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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2003
Aktenzeichen: 3 Bs 439/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6
AuslG § 55 Abs. 2
1. § 53 Abs. 6 AuslG erfasst auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, die zugleich politische Verfolgung darstellen.

2. Nicht jede erhebliche konkrete Gefahr für die Gesundheit des Ausländers macht dessen Abschiebung rechtlich unmöglich (§ 55 Abs. 2 AuslG) oder führt zu einer Ermessensreduzierung auf Null (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG). Das ist nur dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen oder Beeinträchtigungen seiner körperlichen oder psychischen Unversehrtheit ausgesetzt werden würde.


3 Bs 439/02

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Dr. Müller-Gindullis, Fligge und Korth am 2. April 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2002 geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Verfahren des ersten Rechtszuges und für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 4.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht verpflichtet, die Antragsteller - bis zum 30. April 2003 - zu dulden.

1) Der Beschwerde kann allerdings nicht gefolgt werden, soweit sie unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 17. August 1994, NVwZ-RR 1995 S. 419, geltend macht, der Antragsteller zu 1) behaupte, politisch verfolgt zu sein, und könne deshalb seine Abschiebung nur durch Stellung eines Asyl-antrags beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abwenden. Es ist schon zweifelhaft, ob der Behauptung des Antragstellers zu 1), er sei in seiner Heimat gefoltert worden, die schlüssige Darlegung politischer Verfolgung zu entnehmen ist. Folter erfüllt nicht bereits als solche den Tatbestand von Art. 16 a Abs. 1 GG. Ferner ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung eine Furcht des Antragstellers zu 1) vor erneuter Folter selbst bei Anlegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs wegen der Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland der Antragsteller seit 1999 offensichtlich nicht gerechtfertigt. Ein Asylantrag wäre daher, selbst wenn man das Vorbringen der Antragsteller als wahr unterstellt, ebenso ohne Erfolgsaussicht wie ein auf § 53 Abs. 1 AuslG gestütztes Gesuch um Abschiebungsschutz. Dies kann aber nicht bedeuten, dass es dem Antragsteller zu 1) verwehrt wäre, das Abschiebungshindernis "Krankheit", auch wenn diese auf politische Verfolgung zurückzuführen sein sollte, entweder nach § 53 Abs. 6 AuslG oder aber nach § 55 AuslG geltend zu machen. Schließlich hält der Senat an der erwähnten Entscheidung vom 17. August 1994 aber auch nicht mehr fest. § 53 AuslG erfasst nämlich auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, die zugleich politische Verfolgung darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.3.2000, BVerwGE Bd. 111 S. 77, 82 f.; BVerfG, Beschl. v. 21.6.2000, NVwZ 2000 S. 907, 909). Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Abschiebungsverbot des § 53 Abs. 1 AuslG auch Ausländer schützt, die an sich gemäß § 51 Abs. 3 AuslG trotz festgestellter politischer Verfolgung abgeschoben werden dür-fen. Entsprechendes gilt für § 53 Abs. 2 AuslG. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK betrifft sogar gerade und nur die Fälle, in denen die unmenschliche Behandlung - die häufig politische Verfolgung darstellen wird - vom Staat ausgeht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 331, 335). Im Unterschied zum Asylrecht fragt schließlich auch § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rück-sicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzu-rechnen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 324, 330).

2) Soweit die Beschwerde geltend macht, eine Abschiebung des Antragstellers zu 1) sei unbedenklich, weil seine - unterstell-te - posttraumatische Belastungsstörung in seinem Heimatland behandelt werden könne, genügen die Ausführungen der Antrags-gegnerin in ihrem Schriftsatz vom 9. Dezember 2002 (S. 5 f.) dem Begründungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es kann daher offen bleiben, ob in diesem besonderen Fall auch die am Schluss des genannten Schriftsatzes erfolgte Bezugnahme auf den im Verfahren 3 Bs 305/02 eingereichten Schriftsatz vom 4. Sep-tember 2002 den Anforderungen genügt hätte.

3) Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dabei unterstellt das Beschwerdegericht ebenso wie die Antragsgegnerin in dem Schriftsatz vom 4. Sep-tember 2002, dass der Antragsteller zu 1) an einer posttrauma-tischen Belastungsstörung leidet und dass er suizidgefährdet ist. In beiderlei Hinsicht bestehen nicht unerhebliche Zweifel.

Krankheit schützt einen Ausländer nur in Ausnahmefällen vor Abschiebung. Ein Abschiebungshindernis kann sich bei drohenden Beeinträchtigungen der Gesundheit insbesondere aus § 53 Abs. 6 und aus § 55 Abs. 2 AuslG ergeben. Eine erhebliche konkrete Gefahr für die Gesundheit hindert als solche entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (ebenso VGH Mannheim, Beschl. v. 7.5.2001, EZAR 045 Nr. 17) die Abschiebung noch nicht. Nur eine besonders schwere Gefahr hat diese Wirkung.

Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Abschiebung steht in diesem Fall im Ermessen der Ausländerbehörde (BVerwG, Urt. v. 8.12.1998, BVerwGE Bd. 108 S. 77, 81; Urt. v. 25.11.1997, BVerwGE Bd. 105 S. 383, 386; Urt. v. 8.4.1997, BVerwGE Bd. 104 S. 210, 214; Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 324, 331). Dieses Ermessen kann freilich im Einzelfall auf Null reduziert sein (BVerwG, Urt. v. 8.4.1997, BVerwGE Bd. 104 S. 210, 214; vgl. für das Duldungsermessen BVerwG, Urt. v. 2.9.1997, BVerwGE Bd. 105 S. 187, 192).

Diese Rechtslage besteht auch, soweit § 55 Abs. 2 AuslG einschlägig ist. Ob eine erhebliche konkrete Gefahr für die Gesundheit die Abschiebung rechtlich unmöglich macht, kann für das gesamte Ausländergesetz nur einheitlich beantwortet werden. Ist das Ermessen im Einzelfall nicht auf Null reduziert, so ist die Abschiebung nicht rechtlich unmöglich.

4) Die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt bei traumatisierten Personen grundsätzlich unter zwei Aspekten in Betracht. Einmal kann die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis im Sinne der genannten Vorschrift darstellen (BVerwG in ständ. Rspr.: Urt. v. 29.10.2002, EZAR 043 Nr. 56; Urt. v. 15.10.1999, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 24; Urt. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 -, Juris; Urt. v. 27.4.1998, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12 = NVwZ 1998 S. 973; Urt. v. 18.3.1998 - BVerwG 9 C 36.97 -, Juris; Urt. v. 25.11.1997, BVerwGE Bd. 105 S. 383, 387; Urt. v. 9.9.1997, InfAuslR 1998 S. 125; ferner OVG Hamburg, Urt. v. 12.1.2001 - 1 Bf 377/98.A). Dabei ist zu beachten, dass § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sperren kann. Das ist dann der Fall, wenn Personen, die an einer bestimmten Krankheit leiden, eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG bilden (BVerwG, Urt. v. 27.4.1998, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12 - AIDS -; BVerwG, Urt. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 -, Juris - Diabetes mellitus; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 29.4.2002 - 1 B 59/02, 1 PKH 10/02 - Juris; ebenso OVG Hamburg, Urt. v. 12.1.2001 - 1 Bf 377/98.A). Diese Voraussetzung ist zu bejahen, wenn in dem jeweiligen Land viele Menschen von einer bestimmten Krank-heit betroffen sind (BVerwG, Urt. v. 27.4.1998, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12). Für Traumatisierte aus einem Land, in dem ein Krieg bzw. Bürgerkrieg stattgefunden hat, könnte dies zu bejahen sein.

Zum anderen könnte ein Abschiebungshindernis nach der genannten Vorschrift anzunehmen sein, wenn ein Leben im Zielstaat, anders als das Leben in jedem anderen Staat der Erde, für den Abgeschobenen auf Grund seiner dort gemachten traumatischen Erfahrungen unerträglich wäre.

Sollte danach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hier überhaupt anwendbar sein, was allerdings für den Antragsteller zu 1) günstig wäre, da die Ausländerbehörde von einer Abschiebung in sein Heimatland (nicht jedoch in einen Drittstaat) danach auch dann absehen könnte, wenn dies verfassungsrechtlich nicht geboten wäre, so ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, auf der Durchführung der Abschiebung zu bestehen, rechtlich nicht zu beanstanden.

An die Darlegung der Ermessenserwägungen im Rahmen der Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Das gilt zumal dann, wenn wie hier ein den Aufenthalt beendender bestandskräftiger Bescheid existiert, in dem das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint wird, und wenn überdies der Ausländer, obwohl das möglich gewesen wäre, bis zu diesem Zeitpunkt keine der Abschiebung nach § 53 AuslG entgegenstehenden Gründe vorgetragen hat (§ 70 AuslG). Zu verlangen ist, dass die Behörde sich bei der Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht infolge eines Rechtsirrtums für gebunden hält, weil sie das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr zu Unrecht verneint, und dass sie keine sachfremden Erwägungen anstellt. Ist zweifelhaft, ob eine erhebliche konkrete Gefahr gegeben ist, so darf die Behörde vorsorglich Ermessen ausüben (vgl. für den entsprechenden Fall einer Ausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 7.12.1999, BVerwGE Bd. 110 S. 140, 144). Es reicht aus, wenn die Behörde ihre Gründe in einem laufenden gerichtlichen Verfahren darlegt; der Erlass eines gesonderten Bescheides zu dieser Frage ist nicht zwingend geboten.

Die Erwägung der Antragsgegnerin, die Krankheit des Antragstellers zu 1) könne auch in seinem Heimatland behandelt werden, erscheint sachgerecht. Es ist nicht ersichtlich, dass die ihm in Serbien/Montenegro gebotene medizinische Behandlung qualitativ schlechter wäre, als sie im Bundesgebiet ist. Selbst wenn sich dies aber so verhalten sollte, wäre dies kein Grund, die Abschiebung für unzulässig zu erklären, so lange dort ärztliche Bemühungen stattfinden, die den Namen Therapie verdienen. Ein Wechsel des Therapeuten ist zwar nach Auffassung von Herrn Dr. Hehn(Bescheinigung vom 2.8.2002) "einstweilen kontraindi-ziert", doch dürfte die Umstellung auf einen anderen Therapeu-ten nur zu vorübergehenden Problemen führen. Bei allen Nachtei-len einer erzwungenen Rückkehr in das Heimatland, die das Beschwerdegericht durchaus nicht verkennt, hat diese für den Antragsteller zu 1) doch jedenfalls auch den Vorteil, dass die notwendige Therapie in seiner Muttersprache (vgl. nervenärzt-liches Attest von Herrn Dr. Koester v. 25.9.2002) dort kein Problem ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass es Stimmen gibt, denen zufolge posttraumatische Belastungsstö-rungen meist im Herkunftsland die größten Heilungschancen haben (vgl. van Krieken, InfAuslR 2000 S. 518, 520; a.A. Marx, InfAuslR 2000 S. 357, 362). Die Schwierigkeiten, die mit dem Aufbau einer neuen Existenz verbunden sind, stehen, weil sie vorübergehender Natur sind, einer erfolgreichen Therapie auf Dauer nicht entgegen.

Soweit die Antragsteller ausführen, der Antragsteller zu 1) dürfe nicht dorthin gebracht werden, wo sich seine Peiniger befänden, ist dem entgegenzuhalten, dass die Antragsteller nicht gezwungen sind, sich gerade nach Novi Pazar zu begeben. Es ist nicht zu erkennen, dass seine posttraumatische Belastungsstörung es dem Antragsteller zu 1) unmöglich machen würde, sich überhaupt an irgendeinem beliebigen Ort in Serbien/Montenegro niederzulassen. Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass jeder wegen erlittener Folter traumatisierte Mensch nur außerhalb des Landes, in dem er misshandelt worden ist, in der Regel also außerhalb seines Heimatlandes, leben könnte. Hiervon kann nicht ausgegangen werden, vielmehr spricht viel dafür, dass die Notwendigkeit, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden, eine zusätzliche Belastung erzeugt. Das Beschwerdegericht ist davon überzeugt, dass es gerade in den Balkan-Staaten viele infolge der Ereignisse seit 1991 traumatisierte Menschen gibt, deren psychische Befindlichkeit sich durch das Verlassen ihrer Heimat nicht bessern würde. Der Antragsteller zu 1) ist zwar insofern in einer anderen Lage, als er durch die Ausreise nach Deutschland im Jahre 1999 vermutlich alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und es deshalb schwer haben wird, in seinem Heimatland wieder Fuß zu fassen. Weshalb ihm jedoch hinsichtlich seiner Traumatisierung nicht zugemutet werden dürfte, das Schicksal seiner in ihrer Heimat verbliebenen ebenfalls traumatisierten Landsleute zu teilen, leuchtet nicht ein. Im Übrigen sind die heutigen Verhältnisse nicht mit denen im Zeitpunkt der Traumatisierung zu vergleichen. Slobodan Milosevic ist gestürzt und steht wie andere "Peiniger" auch vor Gericht. Die Lage von Minderheiten, auch von Muslimen in Sandzah, hat sich gebessert. Erst Schritte auf dem Wege zu einer rechtsstaatlichen Demokratie sind gemacht.

5) Es ist nicht zu erkennen, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1) aus rechtlichen Gründen unmöglich wäre (§ 55 Abs. 2 AuslG). Dass nicht jede erhebliche konkrete Gefahr für die Gesundheit die Durchsetzung der Ausreisepflicht hindert, wurde bereits ausgeführt. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, wann Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Abschiebung eines Ausländers verbieten, wenn dies aus gesundheitlichen Gründen bedenklich erscheint. Das ist dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. schwersten Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt werden würde (BVerwG in ständ. Rspr., vgl. Urt. v. 8.12.1998, BVerwGE Bd. 108 S. 77, 80; Urt. v. 4.6.1996, InfAuslR 1996 S. 289, 290; Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 324, 328). Dem sind schwerste psychische Beeinträchtigungen gleichzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Grundsatz zwar im Hinblick auf die verfassungskonforme Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG formuliert. Für die Reichweite des Grundrechtsschutzes kann es aber keinen Unterschied machen, ob der gesundheitliche Schaden einer Bevölkerungsgruppe oder einem einzelnen droht. Der verfassungsrechtliche Schutz vor Abschiebung kann sich nicht deshalb erhöhen, weil der Ausländer nicht einer Bevöl-kerungsgruppe angehört, sondern ein Einzelschicksal zu erleiden hat. Im Übrigen liegt es hier zumindest nahe, die Kriegs- und Bürgerkriegstraumatisierten im Hinblick auf ihre Zahl als Bevölkerungsgruppe anzusehen.

Die dem Antragsteller zu 1) drohenden gesundheitlichen Gefahren erreichen nicht die danach für einen Abschiebungsschutz erforderliche Intensität. Sofern der Antragsteller zu 1) durch den Vorgang der Abschiebung retraumatisiert werden sollte, wird dies den Heilungsprozess verzögern, aber letztlich nicht in Frage stellen. Dabei unterstellt das Gericht schon, dass er infolge seiner Krankheit nicht in der Lage sein könnte, die Notwendigkeit der Rückkehr in sein Heimatland einzusehen und sich mit seiner Abschiebung abzufinden, und deshalb der Anwendung körperlichen Zwanges seitens der Vollzugsbeamten ausgesetzt sein könnte. Dies ist aber nicht zwangsläufig. Keinesfalls vermag das Beschwerdegericht die Auffassung zu teilen, dass die Abschiebung den Ausländer nicht kränker machen darf, auch wenn dies auf seinem eigenen - wenn auch vielleicht nicht vorwerfbaren - Verhalten beruht, und dass der Ausländer sich nicht darauf verweisen lassen muss, eine durch die Abschiebung herbeigeführte wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch eine therapeutische Behandlung im Zielstaat der Abschiebung beheben zu lassen (so VGH Mannheim, Beschl. v. 7.5.2001, EZAR 045 Nr. 17). Der verfassungsrechtliche Schutz der Gesundheit reicht, wie sich aus der oben zitierten Recht-sprechung ergibt, nicht so weit. Etwas anderes mag dann gelten, wenn durch die Abschiebung irreparable gesundheitliche Schäden entstehen. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich.

6) Soweit die Antragsteller einen Suizid des Antragstellers zu 1) befürchten, ist durch die Zusage der Antragsgegnerin, sich an die Dienstanweisung vom 11. Dezember 2001 zu halten, sicher gestellt, dass es dazu weder im Zusammenhang mit der Abschiebung noch nach Erreichen des Zielstaats kommen wird.

7) Eine vorübergehende Duldung nach § 55 Abs. 3 AuslG, z.B. um die eingeleitete Behandlung zu einem vernünftigen Zwischen-ergebnis oder gar zu einem gewissen vorläufigen Abschluss zu bringen, kommt hier nicht in Betracht.

8) Die Antragsteller zu 2) bis 4) können sich nicht auf ein von dem Schicksal des Antragstellers zu 1) unabhängiges Abschiebungshindernis berufen. Da dieser nach den vorstehenden Ausführungen abgeschoben werden darf, steht auch Art. 6 GG ihrer Abschiebung nicht entgegen.

9) Auch die Hilfsanträge können keinen Erfolg haben. Soweit die Antragsteller mit ihnen beantragen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie auf unbestimmte Zeit zu dulden, liegt schwerlich ein echter Hilfsantrag vor. Jedenfalls scheitert auch dieser Antrag aus den vorstehend dargelegten Gründen.

Die Antragsteller können auch nicht beanspruchen, dass die Antragsgegnerin mit der Abschiebung wartet, bis die australischen Behörden über ihren Einwanderungswunsch entschieden haben. Soweit dem nicht bereits § 55 Abs. 4 AuslG entgegen stehen sollte, ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ein ihr etwa durch § 55 Abs. 3 AuslG eingeräumtes Ermessen zu Gunsten der Antragsteller ausüben müsste. Die insoweit auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 10. Juli 2002 - 8 VG 2930/2002 - angestellten Erwägungen sind nicht zu beanstanden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Der Streitwert ist nicht in Höhe des Werts eines entsprechenden Klageverfahrens anzunehmen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2003 - 3 So 15/03). Wenn auch die Entscheidung im Klageverfahren durch die einstweilige Anordnung weitgehend vorweggenommen wird, so stellt ein Beschluss gemäß § 123 VwGO den Antragsteller doch nicht so wie ein Urteil. Das kommt darin zum Ausdruck, dass ein Beschluss bei Änderung der Sachlage geändert werden kann, ein Urteil dagegen nicht (vgl. hier die Tz 3 der angefochtenen Entscheidung).

Ende der Entscheidung

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