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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 19.11.2003
Aktenzeichen: 3 Nc 23/03
Rechtsgebiete: VwGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 154 Abs. 2
GKG § 13 Abs. 1
GKG § 20 Abs. 3
Bei zulassungsbeschränkten Studiengängen, die nicht in das Verfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen einbezogen sind, bildet die erstrebte Zulassung zum Studium im jeweiligen Bewerbungssemester regelmäßig einen einheitlichen, die Zulassung innerhalb und außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl umfassenden Verfahrens- und Streitgegenstand (Modifizierung der Rechtsprechung des Senats).

Hat also der Studienbewerber gegen die Ablehnung seines Zulassungsantrags Widerspruch nicht erhoben, steht dem Erfolg eines neuen Zulassungsantrags, der allein auf die Vergabe eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl gerichtet ist, die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids auch dann entgegen, wenn das Vorhandensein "verschwiegener" Studienplätze mit dem ursprünglichen Zulassungsantrag noch nicht ausdrücklich geltend gemacht war.


3 Nc 23/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Pradel, Korth und Jahnke am 19. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller erstrebt die Zulassung zum Studium bei der Antragsgegnerin nach den Verhältnissen des Sommersemesters 2003.

Die Antragsgegnerin lehnte den Zulassungsantrag des Antragstellers zum Sommersemester 2003 mit Bescheid vom 17. Februar 2003 ab. Sie teilte darin mit, dem Antragsteller habe weder im Studiengang Sozialökonomie noch im Bachelor-Studiengang ein Studienplatz zugewiesen werden können. Der Bescheid enthielt eine Darstellung des Ergebnisses des Zulassungsverfahrens unter Angabe der Zulassungsgrenzen mit den Daten des jeweils letzten zugelassenen Bewerbers bei der Auswahl nach Note und Wartezeit. Die Zulassungsdaten des Antragstellers waren in einem angehängten Auswertungsbogen aufgeführt. Der Ablehnungsbescheid enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung. Ein Widerspruch wurde nicht eingelegt.

Mit Schreiben vom 1. April 2003 bewarb sich der Antragsteller bei der Antragsgegnerin um einen Studienplatz im Studiengang Sozialökonomie "außerhalb der durch Rechtsverordnung festgesetzten Aufnahmequote". Mit Antragschrift gleichen Datums an das Verwaltungsgericht Hamburg beantragte er, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig zum Studium im Sommersemester 2003 zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 12. Mai 2003 abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Antrag sei unzulässig, weil der Ablehnungsbescheid bestandskräftig geworden sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe auch nicht im Hinblick auf die erneute Bewerbung vom 1. April 2003. Dieser Antrag sei zum einen verspätet, weil die für Zulassungsanträge zum Sommersemester bestehende Frist des § 10 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung für die Zulassung zum Studium an der HWP - Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (v. 18.7.1988, HmbGVBl. S. 120 m.Änd., - HWPZVO -) bis zum 15. Januar des jeweiligen Jahres versäumt sei. Zum anderen kenne das Bewerbungsverfahren bei der Antragsgegnerin keine Bewerbungen "innerhalb" und "außerhalb" der festgesetzten Kapazität. Eine derartige Differenzierung sei dem Ablehnungsbescheid auch nicht zu entnehmen. Wenn ein Studienbewerber meine, die Antragsgegnerin habe bei der Studienplatzvergabe die ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten nicht ausgenutzt, müsse er gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch einlegen.

Der Antragsteller bringt mit der Beschwerde vor: Ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe deshalb, weil die Antragsgegnerin über die Bewerbung um einen Studienplatz außerhalb der festgesetzten Kapazität noch nicht entschieden habe. Das landesrechtliche Zulassungsverfahren betreffe allein die Vergabe der Plätze innerhalb der festgesetzten Höchstzahl. Plätze außerhalb der Höchstzahl gebe es nach der Logik dieser Verfahren nicht. Die Bewerbung um einen solchen Platz habe nur die Funktion, ein streitiges Rechtsverhältnis entstehen zu lassen, das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich sei. Auch für die Vergabeverfahren der ZVS gelte, dass die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Kapazitätsverfahrens nicht entfallen lasse.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, geben zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung keinen Anlass. Die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 17. Februar 2003 steht dem Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung entgegen.

Der von dem Antragsteller verfolgte Anspruch, ab Sommersemester 2003 zum Studium bei der Antragsgegnerin im Sozialökonomischen Studiengang zugelassen zu werden, rechtfertigt den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO weder im Hinblick auf die Sicherung eines solchen Anspruchs noch als Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein zwischen den Beteiligten streitiges Rechtsverhältnis. Der geltend gemachte Zulassungsanspruch kann im Hauptsacheverfahren wegen der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids nicht mehr verwirklicht werden. Der Ablehnungsbescheid betrifft den auf das Bewerbungssemester bezogenen Zulassungsanspruch des Antragstellers insgesamt, also hinsichtlich sämtlicher Anspruchsgründe. Die Versagung der Zulassung beschränkt sich nicht auf den Teil-Gegenstand der Verteilung einer feststehenden Zahl von Studienplätzen unter den Studienbewerbern, sondern umfasst den Ausspruch, dass für den Antragsteller ein Studienplatz im Bewerbungssemester nicht verfügbar ist. Mit der Bewerbung vom 1. April 2003 um einen Studienplatz "außerhalb der festgesetzten Kapazität" ist kein neuer Verfahrensgegenstand gegeben. Auch sie ist auf die Zulassung zum gewünschten Studium im Bewerbungssemester gerichtet. Die Antragsgegnerin darf diesen Antrag wegen der bestandskräftigen Ablehnung des vorangegangenen Zulassungsantrags ablehnen. Das Fehlen eines für den Antragsteller verfügbaren Studienplatzes steht zwischen den Beteiligten verbindlich fest. Für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist deshalb kein Raum.

Der Beschwerdesenat teilt die Ansicht nicht, dass die (erstrebte) Zulassung zum Studium innerhalb und außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl strukturell je eigene, getrennte Verfahrensgegenstände bzw. - im gerichtlichen Verfahren - Streitgegenstände betrifft (in diesem Sinne aber VGH Mannheim, Urt. v. 10.9.1986, KMK-HSchR 1987 S. 328; Beschl. v. 9.7.1990, NVwZ-RR 1990 S. 566; Beschl. v. 22.6.1993, KMK-HSchR/NF 11 C Nr. 7; Beschl. v. 31.1.2003, KMK-HSchR/NF 41 C Nr. 39; OVG Koblenz, Beschl. v. 16.8.1989 - 1 D 87/88; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht 2003, S. 148 f., Rdz. 312-314; kritisch Pastor, LKV 2002 S. 447, 449 f.).

Die normative Festsetzung der Zulassungszahl kann allerdings eine Zäsur bedeuten, die wegen einer daran anschließenden Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens zu getrennten Verfahrens- und Streitgegenständen führt. So ist, wie der Antragsteller zutreffend hervorhebt, für das im Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen (vom 24. Juni 1999, Gesetz zum Staatsvertrag v. 28.6.2000, HmbGVBl. S. 115) geregelte zentrale Vergabeverfahren anerkannt, dass der Ablehnungsbescheid der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) nicht mit der Begründung angefochten werden kann, die verfügbare Aufnahmekapazität in dem betreffenden Studiengang sei mit den festgesetzten Zulassungszahlen für die einzelnen Hochschulen in Wahrheit nicht ausgeschöpft (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 9.4.1975, BVerfGE Bd. 39 S. 276, 299-301). Folgerichtig steht die Bestandskraft des ZVS-Bescheids dem Antrag des abgelehnten Studienbewerbers an die einzelne Hochschule, ihn außerhalb der festgesetzten Kapazität zum Studium zuzulassen, nicht entgegen. Das ZVS-Verfahren ist ein reines Verteilungs- und Auswahlverfahren bezogen auf das Kontingent der zur Vergabe gemeldeten Studienplätze.

Für die dezentralen Zulassungsverfahren der einzelnen Hochschule betreffend die nicht in das Verfahren der Zentralstelle einbezogenen Studiengänge - um ein solches Verfahren handelt es sich im vorliegenden Fall - gilt diese strukturelle Beschränkung auf ein reines Vergabeverfahren nicht. Die Studienbewerber können in diesen Zulassungsverfahren auch die Kapazitätsrüge erheben. Anders als die ZVS im zentralen Vergabeverfahren sind die Hochschulen nicht schon aus Gründen der Zuständigkeit auf die bloße Auswahl der Studienbewerber für die vorgegebene Zahl von Studienplätzen beschränkt. Die jeweilige Hochschule und nicht die ZVS ist für den Verwaltungsrechtsstreit um die vollständige Nutzung der verfügbaren Aufnahmekapazität passiv legitimiert, in dessen Rahmen die Gültigkeit der normierten Zulassungszahl geprüft wird. Den Hochschulen ist es zudem trotz der Normqualität der Zulassungszahl nicht prinzipiell verwehrt, auch ohne gerichtliche Entscheidung zur Ungültigkeit der Höchstzahl-Verordnung bei erkannter ungenutzter Kapazität Studienbewerber über die Zulassungszahl hinaus zum Studium zuzulassen. Sie tragen für die erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität über die Vorlage des Kapazitätsberichts hinaus Verantwortung (§§ 4, 5 Abs. 2 und 3 KapVO). So hat die Antragsgegnerin hier zum Sommersemester 2003 über die Höchstzahlen für beide Studiengänge hinaus 41 Studienanfängerplätze vergeben.

Eine regelhafte Aufspaltung des dezentralen Zulassungsverfahrens in zwei getrennte Verfahren betreffend die Zulassung innerhalb oder außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl ist auch nicht aus anderen Gründen geboten:

Das hamburgische Zulassungsrecht enthält - im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern - kein spezielles Verfahrensrecht für Anträge auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl, das eine entsprechende Differenzierung normativ vorgeben könnte (zur abweichenden Rechtslage in Baden-Württemberg vgl. in diesem Zusammenhang VGH Mannheim, Beschl. v. 22.6.1993, a.a.O.). - Getrennte Verfahrensgegenstände sind auch nicht deshalb gegeben, weil über die Zulassung innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl nach anderen, nur auf die Auswahl bezogenen Kriterien entschieden wird als über die Zulassung wegen unausgeschöpfter Aufnahmekapazität, die eine zumeist umfangreiche Überprüfung der Kapazitätsermittlung erfordert und deshalb eines besonderen Anstoßes bedarf (so aber VGH Mannheim, a.a.O.). Die bezeichneten Prüfungsschritte sind, wenn sie für die Zulassungsentscheidung beide durchlaufen werden müssen, durch ein- und denselben materiellen Zulassungsanspruch ausgelöst und bilden zwei Abschnitte der vollständigen Prüfung des Zulassungsbegehrens. Der allgemeine Zulassungsantrag des Studienbewerbers geht in der Regel nicht schon auf die Zulassungsgrenze der verfügbaren Aufnahmekapazität ein. Anlass zur Kapazitätsrüge gibt erst die Versagung der Zulassung. Diese Rüge kann der Studienbewerber ohne Einschränkung noch im Widerspruchsverfahren erheben; ohne Widerspruch verliert er sie. Das hamburgische Landesrecht schließt den Widerspruch insoweit nicht aus, so dass auch die Erwägung nicht eingreift, dass vor einer gerichtlichen Prüfung zunächst die Hochschule mit der Behauptung mangelhafter Kapazitätsausschöpfung befasst worden sein müsse (VGH Mannheim, Urt. v. 10.9.1986, a.a.O.). Einen zwingenden Grund, die Kapazitätsprüfung in ein eigenständiges Verfahren zu verweisen, bilden deren Umfang und Komplexität allein nicht.

Der Zulassungsantrag bezeichnet demgegenüber der Sache nach einen einheitlichen, durch das Ziel der Studienplatzvergabe zum Bewerbungssemester bestimmten Verfahrensgegenstand. Weil der gewählte Studiengang zulassungsbeschränkt ist und eine Bewerberkonkurrenz besteht, ist im Regelfall vom Ziel her klar, dass der Studienbewerber die Zulassung unter Heranziehung sämtlicher Studienplätze beansprucht, die bei vollständiger Nutzung der Ausbildungskapazität tatsächlich verfügbar sind. Der Gegenstand dieses Begehrens verändert sich nicht dann, wenn der geltend gemachte Zulassungsanspruch allein noch mit einem Angriff auf die festgesetzte Zulassungszahl verwirklicht werden kann. Auch die Vergabe der ermittelten "Restkapazität" dient der Erfüllung ein- und desselben Zulassungsanspruchs. Dass insoweit unterschiedliche Auswahlkriterien zur Anwendung kommen können, stellt die Einheitlichkeit des Verfahrensgegenstandes nicht in Frage. Selbst für die Vergabe des Kontingents von Studienplätzen innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl kennt das Zulassungsrecht für einzelne Verfahrensabschnitte besondere Kriterien für die Bewerberauswahl (Vergabe von unbesetzt gebliebenen Studienplätzen durch Los nach Abschluss des Vergabeverfahrens, § 27 Abs. 1 Vergabeverordnung v. 13.10.2000, HmbGVBl. S. 300; § 17 Abs. 2 und 3 Universitäts-Zulassungsverordnung, HmbGVBl. S. 37; § 14 HWP-ZVO). - Der Zulassungsantrag kann allerdings im Einzelfall kraft ausdrücklicher Erklärung einen engeren Verfahrensgegenstand betreffen, sich etwa auf einzelne Zulassungsvoraussetzungen wie den fristgerechten Nachweis des Bestehens der Diplom-Vorprüfung für die Zulassung in das höhere Fachsemester beziehen, die mit der Kapazitätsfrage nichts zu tun haben. Dann kann es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Ausschöpfung der Restkapazität an dem erforderlichen vorprozessualen Streitverhältnis mit diesem Gegenstand fehlen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 5.3.1999, HmbJVBl 2000 S. 20, 22 = NordÖR 2000 S. 157, 158; die Formulierung in Leitsatz 2, dass ein Zulassungsanspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG wegen unausgeschöpfter Studienplatzkapazität regelmäßig nicht Teil des Zulassungsantrags sei, ist allerdings nach Maßgabe der vorliegend getroffenen Entscheidung einzuschränken). - Das Beschwerdegericht lässt offen, ob die Einheitlichkeit des Zulassungsanspruchs bedeutet - wie es das Verwaltungsgericht angenommen hat - , dass in den dezentralen Zulassungsverfahren für einen isolierten Zulassungsantrag "außerhalb der festgesetzten Kapazität" nach Ablauf der in den Zulassungsverordnungen bestimmten Antragsfrist (hier: § 10 Abs. 1 HWPZVO) auch verfahrensrechtlich kein Raum ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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