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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.07.2009
Aktenzeichen: 4 Bs 109/09
Rechtsgebiete: ARB 1/80
Vorschriften:
ARB 1/80 Art. 7 Satz 2 |
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel, Wiemann und Rigó am 14. Juli 2009 beschlossen:
Tenor:
I. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwalt W. zur Vertretung beigeordnet.
II. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. Mai 2009 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 458/09 gegen die Verfügung vom 18. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2009 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Den Antragstellern ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, und ihnen ist ihr Prozessbevollmächtigter zur Vertretung beizuordnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, §§ 121 Abs 1, 114 ZPO).
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Den Antragstellern - einer 1975 im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen (im Folgenden: Antragstellerin) und ihren 1996 und 2001 in der Türkei geborenen Kindern (Antragsteller zu 2) und 3) - ist einstweiliger Abschiebungsschutz für die Dauer des erstinstanzlichen Klageverfahrens zu gewähren. Mit der Klage 15 K 458/09 wenden sie sich gegen die Versagung der Ausstellung und Erteilung von Aufenthaltstiteln sowie gegen die Androhung der Abschiebung in die Türkei für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise.
Das Verwaltungsgericht hat das einstweilige Rechtsschutzbegehren im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt: Die Antragstellerin könne weder aus dem (nationalen) Ausländerrecht noch dem Europarecht einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ableiten. Die ihr 1995 für zwei Jahre erteilte Aufenthaltsgenehmigung sei schon durch Zeitablauf erloschen und könne nicht verlängert werden. Der Antragstellerin, die sich zwar als Minderjährige mehr als acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und hier fünf Jahre die Schule besucht habe, stehe auch kein Recht auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG zu. Notwendig hierfür seien ein mindestens sechsjähriger Schulbesuch und die Sicherung des Lebensunterhalts. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Antragstellerin könne ferner keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG beanspruchen. Ihre Ausreise sei weder aus rechtlichen noch tatsächlichen Gründen unmöglich. Soweit die Antragstellerin für den Fall der Rückkehr in die Türkei Straftaten wie Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung gegen ihre Person durch ihren Ehemann befürchte, werde dadurch ein Abschiebungshindernis nicht dargetan. Denn diese Taten seien auch nach türkischem Recht strafbar, und die Antragstellerin könne effektiven Schutz dagegen durch den türkischen Staat erreichen. Die Antragstellerin könne ein Aufenthaltsrecht auch nicht (mehr) aus Art. 7 ARB 1/80 herleiten. Ihren aufenthaltsrechtlichen Status nach dieser Norm habe sie verloren, weil sie das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen habe. Denn bei objektiver Betrachtung sei die Antragstellerin nach Beendigung ihrer Berufsausbildung im Sommer 1994 in die Türkei ausgereist, um dort zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der dadurch begründete Erlöschenstatbestand werde auch durch den Vortrag der Antragstellerin nicht in Frage gestellt, sie sei gegen ihren Willen zur Eheschließung gezwungen und anschließend von ihrem Ehemann zum Verbleib in der Türkei genötigt worden. Denn die Antragstellerin habe selbst nicht behauptet, unter Gewalteinwirkung oder sonstiger Ausschaltung des freien Willens in die Türkei verschleppt worden zu sein. Auch sei bei lebensnaher Würdigung nicht erkennbar, dass es der Antragstellerin objektiv nicht möglich gewesen sein sollte, nach der Eheschließung wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren und hier zu bleiben. Denn sie habe sich 1995 anlässlich des Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und erneut 1996 zur Beantragung der Einbürgerung in Hamburg aufgehalten. Auch bei "Überwachung" durch ihren Schwiegervater hätte sich die Antragstellerin, sofern sie in der Türkei von ihrem Ehemann in der geschilderten Weise drangsaliert worden sei, bei diesen Gelegenheiten unter den Schutz der deutschen Behörden und ihrer hier lebenden Familie begeben können. Für die Antragsteller zu 2) und 3), die allenfalls Rechte von ihrer Mutter, der Antragstellerin, ableiten könnten, komme dementsprechend ebenfalls vorläufiger Abschiebungsschutz nicht in Betracht.
Die Antragstellerin bringt mit ihrer Beschwerde dagegen u.a. vor, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts habe sie ihren assoziationsrechtlichen Aufenthaltsstatus nicht durch die erzwungene Eheschließung und den anschließenden, ebenfalls unfreiwilligen Aufenthalt in der Türkei verloren. Sie macht dazu der Sache nach geltend, von berechtigten Gründen, bei deren Vorliegen das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 trotz langjähriger Abwesenheit vom Bundesgebiet nicht erlösche, sei schon dann auszugehen, wenn eine psychisch bedingte Zwangslage, durch welche die freie Willensbetätigung einschränkt gewesen sei, Anlass für die Ausreise und den Verbleib in der Türkei gewesen sei. Eine solche Zwangslage habe in ihrem Fall u.a. wegen ihrer strengen Erziehung und ihrer tiefgehenden Prägung durch ihre Eltern vorgelegen. Deren Absicht, sie in der Türkei gegen ihren Willen zu verheiraten, habe sie sich seinerzeit ebenso wenig widersetzen können wie nach der Zwangsheirat der ständigen Überwachung und den Anweisungen ihres türkischen Ehemannes bzw. dessen Familie. Die Antragstellerin hat hierzu im Beschwerdeverfahren eine umfangreiche eidesstattliche Versicherung vom 26. Juni 2009 vorgelegt, in der sie neben den Einzelheiten der Ausreise und Eheschließung u.a. auch die Gründe schildert, aus denen sie sich 1995 und 1996 nach den Besuchsaufenthalten in Hamburg gezwungen sah, wieder in die Türkei zurückzukehren.
Mit diesem Vorbringen, dessen Einzelheiten gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter zu vertiefen und durch eine Beweisaufnahme festzustellen sein werden (vgl. dazu unten), hat die Antragstellerin eine die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragende Begründung - ihrer Abschiebung stünde ein assoziationsrechtlicher Aufenthaltsstatus nicht entgegen - ausreichend erschüttert. Denn es dürfte nicht anzunehmen sein, dass das seinerzeit von der Antragstellerin nach Art. 7 ARB 1/80 erworbene Aufenthaltsrecht (hier aufgrund der abgeschlossenen Ausbildung der Antragstellerin nach Satz 2 dieser Norm) im Falle des Verlassens des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum nur unter den vom Verwaltungsgericht angenommenen (engen) Voraussetzungen fortbesteht, dass eine türkische Staatsangehörige unter Gewalteinwirkung oder sonstiger physischer Ausschaltung des freien Willens in die Türkei verschleppt und dort (zwangs-)verheiratet worden ist und sie danach ebenfalls durch Zwang objektiv daran gehindert war, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren bzw. hier dauerhaft zu verbleiben. Vielmehr ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - "berechtigte Gründe", die nach dessen ständiger Rechtsprechung das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 auch bei längerer Abwesenheit unberührt lassen (vgl. dazu Urt. v. 16.3.2000 - C-329/97 -, Ergat, InfAuslR 2000, 217 ff.; Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 -, Cetinkaya, NVwZ 2005, 198 ff.; Urt. v. 7.7.2005 - C-373/03 -, Aydinli, DVBl. 2005, 1256 ff.; Urt. v. 16.2.2006 - C-502/04 -, Torun, NVwZ 2006, 556 ff.; Urt. v. 18.7.2007 - C-325/05 -, Derin, InfAuslR 2007, 326 ff.; Urt. v. 4.10.2007 - C-349/06 -, Polat, NVwZ 2008, 59 ff.), schon dann annehmen wird, wenn eine türkische Staatsangehörige in einer soziokulturell bedingten psychischen Zwangslage, welche die freie Willensbetätigung wesentlich beeinträchtigt, einen Aufnahmemitgliedstaat verlässt und nach einer - von ihren Eltern und denen ihres künftigen Ehemannes arrangierten - Zwangsheirat aus denselben Gründen zu einer dauerhaften Rückkehr in den Aufnahmemitgliedstaat über einen längeren Zeitraum nicht in der Lage ist. Den durch den vorliegenden Fall insoweit aufgeworfenen Fragen nach der Auslegung assoziationsrechtlicher Vorschriften, insbesondere in Bezug auf die Auslegung des Begriffs der "berechtigten Gründe" in der o.g. Rechtsprechung des EuGH, ist nicht im Eilverfahren nachzugehen. Das hat im Hauptsacheverfahren zu geschehen und hierzu könnte eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG in Betracht kommen.
Da nach den vorstehenden Ausführungen durch die Beschwerde eine tragende Begründung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel gezogen ist, ist das einstweilige Rechtsschutzbegehen der Antragstellerin vom Beschwerdegericht vollen Umfangs zu prüfen und darüber zu entscheiden. Danach dürfte Einiges dafür sprechen, dass die Klage 15 K 458/09 der Antragstellerin Erfolg haben wird und ihr schon aus diesem Grund in Bezug auf die Abschiebungsandrohung aufschiebende Wirkung beizumessen ist. Denn es besteht die gute Möglichkeit, dass das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nach Art. 7 ARB 1/80 trotz ihrer langen Abwesenheit vom Bundesgebiet nicht erloschen ist. Die Antragstellerin dürfte sich insoweit zu Recht sowohl gegen die Versagung der Ausstellung einer (lediglich deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis in den angefochtenen Bescheiden als auch gegen die Androhung der Abschiebung in die Türkei gewandt haben. Denn die letztgenannte (aufenthaltsbeendende) Maßnahme setzt nach § 58 Abs. 1 AufenthG das Bestehen einer Ausreisepflicht voraus, an der es nach § 50 Abs. 1 AufenthG fehlen würde, wenn das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei noch bestünde. Dazu im Einzelnen:
Das Verwaltungsgericht ist zunächst - wie auch die Antragsgegnerin selbst - zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erworben hat. Sie hat nach ihrer Geburt im Juli 1975 zunächst die ersten Lebensjahre bei ihren Eltern in Hamburg verbracht, die hier als Arbeitnehmer tätig waren. Sodann hat die Antragstellerin sechs Jahre in der Türkei gelebt, ist 1986 wieder zu ihren Eltern in das Bundesgebiet zurückgekehrt und hat nach erfolgreichem Schulbesuch 1994 eine Ausbildung als Friseurin abgeschlossen. Danach ist die Antragstellerin nach ihrer Darstellung im Sommer desselben Jahres von ihren Eltern gegen ihren Willen in die Türkei verbracht, dort zwangsverheiratet sowie anschließend vierzehn Jahre von ihrem Ehemann und ihren Schwiegereltern an einer dauerhaften Rückkehr in das Bundesgebiet gehindert worden. Soweit sich dieser Vortrag der Antragstellerin über eine die freie Willensbestätigung beeinträchtigende Zwangslage im Hauptsacheverfahren als im Wesentlichen zutreffend erweisen sollte, ist im Hauptsacheverfahren die Rechtsfrage zu entscheiden, ob in einer derartigen Fallgestaltung (Zwangsehe) das aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht nicht erlischt. Dafür spricht Einiges:
Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH kann der aus Art. 7 ARB 1/80 folgende aufenthaltsrechtliche Status nur in zwei Fällen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. Urt. v. 16.3.2000 - C-329/97 -, Ergat, InfAuslR 2000, 217 ff.; Urt. v. 11.11.2004 - C-467/02 -, Cetinkaya, NVwZ 2005, 198 ff.; Urt. v. 7.7.2005 - C-373/03 -, Aydinli, DVBl. 2005, 1256 ff.; Urt. v. 16.2.2006 - C-502/04 -, Torun, NVwZ 2006, 556 ff.; Urt. v. 18.7.2007 - C-325/05 -, Derin, InfAuslR 2007, 326 ff.; Urt. v. 4.10.2007 - C-349/06 -, Polat, NVwZ 2008, 59 ff.).
Nähere Ausführungen bzw. konkrete Maßstäbe zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum "ohne berechtigte Gründe" auszugehen ist, lassen sich der Rechtsprechung des EuGH bisher jedoch nicht entnehmen. Allerdings hat dieses Gericht zu diesem Begriff bereits in einer Entscheidung vom 17. April 1997 (C-351/95 - Kadiman - Rn. 48, NVwZ 1997, 1104) zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen der Beurteilung einer längeren Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat maßgebend auf die Freiwilligkeit abzustellen sei. Es sei zu prüfen, ob der auf längere Zeit angelegte Aufenthalt in der Türkei vom Willen des Betroffenen getragen war oder nicht. Auch wenn diese Entscheidung des EuGH zu der Frage ergangen ist, ob ein ununterbrochener dreijähriger gemeinsamer Wohnsitz als Voraussetzung für die Entstehung der Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 vorgelegen hat, dürften diese Ausführungen Rückschlüsse auf die Frage zulassen, unter welchen Voraussetzungen nach Auffassung des EuGH von einem Verlust eines nach dieser Vorschrift begründeten Aufenthaltsrechts durch Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum "ohne berechtigte Gründe" auszugehen ist (ebenso: OVG Lüneburg, Urteil 27.3.2008, InfAuslR 2009, 54; VGH, München, Beschl. v. 21.3.2006 - 24 ZB 06.233 -, juris).
Bei Berücksichtigung dieser Anhaltspunkte spricht Überwiegendes dafür, dass der EuGH schon dann "berechtigte Gründe" annehmen wird, die trotz längerer Abwesenheit die Aufrechterhaltung des aufenthaltrechtlichen Status nach Art. 7 ARB 1/80 rechtfertigen, wenn eine türkische Staatsangehörige in einer soziokulturell bedingten psychischen Zwangslage, welche die freie Willensbetätigung wesentlich beeinträchtigt, einen Aufnahmemitgliedstaat verlässt und nach einer - von ihren Eltern und denen ihres künftigen Ehemannes arrangierten - Zwangsheirat aus denselben Gründen zu einer dauerhaften Rückkehr in den Aufnahmemitgliedstaat (zunächst) nicht in der Lage ist. Dagegen ist nicht zu erwarten dass der EuGH im Falle einer mittels psychischem Druck durchgesetzten Zwangsehe die Aufrechterhaltung der Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 an die vom Verwaltungsgericht für zutreffend erachteten engen Voraussetzungen knüpft wird, wonach die türkische Frau unter Gewalteinwirkung oder sonstiger Ausschaltung des freien Willens in die Türkei verschleppt worden und es ihr danach objektiv unmöglich gewesen sein muss, wieder dauerhaft in das Bundesgebiet zurückzukehren. Soweit sich die aufgeworfene Frage im Hauptsacheverfahren nicht schon anhand der bisherigen Rechtsprechung des EuGH eindeutig beantworten lassen sollte, wäre insoweit gegebenenfalls eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG in Betracht zu ziehen.
Diese Rechtsfragen betreffend die Voraussetzungen für den Fortbestand eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 trotz längerer Abwesenheit rechtfertigen es jedenfalls, der Antragstellerin für das erstinstanzliche Klageverfahren vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Denn nach ihrer bisherigen Darstellung und insbesondere nach der umfangreichen Schilderung ihres Schicksals in der (im Beschwerdeverfahren eingereichten) eidesstattlichen Versicherung vom 26. Juni 2009 ist es gut möglich, dass sie in dem o.g. Sinn sowohl unfreiwillig in die Türkei ausgereist ist als auch gegen ihren Willen über Jahre daran gehindert worden ist, wieder dauerhaft in das Bundesgebiet zurückzukehren. Das gilt auch für die beiden Aufenthalte der Antragstellerin in Hamburg 1995 und 1996, die nach ihrer Darstellung unter Überwachung ihres Schwiegervaters stattfanden. Nach der insoweit nachvollziehbaren und detaillierten Darstellung befand sich die Antragstellerin, die damals kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes stand, in einer aus soziokulturellen, religiösen und psychischen Gründen bedingten Zwangslage, die einem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet entgegen stand und sie zur Rückkehr in die Türkei nötigte. Im Hauptsacheverfahren wird Gelegenheit sein, dem Vorbringen der Antragstellerin insoweit gegebenenfalls näher nachzugehen und hierzu Beweis zu erheben. Dabei käme neben ihrer Vernehmung als Partei u.a. auch eine Vernehmung ihrer Eltern sowie ihrer (zwei Jahre älteren) Schwester und ihres jüngeren Bruders in Betracht, die sich nach den Angaben der Antragstellerin im Bundesgebiet aufhalten. Diese Personen kennen die hier entscheidenden Lebensumstände der Antragstellerin aus eigenem Erleben und müssten u.a. Angaben zur Frage der Freiwilligkeit der Ausreise und dem erzwungenen Aufenthalt der Antragstellerin in der Türkei machen können. Jedenfalls spricht nach derzeitigem Erkenntnisstand Einiges dafür, dass die Schilderung der Antragstellerin sich im Kern als zutreffend erweisen wird und die langfristige Abwesenheit vom Bundesgebiet Folge einer (auf den genannten Gründen beruhenden) psychischen Zwangslage gewesen ist. Der Antragstellerin dürfte der begehrte vorläufige Rechtsschutz auch dann zu gewähren sein, wenn (im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme) von einem lediglich offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens auszugehen sein sollte. Denn bei der insoweit gebotenen Interessenabwägung überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an einem (vorläufigen) Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Von der Antragstellerin und ihren noch minderjährigen Kindern, den Antragstellern zu 2 und 3), geht keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Sie wohnen mietfrei bei den Eltern der Antragstellerin und erhalten lediglich die Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dagegen hätte die Antragstellerin mit schwerwiegenden Nachteilen zu rechnen, soweit sie sofort in die Türkei zurückkehren müsste und sich ihr Vortrag über die dort erlittenen Repressalien durch ihren Ehemann und dessen Familie als zutreffend erweisen sollte.
Ebenso sind die minderjährigen Kinder der Antragstellerin (wie diese selbst) zunächst für die Dauer des erstinstanzlichen Klageverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu verschonen. Sofern sich im Hauptsacheverfahren erweisen sollte, dass die Antragstellerin, die zwischenzeitlich bei dem Familiengericht die Scheidung von ihrem Ehemann und die Übertragung des alleinigen Sorgerechts beantragt hat, die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG verlangen kann, dürfte auch die - von der Rechtsstellung der Antragstellerin (als gegebenenfalls dann allein sorgeberechtigtem Elternteil) abgeleitete - Klage der Antragsteller zu 2) und 3) gegen die Androhung der Abschiebung und die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ohne Erfolgsaussicht sein. Die Antragsgegnerin dürfte die Abschiebung der Antragsteller zu 2) und 3) in die Türkei nicht ohne Begleitung ihrer Mutter, die Antragstellerin, betreiben, die nach den obigen Ausführungen mit einer für die Gewahrung vorläufigen Rechtsschutzes ausreichenden Wahrscheinlichkeit aufenthaltsberechtigt ist. Sollte sich dies als zutreffend erweisen, wird im Hauptsacheverfahren auch zu entscheiden sein, ob die Antragsgegnerin ihren minderjährigen Kindern, den Antragstellern zu 2) und 3) gegebenenfalls Aufenthaltserlaubnisse nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilen muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Ende der Entscheidung
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