahnnetz zu erhalten. Daraufhin erließ die Beigeladene zu 3) als Landeseisenbahnbehörde im März 2003 eine sofort vollziehbare Verfügung, mit der sie die Antragstellerin und eine weitere Tochtergesellschaft der Beigeladenen zu 1) verpflichtete, für die Dauer des Verfahrens auf weitere Gestattung des Gleisanschlusses den streitigen Anschluss weiterhin zu dulden. Ein von diesen eingeleitetes Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz blieb vor dem Beschwerdegericht ohne Erfolg (Beschluss vom 13. Mai 2004, NordÖR 2004 S. 395).

Während der Streitigkeiten sperrte die Antragstellerin das Zufahrtsgleis in den Ortsgüterbahnhof an der Anschlussweiche (Weiche 24) durch eine Sperrtafel. Das anschließende Bahnhofsgleis, von dem nach ca. 150 bis 200 m die Anschlussbahn der Beigeladenen zu 2) und 4) abzweigt, wurde inzwischen, möglicherweise durch den Betrieb der Bauschuttrecyclinganlage der Beigeladenen zu 5), beschädigt, so dass die Anschlussbahn nicht mehr erreichbar ist. Trassenanfragen eines Eisenbahnverkehrsunternehmens wurden von der Antragstellerin unter Hinweis auf die fehlende Betriebssicherheit dieses Gleisbereichs abgelehnt.

Ein Verfahren zur Stilllegung bzw. Entwidmung der Eisenbahninfrastruktur des Ortsgüterbahnhofs Hamburg-Eidelstedt wurde seitens der Antragstellerin oder anderer Gesellschaften der Beigeladenen zu 1) nicht eingeleitet.

Nach einer Änderung des § 13 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I. S. 2378, 2396, anwendbar i.d.F. d. Änderung v. 3.8.2005, BGBl. I S. 2270, 2420) wurde die Antragsgegnerin tätig und erließ, nachdem eine Einigung der Beteiligten gescheitert war, am 19. Oktober 2005 unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung von Zwangsgeld und einer Ersatzvornahme den streitigen Bescheid, mit dem der Antragstellerin aufgegeben wird, den Gleisabschnitt zwischen dem Anschluss der Anschlussbahnen der Beigeladenen zu 2) und 4) und der Weiche 24 wieder durch im Einzelnen bezeichnete Maßnahmen betriebssicher herzurichten, so dass er jedenfalls mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h befahren werden kann.

Die Antragstellerin legte Widerspruch ein, der noch nicht beschieden ist, und begehrt vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 15. März 2006 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bis einen Monat nach Erlass des Widerspruchsbescheids wiederhergestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung der Antragsgegnerin sei in der Sache voraussichtlich rechtmäßig, es fehle jedoch gegenwärtig an einer ausreichenden Ermessensausübung und am besonderen Interesse für den Sofortvollzug der Verfügung, weil unklar sei, ob die Beigeladene zu 2), die im Rahmen einer Firmenumwandlung der früheren Eigentümerin der Anschlussbahn inzwischen Eigentümerin der Eisenbahninfrastruktur geworden ist, alle Voraussetzungen für den Betrieb einer Eisenbahninfrastruktur erfülle.

Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerin - mit dem Ziel einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - sowie die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2) - mit dem Ziel einer vollständigen Abweisung des Antrags - Beschwerde eingelegt.

Während des Beschwerdeverfahrens hat die Beigeladene zu 3) als Landeseisenbahnbehörde der Beigeladenen zu 2) die vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung als Voraussetzung für den Betrieb einer Eisenbahninfrastruktur für erforderlich gehaltenen Genehmigungen unter Anordnung des Sofortvollzugs erteilt.

B.

Der Senat entscheidet über die Beschwerden ohne die vorherige Anberaumung eines Erörterungstermins. Zwar hat die Beigeladene zu 2) die Durchführung eines solchen in ihrem Schriftsatz vom 1. Mai 2006 mit dem Ziel einer einverständlichen Regelung angeregt und sich die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 11. August 2006 derartigen Bemühungen gegenüber aufgeschlossen gezeigt. Die Antragstellerin hat indes bereits mit Schriftsatz vom 21. Juni 2006 mitgeteilt, dass dem von der Beigeladenen zu 2) im Einzelnen unterbreiteten Vergleichsvorschlag nicht nähergetreten werden solle und dem Gericht in der Folgezeit auch im Übrigen keine Verständigungsbereitschaft signalisiert. Aus der Sicht des Senates ist es daher weiterhin nicht erkennbar, dass die Beteiligten sich gegenwärtig einigen könnten.

C.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Aus ihrem Vorbringen innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO, auf dessen Überprüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, soweit die Antragstellerin beschwert ist, zu beanstanden ist. Die Beschwerden von Antragsgegnerin und Beigeladener zu 2), die durch die angefochtene Entscheidung dadurch beschwert sind, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2005 bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des noch zu erlassenden Widerspruchsbescheides wiederhergestellt hat, haben dagegen Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist daher abzuändern und der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2005 - in vollem Umfang - abzulehnen. Im Einzelnen gilt folgendes:

I.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist ungeachtet des Umstandes, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs jedenfalls bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des noch zu erlassenden Widerspruchsbescheides wiederhergestellt hat, zulässig.

Wird auf einen Antrag, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherzustellen, (nur) die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben, deckt die Entscheidung nach der Rechtsprechung des Senats gleichwohl den Streitgegenstand des Eilverfahrens ab mit der Konsequenz, dass eine Bewerde des Antragstellers gegen diese Entscheidung mangels Beschwer unzulässig wäre. Ob einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dagegen auch dann vollem Umfangs entsprochen worden ist, wenn das Gericht - wie im vorliegenden Fall - die aufschiebende Wirkung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens wiederhergestellt hat, lässt sich nicht einheitlich beurteilen und ist eine Frage des Einzelfalles (vgl. zu Vorstehendem Beschl. des Senats v. 21.11.1995, OVG Bs II 253/95, juris). Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres "Widerspruchs ... sowie einer nachfolgenden Anfechtungsklage" wiederherzustellen. Von der zeitlichen Reichweite her geht dieser Antrag, der eine entsprechende Beschränkung nicht enthält und sogar eine nachfolgende Anfechtungsklage mit einbezieht, über den Abschluss des Widerspruchsverfahrens hinaus, auf den das Verwaltungsgericht seine Stattgabe des Antrages beschränkt hat. Der Sache nach hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin damit zum Teil abgelehnt, auch wenn es dies durch die Aufnahme der insoweit üblichen Formulierung: "Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt" nicht ausdrücklich in seinen Tenor aufgenommen hat. Dass auch das Verwaltungsgericht von einer teilweisen Ablehnung des Antrages ausgegangen ist, kommt allerdings durch die im Kostenausspruch vorgenommene Kostenteilung und den dazu zitierten § 155 Abs. 1 VwGO, der die Kostenverteilung u.a. bei Teilunterliegen betrifft, zum Ausdruck.

Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts demnach beschwert und ihre Beschwerde zulässig.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist aber - im Gegensatz zu den zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen zu 2) - nicht begründet. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2005 wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben und die Anordnung der sofortigen Vollziehung im genannten Bescheid ist ebenfalls nicht zu beanstanden, so dass schon für eine nur teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs - wie im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts geschehen - auch im Rahmen einer Interessenabwägung kein Raum (mehr) ist.

Nach § 5 a Abs. 2 AEG kann die Antragsgegnerin in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegenüber Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie der Antragstellerin die Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen u.a. die Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes erforderlich sind. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für ein Eingreifen nach dieser Bestimmung liegen vor (1). Der Eingriff der Antragsgegnerin ist voraussichtlich nicht ermessensfehlerhaft (2). Auch gegenüber der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 19. Oktober 2005 bestehen keine durchgreifenden Bedenken (3).

1. Gegenüber der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin gegen ihre sich aus dem Allgemeinen Eisenbahngesetz ergebende Betriebspflicht verstoßen hat, indem sie es versäumt hat, die ihr anvertraute, mittlerweile aber beschädigte Eisenbahninfrastruktur unmittelbar hinter der Weiche 24 des Bahnhofes Eidelstedt in einem betriebsbereiten Zustand zu halten (a.) und damit zugleich das Anschlussrecht der Beigeladenen zu 2) - unterstellt, bei dieser handele es sich um eine handlungsfähige Eisenbahn - aus § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG verletzt hat (b.), ergeben sich aus dem zu berücksichtigenden Vorbringen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung keine Zweifel.

a) Anders als z.B. § 21 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes für die von dieser Bestimmung Betroffenen enthält das Allgemeine Eisenbahngesetz keine ausdrückliche Regelung über die Betriebspflicht eines Infrastrukturunternehmens, also die Verpflichtung, die Infrastruktur im Umfang der Planfeststellung bzw. anderer Zulassungsentscheidungen betriebsbereit vorzuhalten. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass es eine solche Betriebspflicht auch im Eisenbahnrecht gibt. Dabei kann hier offen bleiben, ob sie bereits § 4 Abs. 1 Satz 1 AEG zu entnehmen ist, wonach die Eisenbahninfrastrukturunternehmen u.a. verpflichtet sind, die Infrastruktur "in betriebssicherem Zustand zu halten" (dafür z.B. Kramer in: Das Deutsche Bundesrecht, Stand Januar 2006, Erläuterungen zu § 4 Abs. 1 AEG; Frotscher/Kramer, NVwZ 2001, S. 24, 25). Denn die Betriebspflicht ergibt sich jedenfalls implizit (auch) aus § 11 AEG, der die Abgabe und Stillegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen betrifft. Dies wird insbesondere aus § 11 Abs. 2 Satz 3 AEG ersichtlich. Denn wenn dort bestimmt wird, dass das Unternehmen den Betrieb der Infrastruktur bis zur Entscheidung über einen Stilllegungsantrag aufrecht zu halten hat, gilt erst recht, dass ein Unternehmen den Betrieb der Infrastruktur außerhalb eines Stilllegungsverfahrens zu gewährleisten hat (vgl. VG Koblenz, Beschl. v. 28.2.2005, 3787/03.KO, juris; Hermes/Schütz in: Hermes/Sellner (Hrsg.), AEG 2006, § 11 Rn. 12).

Der Betriebspflicht steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass es sich - wie in der Beschwerdebegründung der Antragstellerin geltend gemacht wird - bei dem Gleis hinter der Weiche 24 um eine "untergeordnete Eisenbahninfrastruktur" in Gestalt eines "Bahnhofsnebengleises" handele, für das keine Betriebspflicht bestehen könne. Dabei kann vorliegend dahinstehen, welche Gleisanlagen im Einzelnen als "Bahnhofsnebengleis" anzusehen sein können. Das Allgemeine Eisenbahngesetz verwendet diesen Begriff nicht (vgl. zu "Bahnhofsnebengleisen" auch Hermes/Schütz, a.a.O., § 11 Rn. 29; Kramer, a.a.O., Erläuterungen zu § 11 Abs. 1 AEG). Nach § 2 Abs. 3 AEG umfasst die Eisenbahninfrastruktur "die Betriebsanlagen der Eisenbahnen einschließlich der Bahnstromfernleitungen". Den Kern der Eisenbahninfrastruktur in diesem Sinne machen dabei die Fahrwege der Eisenbahn aus, die in ihrer Gesamtheit das Schienennetz bilden (vgl. Suckale in Hermes/Sellner, a.a.O., § 2 Rn. 22). Zur Gesamtheit des Schienennetzes gehören indes nicht nur unmittelbare Verbindungen zwischen zwei Punkten, sondern grundsätzlich auch die Gleisanlagen in Bahnhöfen, soweit diese für die Kapazität und die Nutzungsmöglichkeit im Personen- und Güterverkehr des Schienennetzes durch Eisenbahnverkehrsunternehmen von Bedeutung sind. Ohne entsprechende Anlagen, wie z.B. Bahnsteig- und Kreuzungsgleise oder Verladeeinrichtungen, kann das Schienennetz seine Transportfunktionen nicht erfüllen. Ihre Bemessung ist entscheidend dafür, welche Verkehrsformen und Verkehrsmengen auf einer Strecke und dem weiteren Schienennetz abgewickelt werden können. Hierzu müssen aber auch solche Gleisanlagen in Bahnhöfen zählen, die - wie vorliegend - dazu dienen, anderen betriebsbereiten Eisenbahninfrastrukturen den durch § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG vermittelten Anspruch auf Anschluss an das Schienennetz der Antragstellerin oder anderer Infrastrukturunternehmen zu ermöglichen und die Kapazitäten des Netzes für Verkehrszwecke zu nutzen. Dabei ist es weithin typisch, dass unterschiedliche Eisenbahnstrukturen nicht auf der freien Strecke, sondern innerhalb von Bahnhöfen an einander anschließen. Dafür, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist nichts ersichtlich. Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) hat den Zugang zum Streckennetz der Antragstellerin bzw. zur früheren Deutschen Bundesbahn langjährig genutzt und ist den Absichten zur Aufhebung ihres Zugangs seitens der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1) von Anfang an entgegengetreten; die Beigeladene zu 2) hat ebenfalls eine Fortführung bzw. Wiederaufnahme der Nutzung glaubhaft geltend gemacht.

Das Verwaltungsgericht ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Antragstellerin der sie treffenden Betriebspflicht nicht dadurch entziehen kann, dass sie die betroffene und mittlerweile beschädigte Infrastruktur nicht wiederherstellt. Hat ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen kein Interesse mehr an der Aufrechterhaltung einer der Betriebspflicht unterliegenden Infrastrukturanlage, kann es diese nicht einfach faktisch aufgeben. Vielmehr bedarf es zur Stilllegung der betroffenen Einrichtung einer Genehmigung, die in dem in § 11 AEG im Einzelnen geregelten Verfahren erteilt wird. Diese Vorschrift soll eine Eisenbahninfrastruktur gerade vor "schwarzen Stilllegungen" außerhalb eines geordneten Verfahrens schützen. Erst mit der Vollziehbarkeit der Genehmigung nach § 11 Abs. 2 AEG, dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AEG oder nach Ablauf der Jahresfrist gemäß § 11 Abs. 5 AEG endet die Betriebspflicht (vgl. Hermes/Schütz, a.a.O., § 11 Rn. 9; Kramer a.a.O., Erläuterungen zu § 11 AEG). Bereits diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor, da sich die Antragstellerin dem Verfahren nach § 11 AEG bisher nicht unterzogen hat. Welcher Bedeutung daneben der Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG zukommt, die seitens der Antragstellerin bzw. der Beigeladenen zu 1) auch nicht betrieben worden ist, bedarf hier keiner weiteren Erörterung.

b) Soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, dass die Antragstellerin dadurch, dass sie ihre Eisenbahninfrastruktur nicht in einem betriebsbereiten Zustand gehalten hat, gleichzeitig das sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG ergebende Anschlussrecht der Beigeladenen zu 2) verletzt hat, ist von dieser Feststellung im vorliegenden Beschwerdeverfahren prozessual bereits deshalb auszugehen, weil die Antragstellerin sich mit diesem eigenständigen Gesichtspunkt nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO auseinandergesetzt hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 letzter Halbsatz VwGO). Ausführungen dazu finden sich erst in dem am 21. Juni 2006 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag. Nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 3. April 2006 war die Frist aus § 146 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.

Die infrage stehende Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte im Übrigen auch sachlich berechtigt sein. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG hat jede Eisenbahn angrenzenden Eisenbahnen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland den Anschluss an ihre Eisenbahninfrastruktur unter billiger Regelung der Bedingungen und der Kosten - um die es hier nicht geht - zu gestatten. Soweit die Antragstellerin - wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 21. Juni 2006 ergibt - demgegenüber einwendet, durch die Verweisung in § 13 Abs. 1 Satz 2 AEG auf § 14 AEG würde dessen gesamter Inhalt in § 13 AEG mit der Folge einbezogen, dass dem Anschlussrecht aus § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG bereits durch jegliches diskriminierungsfreies Verhalten Rechnung getragen werde, dürfte dies nicht zutreffen. Anderenfalls könnte in Konstellationen wie der vorliegenden ein Infrastrukturunternehmer durch die Einstellung seines Betriebes niemals die Rechte von nur an seine Infrastruktur anschließenden anderen Eisenbahninfrastrukturen verletzen, da jeweils alle von der Stilllegung betroffenen Strukturen zwangsläufig ihren Anschluss verlieren und daher untereinander nicht diskriminiert würden. Mit dem Sinn und Zweck der §§ 13, 14 AEG, eine miteinander vernetzte Eisenbahninfrastruktur zu gewährleisten, wäre dieses Ergebnis nicht vereinbar. Vielmehr wird es im Falle einer beabsichtigten Beseitigung eines Anschlusses eines Verfahrens bedürfen, in dem - nach § 11 AEG - eine Entscheidung über den Fortbestand des Anschlussrechts aus § 13 Abs. 1 Satz 1 AEG erfolgt.

2. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2005 lässt auch keine Ermessensfehler erkennen.

a) Es ist nicht ersichtlich, dass die mit der Durchführung der Instandsetzungsmaßnahmen voraussichtlich verbundenen Kosten in Höhe von 150.000 Euro die Antragstellerin in unverhältnismäßiger Art und Weise belasten.

Offenbleiben kann, ob sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang überhaupt auf eine angebliche Unwirtschaftlichkeit berufen kann oder dieses Kriterium erst im Rahmen einer beantragten Stilllegungsgenehmigung nach § 11 Abs. 2 AEG geprüft werden darf (vgl. in diesem Sinne VG Koblenz a.a.O.). Ungeprüft bleiben kann ebenfalls, welche den Instandhaltungskosten gegenüber zu stellenden Trassenentgelte die Antragstellerin nach einer Instandsetzung ihrer Infrastruktur realisieren kann. Die (vormalige) X AG hat der Antragstellerin im Anhörungs- und Erörterungstermin vom 28. Juli 2005 immerhin ein Transportvolumen von 5.000 Tonnen innerhalb eines halben Jahres in Aussicht gestellt. Wie sich aus der Niederschrift des Erörterungstermins ergibt, steht sogar ein Potential von "eisenbahnaffinem Gut" in Höhe von ca 140.000 Tonnnen pro Jahr im Zulauf und ca. 100.000 Tonnen in ablaufender Richtung im Raum. Dabei kann hier dahinstehen, ob eine derartige Transportmenge nach der gegenwärtigen Auslegung der Eisenbahninfrastruktur der Beigeladenen zu 2) tatsächlich ohne weitergehende Vereinbarungen mit der Antragstellerin abgewickelt werden könnte.

Denn einer Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme steht jedenfalls entgegen, dass sich die Antragstellerin die nunmehr notwendigen Aufwendungen in Höhe von 150.000 Euro letztlich selbst zuzuschreiben hat. Nicht ersichtlich ist, warum es ihr als Inhaberin und Verantwortliche der Eisenbahninfrastruktur auf dem fraglichen Grundstück nicht möglich gewesen sein sollte, die Beschädigung der Gleise durch die Nutzerin des Grundstückes zu verhindern. Es geht jedenfalls nicht an, dass ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Beschädigung seiner Einrichtung sehenden Auges bzw. zumindest in vorwerfbarer Art und Weise in Kauf nimmt, um sich gegenüber Maßnahmen nach § 5 a Abs. 2 AEG sodann auf deren Unverhältnismäßigkeit zu berufen. Sollte an der Beschädigung der Infrastruktur auch die Beigeladene zu 1), der die Antragstellerin zu 100 % gehört, ein Verschulden treffen, stünde es der Antragstellerin - worauf das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Beschluss zutreffend hingewiesen hat - frei, sich insoweit mit ihrer Muttergesellschaft auseinander zu setzen. Möglicherweise kommen auch unmittelbare Ersatzansprüche gegenüber den gegenwärtigen Nutzern des Grundstückes, den Beigeladenen zu 5) und 6), in Betracht, soweit sie die Infrastruktur schuldhaft beschädigt haben.

b) Soweit das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler darin gesehen hat, dass die Antragsgegnerin ihre Anordnung für notwendig gehalten hat um - wie es auf Seite 7 des Bescheides heißt - "dem Anschlussrecht der X AG zu genügen", und deshalb die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bis zur Entscheidung über den Widerspruch wiederhergestellt hat, greifen die Erwägungen nicht mehr durch. Da diese Entscheidung zu Lasten von Antragsgegnerin und Beigeladener zu 2) erfolgte, haben ihre dagegen gerichteten Beschwerden Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die X - Werke zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht mehr existiert hätten und für die Beigeladene zu 2), welche die Infrastruktur der X -Werke übernommen habe, nicht ersichtlich sei, dass es sich bei ihr derzeit um eine handlungsfähige Eisenbahn handele. Die Beigeladene zu 2) - so das Verwaltungsgericht weiter - werde dafür Genehmigungen nach § 7 a AEG sowie §§ 25 und 36 des Hamburgischen Landeseisenbahngesetzes benötigen, die noch nicht (vollständig) vorlägen. Ob die Voraussetzungen für einzelne dieser Erlaubnisse erfüllt seien, vermöge das Verwaltungsgericht nicht festzustellen.

Offenbleiben kann, ob der vom Verwaltungsgericht festgestellte Ermessensfehler bereits deshalb nicht vorliegt, weil - wie die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2) in ihren Beschwerdebegründungen u.a. substantiiert geltend machen - allein der Verstoß gegen die die Antragstellerin treffende Betriebspflicht die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin trage, so dass es auf die Frage des Anschlussrechts der Beigeladenen zu 2) gar nicht ankomme bzw. ob die Beigeladene zu 2) aller der vom Verwaltungsgericht für notwendig erachteten Erlaubnisse überhaupt bedarf.

Denn sämtliche der insoweit vom Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltenen Genehmigungen sind der Beigeladenen zu 2) mittlerweile von der Beigeladenen zu 3) sofort vollziehbar erteilt worden, so dass den Zweifeln des Verwaltungsgerichts an deren Eigenschaft als handlungsfähiger Eisenbahninfrastruktur die Grundlage entzogen worden ist.

Diese Änderung der Sachlage darf vom Beschwerdegericht auch berücksichtigt werden. Aus der Beschränkung der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts auf die dargelegten Gründe nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO folgt nicht, dass die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nur in dem Sinne retrospektiv überprüft werden könnte, dass nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretene Umstände im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt bleiben müssten (z.B. OVG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 12.3.2003, NVwZ-RR 2003, 694). Gerade in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO um die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs, bei denen es auch auf die Erfolgsaussichten des Widerspruchs ankommt, wäre es unökonomisch, wenn bei der insoweit anzustellenden Prognoseentscheidung des Beschwerdegerichts neue, die erhobenen Rügen betreffende Tatsachen außer Acht zu lassen wären, die ihrerseits Gegenstand der Widerspruchsentscheidung sind, und der Betroffene auf ein gesondertes Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO verwiesen werden müsste.

Unbeachtlich ist schließlich, dass die Antragstellerin gegen die der Beigeladenen zu 2) erteilten eisenbahnrechtlichen Genehmigungen (mittlerweile) Widersprüche eingelegt und in ihrem am 25. August 2006 hier eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage auch Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht angekündigt hat. Denn abgesehen davon, dass die fraglichen Bescheide bis zu einer gegenteiligen Entscheidung vollziehbar bleiben, ist für das Beschwerdegericht auf der Grundlage der ihm bis heute bekannten Begründung der Widersprüche der Antragstellerin auch in der Sache nicht erkennbar, dass deren Vorgehen gegen die in Frage stehenden Bescheide erfolgreich sein wird.

3. Soweit das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung nicht zu erkennen vermochte, dass das Sofortvollzugsinteresse am Bescheid vom 19. Oktober 2005 gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragstellerin überwöge, weil der Ermessenbetätigung im Bescheid Bedenken begegneten und auch keine zur sofortigen Vollziehung berechtigende Eilbedürftigkeit bestehe, solange nicht geklärt sei, ob es sich bei der Beigeladenen zu 2) um eine handlungsfähige Eisenbahn handele, ist auch diesen Bedenken aus den unter 2. ersichtlichen Erwägungen die Grundlage entzogen. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse der Antragstellerin und dem entgegenstehenden Interesse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) an der Wiederherstellung einer betriebsfähigen Infrastruktur gebührt vielmehr diesem Interesse jedenfalls jetzt der Vorrang, da der angegriffene Bescheid voraussichtlich im weiteren Rechtsstreit Bestand haben wird und ein weiteres Zuwarten bei seiner Durchsetzung dazu führen würde, dass die Beigeladene zu 2) noch über einen längeren Zeitraum von der beabsichtigten Nutzung ihrer Eisenbahninfrastruktur ausgeschlossen wäre. Soweit der Sofortvollzug zu einer weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache führt, ist zu berücksichtigen, dass sich die Anordnung der Antragsgegnerin in der Sache auf die Herstellung eines vorläufigen Zustands beschränkt, der lediglich einen Mindeststandard für die Befahrbarkeit des betroffenen Gleisabschnitts herstellt.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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