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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 03.01.2007
Aktenzeichen: 3 Bs 47/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 4 Satz 1
AufenthG § 60 a Abs. 2
1. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG findet auch auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer Anwendung.

2. Der vorübergehende weitere Aufenthalt des Ausländers ist nicht deshalb erforderlich im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, weil im Falle seiner Abschiebung Suizidgefahr besteht.

Die notwendigen Vorkehrungen wegen einer Suizidgefahr hat die Ausländerbehörde gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG oder durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung zu treffen. Regelmäßig ist es ausreichend, dass die gesamte Abschiebung unter ärztlicher Kontrolle bzw. Begleitung erfolgt und der Ausländer in seinem Heimatland in fachärztliche Obhut gelangt.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 47/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Jahnke und Albers am 3. Januar 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. Januar 2005 geändert.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage (9 K 4145/ 04) in Bezug auf die Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung anzuordnen, wird ebenfalls abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf EUR 2.500,-- festgesetzt.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt. Ihr wird Frau Rechtsanwältin S..... R zur Vertretung beigeordnet.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg.

I. Die Antragstellerin wurde am 1. November 1954 in Kumanovo geboren und ist mazedonische Staatsangehörige. Sie hat drei Kinder, davon leben zwei in Mazedonien. Sie reiste nach eigenen Angaben erstmals am 26. August 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der mit rechtskräftigem Bescheid vom 6. September 1991 abgelehnt wurde. Daraufhin wurde die Antragstellerin am 30. April 1993 abgeschoben. Am 14. Januar 1994 stellte sie einen Folgeantrag, der mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. November 1994 ebenfalls abgelehnt wurde. Nach eigenen Angaben reiste die Antragstellerin dann am 3. März 1999 erneut in das Bundesgebiet ein. Am 30. März 1999 stellte sie den zweiten Folgeantrag, der mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. April 1999 abgelehnt wurde.

Im Januar 2001 erlitt der Ehemann der Antragstellerin einen Schlaganfall. Seit Mai 2001 befand er sich deshalb in einem Pflegeheim in Hamburg-H....... Die Antragsgegnerin erteilte daraufhin der Antragstellerin am 27. Mai 2002 zum Zwecke der Pflege ihres Ehemannes eine bis zum 26. Mai 2003 befristete Aufenthaltsbefugnis. Am 3. Dezember 2002 verstarb der Ehemann der Antragstellerin. Am 22. Mai 2003 beantragte sie die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis und mit Schreiben vom 3. September 2003 hilfsweise die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 35 AuslG. Mit Bescheid vom 6. April 2004 lehnte die Antragsgegnerin die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis gemäß § 34 Abs. 2 AuslG und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 AuslG ab. Außerdem drohte sie der Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 15. Juli 2004 die Abschiebung nach Mazedonien an. Am 13. Mai 2004 erhob die Antragstellerin Widerspruch. Zur Begründung machte sie geltend, dass die Aufenthaltsbeendigung für sie eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde, denn sie sei durch den Tod ihres Ehemannes in eine unverschuldete Notlage geraten. Seit seinem Tod befinde sie sich in ärztlicher Behandlung bei Herrn Dr. M . Sie leide unter panischer Existenzangst, die eine akute Suizidgefahr begründe. In Mazedonien wäre sie zudem nicht in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Ihre dort lebenden beiden Kinder seien selbst kaum in der Lage, für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Mit Bescheid vom 29. Juni 2004 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück.

Am 8. Juli 2004 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, mit der sie weiterhin die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbefugnis und hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt. Zur Begründung hat sie ein ärztliches Attest des Herrn Dr. M , Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, vom 13. Mai 2004 vorgelegt. Am 16. Juli 2004 hat sie außerdem beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Mit Beschluss vom 19. Januar 2005 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin insoweit angeordnet, als mit ihr die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt worden ist. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss u.a., es sei nicht auszuschließen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG vorlägen, so dass die Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung zu treffen hätte. Davon sei bislang abgesehen worden, weil die Antragsgegnerin gemäß § 34 Abs. 2 AuslG (heute § 26 Abs. 2 AufenthG) angenommen habe, dass die begehrte Aufenthaltsbefugnis nicht verlängert werden dürfe. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe i.S. des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG könnten vorliegen, weil der Antragstellerin bei einer erzwungenen Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben drohten. Dies ergebe sich auf der Grundlage der beiden ärztlichen Atteste des Herrn Dr. M vom 3. März 2004 und 13. Mai 2004, die die Antragstellerin bzw. ihren hier lebenden Sohn beträfen. Danach könne sich eine erzwungene Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin möglicherweise zu einer lebensgefährlichen Situation verdichten. Gegenwärtig sei nicht ersichtlich, dass der Suizidgefahr oder zumindest einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin etwa durch eine Flugbegleitung begegnet werden könnte. Denn die Gefahr einer psychischen Dekompensation mit suizidalen Folgen könne sich bereits vor Beginn einer Abschiebung oder unmittelbar danach realisieren, wenn im Heimatland der Antragstellerin eine psychische Betreuung nicht gewährleistet sei. Ob es derartige Betreuungsmöglichkeiten gebe, sei nach derzeitigem Erkenntnisstand ungewiss. Es könne daher offen bleiben, ob die geschilderten Umstände darüber hinaus eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellten, so dass der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu erteilen wäre.

Am 8. Februar 2005 hat die Antragsgegnerin Beschwerde erhoben. Zur Begründung führt sie aus, § 25 Abs. 4 AufenthG sei weder anwendbar noch lägen dessen tatbestandlichen Voraussetzungen vor. Die Vorschrift sei in Fällen der vollziehbaren Ausreisepflicht bereits nicht anwendbar, weil insoweit § 25 Abs. 5 AufenthG als speziellere Bestimmung systematisch vorrangig sei. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AuenthG nicht vor, weil die vom Verwaltungsgericht herangezogenen ärztlichen Atteste weder hinreichend aktuell noch aussagekräftig seien, um die für die Antragstellerin angenommene Suizidgefahr glaubhaft zu machen. Das Verwaltungsgericht habe insoweit unberücksichtigt gelassen, dass der Suizidgefährdung, die von dem hier lebenden 19-jähri-gen Sohn der Antragstellerin für sich ebenfalls geltend gemacht werde, dadurch wirksam begegnet werden könne, dass Mutter und Kind gemeinsam in ihr Heimatland zurückkehrten. Davon abgesehen könne eine Suizidgefährdung nicht zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führen, sondern nur zu der Verpflichtung, Vorkehrungen zu treffen, dass es zu einem Suizid weder im Zusammenhang mit der Abschiebung noch unmittelbar nach Erreichen des Zielstaates kommen werde. Insoweit dürfte es gerichtsbekannt sein, dass von der zuständigen Behörde für Inneres die notwendigen Schutzvorkehrungen - wie ärztlich begleitete Rückführung oder Übergabe in staatliche bzw. ärztliche Obhut im Zielstaat - getroffen würden. Dies werde auch vorliegend, wie bereits im Falle des Sohnes der Antragstellerin, zugesichert.

II. Die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe ergibt, dass der angefochtene Beschluss mit der dort gegebenen Begründung keinen Bestand haben kann. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorliegen (siehe dazu nachfolgend unter 1. c) aa)). Infolgedessen ist nunmehr das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, über die Beschwerde in eigener Kompetenz zu entscheiden (siehe zu dieser Folge OVG Hamburg, Beschl. v. 9.12.2003 - 3 Bs 415/02). Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg. Denn die Klage der Antragstellerin wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben, da die ursprünglich erteilte Aufenthaltsbefugnis nicht verlängert werden kann und ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht besteht.

1. Das Verwaltungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf Verlängerung bzw. Neuerteilung der Aufenthaltsbefugnis grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, obwohl der bisherige Grund für die Erteilung - die Pflegebedürftigkeit ihres Ehemannes - fortgefallen ist. Die Aufenthaltsbefugnis darf zwar gemäß § 34 Abs. 2 AuslG (heute § 26 Abs. 2 AufenthG) nicht verlängert werden, wenn das Abschiebungshindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind, dies schließt aber nicht aus, dass sie verlängert bzw. neuerteilt werden darf, wenn ein anderer, neuer Grund hierfür besteht (Hailbronner, AuslR, § 26 AufenthG Rdnr. 8). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 25 Abs. 4 Satz 1, 8 Abs. 1 AufenthG scheidet hier jedoch aus.

a) Obgleich die Antragstellerin ihre Anträge auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung noch unter der Geltung des Ausländergesetzes gestellt und die Antragsgegnerin diese Anträge noch vor dem Außer-Kraft-Treten des Ausländergesetzes zum Ende des Jahres 2004 abgelehnt hat, ist die Frage, ob der Antragstellerin ein Anspruch - sei es gebunden oder nach Ermessen - zusteht, nach dem Aufenthaltsgesetz zu beurteilen. Insofern treten nach dem Rechtsgedanken des § 101 Abs. 2 AufenthG an die Stelle der bisher begehrten Aufenthaltsgenehmigungen (§ 5 Abs. 1 AuslG) die diesen nach Aufenthaltszweck und Sachverhalt entsprechenden Aufenthaltstitel i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (siehe dazu VGH Mannheim, Beschl. v. 9.2.2005, VBlBW 2006, 36).

b) Anders als die Antragsgegnerin meint, wird die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Antragstellerin infolge der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist (§§ 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, 72 Abs. 1 AuslG). Dass sich dies - wie in Ziff. 25.4.1.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz angenommen wird - bereits daraus ergeben soll, dass § 25 Abs. 5 und § 23 a AufenthG Spezialbestimmungen sind, die ausdrücklich von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern sprechen, überzeugt das Beschwerdegericht nicht. Denn gegen den abschließenden Charakter der Bestimmungen in § 23a und § 25 Abs. 5 AufenthG spricht entscheidend der ursprüngliche, im Gesetzgebungsverfahren nicht eindeutig revidierte gesetzgeberische Wille (BT-Drucks. 15/240 S. 79), mit § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für die Personen, deren Abschiebung bislang nach § 55 Abs. 3 AuslG ausgesetzt werden konnte, die Möglichkeit zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis zu schaffen (ebenso Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 59 ff.; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60 a Rdnr. 1; Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 25 AufenthG Rdnr. 29; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275 f.; a.A. Storr, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Zimmermann-Kreher, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 2005, § 25 AufenthG Rdnr. 15). Nach § 55 Abs. 3 AuslG konnte aber gerade auch Personen, die vollziehbar (und nicht bereits unanfechtbar) ausreisepflichtig waren, eine Duldung nach pflichtgemäßem Ermessen bereits dann erteilt werden, wenn die Notwendigkeit eines vorübergehenden weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet bestand (Hailbronner, a.a.O., § 55 AuslG Rdnr. 51). Davon abgesehen enthält § 25 Abs. 5 AufenthG keine dem § 55 Abs. 4 AuslG entsprechende Einschränkung ("nur").

c) Dem Verwaltungsgericht kann bei der Anwendung von § 25 Abs. 4 Satz 1 AuenthG nicht darin gefolgt werden, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die vorübergehende weitere Anwesenheit der Antragstellerin im Bundesgebiet erforderten.

aa) Insoweit kann offen bleiben, ob für die Annahme des Verwaltungsgerichts - für die Antragstellerin bestehe im Falle ihrer Abschiebung eine Suizidgefahr - überhaupt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Denn dringende persönliche Gründe des Ausländers, die ihre Ursache in einer aus den besonderen Belastungen der Abschiebung resultierenden Suizidgefahr finden, erfordern nicht seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet i.S. des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Die Antragsgegnerin hat insoweit lediglich darüber zu entscheiden, ob die Abschiebung aus persönlichen Gründen nicht, noch nicht oder auf diese Weise nicht durchgeführt werden kann. Gegebenenfalls hat sie durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG oder durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, Beschl. v. 26.2.1998, Inf-AuslR 1998, 241, 242; Beschl. v. 16.4.2002 - 2 BvR 553/02 -, juris). Eine vorübergehende weitere Anwesenheit des Ausländers ist in solchen Fällen bloß die tatsächliche Folge aus der Unmöglichkeit der Abschiebung. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist aber rechtlich nicht geboten, um den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die mit dem Vollzug einer Abschiebung verbunden sind, angemessen zu begegnen. Bei bestehender Suizidgefahr ist es vielmehr regelmäßig ausreichend, wenn sichergestellt ist, dass die gesamte Abschiebung unter ärztlicher Kontrolle bzw. Begleitung erfolgt und der Ausländer in seinem Heimatland in fachärztliche Obhut gelangt (OVG Hamburg, Beschl. v. 10.4.2003 - 3 Bs 455/02). Im Übrigen hätte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen allein Vorkehrungen für einen dem Schutz der Gesundheit angemessenen Vollzug der Abschiebung erforderlich sind, die überschießende Folge, dass die erlassene Abschiebungsandrohung gegenstandslos würde und aus ihr nicht mehr vollstreckt werden könnte.

bb) Der Antragstellerin steht ein Anspruch gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch nicht im Hinblick darauf zu, dass von ihr geltend gemacht wird, die wirtschaftliche Versorgungslage in Mazedonien sei für sie zu schwierig, um dort ihre Existenz sichern zu können. Dringende humanitäre Gründe i.S. dieser Vorschrift müssen sich aus konkret-individuellen Umständen des Einzelfalles ergeben (Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 66). Außerdem müssen sie einen Inlandsbezug aufweisen, denn die Unzumutbarkeit des Aufenthalts des Ausländers in seinem Heimatland erfordert nicht zwingend seine weitere Anwesenheit gerade im Bundesgebiet. Allgemein herrschende schwierige Lebensverhältnisse im Heimatland des Ausländers reichen deshalb für die Annahme eines dringenden humanitären Grundes i.S. des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht aus (Renner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 30). Sie finden vielmehr nur unter den Voraussetzungen der §§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 1 und 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Berücksichtigung.

2. Eine Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis - abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG, also aus anderen Gründen als denjenigen, die ursprünglich zur ihrer Erteilung geführt haben - verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Eine solche Situation setzt voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung wegen einer atypischen, für den Gesetzgeber nicht vorhersehbaren und nicht berücksichtigten Notlage schlechthin unvertretbar erscheint. Die Vorschrift dient dagegen nicht dazu, subsidiäre Aufenthaltsrechte zu schaffen, wenn die vorgebrachten Gründe an sich von anderen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und den dort normierten Voraussetzungen erfasst werden, den dortigen Anforderungen aber nicht genügen (OVG Hamburg, Beschl. v. 1.11.2006 - 3 Bs 126/05 -, juris; Hailbronner, a.a.O., § 25 AufenthG Rdnr. 85).

Beruft sich ein Ausländer auf die allgemein schwierige Lage in seinem Heimatland, der jedermann ausgesetzt ist, so handelt es sich von vornherein nicht um Umstände, die ihn auf Grund besonderer Umstände seines "Einzelfalles" treffen (VGH Mannheim, a.a.O., 37). Hinzu kommt, dass bei einer wirtschaftlich existenziellen Notlage im Heimatland des Ausländers die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von den Voraussetzungen des §§ 25 Abs. 3, 60 Abs. 7 AufenthG abhängt, so dass insoweit § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kein subsidiäres Aufenthaltsrecht schaffen kann.

Schließlich stellt das Verlassen des Bundesgebiets für die Antragstellerin nicht deshalb eine außergewöhnliche Härte dar, weil sie sich bereits seit August 1991 hier aufhält. Zum einen war ihr Aufenthalt im Bundesgebiet zweimal längere Zeit unterbrochen und ist er erst seit der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis im Mai 2002 rechtmäßig gewesen. Zum anderen konnte die Antragstellerin nach drei erfolglosen Asylanträgen nicht bereits deshalb darauf vertrauen, auf Dauer hier bleiben zu können, weil sie eine Aufenthaltsbefugnis zur Pflege ihres schwer kranken Ehemannes erhielt, der kurz darauf verstarb. Die Erteilung dieser Aufenthaltsgenehmigung sollte erkennbar keinen Daueraufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet ermöglichen. Die Rückkehr der Antragstellerin in ihr Heimatland ist auch deshalb zumutbar, weil dort bereits zwei ihrer Kinder leben.

3. Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin überdies keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 i.V. mit § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Antragsgegnerin ist insoweit bereits gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG daran gehindert, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, da das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 4. Mai 1999 (8 VG A 1046/99) verbindlich festgestellt hat, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (heute § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) nicht bestehen. Hinzu kommt, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote von der Antragstellerin bislang nicht substantiiert dargelegt worden sind.

4. Des weiteren kann der Antragstellerin auch gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Denn selbst wenn angenommen würde, dass die Abschiebung der Antragstellerin wegen einer bestehenden Suizidgefährdung unmöglich wäre, so könnte sie doch zusammen mit ihrem Sohn A freiwillig aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Das Beschwerdegericht kann auch dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Attest vom 7. März 2005 nicht entnehmen, dass eine selbstbestimmte gemeinsame Ausreise von Mutter und Sohn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer psychischen Dekompensation mit suizidalen Tendenzen hervorrufen würde.

5. Die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 AuslG i.V. mit § 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (zur Anwendbarkeit des Ausländergesetzes nach dieser Vorschrift vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 31.5.2006 - 3 Bs 452/04 -, juris) scheidet bereits deshalb aus, weil die Antragstellerin nach ihrer erneuten Einreise im März 1999 nicht seit acht Jahren eine Aufenthaltsbefugnis besitzt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

IV. Dem Prozesskostenhilfegesuch war gemäß §§ 114 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 1 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, zu entsprechen, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt hat und die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.

Ende der Entscheidung

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