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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.09.2002
Aktenzeichen: 4 Bs 238/02
Rechtsgebiete: GG, StAG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16 Abs. 1
StAG § 4 Abs. 1
AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 3
Verliert das von einer Ausländerin während der Ehe mit einem Deutschen geborene Kind die deutsche Staatsbürgerschaft, weil der Ehemann die Ehelichkeit des Kindes erfolgreich angefochten hat und deshalb dessen auf § 4 Abs. 1 StAG gestützter Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (rückwirkend) entfällt, liegt darin nicht die - unzulässige - Entziehung oder der Verlust der Staatsbürgerschaft durch eine staatliche Maßnahme im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG. Die Mutter kann deshalb insoweit nicht (mehr) die Aufenthaltserlaubnis als ausländische Familienangehörige eines Deutschen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG beanspruchen.
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

4 Bs 238/02

4. Senat

Beschluß vom 20. September 2002

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Sinhuber und Wiemann sowie die Richterin Haase am 20. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 1. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Streitwert von 2.000,-- Euro.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Aus den von der Antragstellerin - einer 1968 geborenen albanischen Staatsangehörigen, die von August 1997 bis Januar 2000 mit einem Deutschen verheiratet war und die wegen dieser Ehe eine bis 12. November 2000 gültige Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte - dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987], ist die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts weder abzuändern noch aufzuheben. Damit hat es den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die Dauer des Klageverfahrens 8 VG 2553/2001 abgelehnt, in dem die Antragstellerin u.a. die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung erstreiten will, ihr am 15. Juni 1998 geborener Sohn sei deutscher Staatsangehöriger, sie lebe mit ihm in familiärer Gemeinschaft und erfülle insoweit die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG. Dem ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt: Nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 17. November 1999 stehe fest, dass der Sohn der Antragstellerin nicht von ihrem geschiedenen (deutschen) Ehemann abstamme. Damit entfalle auch der auf § 4 Abs. 1 StAG gestützte Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Dies sei eine gesetzliche Folge der Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes der Antragstellerin und stelle weder eine - Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG widersprechende - Entziehung oder einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit dar.

2. Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist aus den Gründen der Beschwerde weder aufzuheben noch abzuändern. Der Antragstellerin kann der begehrte einstweilige Rechtsschutz gegen die angefochtenen ausländerrechtlichen Verfügungen nicht gewährt werden.

a. Insbesondere teilt das Beschwerdegericht nicht die von Antragstellerin zur Begründung ihres Begehrens auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorrangig dargelegte Rechtsansicht, ihr Sohn sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nach der vom Amtsgericht Hamburg getroffenen rechtskräftigen Feststellung, dass er nicht von ihrem geschiedenen (deutschen) Ehemann abstamme, gleichwohl (weiter) als deutscher Staatsangehöriger anzusehen. Die von der Antragstellerin für diese Auffassung angeführten Gründe - ein Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit ihres Sohnes als Folge der (erfolgreichen) Vaterschaftsanfechtung verstoße gegen Art. 16 Abs. 1 GG - sind von ihrem Prozessbevollmächtigten schon in dem die Einziehung des Kinderausweises des Sohnes betr. verwaltungsgerichtlichen Verfahren 17 VG 4877/2000 = 3 Bs 64/01 vorgetragen worden. Weder das Verwaltungsgericht (Beschl. v. 25.1.2001) noch das Oberverwaltungsgericht (Beschl. v. 6.3.2001) hat diese verfassungsrechtlichen Bedenken geteilt. Insoweit hat der für Staatsangehörigkeitsstreitigkeiten zuständige 3. Senat des Beschwerdegerichts in dem genannten Beschluss, mit dem er den Zulassungsantrag zurückgewiesen hat, unter Bezugnahme auf eine vorangegangene Entscheidung (Beschl. v. 8.9.1999, - 3 Bs 327/99) u.a. ausgeführt, aufgrund der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung stehe mit Wirkung für und gegen alle (§ 640h ZPO) fest, dass der Sohn der Antragstellerin - dort Antragsteller - nicht vom früheren deutschen Ehemann seiner Mutter - der Antragstellerin dieses Verfahrens - abstamme, dieser also nicht sein Vater sei. Eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 16 GG liege hierin nicht. Das Staatsangehörigkeitsrecht überantworte die Frage nach den Eltern des Kindes dem maßgeblichen (Art. 19 f. EGBGB) Zivilrecht. Das bedeute, dass die Abstammung des Kindes von einem bestimmten Vater im Zeitpunkt seiner Geburt nicht definitiv feststehe, sondern die Geltung des § 1592 Nr. 1 BGB (Vater des Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist) das Ausbleiben einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft voraussetze, andererseits aber auch eine Vaterschaft nach der Geburt durch Anerkennung oder gerichtliche Feststellung (§ 1592 Nr. 2 und 3 BGB) begründet werden könne.

Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsansicht des 3. Senats, die dieser in weiteren Entscheidungen (Beschl. v. 28.6.2001 - 3 Bs 15/01 - u. v. 28.8.2001, InfAuslR 2002 S. 81, dort zum Widerruf einer Einbürgerung) ergänzt und vertieft hat. In Bezug auf das Beschwerdevorbringen und die insoweit wiederholten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den - nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung eingetretenen - Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit ist lediglich ergänzend zu bemerken:

Bei dem vorliegenden Sachverhalt, in dem die bestehende gesetzliche Vaterschaftsvermutung durch eine Anfechtung der Ehelichkeit des während der Ehe mit einem Deutschen geborenen Kindes einer ausländischen Mutter mit Wirkung von Anfang an beseitigt wird, wird dem Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch staatliche Maßnahmen, die an Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG zu messen wären, entzogen bzw. tritt der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht durch einen ebensolchen Akt ein. Vielmehr ist in dieser - auch hier vorliegenden - Fallkonstellation der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit die gesetzliche Folge eines Rechtsbehelfs (Anfechtung), den ein Dritter, nämlich der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratete (Schein-)Vater zur Beseitigung der gesetzlichen Abstammungsvermutung (erfolgreich) ergriffen hat. Das von der Antragstellerin reklamierte Grundrecht richtet sich aber nicht gegen Handlungen privater Personen und dadurch eintretende (mittelbare) Rechtsfolgen, sondern gegen den Staat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.6.2001, a.a.O.).

Zudem schützen die beiden Tatbestände des Art. 16 Abs. 1 GG nach ihrem erkennbaren Sinn und Zweck nicht einen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, der ausschließlich auf einem - wegen § 1592 Nr. 1 BGB zunächst rechtlich unbeachtlichen - Irrtum über die wahren Abstammungsverhältnisse eines Kindes einer ausländischen Mutter beruht. Die - mit der erfolgreichen Anfechtung der Ehelichkeit bzw. Abstammung verbundene - Feststellung des Nichterwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit lässt sich insoweit weder mit einer Entziehung noch mit einem sonstigen Verlust vergleichen, zumal da diese beiden Tatbestände in der Regel ex nunc wirken werden, also den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit in der Vergangenheit nicht in Frage stellen. Ebenso so wenig, wie es etwa Zweck des Art. 16 Abs. 1 GG ist, rechtswidrige Einbürgerungen mit einem verfassungsrechtlichen Bestandsschutz auszustatten (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.8.2001, a.a.O.; siehe auch VGH München, Urt. v. 17.6.2002 - 5 B 01.1385 - , Juris), ist es vorstellbar, dass die Verfassung den Erwerb eines Rechts schützen will, der im Widerspruch zu den biologischen Gegebenheiten steht und einen (Abstammungs-)Sachverhalt vortäuscht, der mit der Realität nicht übereinstimmt (OVG Hamburg, Beschl. v. 28.6.2001, a.a.O.). Insoweit ist von Art. 16 Abs. 1 GG der durch Geburt vermittelte Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit (nur) soweit und solange erfasst, als die hierfür von § 4 Abs. 1 StAG geforderten Voraussetzungen vorliegen und insbesondere nicht durch eine erfolgreiche Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes nachträglich entfallen, d.h. feststeht, dass - wie hier - kein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hat.

b. Die Beschwerde kann auch keinen Erfolg haben, soweit sich die Antragstellerin unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG auch gegen die Androhung der Abschiebung nach Albanien wendet und insoweit vorträgt, sie müsse sich um ihren zwischenzeitlich vier Jahre alten Sohn sorgen, der bei einer Abschiebung sein vertrautes Umfeld aufgeben müsse und dem ihr Heimatstaat fremd und ablehnend erscheinen werde. Die Abschiebung des Sohnes der Antragstellerin ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, nachdem die Antragsgegnerin die entsprechenden Verfügungen (Bescheid vom 3.4.2001 und Widerspruchsbescheid vom 15.6.2001) auf Anregung des Verwaltungsgerichts aufgehoben hat. Soweit dessen Ausreisepflicht noch nicht vollziehbar ist - und der Antragstellerin insoweit ggf. ein Duldungsgrund nach § 55 Abs. 1 und 2 AuslG zustehen könnte - , wird dadurch die Rechtmäßigkeit der gegen sie erlassenen Abschiebungsandrohung nicht berührt (§ 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Insoweit folgt aus Art. 6 GG kein Grund dafür, dem Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diese Maßnahme zu entsprechen.

c. Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerde ausdrücklich (auch) beantragt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, kann dieses Begehren zum einen deshalb keinen Erfolg haben, weil die damit erstrebte Vorwegnahme der Entscheidung im Klageverfahren 8 VG 2553/2001 im hier anhängigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus ergibt sich aus den Ausführungen unter 2.a., dass der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung als ausländischer Familienangehöriger eines deutschen Kindes nicht zustehen dürfte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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