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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.08.2003
Aktenzeichen: 4 Bs 278/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 91
VwGO § 146 Abs. 4
Im Hinblick auf die Einschränkungen des Beschwerdeverfahrens in Eilsachen nach § 146 Abs. 4 VwGO durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) ist eine Änderung des Streitgegenstandes entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren jedenfalls dann nicht zulässig, wenn das Beschwerdevorbringen betr. den Streitge-genstand, über den das Verwaltungsgericht entschieden hat, keinen Erfolg hat bzw. nicht zu einer umfassenden eigenen Sachprüfung durch das Beschwerdegericht führt (im Anschluss an Beschl. d. Senats vom 2.10.2002, NordÖR 2003 S. 241).
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

4 Bs 278/03

Beschluß vom 22. August 2003

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Sinhuber, Wiemann sowie die Richterin Haase am 22. August 2003

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Streitwert von 1.000,-- Euro.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987]), ist die angefochtene Entscheidung weder abzuändern noch aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers - eines 1975 im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen - abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage 3 VG 1783/2003 gegen die Ausweisungsverfügung vom 6. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 2003 wiederherstellen bzw. anzuordnen, soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller in diesen Bescheiden für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei angedroht hat. Hinsichtlich der letztgenannten Maßnahme, die nach der Begründung des Rechtsmittels allein Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller sei nach der - wie zuvor dargelegt - nicht zu beanstandenden Ausweisung gemäß § 42 Abs. 2 AuslG vollziehbar ausreisepflichtig und seine Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 AuslG erloschen. Nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bedürfe die Abschiebung im - hier vorliegenden - Fall einer Ist-Ausweisung der Überwachung.

1. Der Antragsteller legt mit der Beschwerde keine Gründe dar, die die Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die Abschiebungsandrohung durch das Verwaltungsgericht in Zweifel ziehen bzw. die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme begründen könnten. Insbesondere wird mit dem Rechtsmittel nicht in Frage gestellt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommenen gesetzlichen Voraussetzungen für die Androhung der Abschiebung, die die Antragsgegnerin hier zu Recht zugleich mit der Ausweisung verfügt hat (§ 50 Abs. 1 Satz 2 AuslG), vorliegen.

Soweit der Antragsteller geltend macht, er beabsichtige alsbald eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten und er müsse zur Vermeidung gesundheitlicher Spätfolgen vor einer Abschiebung in die Türkei, in der er "keinerlei faktischen und finanziellen Zugang zu medizinischer Behandlung" habe (Beschwerdebegründung Seite 2), im Bundesgebiet sein rechtes Kniegelenk operieren lassen, wird die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung durch dieses Vorbringen nicht berührt. Das wäre selbst für den Fall anzunehmen, dass dem Vortrag des Antragstellers tatsächlich Gründe entnommen werden könnten, die derzeit dem Vollzug der Abschiebung in die Türkei entgegenstünden und die insoweit ggf. einen Anspruch auf zeitweise Aussetzung der Abschiebung (§ 55 Abs. 1 AuslG) begründen könnten. Denn nach § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG steht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen - hier der Sache nach geltend gemachte Gesundheitsgefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - und Duldungsgründen - hier die vom Antragsteller wegen der bevorstehenden Heirat vorgebrachte rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG) - dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Auch wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen feststellt, bleibt nach Satz 3 dieser Vorschrift die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

2. Die Beschwerde kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn der Antragsteller mit den darin vorgebrachten Gründen - Heiratsabsicht, notwendige Knieoperation - im Beschwerdeverfahren nunmehr (auch) eine zeitweise Aussetzung der Abschiebung (Duldung) begehren sollte. Hierfür spricht - ein ausdrücklicher Antrag ist nicht gestellt - sein Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das Beschwerdegericht habe zu entscheiden, ob eine Abschiebung in den nächsten Tagen und Wochen rechtmäßig sei (Seite 2), und eine Abschiebung sei erst nach einer im Bundesgebiet durchgeführten Operation rechtlich möglich (Seite 4). Denn das Begehren auf zeitweise Aussetzung der Abschiebung (Duldung), das nicht (mehr) von dem anhängigen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erfasst und das vielmehr im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verfolgen wäre, stellt einen neuen Streitgegenstand dar, über den das Beschwerdegericht nicht (erstmals) befinden und entscheiden darf.

Diesen Anspruch hat der Antragsteller bisher weder bei der Antragsgegnerin geltend noch beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung anhängig gemacht. Ein (Duldungs-)Anspruch und der mit der Beschwerde zu seiner Begründung vorgetragene Sachverhalt ist demzufolge auch nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewesen.

Eine derartige Erweiterung des Streitgegenstandes entsprechend § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn - wie hier - das übrige Beschwerdevorbringen im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht behandelten Begehren keinen Erfolg hat bzw. nicht zu einer umfassenden eigenen Sachprüfung durch das Beschwerdegericht führt. Denn eine derartige Erweiterung oder Auswechselung des Prozessstoffs stünde nicht im Einklang mit den Vorschriften über das Beschwerdeverfahren in Eilsachen, wie sie durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) in Kraft getreten sind (ebenso OVG Münster, Beschl. v. 25.7.2002, AuAS 2002 S. 257; vgl. auch bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 2.10.2002, NordÖR 2003 S. 241; ebenso für das Verfahren auf Zulassung der Berufung OVG Hamburg, Beschl. v. 25.6.2001 - 1 Bf 64/01 -; v. 20.3.2003 - 3 Bf 9/03, m.w.N., und für das frühere Beschwerdezulassungsverfahren OVG Hamburg, Beschl. v. 10.8.1999 - 4 Bs 26/99). Der Gesetzgeber hat, da die Einführung der Zulassungsbeschwerde mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (v. 1.11.1996, BGBl. I S. 1626, 6. VwGOÄndG) nicht zu der gewünschten Beschleunigung der Beschwerdeverfahren geführt hat, diese wieder entfallen lassen (vgl. hierzu Begründung zum Entwurf der Bundesregierung BR-Drucksache 405/01 unter A. Zielsetzung und zu Nummer 14 b). Statt dessen hat er nunmehr in § 146 Abs. 4 VwGO bestimmt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80 a, 123 VwGO - zum einen - die Beschwerde begründet werden und der Beschwerdeführer die Gründe für eine Änderung bzw. Aufhebung der angefochtenen Entscheidung aufzeigen und sich mit ihr auseinander setzen muss (Sätze 1 und 3), und dass - zum anderen - das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung nur die dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese Vorschriften verdeutlichen, dass nach dem gesetzgeberischen Willen das Beschwerdeverfahren in Eilsachen möglichst zügig und grundsätzlich beschränkt auf die gegen die erstinstanzliche Entscheidung geltend gemachten Gründe durchgeführt werden soll. Eine Erweiterung oder Auswechselung des Streitgegenstandes im Beschwerdeverfahren um bzw. gegen Begehren, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht behandelt worden sind und über die das Verwaltungsgericht keine Entscheidung getroffen hat, liefe diesem Zweck zuwider. Zudem wäre bei einer Änderung oder Auswechselung des Streitgegenstandes die von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ausdrücklich geforderte Auseinandersetzung des Rechtsmittelführers mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts - weil es über einen anderen Streitgegenstand entschieden hat - nicht möglich und auch nicht notwendig, da zur Begründung des mit der Beschwerde - neu - geltend gemachten Anspruchs ggf. die Darlegung hiervon unabhängiger Voraussetzungen genügen würde. Auch das würde der von § 146 Abs. 4 VwGO für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beabsichtigten Konzentration des Rechtsmittelverfahrens auf die Prüfung der Rechtsmittelgründe widersprechen, die sich auf den in der erstinstanzlichen Entscheidung beurteilten Streitgegenstand beziehen müssen und nach Satz 3 dieser Vorschrift in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu entwickeln sind.

Es kann dahinstehen, ob in den Fällen, in denen effektiver Rechtsschutz auf andere Weise nicht mehr rechtzeitig zu erlangen ist, das Beschwerdegericht ausnahmsweise auch über einen erweiterten Streitgegenstand entscheiden darf, ohne dass insoweit eine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, da der Antragsteller sich mit seinem Duldungsbegehren zunächst an die Antragsgegnerin wenden und bei einer abschlägigen Entscheidung ggf. beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO nachsuchen kann. Angemerkt sei, dass die mit der Beschwerdebegründung geltend gemachten Gründe derzeit einer Abschiebung des Antragstellers in die Türkei nicht entgegenstehen dürften. Die Eheschließung dürfte nach wie vor nicht unmittelbar bevorstehen und (Gesundheits-)Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis) dürften dem Antragsteller in der Türkei nicht drohen. Nach den vorgelegten ärztlichen Schreiben besteht die diagnostizierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes als Folge einer Distorsion des rechten Kniegelenks schon seit zehn Jahren und sind ansonsten keine aktuellen Kniebinnenschäden erkennbar, die einer Abschiebung des Antragstellers in die Türkei ohne vorherige Operation entgegenstünden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG. beschlossen:



Ende der Entscheidung

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