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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.03.2009
Aktenzeichen: 2 So 201/08
Rechtsgebiete: RVG, RVG VV, VwGO
Vorschriften:
RVG § 2 Abs. 2 | |
RVG § 17 Nr. 1 | |
RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4 zu Teil 3 | |
VwGO § 68 | |
VwGO § 80 Abs. 4 | |
VwGO § 80 Abs. 5 |
2. Vertritt ein Bevollmächtigter seinen Mandanten in einem Widerspruchsverfahren und in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht, kommt eine Anrechnung der Geschäftsgebühr aus dem Widerspruchsverfahren auf die Verfahrensgebühr aus dem gerichtlichen Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch den Richter Dr. Ungerbieler, die Richterin Sternal und den Richter Albers am 27. März 2009 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig. Insbesondere ist der nach § 146 Abs. 3 VwGO erforderliche Beschwerdewert von 200 Euro überschritten, nachdem die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 19. Februar 2009 nunmehr ausdrücklich klargestellt hat, dass sie die dem Antragsteller für den ersten Rechtszug aufgrund des Beschlusses der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 28. Mai 2008 zu erstattenden Rechtsanwaltskosten um 367,90 Euro (zzgl. Umsatzsteuer) ermäßigt wissen will.
2. Die Beschwerde führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung der Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zu Recht und mit zutreffenden Gründen zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die von der Antragsgegnerin begehrte hälftige Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zu Teil 3 RVG liegen nicht vor. Nach Satz 1 dieser Bestimmung wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Danach kann ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten wegen desselben Gegenstandes bereits im behördlichen Verfahren vertreten hat, für seine anschließende Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren als Teil seiner gesetzlichen Vergütung nur eine geminderte Verfahrensgebühr verlangen. Wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat, dürfte diese Anrechnung zwar auch im verwaltungsgerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 162, 164 VwGO zum Tragen kommen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 5.11.2008, NordÖR 2009, 67, m.w.N.; Beschl. v. 19.2.2009, 3 So 197/08). Die von der Antragsgegnerin erstrebte Anrechnung scheitert vorliegend aber daran, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nicht wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 VV RGV verdient hat.
a) Derselbe Gegenstand liegt dann vor, wenn der Gegenstand der Geschäftsgebühr und der Gegenstand der Verfahrensgebühr jedenfalls im Wesentlichen identische Angelegenheiten sind und den gleichen Wert aufweisen. Es kommt mithin darauf an, dass zwischen dem Gegenstand der Geschäftsgebühr und dem Gegenstand der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens "Deckungsgleichheit" besteht (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 3. Aufl. 2008, Vorb. 3 zu Teil 3, Rn. 65). Das ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin bei dem der Nachprüfung von Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts dienenden Vorverfahren nach § 68 VwGO und dem gerichtlichen Verfahren auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht der Fall (vgl. VGH München, Beschl. v. 25.8.2005, 22 C 05.1871, juris; a.A. VG Minden, Beschl. v. 26.2.2008, 4 L 102/07, juris). Zutreffend hat dazu bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Zielsetzung der beiden Verfahren eine jeweils andere ist, weil im Widerspruchsverfahren (ebenso wie in einem nachfolgenden Klageverfahren) um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes gestritten wird, wohingegen das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschließlich auf die Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gerichtet ist. Letzteres beinhaltet eine eigenständige Interessenabwägung des Gerichts, bei der die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts zwar vielfach eine Rolle spielt, aber neben weitergehenden bzw. anders gearteten Erwägungen nicht notgedrungen den Ausschlag geben muss. Eine Befassung des Rechtsanwalts mit dem Widerspruchsverfahren mag daher für die Durchführung eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO in der Regel förderlich sein, entbindet den Rechtsanwalt jedoch im Hinblick auf die Interessenabwägung in jenem Verfahren nicht davon, die Sache unter dem Gesichtspunkt des spezifischen Aussetzungsinteresses seines Mandanten zu bearbeiten (vgl. VGH München, Beschl. v. 25.8.2005, a.a.O.). Zudem ist für das Betreiben des gerichtlichen Eilverfahrens entsprechend dem vorläufigen Charakter der angestrebten Entscheidung regelmäßig nur ein Bruchteil des Wertes anzusetzen, der für das Widerspruchsverfahren gilt. Diese Unterschiede der Verfahren schließen es aus, von demselben Gegenstand im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zu Teil 3 RVG auszugehen.
b) Soweit sich die Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Kommentierung bei Madert (in: Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl. 2004, VV 2004 - 2403, Rn. 187 ff.) und - dieser folgend - den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 26. Februar 2008 (a.a.O.) darauf beruft, dass das Tatbestandsmerkmal "desselben Gegenstandes" bereits dann erfüllt sei, wenn ein innerer und äußerer Zusammenhang zwischen dem außergerichtlichen und dem gerichtlichen Verfahren bestehe, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Insbesondere wird damit nur scheinbar ein großzügigerer Maßstab aufgestellt. Denn wie der Kommentierung (jetzt 18. Aufl. 2008, VV 2300, 2301 Rn. 40) weiter entnommen werden kann, soll ein innerer Zusammenhang wiederum nur dann vorliegen, wenn das gleiche Begehren, das zunächst außergerichtlich geltend gemacht worden ist, nunmehr gerichtlich geltend gemacht wird. Der Prozessauftrag muss danach erteilt worden sein, nachdem sich herausgestellt hat, dass der erste auf eine außergerichtliche Tätigkeit gerichtete Auftrag nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. Das trifft auf das Widerspruchsverfahren und das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nach dem oben Gesagten aber gerade nicht zu.
c) Schließlich spricht auch die in § 17 Nr. 1 RVG vorgenommene Abgrenzung gegen die Annahme, dass es sich bei dem Vorverfahren nach § 68 VwGO und dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO um denselben Gegenstand im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zu Teil 3 RVG handelt. Denn nach § 17 Nr. 1 RVG sind das Vorverfahren und das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung (§§ 80 Abs. 4, 80 a Abs. 1 und 2 VwGO) wiederum verschiedene Angelegenheiten mit der Folge, dass in jedem Verfahren gesondert Gebühren nach den Nummern 2300 bis 2302 entstehen. Das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung würde zweifelsohne denselben Gegenstand wie ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffen, was verdeutlicht, dass für die Anrechnung einer für das Widerspruchsverfahren entstandenen Geschäftsgebühr auf die für jenes gerichtliche Verfahren entstandene Verfahrensgebühr weder Raum ist noch ein Bedürfnis besteht.
d) Auch in Bezug auf ein Verwaltungsverfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung hat das Verwaltungsgericht jedoch im Ergebnis zu Recht die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zu Teil 3 RVG verneint. Denn der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ist im Verfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht in einer Gebühren auslösenden Weise tätig geworden. Der Antragsteller hat persönlich mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 Widerspruch gegen den Bescheid über die Festsetzung eines Ausgleichsbetrages eingelegt und zugleich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung beantragt. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin bereits drei Tage später mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 gegenüber dem Antragsteller abgelehnt. Erst danach ist der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wegen der Begründung des Widerspruchs eingeschaltet worden. Allerdings enthält sein diesbezügliches Schreiben an die Antragsgegnerin vom 12. Februar 2007 einleitend die Bemerkung, dass mit der nachfolgenden Begründung des Widerspruchs "auch die ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts dargelegt (seien), so dass gebeten (werde), dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben". Allein hierdurch ist jedoch keine Geschäftsgebühr für ein Verwaltungsverfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung nach den Nummern 2300 oder 2302 VV RVG entstanden.
Maßgeblich für den Anfall einer Geschäftsgebühr ist grundsätzlich der erteilte Auftrag, da nur diesem zu entnehmen ist, welchen Weg der Rechtsanwalt zur Erledigung der Angelegenheit beschreiten soll (vgl. Jungbauer in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl. 2009, Vorbem. 2.3 VV zu Teil 2, Rn. 17 m.w.N.). Die Einlassungen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in seinen Schriftsätzen vom 12. Dezember 2008 und 24. Februar 2009 im vorliegenden Beschwerdeverfahren können jedoch nur dahin verstanden werden, dass ein Auftrag des Antragstellers, neben dem Widerspruchsverfahren auch (erneut) ein Verfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO zu betreiben, nicht vorgelegen hat. Zwar würde allein das Fehlen eines entsprechenden Auftrags die Entstehung einer Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 oder 2302 VV RVG noch nicht notwendig hindern, da sich ein Anspruch des ohne Auftrag tätig gewordenen Rechtsanwalts auf die übliche Vergütung auch aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) ergeben kann (vgl. Mayer in: Mayer/Kroiß, a.a.O., § 1 Rn. 22). Auch die Geschäftsführung ohne Auftrag setzt aber einen entsprechenden Geschäftsführungswillen voraus, der nach den Einlassungen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hier in Bezug auf ein Verfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO nicht gegeben war. Wie sich insbesondere aus seinem Schriftsatz vom 24. Februar 2009 ergibt, ist er selbst nicht davon ausgegangen, über die Widerspruchsbegründung hinaus eine anwaltliche Tätigkeit in einem vorgerichtlichen Aussetzungsverfahren entfaltet zu haben, und hat er dementsprechend insoweit auch keine Gebühr geltend gemacht. Diese Erklärung fügt sich ohne Weiteres in die objektiv erkennbaren Umstände ein. Denn mit der oben zitierten beiläufigen Bemerkung zu Beginn der Widerspruchsbegründung hat es dann auch schon sein Bewenden gehabt. Auch die Antragsgegnerin ist im Übrigen nicht davon ausgegangen, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in einer Gebühren auslösenden Weise in einem Verfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO tätig geworden ist. Vielmehr hat sie ihre Auffassung, dass der Tatbestand der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG erfüllt sei, jedenfalls bis zum gerichtlichen Hinweis im vorliegenden Beschwerdeverfahren ausschließlich auf die für das Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr gestützt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf Nummer 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht veranlasst.
Ende der Entscheidung
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