Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.02.2004
Aktenzeichen: 3 Bf 238/03
Rechtsgebiete: GG, RuStAG, StAG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 16 Abs. 1
RuStAG § 4 Abs. 1 Satz 1
StAG § 4 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1599 Abs. 1
Das Kindschaftsverhältnis zum Vater entfällt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes.

Die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft durch den deutschen Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der ausländischen Mutter des Kindes verheiratet ist, führt ohne Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG zu einem Fortfall des auf § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG gestützten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an.


3 Bf 238/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Pradel, Fligge und Korth am 10. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. Mai 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 4.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit.

Der Kläger wurde am 15. Juni 1998 in Hamburg geboren. Seine Mutter ist albanische Staatsangehörige. Sie schloss am in Tirana die Ehe mit dem deutschen Staatsangehörigen H. J. B. . Die in Hamburg geführte Ehe wurde im Januar 2000 geschieden. Auf die Anfechtung der Vaterschaft durch Herrn B. stellte das Amtsgericht Hamburg durch rechtskräftiges Urteil vom ................. (berichtigt durch Beschluss v. ..........) fest, dass der Kläger nicht von diesem abstammt.

Der Kläger erhob im Juni 2002 Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg mit dem Antrag, festzustellen, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hilfsweise festzustellen, dass er staatenlos ist.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 21. Mai 2003 abgewiesen. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung aus den Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO. Das Urteil sei unrichtig, weil das Verwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben verkenne. Dem Fortfall der deutschen Staatsangehörigkeit in der Folge der Vaterschaftsanfechtung stehe Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen. Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit sei deren vom Betroffenen nicht beeinflussbarer Fortfall. Die-se Merkmale lägen vor: Er, der Kläger, habe die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 4 Abs. 1 StAG durch Geburt erworben. Auf die Anfechtung der Vaterschaft habe er keinen Einfluss gehabt. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Fortfall der deutschen Staatsangehörigkeit stelle die zwangsläufige Folge eines Hoheitsakts in Gestalt des Urteils über die Vaterschaftsanfechtung dar. - Die Rechtssache weise wegen ihrer verfassungsrechtlichen Natur besondere rechtliche Schwierigkeiten in drei Hinsichten auf: Die Gleichstellung mit einem Betroffenen, der seine Einbürgerung erschlichen habe, verbiete sich, weil ihn, den Kläger, in Bezug auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit kein Vorwurf treffe. Die Rechtskonstruktion eines auflösend bedingten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit sei mit Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar. Die Vaterschaftsanfechtung dürfe wegen der konstitutiven Bedeutung des Urteils nicht als privatrechtlicher Vorgang eingeordnet werden, gegenüber dem es Art. 16 Abs. 1 GG an der erforderlichen Drittwirkung fehle. - Der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil die für eine Vielzahl von Fällen bedeutsame verfassungsrechtliche Frage der Auswirkung der Vaterschaftsanfechtung auf den staatsangehörigkeitsrechtlichen Status des Kindes höchstrichterlich noch nicht geklärt sei.

II.

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor, § 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO.

1. Die im Zulassungsantrag vorgebrachten rechtlichen Erwägungen führen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die im Hauptantrag begehrte Feststellung, dass der Kläger deutscher Staatsangehöriger sei, zu Recht nicht getroffen. Die geltend gemachte Verletzung des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG besteht nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht (Beschl. v. 6.3.2001 - 3 Bs 64/01 -; v. 28.6.2001 - 3 Bs 15/01 -; v. 20.9.2002 - 4 Bs 238/02 -, NordÖR 2003 S. 519; v. 14.5.2003 - 3 So 50/03 -).

Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach der im Zeitpunkt seiner Geburt geltenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (in der Fas-sung des Gesetzes v. 30.6.1993, BGBl. I S. 1062, 1072 - RuStAG -; mit unverändertem Text nunmehr § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG) nicht erworben, weil es an der Voraussetzung fehlt, dass ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Mutter des Klägers ist Albanerin. Der deutsche Staatsangehörige H. J. B. , auf den der Kläger den Staatsangehörigkeitserwerb stützt, ist nicht "Elternteil" im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG. Der Staatsangehörigkeitserwerb ist nach dieser Vorschrift nicht an die Ehe der (ausländischen) Mutter mit einem deutschen Staatsangehörigen im Zeitpunkt der Geburt, sondern an die Abstammung von einem deutschen Elternteil geknüpft. Das Staatsangehörigkeitsrecht überantwortet die Frage nach den Eltern des Kindes dem Zivilrecht. H. J. B. ist nach der gemäß Art. 19 Abs. 1 EGBGB für die Abstammung des Klägers maßgebenden deutschen Rechtsordnung nicht dessen Vater. Dies steht auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Hamburg im Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft nach § 1599 Abs. 1 BGB (in der Fassung des Kindschaftsreformgesetzes v. 16.12.1997, BGBl. I S. 2942, die nach Art. 224 § 1 Abs. 2 EGBGB anwendbar ist) mit Wirkung für und gegen alle (§ 640 h ZPO) fest. Die Bestimmung des § 1592 Nr. 1 BGB, wonach Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, gilt gemäß § 1599 Abs. 1 BGB nicht, wenn auf Grund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater ist. Das Kindschaftsverhältnis zum Vater entfällt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft nach allgemeiner Ansicht mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes (BGH, Urt. v. 2.11.1971, BGHZ 57 S. 229, 235 zur Feststellung der Nichtehelichkeit; Urt. v. 20.5.1981, NJW 1981 S. 2183 zur Zurückforderung geleisteten Unterhalts; Palandt-Diederichsen, 63. Auflage 2004, § 1599 Rdnr. 7; MüKo-Mutschler, 3. Aufl. 1992, § 1593 Rdnr. 31). Diese Rückwirkung bedeutet, dass die Erwerbsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG für den Kläger schon im Zeitpunkt der Geburt nicht vorgelegen haben. Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung führt zu keiner Entziehung und keinem Verlust einer erworbenen deutschen Staats-angehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 GG, sondern zu der Feststellung ex post, dass ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in Wahrheit nicht stattgefunden hat.

Der Kläger meint demgegenüber, schon der bis zur rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft bestehende staatsangehörigkeitsrechtliche Status des Kindes sei verfassungsrechtlich vor Entziehung und Verlust geschützt. Dies trifft nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu. Weil allerdings die Bestimmung des § 1592 Nr. 1 BGB bis zur rechtskräftigen Feststellung nach § 1599 Abs. 1 GG zunächst galt, ist aus der Sicht ex ante für die Geltungsdauer der Vaterschaft des Mannes, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Kindesmutter verheiratet war, ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG für den Kläger ausgelöst gewesen. Erfolgt eine Anfechtung der Vaterschaft nicht, wird eine solcher Erwerb ungeachtet der wahren biologischen Abstammung rechtlich vollgültig. Auch ist im Stadium bis zur rechtkräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG eröffnet. Mit der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft entfällt der geschützte vorläufige Status aber. Weil die Abstammung des Kindes von einem bestimmten Vater im Zeitpunkt der Geburt nicht definitiv feststeht, die Geltung des § 1592 Nr. 1 BGB vielmehr das Ausbleiben einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft voraussetzt, ist das Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit von vornherein mit der Schwäche behaftet, dass dieser erst vorläufige Status mit der Feststellung einer feh-lenden biologischen Abstammung hinfällig wird. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist, solan-ge die Vaterschaft angefochten werden kann, in Bezug auf diese Möglichkeit nicht vollgültig erworben. Verwirklichen sich die immanenten Wirksamkeitsschwächen des an die Vater-schaft nach § 1592 Nr. 1 BGB anknüpfenden Staatsangehörigkeitserwerbs, ist der Schutz-bereich des Art. 16 Abs. 1 GG weder in der Abwehrrichtung gegen eine Entziehung nach Satz 1 noch gegen einen Verlust nach Satz 2 berührt.

Der Kläger wendet ohne Erfolg ein, dass die Staatsangehörigkeit ein Status sei, der nicht "auflösend bedingt" bestehen könne. Ob die Wirkung einer nachträglichen Feststellung der fehlenden Vaterschaft des deutschen Mannes damit rechtskonstruktiv zutreffend gekennzeichnet ist, kann dahin stehen. Wenn der Staatsangehörigkeitserwerb wie im Falle des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG an einen deutschen Elternteil anknüpft und sich die Abstammung nach den zivilrechtlichen Vorschriften richtet, teilt der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von seinen Entstehungsbedingungen her die familienrechtliche Schwäche der Anfechtbarkeit der Vaterschaft. Dass die Anfechtbarkeit als solche im Hinblick auf den Schutz eines gesicherten Status des Kindes einer ausländischen Mutter auf verfassungsrechtliche Bedenken stieße, vermag das Berufungsgericht schon im Hinblick auf die bestehenden Anfechtungsfristen gemäß § 1600 b BGB nicht zu erkennen.

2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Besondere Schwierigkeiten sind solche, die das Maß des in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten Üblichen erheblich übersteigen. Verfassungsrechtliche Fragen des Grundrechtsschutzes nach Art. 16 Abs. 1 GG bereiten nicht schon für sich genommen Schwierigkeiten eines solchen Grades, dass die Durchführung eines Berufungsverfahrens geboten ist. Die von dem Kläger insoweit aufgeworfenen Fragen sind nicht schwer zu beantworten bzw. stellen sich aus der Sicht des Berufungsgerichts so nicht. Für die richtige Beurteilung der Folgen einer Vaterschaftsanfechtung auf die Staatsangehörigkeit des Kindes kommt es auf eine Gleichstellung mit der Fallgruppe der Rücknahme erschlichener Einbürgerungen nicht an. Auch die Rechtskonstruktion eines auflösend bedingten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit, auf die das Berufungsgericht nicht zurückgreift, spielt dafür keine entscheidende Rolle. Weil das Berufungsgericht für die verfassungsrechtliche Würdigung entscheidend auf das Fehlen eines vollgültigen Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit abstellt, solange die Vaterschaft anfechtbar ist, kommt schließlich dem Begründungselement einer fehlenden Drittwirkung des Art. 16 Abs. 1 GG, das in den oben zitierten Entscheidungen des Berufungsgerichts zum Teil angeführt ist, keine tragende Bedeutung zu.

3. Die Frage der Auswirkung der Vaterschaftsanfechtung auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind einer ausländischen Mutter verleiht der Rechtssache nicht schon deshalb eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil keine ausdrückliche höchstrichterliche Entscheidung dazu vorliegt. Die aufgeworfene Frage ist auch ohne eine solche Entscheidung nicht als weiter klärungsbedürftig anzusehen, weil Rechtsprechung und Literatur die Antwort weithin einhellig durch die Anwendung der staatsangehörigkeitsrechtlichen und familienrechtlichen Vorschriften und die Feststellung der Vereinbarkeit des Ergebnisses mit der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 16 Abs. 1 GG bereits gefunden haben. Danach führt die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft durch den deutschen Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der ausländischen Mutter des Kindes verheiratet ist, ohne Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG zu einem Fortfall des auf § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG gestützten Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an (VG Düsseldorf, Urt. v. 10.9.1985, NJW 1986 S. 676; VG Gießen, Urt. v. 8.11.1999, HessVGRspr 2000 S. 31; VG Berlin, Urt. v. 27.2.2003 - 29 A 237.02 - Juris; Makarov/von Mangoldt, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, Stand Mai 1986, § 4 RuStAG Rdnr. 13; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 2001, § 4 StAG Rdnr. 24; Marx, GK Staatsangehörigkeitsrecht, Stand Februar 2002, IV - 2 § 4 Rdnr. 27, abweichend Rdnr. 52 zu § 4 Abs. 1 RuStAG in der bis zum 1. Juli 1993 geltenden Fassung; Palandt-Diederichsen, a.a.O., Rdnr. 7; MüKo-Mutschler, a.a.O., Rdnr. 31; Soergel-Gaul, 12. Aufl. 1987, § 1593 Rdnr. 17).

4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück