Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 3 Bs 253/03
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG
Vorschriften:
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
AuslG §§ 45 ff. |
3 Bs 253/03
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Pradel, Korth und Kollak am 5. November 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. Mai 2003 geändert. Die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2003 wird wiederhergestellt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Antragsgegnerin zu 2/3 und der Antragsteller zu 1/3.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und für das Verfahren erster Instanz auf jeweils 1.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung seiner Ausweisung.
Der am 1. Januar 1947 in Bacoor, Philippinen geborene Antragsteller ist philippinischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1989 im Bundesgebiet. Nach zwei geschiedenen Ehen mit deutschen Staatsangehörigen heiratete der Antragsteller im März 1998 eine philippinische Staatsangehörige. Im August 1998 ist ihm die Aufenthaltsberechtigung erteilt worden.
Das Landgericht Hamburg - Große Strafkammer - verurteilte den Antragsteller durch rechtskräftiges Urteil vom 6. Juni 2002 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten. Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft. Das reguläre Strafende wird im September 2008 erreicht.
Die Antragsgegnerin wies den Antragsteller mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 aus und drohte ihm die Abschiebung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung an. Hinsichtlich der Ausweisung ordnete sie die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte sie insoweit aus: Die Schwere der Straftat gebiete die schnellstmögliche und im direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung erfolgende Abschiebung. Es sei zu befürchten, dass der Antragsteller bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Entscheidung im Klagverfahren erneut im Bereich des Rauschgifthandels straffällig werde. Ein besonderes öffentliches Interesse an der umgehenden Beendigung des Aufenthalts sei ferner durch die besonders angespannte Drogensituation in Hamburg und die katastrophalen Folgen des Drogenhandels und des Drogenkonsums für die Stadt und deren Bevölkerung begründet. Die Bekämpfung der Drogenszene durch die Polizei erfordere als flankierende Maßnahme zum polizeilichen Handlungskonzept und im Interesse einer noch wirksameren Abschreckung die rasche Aufenthaltsbeendigung von mit Drogen handelnden Ausländern. Drogendealern und potentiellen Nachahmern müsse durch Anordnung der sofortigen Vollziehung klar gemacht werden, dass sie bei Drogenhandel oder Beteiligung daran mit schnellstmöglicher Aufenthaltsbeendigung zu rechnen hätten. Zudem müsse sie, die Antragsgegnerin, die Möglichkeit der umgehenden Aufenthaltsbeendigung haben, wenn nach § 456 a StPO die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe für den Fall der Abschiebung ausgesetzt werde. Die entsprechende staatsanwaltschaftliche Verfügung würde ad absurdum geführt, wenn mit der Abschiebung gewartet werden müsste, bis die Ausweisungsverfügung bestandskräftig sei. Die umgehende Abschiebung erspare überdies weitere Aufwendungen für die Haft des Antragstellers und entlaste die begrenzten Haftplatzkapazitäten.
Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte mit der Begründung, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Veranlassung bestehe, die Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO auszusetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2003 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hielt sie aufrechter: Es müsse sichergestellt werden, dass die durch die Ausweisung eingetretene Ausreiseverpflichtung bereits vor rechtskräftigem Abschluss des zu erwartenden Klagverfahrens vollziehbar sei. Nur durch eine strikte Gesetzeshandhabung im Wege der sofortigen Vollziehung sei es möglich, künftig andere Ausländer wegen des damit verbundenen unmittelbar wirkenden Ausweisungsrisikos von Verstößen gegen die Rechtsordnung abzuschrecken und straffällig gewordene Ausländer - wie den Antragsteller - an der Begehung gleicher oder ähnlicher Straftaten zu hindern.
Der Antragsteller hat am 3. März 2003 Klage erhoben und zugleich den Antrag gestellt, die sofortige Vollziehung der angefochtenen Bescheide bis zur rechtskräftigen Entscheidung "auszusetzen". Klage und Antrag sind innerhalb der gesetzten Frist von vier Wochen nach Eingang der Sachakten nicht begründet worden.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 12. Mai 2003 abgelehnt. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei aus Rechtsgründen fehlerhaft, da sie wegen der angetretenen längeren Strafhaft auf etwas Unmögliches gerichtet sei. Es stehe fest, dass die Ausweisung nicht vor dem 8. Mai 2005 vollzogen werden könne. Die Staatsanwaltschaft Hamburg habe ihm, dem Antragsteller, mit Schreiben vom 5. März 2003 mitgeteilt, dass gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. Juni 2002 abgesehen und diese Verfügung mit der Durchführung der Abschiebung (Grenzüberschreitung), frühestens (aber) am 8. Mai 2005 wirksam werde. Weil davon auszugehen sei, dass das Hauptsacheverfahren bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein werde, bedürfe es der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht. Sollte über die Klage dann noch nicht entschieden sein, müsse ein Sofortvollzug schon im Hinblick auf die benötigte Verfahrensdauer ausscheiden, weil die Rechte des Antragstellers dann durch eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung in irreparabler Weise beeinträchtigt würden. Auch aus dem "Liegenlassen" der Hauptsache, die § 336 StGB verletzte, könne eine Rechtfertigung des Sofortvollzugs nicht abgeleitet werden. - Ein ausdrücklicher Antrag ist nicht gestellt.
Die Antragsgegnerin entgegnet: Der Sofortvollzug einer Ausweisung dürfe - wie in der Rechtsprechung anerkannt sei - mit der Erwägung begründet werden, dass eine Abschiebung zügig aus der Strafhaft erfolgen könne, wenn ein Beschluss nach § 456 a StPO ergehe (OVG Hamburg, Beschl. v. 18.11.1996 - OVG Bs V 186/96 -). Daher könne ein Sofortvollzug bereits bei Erlass der Ausweisung angeordnet werden, auch wenn ein Abschiebungstermin noch nicht feststehe. So liege es hier: Ausweisungsverfügung und Widerspruchsbescheid seien zu einem Zeitpunkt ergangen, als ein Beschluss der Staatsanwaltschaft nach § 456 a StPO noch nicht vorgelegen habe. - Es bestehe ein gesteigertes öffentliches Interesse daran, den weiteren Inlandsaufenthalt verurteilter Betäubungsmittel-Täter zu vermeiden. Da nicht abzusehen sei, wie lange das Klagverfahren letztlich dauern werde - dieses könne sich durchaus über den 8. Mai 2005 hinaus erstrecken, wenn sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft würden -, sei es sinnvoll, bereits mit Erlass der Ausweisung den Sofortvollzug anzuordnen, um sogleich den Aufenthalt beenden zu können, sobald die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Verfügung erlasse. - Auch aus verwaltungsökonomischen Gründen empfehle es sich, den Sofortvollzug sogleich anzuordnen und nicht einen gesonderten Bescheid zu erlassen. - Der Antragsteller sei zum jetzigen Zeitpunkt durch den Sofortvollzug nicht beschwert, da er ohnehin nicht vor dem 8. Mai 2005 abgeschoben werden könne. Es sei nicht ersichtlich, worin eine Rechtsverletzung liegen könne, wenn bereits jetzt festgestellt werde, dass die Abschiebung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens erfolgen dürfe, und diese Feststellung nicht erst im März oder April 2005 getroffen werde. An der rechtlichen Position des Antragstellers ändere sich dadurch nichts. Sein Aufenthaltsrecht sei gemäß § 72 Abs. 2 AuslG durch die Ausweisung ohnehin sofort erloschen. In Haft bleibe er nach der Verfügung der Staatsanwaltschaft in jedem Fall solange, bis seine Abschiebung rechtlich möglich sei. Im Übrigen sei eine frühzeitige Entscheidung über den Sofortvollzug für den Antragsteller eher ein Vorteil als ein Nachteil.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und zum überwiegenden Teil auch begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Sie besteht aber nicht - wie dies der Antragsteller begehrt - bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klagverfahrens, sondern endet zu dem in § 80 b Abs. 1 VwGO bestimmten Zeitpunkt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Die Beschwerde ist nicht gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 4 VwGO deshalb unzulässig, weil sie keinen ausdrücklich gestellten Antrag enthält. Dem Erfordernis eines bestimmten Antrags ist genügt, wenn sich das Rechtsschutzziel und der daraus folgende Antrag aus der Begründung der Beschwerde eindeutig ergeben. Das ist hier der Fall. Der Antragsteller legt in der Beschwerdebegründung vom 17. Juni 2003 seine Auffassung dar, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Hinblick auf die andauernde Strafhaft kein Grund bestehe. Damit ist auch ohne Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Antrag klar, dass er die "Aussetzung des Sofortvollzugs" bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klagverfahren in der Beschwerdeinstanz weiter verfolgt, in der dem Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechenden Fassung also die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zu dem genannten Zeitpunkt begehrt.
b) Dem Antragsteller fehlt für dieses Begehren nicht das allgemeine Rechtsschutzbe-dürfnis. Die Rechtsverfolgung kann wegen fehlenden Rechtschutzbedürfnisses unzulässig sein, wenn die Inanspruchnahme des Gerichts für die subjektive Rechtsstellung des Recht-suchenden von vornherein nutzlos ist (BVerwG, Beschl. v. 7.2.1997, Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 239). Eine solche Sachlage besteht hier nicht. Die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage verschafft dem Antragsteller den rechtlich beacht-lichen Vorteil, dass er bis zum Ende der aufschiebenden Wirkung, nach seinem Begehren also sogar bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens, nicht abgeschoben werden darf, weil die aufschiebende Wirkung der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ent-gegensteht. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers liegt bereits gegenwärtig vor, obwohl seine Abschiebung wegen der bestehenden Strafhaft nach der Verfügung der Staatsanwaltschaft nicht vor dem 8. Mai 2005 erfolgen kann. Dies folgt schon aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit. Ordnet eine Behörde den Sofortvollzug ihrer Maßnahme an, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen für den korrespondierenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits im Hinblick auf die darin liegende formelle rechtliche Beschwer, also unabhängig davon, ob die Vollstreckung der Maßnahme tatsächlich alsbald zu erwarten ist oder wegen bestehender Vollzugshindernisse einstweilen nicht durchgeführt werden kann. Wird die sofortige Vollziehung angeordnet, obwohl von der Vollziehbarkeit gegenwärtig kein Gebrauch gemacht werden kann oder soll, können dem Betroffenen nicht der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und die Beschwerde mit der Rüge abgeschnitten sein, für die Anordnung fehle zur Zeit das gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderliche öffentliche Interesse.
2. Die Beschwerde ist auch zum überwiegenden Teil begründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung ist wiederherzustellen, weil das nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderliche öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegenwärtig nicht besteht. Die Antragsgegnerin kann die Ausreisepflicht des Antragstellers auch im Falle ihrer Vollziehbarkeit wegen der andauernden Straf-haft und der für ihren Vollzug maßgebenden Verfügung der Staatsanwaltschaft frühestens am 8. Mai 2005 im Wege der Abschiebung durchsetzen. Ohne die tatsächliche Möglichkeit einer Abschiebung fehlt dem von der Antragsgegnerin formulierten öffentlichen Interesse daran, der Gefahr erneuter Straftaten des Antragstellers durch Abschiebung zu begegnen und auf diesem Wege zugleich die generalpräventive Wirkung der Ausweisung zu stärken, die konkrete Wirkungsmacht. Ein Grund, die sofortige Vollziehung frühzeitig im Hinblick auf das zukünftige Erfordernis einer Abschiebung aus der Strafhaft heraus anzuordnen, besteht jedenfalls solange nicht, wie zu erwarten ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ergangen ist und im Falle der Klagabweisung die nach § 80 Abs. 1 VwGO bestehende aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO geendet hat. So liegt es hier.
a) Für die Prüfung, ob gegenwärtig überhaupt ein öffentliches Interesse besteht, das die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begründen vermöchte, spielt es keine Rolle, welche Erfolgsaussicht die Klage gegen die Ausweisungsverfügung hat. Ein besonderes Vollzugsinteresse muss selbst dann bestehen, wenn die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bei summarischer Prüfung keinen Zweifeln unterliegt. Der Grad der Erfolgsaussicht ist erst für die Abwägung des Gewichts der gegenläufigen Interessen an einem Sofortvollzug auf der einen und dem Bestehen der aufschiebenden Wirkung auf der anderen Seite von Bedeutung (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 13.1.1998, InfAuslR 1998 S. 222, 224; Beschl. v. 25.10.2001, - 3 Bs 241/01 -). Vorrangig ist die Feststellung, dass überhaupt ein Vollzie-hungsinteresse besteht, das in die Abwägung eingestellt werden kann.
b) Das Vollziehungsinteresse muss nach den gegenwärtigen Umständen bestehen bzw. fortbestehen, wie sie hier nach der Verfügung der Staatsanwaltschaft betreffend das Absehen von Vollstreckung bei Abschiebung gemäß § 456 a StPO vom 5. März 2003 eingetreten sind. Ändern sich die für den Sofortvollzug maßgebenden Umstände, kann ein ursprünglich anzuerkennendes öffentliches Interesse seine Bedeutung verlieren mit der Folge, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Hinblick auf dieses Interesse nicht aufrechterhalten bleiben darf. Das Beschwerdegericht braucht deshalb nicht zu prüfen, ob ein öffentliches Interesse an der Vollziehungsanordnung ursprünglich im Hinblick darauf bestand, dass möglicherweise der Zeitpunkt nicht absehbar war, zu dem der Antragsteller nach Maßgabe der ausstehenden Verfügung gemäß § 456 a StPO frühestens abgeschoben werden durfte. Dieser Zeitpunkt steht nunmehr fest und bestimmt die Prüfung, ob (weiterhin) ein Vollziehungsinteresse besteht, wenn die Abschiebung nicht vor dem 8. Mai 2005 erfolgen kann.
c) Gründe der Spezialprävention rechtfertigen die Anordnung der sofortigen Vollziehung bei einer Fortdauer der Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zum 8. Mai 2005 nicht.
Die Gefahr weiterer Straftaten des ausgewiesenen Ausländers bildet einen tragfähigen Grund, die sofortige Vollziehung der Ausweisung im öffentlichen Interesse anzuordnen, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass sich diese Gefahr schon während des laufenden Hauptsacheverfahrens zu einem Zeitpunkt verwirklicht, in dem nach der gesetzlichen Regel des § 80 Abs. 1 VwGO noch die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage besteht (BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973, BVerfGE Bd. 35 S. 382, 404; Kammer-Beschl. v. 12.9.1995, InfAuslR 1995 S. 397, 401; Kammer-Beschl. v. 25.1.1996, AuAS 1996 S. 62). Erst das besondere öffentliche Interesse daran, einer solchen Gefahr wirksam zu begegnen, rechtfertigt es, den Rechtsschutzanspruch des Bürgers in der Ausprägung des Grundsatzes der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage ausnahmsweise zurückzustellen und die Ausweisung vor dem Abschluss der umfassenden gerichtlichen Prüfung im Klagverfahren zu vollziehen. Eine derartige Gefahrenlage besteht hier nicht. Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft und soll - frühestens am 8. Mai 2005 - aus der Strafhaft heraus abgeschoben werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird aber das Hauptsacheverfahren in erster Instanz aller Voraussicht nach abgeschlossen sein und die aufschiebende Wirkung der Kla-ge - im Fall der Klagabweisung - gemäß § 80 b Abs. 1 VwGO geendet haben. Der Schutz der Allgemeinheit vor erneuten Straftaten des Antragstellers erfordert den Sofortvollzug des-halb nicht.
Gemäß § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO endet die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Falle der Klagabweisung drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels, bei einer Klagabweisung ohne Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht also fünf Monate nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO). Die Ausweisung ist dann - vor Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils - kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 b Rdnr. 5). Es ist ganz überwiegend wahrscheinlich, dass diese Lage nicht später als im Frühjahr 2005 eintritt. Die Beteiligten dürfen erwarten, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die im März 2003 erhobene Klage gegen die Ausweisung nach eineinhalb Jahren und damit nicht später als im Herbst 2004 vorliegt. Das Klageverfahren wegen einer Ausweisung ist mit Rücksicht auf den mit dieser Maßnahme verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Ausländers mit möglichster Beschleunigung zu betreiben und abzuschließen (BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973, a.a.O., S. 404; Kammer-Beschl. v. 12.9.1995, a.a.O., S. 397, 401).
Das Risiko einer Verzögerung des erstinstanzlichen Klagverfahrens bildet keinen hinreichenden Grund dafür, die Anordnung der sofortigen Vollziehung "auf Vorrat" zu treffen. Die Antragsgegnerin kann den Fortgang des Klagverfahrens abwarten und auf eine Verzögerung, die ihr Handlungsziel einer Abschiebung aus der Strafhaft gefährdet, immer noch rechtzeitig mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung reagieren. Dies gilt zumal dann, wenn - wie hier - die Klage mehr als zwei Jahre vor dem frühestmöglichen Termin der Abschiebung erhoben worden ist. Tritt der Fall ein, dass die Abschiebung nach Maßgabe einer neuen Entschließung der Staatsanwaltschaft zu einem früheren Zeitpunkt als bisher vorgesehen durchgeführt werden darf, hat die Antragsgegnerin hinreichend Gelegenheit, darauf in gleicher Weise situationsbezogen zu antworten. Die bloße Erleichterung der Verwaltungstätigkeit begründet kein öffentliches Interesse daran, die Ausweisung von Beginn an mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu verbinden.
Die von der Antragsgegnerin herangezogene Rechtsprechung des Beschwerdegerichts zur Frage des Sofortvollzugs der Ausweisung im Hinblick auf Verfügungen der Staatsanwaltschaft nach § 456 a StPO ist für den vorliegenden Fall nicht aussagekräftig. Der zitierte Beschluss vom 18. November 1996 (OVG Bs V 186/96) äußert sich zu der Erwägung der Ausländerbehörde, mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung die Abschiebung unmittelbar aus der Haft gewährleisten zu wollen, wenn die Staatsanwaltschaft eine Verfügung nach § 456 a StPO erlasse, allein dahin, dass eine solche Begründung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genüge. In einer anderen Entscheidung (Beschl. v. 18.2.1997, - OVG Bs V 3/97 -) hat das Beschwerdegericht den Sofortvollzug im Hinblick auf Verfügungen der Staatsanwaltschaft bestätigt, die ein Absehen von weiterer Strafvollstreckung von einem nahen Zeitpunkt ab erklärten. Hier ist demgegenüber der Fall zu beurteilen, dass der Zeitpunkt, von dem ab von weiterer Strafvollstreckung abgesehen wird, so weit in der Zukunft liegt, dass die Ausweisung dann auch ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung voraussichtlich vollziehbar sein wird. Der beschließende Senat selbst hat die Tragweite der Erwägung, den Sofortvollzug im Hinblick auf das Absehen von weiterer Vollstreckung nach § 456 a StPO anzuordnen, zuletzt offen gelassen (Beschl. v. 25.10.2001, - 3 Bs 241/01 -).
d) Das Ziel der Generalprävention erfordert die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung bei einer bis mindestens Mai 2005 fortdauernden Strafhaft des Antragstellers gegenwärtig ebenso wenig, wie dies spezialpräventive Gründe tun. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt sein, wenn ohne diese Maßnahme die angestrebte abschreckende Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer entweder überhaupt nicht eintreten oder wesentlich geschwächt würde (OVG Hamburg, Beschl. v. 13.1.1998, InfAuslR 1998 S. 222, 223). Eine solche Lage besteht hier nicht. Die erstrebte abschreckende Wirkung einer zügigen Abschiebung des Antragstellers auf andere in Deutschland lebende Ausländer tritt ungeschmälert ein, wenn die Abschiebung aus der Haft zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen kann. Dieses Datum ist durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf den 8. Mai 2005 bestimmt. Bis dahin wird aber, wie im Vorstehenden ausgeführt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ohnehin beendet und die Ausweisung kraft Gesetzes sofort vollziehbar sein. Die generalpräventive Wirkung auf andere Ausländer wird danach in gleicher Weise auch ohne Vollziehungsanordnung erreicht.
e) Andere Ziele außerhalb von Spezial- und Generalprävention, die ein gegenwärtiges öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung des Antragstellers begründen könnten, sind weder von der Antragsgegnerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Die Wirkungen des § 8 Abs. 2 AuslG und die (vorläufige) Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers treten gemäß § 72 Abs. 2 AuslG trotz aufschiebender Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Ausweisung ein, so dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung insoweit entbehrlich ist.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung steht im vorliegenden Fall in keinem Zusammenhang mit der Gestaltung des Vollzugs der gegen den Antragsteller verhängten Freiheitsstrafe. Der Beschwerdesenat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob die Auffassung Zustimmung verdient, der Sofortvollzug könne auch dem Ziel dienen, zu verhindern, dass der ausgewiesene Ausländer trotz ernsthafter Gefahr erneuter Straftaten nach § 10 StVollzG in den offenen Vollzug verlegt werde (in diesem Sinne OVG Hamburg, Beschl. v. 18.11.1996 - OVG Bs V 186/96 -). Gemäß Nr. 1 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 10 StVollzG sind Gefangene, gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung besteht, vom offenen Vollzug ausgeschlossen; Ausnahmen bedürfen des Einvernehmens der zuständigen Ausländerbehörde. Hier bestehen gegenwärtig aber keine Anhaltspunkte dafür, dass für den Antragsteller eine Entscheidung über den offenen Vollzug ansteht.
Die zusammen mit der Ausweisung ausgesprochene Abschiebungsandrohung ist bei Bestehen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Ausweisung nicht gegenstandslos. Dass die Ausreisepflicht des Antragstellers dann erst mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung vollziehbar ist (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG), steht der Abschiebungsandrohung nach § 50 AuslG nicht entgegen. Auf die Wirksamkeit der gesetzten Ausreisefrist kommt es nicht an, weil die Antragsgegnerin für den hier gegebenen Fall, dass der Antrag-steller sich im Zeitpunkt des Ablaufs der Ausreisefrist oder im Zeitpunkt der vorgesehenen Abschiebung in Haft befindet, die Abschiebung gemäß §§ 50 Abs. 5, 49 Abs. 2 Satz 1 AuslG aus der Haft angedroht hat, für die es keiner Fristsetzung bedarf.
Schließlich vermag auch die Erwägung der Antragsgegnerin, der Antragsteller werde durch die frühzeitige Vollziehungsanordnung materiell nicht belastet, weil er ohnehin nicht vor Mai 2005 abgeschoben werden könne, ein öffentliches Interesse an dem Sofortvollzug nicht zu ersetzen. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Ausweisung ist nach § 80 Abs. 1 VwGO die Regel, die Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die Ausnahme. Eine Vollziehungsanordnung kann danach nicht mit der Begrün-dung aufrecht erhalten bleiben, von ihr gingen gegenwärtig keine nachteiligen Wirkungen für den Rechtsschutz des Betroffenen aus.
f) Das Beschwerdegericht stellt gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ausweisungsverfügung wieder her. Eine bloße Aufhebung der Vollziehungsanordnung entspricht beim Fehlen eines öffentlichen Interesses am Sofortvollzug nicht dem Gesetz. Sie ist die sachgerechte Entscheidung allenfalls für den Fall, dass (lediglich) ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO festgestellt wird. Dem steht der Fall nicht gleich, dass das erforderliche öffentliche Interesse gegenwärtig fehlt, aber bei veränderten Umständen durchaus (wieder) vorliegen kann. Für einen solchen Fall steht das Institut der Abänderung der Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO bereit.
3. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens begehrt. Das Ende der aufschiebenden Wirkung hat der Gesetzgeber in § 80 b Abs. 1 VwGO in anderer Weise bestimmt. Diese Bestimmung ist auch für den Fall der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage maßgebend, § 80 b Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über diesen Zeitpunkt hinaus kann (erst) im Berufungs(zulassungs)verfahren angeordnet werden, § 80 b Abs. 2 VwGO.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt in der Kostenquote das Maß des jeweiligen Unterliegens. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Der Streitwert ist nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 29.4.2002 - 3 So 69/01) in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dann nur mit einem Viertel des für die Hauptsache anzusetzenden Werts zu bemessen, wenn vorläufiger Rechtsschutz nach dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens allein noch für das Klagverfahren begehrt wird. So liegt es hier. Die Hauptsache (Anfechtung der Ausweisung) ist mit 4.000,-- Euro zu bewerten. Der Streitwert des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens beträgt dann 1.000,-- Euro.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.