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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2007
Aktenzeichen: 3 Bs 246/07
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 10 Abs. 3 | |
AufenthG § 104 a Abs. 2 |
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth und Niemeyer sowie die Richterin Dr. Daum am 23. Oktober 2007 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 16. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Verfahren erster Instanz - insoweit unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 16. Oktober 2007 - und für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 1.250,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
1. Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, die das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts nach Maßgabe des Beschwerdeantrags zu ändern.
a) Die Beschwerde beanstandet, das Verwaltungsgericht habe es versäumt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern dem Antragsteller ein Anspruch gemäß § 104 a Abs. 2 AufenthG zustehen könne. Die Voraussetzungen dieser Norm, die nicht auf die Dauer des geduldeten Aufenthalts des Antragstellers selbst, sondern eines geduldeten Elternteils abstelle, seien erfüllt. Diese Rüge greift nicht durch. Aus § 104 a Abs. 2 AufenthG dürfte der Antragsteller keine Ansprüche herleiten können.
Zum einen dürfte bereits die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG einem Anspruch des Antragstellers aus § 104 a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes (§§ 22 bis 26) erteilt werden. Die tatbestandliche Voraussetzung dieser Bestimmung ist hier erfüllt: Der Antragsteller hat nach seiner letzten Einreise im Januar 2005 einen Asylfolgeantrag gestellt, der mit bestandskräftig gewordenem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 27. Januar 2005 abgelehnt worden ist; auch ein Asylfolgeantrag ist ein Asylantrag im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 27.11.1998, EzAR 017 Nr. 18, zur insoweit entsprechenden Vorgängerregelung in § 11 AuslG 1990). Demnach kann dem Antragsteller vor erfolgter Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, der außerhalb des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes geregelt ist. Die in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG normierten Ausnahmen liegen ebenfalls nicht vor: Weder hat der Antragsteller im Sinne dieser Vorschrift einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Aufenthaltstitel wie bei § 104 a Abs. 2 AufenthG fallen nicht hierunter), noch sind bei ihm die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt (diese Bestimmung erfasst nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die im Fall des Antragstellers angesichts der diesbezüglich nach wie vor gültigen negativen Feststellung des Bundesamts im Bescheid vom 10.2.2003 bzgl. Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nicht vorliegen, vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG). Auch § 104 a AufenthG selbst enthält keine Bestimmung, wonach § 10 Abs. 3 AufenthG keine Anwendung fände. Der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der Altfallregelung in § 104 a AufenthG (Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 27.8.2007, BGBl. I S. 1970) zugleich die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG um die Regelung in Halbsatz 2 (nach der die Sperrwirkung auch entfällt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt) ergänzt hat, ohne aber dabei auf die Bestimmung des § 104 a AufenthG Bezug zu nehmen, spricht ebenfalls dafür, dass die in § 10 Abs. 3 AufenthG geregelte Sperrwirkung auch im Hinblick auf die Altfallregelung in § 104 a Abs. 2 AufenthG gilt.
Zum anderen ist es aber auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die in § 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannte Voraussetzung erfüllt, wonach bei dem geduldeten volljährigen Kind gewährleistet sein muss, dass es sich "auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann". Der Antragsteller hat weder eine Ausbildung noch einen Schulabschluss. Laut der von ihm vorgelegten Bescheinigung der "Gemeinschaftsinitiative Equal Fluchtort Hamburg" vom 28. September 2007 ist er derzeit als "nicht ausbildungsfähig" anzusehen; als Ziel wird es angesehen, bei dem Antragsteller durch lerntherapeutische Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass er "langfristig zumindest über solide Elementarkenntnisse in Rechnen und Lesen und Schreiben" verfüge. Bei einer solchen Sachlage ist es gerade nicht "gewährleistet", dass der Antragsteller sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.
b) Der Antragsteller trägt vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, der Schutzbereich von Art. 8 EMRK sei im Hinblick auf das Familienleben nicht eröffnet. Es habe außer Acht gelassen, dass er erst in diesem Jahr 18 Jahre alt geworden sei, und nicht berücksichtigt, dass er in der Familie weniger die Position eines Kindes als die eines Vaters einnehme. Für seine jüngeren Geschwister und für seine Mutter stelle er eine unentbehrliche Stütze dar.
Mit diesem Vorbringen wird das Argument des Verwaltungsgerichts, nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beschränke sich der Schutzbereich hinsichtlich des Familienlebens regelmäßig auf den Schutz der Kernfamilie von Eltern und minderjährigen Kindern (BA S. 4), nicht erschüttert. Nach neuerer Rechtsprechung des EGMR (Urt. v. 16.6.2005, EuGRZ 2006, 554, 557, Rn. 103; Urt. v. 9.10.2003, EuGRZ 2006, 560, 561, Rn. 97) ist der Schutzbereich von 8 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Familienlebens in der Tat in dieser Weise beschränkt; der Antragsteller gehört in diesem Sinne als Volljähriger nicht zu einer "Kernfamilie". Er selbst ist auch nicht in einer Weise von familiärer Betreuung abhängig, dass er ausnahmsweise doch als (im vorgenannten Sinne) Mitglied einer "Familie" anzusehen wäre (vgl. EGMR, Urt. v. 9.10.2003, a. a. O., Rn. 97).
c) Ebenfalls ohne Erfolg rügt die Beschwerde die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Prüfung von Art. 8 EMRK hinsichtlich des Gebots der Achtung des Privatlebens.
aa) Insoweit bringt die Beschwerde vor, das Verwaltungsgericht habe bei der Prüfung von Art. 8 EMRK im Hinblick auf das Privatleben zwar den Schutzbereich zutreffend beschrieben, es sei aber auf die zu berücksichtigenden Aspekte nicht hinreichend vollständig eingegangen und habe diese nicht ausgeglichen gegeneinander abgewogen. In Bezug auf die Integration des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland habe das Verwaltungsgericht fast ausschließlich Ausführungen zur wirtschaftlichen Integration gemacht und damit die Eröffnung des Schutzbereichs verneint; nicht berücksichtigt habe das Verwaltungsgericht seine soziale Integration, seine Deutschkenntnisse und sein rechtstreues Verhalten. Auf der anderen Seite habe das Verwaltungsgericht die Reintegrationsmöglichkeiten des Antragstellers in Montenegro nicht realistisch eingeschätzt. Es entspreche den Tatsachen, dass zu seinem Vater kein Kontakt mehr bestehe. Im übrigen habe der Vater ihm weder den Schulbesuch in Montenegro ermöglicht noch dafür gesorgt, dass er altersangemessen in Montenegro habe leben können; der Umstand, dass der Vater ihn (bei der Ausreise im Januar 2005) zur Grenze begleitet habe, lasse nicht den Schluss zu, dass der Vater sich zuvor um den Antragsteller gekümmert habe.
bb) Auch dieser Vortrag erschüttert den Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht.
aaa) Im Hinblick auf die Integrationsleistungen des Antragstellers, die bei der Frage zu würdigen sind, ob der Schutz des Privatlebens der Ausreise des Antragstellers entgegen steht, sind die Beschlussgründe des Verwaltungsgerichts nicht so zu verstehen, dass es bereits den diesbezüglichen Schutzbereich für nicht eröffnet gehalten hätte. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht von vornherein die Schrankenregelung in Art. 8 Abs. 2 EMRK in seine Prüfung eingebunden, auf dieser Grundlage die Kriterien für die gebotene Interessenabwägung beschrieben (BA S. 5) und sodann angenommen, die Abwägung der Interessen der Beteiligten führten nicht zu einer aus Art. 8 EMRK folgenden rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise des Antragstellers (BA S. 6).
Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts lassen auch nicht erkennen, dass es zu einseitig auf die Gesichtspunkte der rechtlichen und der wirtschaftlichen Integration abgestellt und die Aspekte der sozialen Integration bzw. der Deutschkenntnisse des Antragstellers unberücksichtigt gelassen hätte. Es hat vielmehr - in Kenntnis der mit der Eilantragsschrift vorgelegten Bescheinigungen und der nicht angezweifelten Deutschkenntnisse des Antragstellers - angenommen, dass es für die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Integration keine Anhaltspunkte gebe und sonstige nennenswerte Integrationsleistungen, die ihn gleichsam als faktischen Inländer auswiesen, nicht ersichtlich seien (BA S. 7.). Damit hat es die soziale Integration und die Deutschkenntnisse des Antragstellers berücksichtigt, diese Aspekte aber im Ergebnis - auch im Hinblick auf seine Beziehungen zu Montenegro, vgl. dazu die nachstehenden Ausführungen unter "bbb)" - für nicht gewichtig genug gehalten, um die Aufenthaltsbeendigung als unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Antragstellers anzusehen. Dass diese Abwägung mit Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK nicht vereinbar wäre, legt die Beschwerde legt nicht dar.
bbb) Soweit die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht habe die Reintegrationsmöglichkeiten des Antragstellers in Montenegro nicht realistisch eingeschätzt, folgt das Beschwerdegericht dem nicht.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass den Antragsteller mit Montenegro außer seiner Staatsangehörigkeit wenig verbinde und er dort kaum auf familiäre Unterstützung zurückgreifen könne. Es hat dem jedoch den Umstand gegenüber gestellt, dass dem inzwischen volljährigen Antragsteller angesichts seines Aufenthalts im Geburtsland in den Jahren 2003 bis 2005 dessen soziale, kulturelle und sprachliche Gegebenheiten nicht völlig fremd seien und er in dieser Zeit seine Kenntnisse der serbischen Sprache deutlich aufgebessert haben dürfte. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass der Vater sich offenbar weiter in Montenegro befinde und es mit entsprechendem Bemühen gelingen müsse, vor Ort wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Darstellung in der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 21. September 2007, wonach sich sein Vater nicht mehr um ihn gekümmert habe, er völlig allein gewesen und er schließlich deswegen wieder nach Deutschland gereist sei, stehe im Widerspruch zu den Angaben, die er im Februar 2005 unmittelbar nach seiner Wiedereinreise gemacht habe: Danach sei er mit seinem Vater gemeinsam mittels einer Schleuserorganisation ausgereist und erst bei der Grenzquerung unfreiwillig von seinem Vater getrennt worden; somit habe sich der Vater sehr wohl um ihn gekümmert (BA S. 7 f.).
Diese Würdigung seitens des Verwaltungsgerichts lässt keine unrealistische Einschätzung der Reintegrationsaussichten des Antragstellers in Montenegro erkennen. Das Verwaltungsgericht hat dessen dortige Perspektiven mit plausibler Argumentation als zwar schwierig, aber als nicht unerträglich bewertet. Es hat seiner Abwägung zugrunde gelegt, dass den Antragsteller mit seinem Geburtsland derzeit zwar "wenig" mehr verbinde als seine Staatsangehörigkeit, er diesem Land aber (insbesondere nach seiner gemeinsamen Ausreise dorthin mit dem Vater und dem dortigen Aufenthalt in den Jahren 2005 bis 2007) wiederum nicht (mehr) so entfremdet sei, dass er als faktischer Inländer angesehen werden müsse. Ebenso zutreffend ist der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Widersprüchlichkeit der Aussagen des Antragstellers hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem Vater; dass der Vater als Bezugsperson in Montenegro völlig ausscheiden würde, ist danach in der Tat nicht anzunehmen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 3 GKG. Danach ist der Streitwert für beide Instanzen in Höhe eines Viertels des Auffangwerts (vgl. § 52 Abs. 2 GKG) anzusetzen. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert regelmäßig die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (vgl. Abschnitt 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, NVwZ 2004 S. 1327); als Hauptsache wäre hier eine auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage anzusehen. Hierfür wäre der Streitwert mit dem Auffangwert, also mit 5.000,- Euro anzusetzen (vgl. Abschnitt 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, a. a. O.), woraus sich in einem Regelfall der (vom Verwaltungsgericht angenommene) Streitwert in Höhe des halben Auffangwerts ergäbe. Der vorliegende Fall ist jedoch in diesem Sinne kein Regelfall. Der Antragsteller hat nämlich nur eine vorübergehende Untersagung der Abschiebung begehrt, bis die Antragsgegnerin - erstmals - über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 24. September 2007 entschieden hat; dagegen hat er nicht Abschiebungsschutz während des gesamten Aufenthaltserlaubnisverfahrens einschließlich diesbezüglicher verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren erstrebt. Damit umfasst der in diesem Eilverfahren begehrte vorläufige Rechtsschutz nur einen vergleichsweise kurzen Zeitraum, der deutlich von der Standardsituation abweicht, in welcher der vorläufige Rechtsschutz den Aufenthalt während der gesamten Dauer eines Aufenthaltserlaubnisverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss sichern soll. Damit ist die sich für den Antragsteller aus seinem Begehren ergebende Bedeutung entsprechend geringer (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Dies gebietet es, den Streitwert hier nur mit einem Viertel des Auffangwerts anzusetzen.
Ende der Entscheidung
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