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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2008
Aktenzeichen: 4 Bs 84/08
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 6
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Abschiebung eines Ausländers, der Vater eines nichtehelichen, noch nicht geborenen deutschen Kindes ist, nach § 60 a Abs. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen vorläufig auszusetzen ist, sind die Grundsätze zu beachten, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 8. Dezember 2005 (FamRZ 2006, 187 ff.) und vom 23. Januar 2006 (NVwZ 2006, 682, 683, m.w.N.) zum Familienschutz nach Art. 6 GG entwickelt hat. Das gilt jedenfalls ab dem Zeitpunkt, nach dem ein straffreier Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht mehr möglich und deshalb die physische Existenz des ungeborenen Kindes tatsächlich und rechtlich hinreichend gesichert ist.

2. Danach kommt Abschiebungsschutz in Betracht, wenn - erstens - der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft (mit Zustimmung der Mutter) anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen und wenn - zweitens - dem Ausländer eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung des Sichtvermerksverfahrens nicht zumutbar ist. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn nach den im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer Rückkehr des ausländischen Vaters vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden kann.

3. Ob der an sich gebotene Familienschutz durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausnahmsweise wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses zurückzutreten hat (etwa in Fällen schwerwiegender Straftaten), beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

4 Bs 84/08

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel, Wiemann und Meins am 14. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 23. April 2008 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 23. April 2008 auszusetzen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat Erfolg.

1. Der Antragsteller - ein türkischer Staatsangehöriger, der im September 2007 illegal eingereist ist und seitdem mit einer niederlassungsberechtigten Landsfrau zusammenlebt - begehrt Abschiebungsschutz bis zur Entscheidung über seinen im April 2008 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsteller und seine Verlobte haben sich beim Standesamt Hamburg-Harburg zur Eheschließung angemeldet; sie erwarten Mitte Oktober dieses Jahres ein gemeinsames Kind. Für dieses Kind hat der Antragsteller - mit Zustimmung seiner Verlobten - die Vaterschaft anerkannt. Unter Hinweis auf die beabsichtigte Eheschließung, seine Vaterschaft für ein deutsches Kind und Schwangerschaftskomplikationen der Mutter hat der Antragsteller, der sich zeitweise in Abschiebehaft befand, unter dem 23. April 2008 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. Am selben Tag hat er beim Verwaltungsgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller könne Abschiebungsschutz weder wegen der in Aussicht genommenen Heirat noch wegen der Schwangerschaft seiner Verlobten beanspruchen. Die Eheschließung, für die noch notwendige Unterlagen beizubringen seien, stehe noch nicht unmittelbar bevor. Auch die geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden der werdenden Mutter begründeten kein Abschiebehindernis im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG. Durch die vorgelegten Unterlagen (ärztliches Attest, eidesstattliche Versicherung von Frau A. ) werde nicht ausreichend belegt, dass sich im Fall der Abschiebung des Antragstellers die Gesundheit seiner Verlobten oder diejenige des ungeborenen Kindes nachhaltig verschlechtern würde.

2. Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) keinen Bestand haben. Sie ist auf den Antrag des Antragstellers zu ändern, und ihm ist der begehrte einstweilige Abschiebungsschutz zunächst für die Zeit bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (zuzüglich der entsprechenden Rechtsmittelfrist) zu gewähren.

a) Der Antragsteller hat mit seiner Beschwerdebegründung vorgetragen und mit einer eidesstattlichen Versicherung seiner Verlobten belegt, dass beide in einer gemeinsamen Wohnung (.............................) in - vorehelicher - Gemeinschaft leben und der Antragsteller der Vater des in zwei Monaten (voraussichtlicher Geburtstermin 14.10.2008) erwarteten Kindes ist. Dieses Kind wird wegen des aufenthaltsrechtlichen Status seiner Mutter mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG). Nach glaubhaftem und auch von der Antragsgegnerin nicht angezweifeltem Vortrag beabsichtigten der Antragsteller und seine Verlobte mit ihrem gemeinsamen Kind in familiärer Gemeinschaft zusammen zu leben und es gemeinsam zu erziehen. Er macht weiter geltend, ihm sei im Hinblick hierauf und wegen der zwischenzeitlich aufgetretenen Schwangerschaftskomplikationen der Mutter das Verlassen des Bundesgebiets nicht zumutbar. Mit diesem Vorbringen hat der Antragsteller die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts erschüttert. Seine Abschiebung erweist sich vielmehr im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen als unmöglich. Dazu im Einzelnen:

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Abschiebung eines Ausländers, der Vater eines nicht ehelichen, noch nicht geborenen deutschen Kindes ist, nach § 60 a Abs. 2 AufenthG aus rechtlichen Gründen vorläufig auszusetzen ist, sind zunächst die Grundsätze zu beachten, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 8. Dezember 2005 (FamRZ 2006, 187 ff.) und vom 23. Januar 2006 (NVwZ 2006, 682, 683, m.w.N.) zum Familienschutz entwickelt hat. Danach verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.5.2006, 4 Bs 129/06, juris; Beschl. v. 16.10.2007, 4 Bs 211/07; v. 27.5.2008, 4 Bs 42/08).

Weiter hat das Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen betont, dass bei der Auslegung und Anwendung der ausländerrechtlichen Vorschriften - hier insbesondere der §§ 25 Abs. 5, 60 a Abs. 2 AufenthG - auch angemessen zu berücksichtigen sei, dass durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) die Rechtspositionen des Kindes und seiner Eltern sowohl hinsichtlich des gemeinsamen Sorgerechts als auch hinsichtlich des Umgangsrechts gestärkt worden seien. Seither sei deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei. Dabei seien die Belange der Eltern und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, a.a.O.; v. 23.1.2006, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 20.2.2003, BVerwGE 117, 380, 390 f.). In seiner Entscheidung zur Durchsetzung des Umgangsrechts mit Zwang (Urt. v. 1.4.2008, NJW 2008, 1287, 1289 f.) hat das Bundesverfassungsgericht nochmals die besondere Bedeutung beider Elternteile für das Kind hervorgehoben und hierzu ausgeführt, dass das Kind auch einen Anspruch darauf habe, dass zuvörderst seine Eltern Sorge für es tragen, und ein Recht darauf, dass seine Eltern der mit ihrem Elternrecht untrennbar verbundenen Pflicht auch nachkommen. Dieses Recht des Kindes finde insofern in der elterlichen Verantwortung seinen Grund und werde damit von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt. Es stehe in engem Zusammenhang mit dem Grundrecht des Kindes auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, denn es sichere dem Kind den familiären Bezug, der für seine Persönlichkeitsentwicklung von Bedeutung sei. Die persönliche Beziehung zu seinen Eltern, ihre Pflege, Hilfe wie Zuwendung trügen wesentlich dazu bei, dass sich das Kind zu einer Persönlichkeit entwickeln könne, die sich um ihrer selbst geachtet weiß und sich selbst und andere zu achten lernt (vgl. BVerfG, a.a.O., 1288 f.).

Diese Grundsätze, die den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz für den ausländischen Vater eines deutschen Kindes bilden und aus denen sich insoweit aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen ergeben können, sind jedenfalls ab dem (hier gegebenen) Zeitpunkt zu beachten, nach dem ein straffreier Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht mehr möglich und deshalb die physische Existenz des ungeborene Kindes tatsächlich und rechtlich hinreichend gesichert ist. Die o.g. Grundsätze bedürfen jedoch - da die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Eltern und dem Kind erst bevorsteht - einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden modifizierten Anwendung. Insoweit ist - anstelle des Bestehens einer bereits gelebten familiären Gemeinschaft - als erstes regelmäßig zu fordern, dass der ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft (mit Zustimmung der Mutter) anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen (so schon OVG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2007, 4 Bs 313/06, S. 7 der Entscheidungsausfertigung). Zum anderen ist eine (vorübergehende) Ausreise des ausländischen Vaters eines noch nicht geborenen deutschen Kindes (etwa zur Durchführung des Sichtvermerksverfahrens) regelmäßig dann unzumutbar - und seine Abschiebung insoweit nach § 60 a Abs. 2 AufenthG auszusetzen - , wenn nach den im Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit seiner Rückkehr vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden kann (so auch OVG Bautzen, Beschl. v. 25.1.2006; NVwZ 2006, 613; siehe auch VGH München, Beschl. v. 20.4.2006, 19 CE 06.981, juris; VG Dresden, Beschl. v. 19.7.2007, 1 K 1343/07, juris; VG Saarlouis, Beschl. v. 28.2.2008, 11 L 103/08, juris [dort Risikoschwangerschaft]). Denn bei einer Wiedereinreise des Ausländers nach der Geburt (im Wege des Familiennachzugs) wäre das deutsche Kind von dem spezifischen Betreuungsbeitrag seines Vaters ausgeschlossen, der durch die mütterliche Betreuung nicht ersetzt wird. Vielmehr benötigt das Kind - wie oben näher dargelegt - für seine Persönlichkeitsentwicklung in aller Regel den Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen sowohl zu seinem (ausländischen) Vater als auch zu seiner Mutter. Es ist deshalb jedenfalls in den ersten Jahren nach der Geburt auf beide Elternteile angewiesen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, v. 23.1.2006, Urt. v. 1.4.2008, jeweils a.a.O.).

Bei Beachtung dieser Grundsätze ist nach derzeitigem Erkenntnisstand dem Schutz der Familie des Antragstellers der Vorrang einzuräumen gegenüber den von der Antragsgegnerin geltend gemachten öffentlichen Interessen an seiner Aufenthaltsbeendigung.

Der Antragsteller hat zunächst glaubhaft gemacht, dass er und seine Verlobte, die Mutter des erwarteten deutschen Kindes, bereits in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen. Die Verlobte des Antragstellers hat die Richtigkeit der entsprechenden Angaben des Antragstellers an Eides Statt versichert (Erklärung vom 22.4.2008); beide wohnen schon seit längerem in einer gemeinsamen Wohnung in Hamburg zusammen. Der Antragsteller hat auch gegenüber dem Jugendamt seine Vaterschaft anerkannt, und seine Verlobte hat dieser Anerkennung zugestimmt (Urkunde vom 29.5.2008). Dass die Anerkennung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB anfechtbar sein könnte, ist nicht ersichtlich. Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte vor (und sind auch von der Antragsgegnerin nicht vorgebracht worden), die einer positiven Prognose hinsichtlich der Erbringung des spezifischen Erziehungsbeitrags des Antragstellers für die Zeit nach der Geburt des Kindes in Zweifel ziehen.

Zum anderen ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht zu erwarten, dass der Antragsteller nach einer von der Antragsgegnerin geplanten Abschiebung in die Türkei noch vor dem voraussichtlichen Geburtstermin (14.10.2008) in das Bundesgebiet zurückkehren kann. Dabei ist von den zeitlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung auszugehen. Danach stünde dem Antragsteller im Falle einer Abschiebung in seinen Heimatstaat für das Verfahren auf Befristung der Wirkungen der Abschiebung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und für die Durchführung des Sichtvermerksverfahrens betreffend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für eine Familienzusammenführung (§§ 6 Abs. 4, 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) ein Zeitraum von nur noch zwei Monaten zur Verfügung. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass die genannten Verfahren jedenfalls in diesem kurzen Zeitraum nicht erfolgreich abgeschlossen werden können und der Antragsteller deshalb noch im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt seines Kindes wieder einreisen könnte.

b) Der auf Grund dieses Sachverhalts und entsprechend den o.g Grundsätzen gebotene vorgeburtliche Schutz der familiären Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem deutschen Kind und seiner Verlobten hat hier auch nicht ausnahmsweise deshalb zurückzustehen, weil überwiegende öffentliche Interessen die sofortige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers erfordern. Insbesondere ist nach Aktenlage nicht zu erkennen, dass der Antragsteller schwer straffällig geworden ist bzw. zu befürchten ist, dass er im Falle eines weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet schwerwiegende Straftaten begehen wird. Soweit der Antragsteller illegal eingereist ist und sich seitdem ohne die erforderliche Erlaubnis im Bundesgebiet aufhält, ist dieses Verhalten nicht so schwerwiegend, dass deshalb der verfassungsrechtlich gebotene Familienschutz durch vorläufige Aussetzung der Abschiebung zurückzutreten hätte.

c) In zeitlicher Hinsicht hat der Senat das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahin ausgelegt (§ 88 VwGO), dass er im Beschwerdeverfahren (nur noch) die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, seine Abschiebung bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 23. April 2008 auszusetzen. Soweit das Verwaltungsgericht den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten - weitergehenden - Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (hilfsweise Aussetzung der Abschiebung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über das Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) abgelehnt hat, hat der Antragsteller dagegen Rechtsmittel nicht eingelegt.

Die o.g. zeitliche Einschränkung des Aussetzungsbegehrens im Beschwerdeverfahren ist auch sachgerecht. Denn nach gegenwärtigem Sachstand kommt in Betracht, dass die Antragsgegnerin den Erlaubnisantrag mit Rücksicht auf die glaubhaft gemachte bevorstehende familiäre Lebensgemeinschaft und die derzeitige Unzumutbarkeit der Rückkehr des Antragstellers in die Türkei positiv bescheidet. Dann ginge eine über den Entscheidungszeitpunkt hinausreichende einstweilige Anordnung ohnehin ins Leere. Abgesehen davon ist nicht auch auszuschließen, dass sich die familiären und sonstigen Umstände, die für die Gewährung einstweiligen Abschiebungsschutzes entscheidungserheblich sind, in einem - gegebenenfalls über Jahre dauernden - Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über das Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ändern.

3. Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren bezieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, soweit hiergegen ein Rechtsmittel nicht eingelegt wurde, ein, und beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, für das Beschwerdeverfahren auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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