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Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 09.05.2003
Aktenzeichen: 4 Bs 134/03
Rechtsgebiete: GSiG, VwGO


Vorschriften:

GSiG § 3 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 188 Satz 2
1. Die Leistungen der Grundsicherung umfassen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 Grundsicherungsgesetz (GSiG) die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung in dem Umfang, in dem die Kosten auch angemessen sind, ggf. also auch nur einen Teil der Kosten. Ein Verständnis der Vorschrift dahin, dass bei nicht angemessenen Unterkunftskosten keinerlei Leistungen für die Unterkunft gewährt werden, widerspricht dem gesetzgeberischen Grundgedanken der - lediglich bedarfsorientierten, aber nicht am sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsprinzip ausgerichteten - Grundsicherung.

2. Streitigkeiten nach dem GSiG sind nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Sie unterfallen dem - weit auszulegenden - Begriff der Sozialhilfe i.S. von § 188 Satz 1 VwGO.


HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

4 Bs 134/03

Beschluß vom 09. Mai 2003

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch den Richter Sinhuber, die Richterin Dr. Thies sowie den Richter Wiemann am 9. Mai 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. März 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Aus den von der Antragsgegnerin dargelegten Gründen, die allein Gegenstand der Prüfung im Beschwerdeverfahren sind (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO n.F.), ist die angefochtene Entscheidung weder abzuändern noch aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, der Antragstellerin für den Monat März 2003 ergänzende Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsgesetz - GSiG - v. 26.6.2001, BGBl. I S. 1310, 1335) zu gewähren. Dabei hat es die Kosten der von der alleinstehenden Antragstellerin bewohnten Mietwohnung (Bruttokaltmiete 456,83 Euro) als unangemessen hoch angesehen und insoweit nur in dem von ihm nach sozialhilferechtlichen Maßstäben für angemessen erachteten Umfang in Höhe von 349,80 Euro (zzgl. der tatsächlichen Heizungskosten von 74,14 Euro) berücksichtigt. Hierzu hat es ausgeführt: Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG umfasse die Grundsicherung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Es spreche alles dafür, dass danach bei unangemessen hohen Kosten jedenfalls die angemessenen Kosten zu übernehmen seien. Der Gesetzgeber des Grundsicherungsgesetzes habe davon abgesehen, die für die Sozialhilfe geltenden differenzierenden Regelungen des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO in das Grundsicherungsgesetz zu übernehmen. Er habe auch keine Einschränkung der Art vorgesehen, dass - entsprechend dem im Sozialhilferecht geltenden Bedarfsdeckungsprinzip - eine vollständige Bedarfsdeckung eintreten müsse. Wenn er dies gewollt hätte, hätte es angesichts der Zielsetzung des Gesetzes, eine lediglich "bedarfsorientierte" Grundsicherung zu leisten, nahe gelegen, dies auch zum Ausdruck zu bringen.

Die von der Antragsgegnerin hiergegen vorgebrachten Einwände können nicht durchgreifen:

Die Antragsgegnerin macht geltend, dass das Grundsicherungsgesetz nur die Möglichkeit eröffne, aber keineswegs dazu zwinge, vom Prinzip der Bedarfsdeckung abzuweichen und die Kosten der Unterkunft teilweise zu berücksichtigen. Dieser Einwand reicht nicht aus, um den Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts zu entkräften. Es scheint, als habe die Antragsgegnerin das Verwaltungsgericht missverstanden. Das Verwaltungsgericht hat nicht gemeint, dass das Gesetz die Übernahme von Teilkosten gebiete, sondern dass eine Teilkostenregelung mit der Zielsetzung des Gesetzes, eine lediglich "bedarfsorientierte" Grundsicherung zu leisten, in Einklang stehe. Die Antragsgegnerin hätte sich deshalb mit der weiteren Überlegung des Verwaltungsgerichts auseinander setzen müssen, dass der Gesetzgeber, wenn er bei den Kosten der Unterkunft dennoch das Prinzip der Kostendeckung hätte verfolgen wollen, dies wohl zum Ausdruck gebracht hätte. Auf dieses Argument ist die Antragsgegnerin nicht eingegangen.

Die Antragsgegnerin macht ferner geltend, dass die Übernahme der Kosten der Unterkunft gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG an zwei Voraussetzungen geknüpft sei, die hier nicht vorlägen. Die einerseits tatsächlichen Aufwendungen müssten andererseits angemessen sein. Dieser Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG kann nicht gefolgt werden. Sie entspricht allein der Systematik des § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO, wonach im Bereich der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz Leistungen für die Unterkunft nur gewährt werden, wenn die tatsächlichen Unterkunftskosten auch angemessen sind (st. Rspr. d. BVerwG, vgl. Urt. v. 21.1.1993, BVerwGE Bd. 92 S. 1 ff.; Urt. v. 30.5.1996, BVerwGE Bd. 101, S. 194 ff.). Dort ist der nach sozialhilferechtlichen Maßstäben notwendige Unterkunftsbedarf zu ermitteln und in voller Höhe zu decken. Übersteigen die Kosten der Unterkunft den danach nur anzuerkennenden Bedarf, sind sie unangemessen und können - von den Besonderheiten des § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3 RegelsatzVO abgesehen - auch nicht teilweise übernommen werden.

Das Grundsicherungsgesetz verfolgt hingegen andere Zwecke und ist auch anders konzipiert. Wie schon die Gesetzesbezeichnung zum Ausdruck bringt, will das Gesetz alte und auf Dauer erwerbsgeminderte Menschen aus dem Bundessozialhilfegesetz ausgliedern mit dem erklärten Ziel, diesen Personenkreis besser zu stellen als Sozialhilfeempfänger (vgl. Deibel, NWVBl. 2003 S. 44). Anders als die Sozialhilfe, die nur den nach den Besonderheiten des Einzelfalles (vgl. § 3 Abs. 1 BSHG) "notwendigen" Lebensunterhalt - diesen nach dem Bedarfsdeckungsprinzip allerdings in vollem Umfange - sicherstellt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG), sieht das Grundsicherungsgesetz als eigenständige soziale Leistung lediglich eine "bedarfsorientierte Grundsicherung" vor, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherstellen, eine "verschämte Altersarmut" verhindern (Zeitler, NDV 2002 S. 381) und im Regelfall die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Sozialhilfe vermeiden soll (BT-Drucksache 14/5146 S. 48). Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung lässt der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 eine beschränkt individuelle Bedarfsermittlung genügen (BT-Drucksache 14/5146 S. 49). Damit wird - anders als in der Sozialhilfe - keine Einzelfallgerechtigkeit, sondern nur eine Bedarfsorientierung verfolgt (vgl. Schoch, info also 2002 S. 157, 160 f.). Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern und Kindern bleiben weitestgehend unberücksichtigt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG). Die Leistungen werden mit Rücksicht darauf, dass der begünstigte Personenkreis auf Dauer nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft zum Erwerb des Lebensunterhalts einzusetzen (BT-Drucksache 14/5146 S. 49), in der Regel für längere Zeiträume bewilligt (vgl. § 6 GSiG) und teilweise in pauschalierter Form erbracht (vgl. § 3 Abs. 1 GSiG). Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft verzichtet der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG auf eine dem § 3 Abs. 1 RegelsatzVO vergleichbare Regelung, die nach angemessenen und unangemessenen Kosten der Unterkunft differenziert und entsprechend unterschiedliche Rechtsfolgen vorsieht, sondern er legt fest, dass die Grundsicherung ausnahmslos nur "die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung umfasst".

In diese Konzeption fügt sich die vom Verwaltungsgericht gefundene Auslegung, dass bei unangemessen hohen tatsächlichen Kosten der Unterkunft jedenfalls Kosten in angemessener Höhe zu übernehmen sind, widerspruchslos ein. Darauf deutet schon die Gesetzesbegründung hin (BT-Drucksache 14/5146 S. 49), in der es heißt:

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, allerdings nur, soweit sie angemessen sind".

Diese Formulierung kann nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO (vgl. Urt. v. 30.5.1996 a.a.O.) dahin verstanden werden, dass die Kosten der Unterkunft nur berücksichtigt werden sollen, "wenn" sie angemessen sind. Eine solche Lesart würde bei unangemessenen Kosten zur Folge haben, dass hierfür überhaupt keine Leistungen der Grundsicherung erbracht werden könnten. Denn dem Grundsicherungsgesetz fehlt eine dem § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO vergleichbare Bestimmung, wonach unangemessene Kosten so lange anzuerkennen sind, als sie nicht durch Umzug, Untervermietung oder auf andere zumutbare Weise gesenkt werden können (vgl. Deutscher Verein, NDV 2002 S. 341 f.; Münder, NJW 2002 S. 3661, 3664; Schoch, a.a.O. S. 162; Zeitler, a.a.O. S. 424; a.A. Deibel, a.a.O. S. 47). Diese Konsequenz eines "Alles oder Nichts" würde der Absicht des Gesetzes zuwider laufen, nicht an einen im strengen Sinne konkret-individuellen Bedarf anzuknüpfen, sondern eine bedarfsorientierte Grundsicherung anzubieten, die möglichst unbürokratisch abgewickelt werden soll (BT-Drucksache 14/5146 S. 49). Die Tatsache, dass bei dieser Auslegung ein Teil der Kosten der Unterkunft ungedeckt bleibt, steht ihr nicht entgegen. Einen ungedeckten Bedarfsrest darf es nur dort nicht geben, wo - wie im Sozialhilferecht - das Bedarfsdeckungsprinzip gilt. Das Grundsicherungsgesetz lässt aber, wie oben aufgezeigt, einen gelockerten Zusammenhang zwischen dem individuellen Bedarf und der zu erbringenden Leistung genügen und damit eben auch eine nur teilweise Bedarfsdeckung zu. Hätte der Gesetzgeber bei den Aufwendungen für die Unterkunft etwas anderes gewollt, hätte es nahe gelegen, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, dies dann auch zum Ausdruck zu bringen.

Der Antragsgegnerin kann ferner nicht darin gefolgt werden, dass es bei einer teilweisen Bedarfsdeckung auf abstrakt angemessene Kosten ankäme, von denen "in der gesamten Vorschrift" nicht die Rede sei. Die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG macht durch ihren zweiten Halbsatz, der die Übernahme von Kosten der Unterkunft bei stationärer Unterbringung regelt, vielmehr das Gegenteil deutlich. Danach sind bei stationärer Unterbringung als Kosten für Unterkunft und Heizung Beträge in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im Bereich der nach § 4 GSiG zuständigen Behörde zu Grunde zu legen. Auch in diesem Fall werden im Rahmen der Grundsicherung also nicht die tatsächlichen Aufwendungen, sondern im Wege einer fiktiven Berechnung ermittelte (BT-Drucksache 14/5146 S. 49), abstrakt angemessene Kosten übernommen.

Eine teilweise Übernahme von Kosten der Unterkunft läuft auch nicht, wie die Antragsgegnerin meint, der Intention des Gesetzes zuwider, eine Regelung "für einfache und unkomplizierte Fälle" zu schaffen und "alles, was bereits vom Sachverhalt schwieriger ist", der Leistung von Sozialhilfe zu überlassen. Es erscheint schon fraglich, ob sich für den Gesichtspunkt einer in diesem Sinne verstandenen "Verwaltungsvereinfachung" im Gesetz und seiner Begründung überhaupt genügend Anhaltspunkte finden ließen. Jedenfalls macht die bei einer Übernahme von Teilkosten anzustellende Ermittlung ihrer Angemessenheit den Sachverhalt nicht in der von der Antragsgegnerin befürchteten Weise schwieriger oder komplizierter. Denn der Leistungsträger müsste auch bei dem von der Antragsgegnerin vertretenen Standpunkt eines "Alles oder Nichts" eine Angemessenheitsgrenze finden und entscheiden, ob die Kosten für Unterkunft und Heizung danach angemessen sind.

Darüber, ob das Verwaltungsgericht den Betrag der von ihm für angemessen erachteten Kosten der Unterkunft zutreffend ermittelt hat, hat das Beschwerdegericht nicht zu entscheiden. Die Antragstellerin hat kein Rechtsmittel eingelegt. Die Antragsgegnerin hat mit der Beschwerde die Berechnung nicht in einer § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise beanstandet und das Beschwerdegericht prüft nur die solchermaßen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten sind nach § 188 Satz 2 VwGO nicht zu erheben. Die Grundsicherung stellt im Sinne dieser Vorschrift ein Gebiet der Sozialhilfe dar. Dieser Begriff ist in einem umfassenden Sinne zu verstehen und erfasst alle zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit gehörenden Sachgebiete, die Fürsorgemaßnahmen i.w.S. zum Gegenstand haben und nicht schon unter einen der übrigen in § 188 Satz 1 VwGO ausdrücklich genannten Bereich fallen (OVG Hamburg, Urt. v. 10.9.1982, NJW 1983 S. 1748 f.; Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 13. Aufl., § 188 Rdnr. 2 m.w.N.). Die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz sind als Ausdruck staatlicher Fürsorge anzusehen.



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