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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.10.2008
Aktenzeichen: 5 Bs 196/08
Rechtsgebiete: GG, AufenthG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 5 Satz 1
BGB § 1592 Nr. 2
BGB § 1598 Abs. 1
BGB § 1599 Abs. 1
BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5
Jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) ist die dadurch eröffnete Anfechtung der Vaterschaft der einzige Weg, auch bewusst wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkennun-gen zu begegnen (in Abgrenzung zu VGH Mannheim, Beschl. v. 3.3.2005, InfAuslR 2005, 258 ff.)
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

5 Bs 196/08

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 5. Senat, durch die Richter Prof. Dr. Ramsauer, Probst und Engelhardt am 24. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. Oktober 2008 in Ziffer 1 aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis untersagt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller durchzuführen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, ein ghanaischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Zurückschiebung nach Ghana.

Der Antragsteller, der nach seinen Angaben am 10. August 2008 aus Frankreich kommend unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hat am 25. August 2008 vor einem Notar die Vaterschaft für das am XX. XX 2005 in Hamburg geborene Kind G. anerkannt und zusammen mit der Mutter des Kindes erklärt, das Sorgerecht für das Kind gemeinsam ausüben zu wollen. Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. August 2008 hat er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis auf Art. 6 GG beantragt und ausgeführt, die familiäre Lebensgemeinschaft könne nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden. G. lebe zusammen mit seiner Mutter und zwei Geschwistern, von denen eines die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, in Hamburg. Über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag ist bisher nicht entschieden worden. Auf Veranlassung der Antragsgegnerin hat das Amtsgericht Hamburg am 20. September 2008 Sicherungshaft gegen den Antragsteller angeordnet; die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb im wesentlichen erfolglos.

Der Antragsteller hat beim Verwaltungsgericht Hamburg beantragt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, ihn vor einer Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzuschieben. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. Oktober 2008 abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Aufgrund seiner illegalen Einreise habe der Antrag keine Erlaubnis- oder Duldungsfiktion ausgelöst. Im übrigen habe der Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften räumten der Antragsgegnerin jeweils Ermessen ein. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf ein Ausreisehindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG berufen. Hierfür sei nicht allein die durch die Vaterschaftsanerkennung erworbene familienrechtliche Stellung entscheidend, es komme vielmehr auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern an. Der Antragsteller habe seine Behauptungen, (u.a.) er kümmere sich intensiv um G. und auch um dessen Geschwister, durch keine Belege von unabhängiger Seite belegt; dies genüge zur Glaubhaftmachung nicht, zumal dem Aussageverhalten des Antragstellers aufgrund seiner bisherigen vor verschiedenen Stellen gemachten Angaben mit erheblichen Vorbehalten zu begegnen sei. Es bestünden auch ernsthafte Zweifel daran, dass G. tatsächlich das leibliche Kind des Antragstellers sei; angesichts dessen sei der Vortrag unglaubhaft, zwischen dem Kind und dem Antragsteller habe sich über die Distanz zwischen Ghana und Deutschland hinweg eine so starke Beziehung entwickelt, dass sie den Antragsteller zur Einreise nach Deutschland motiviert habe. Vor diesem Hintergrund sei es unwahrscheinlich, dass in der kurzen Zeit zwischen der behaupteten Einreise des Antragstellers und seiner Inhaftierung zwischen ihm und dem Kind eine derart enge familiäre Gemeinschaft entstanden sei, dass deren Aufhebung dem Kindeswohl Schaden zufügen könnte. Schließlich bestünden auch an der Angabe des Antragstellers, er sei nach seiner Einreise tatsächlich bei der Kindesmutter eingezogen, begründete Zweifel.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er beanstandet die darin geäußerten Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft zu dem Kind G. und macht Ausführungen zu den ihm vorgehaltenen Angaben bei verschiedenen Stellen. Er legt ferner eine eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter sowie Schreiben des Pastors der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde A. sowie der Kindertagesstätte D. vor.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in dem im Tenor bezeichneten Umfang Erfolg.

1. Die Formulierung des Begehrens des Antragstellers - keine Abschiebung, "solange nicht über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 26.08.2008 entschieden wurde" - ist in ihrer zeitlichen Auswirkung auslegungsfähig. Dem Interesse des Antragstellers wird es nicht entsprechen, nur unmittelbar bis zur Bekanntgabe der Verwaltungsentscheidung vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt zu sein. Andererseits erscheint es gerade im vorliegenden Fall, der noch erheblichen Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht aufweist, nicht als angemessen, bereits jetzt eine einstweilige Anordnung zu erlassen, die bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag reicht. Durch die hier ausgesprochene Tenorierung hat der Antragsteller im Fall der Ablehnung seines Antrags durch die Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamts noch ausreichend Zeit, Widerspruch zu erheben und ggf. erneut einstweiligen Rechtsschutz zu suchen.

2. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO) führen dazu, dass die dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zugrundeliegende Annahme, der Antragsteller könne sich nicht auf ein Ausreisehindernis aus Art. 6 Abs. 1 GG und damit zugleich auf eine der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG berufen (II.2.b der Beschlussgründe), sich nicht als hinreichend tragfähig erweist.

a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nunmehr zumindest insoweit hinreichend glaubhaft gemacht, dass es jedenfalls als möglich erscheint, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im laufenden Verwaltungsverfahren bejaht werden können.

Da nach übereinstimmender Darstellung der Beteiligten das 2002 geborene Kind S. die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wird Frau D. als Mutter sowohl von S. als auch von G. ein Verlassen Deutschlands rechtlich nicht zugemutet werden können. Entsprechendes gilt dann für das Kind G. selbst. Daraus folgt, dass eine familiäre Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit G. nur in Deutschland geführt werden kann. Unter der Voraussetzung des Bestehens einer solchen Lebensgemeinschaft kann sich daher für den Antragsteller ein Ausreisehindernis ergeben. Die abstrakten Voraussetzungen hierfür hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss (Seiten 5/6) ausführlich und zutreffend dargestellt; das Beschwerdegericht schließt sich diesen Ausführungen an und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Allerdings steht das Fehlen verschiedener allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen im Sinne des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG in diesem Fall der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zwingend entgegen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

b) Das Beschwerdevorbringen und die zugleich damit vorgelegten Erklärungen lassen das Bestehen einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Kind G. zumindest als möglich erscheinen.

Zwar begründet das Aussageverhalten des Antragstellers auch nach Auffassung des Beschwerdegerichts erhebliche Zweifel an dessen allgemeiner Glaubwürdigkeit, womit aber noch nicht die Glaubhaftigkeit jeglicher Einzelaussage unbesehen in Frage gestellt werden kann. Das Verwaltungsgericht hat zu Lasten des Antragstellers insbesondere gewertet, dass es zu seiner Darstellung nur seine Behauptungen und keine Belege von unabhängiger Seite gebe. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren nunmehr schriftliche Erklärungen des Pastors der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeine A. sowie der Kindertagesstätte D. vom 14. Oktober 2008 vorgelegt, die immerhin in der Tendenz seine Angaben stützen, er sei für das Kind G. inzwischen eine wichtige Bezugsperson und kümmere sich um dieses Kind (und auch um die anderen Kinder von Frau D. ). Zwar sind die schriftlichen Erklärungen wenig konkret und bedürfen hinsichtlich von Einzelheiten ggf. weiterer Nachfragen. Diese Aufklärung ist indes nicht Sache der Gerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, sondern der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller hat ferner eine eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter vorgelegt. Zwar ist auch diese wenig konkret hinsichtlich des Zeitraums und der Intensität des Zusammenlebens des Antragstellers mit dem Kind G. und enthält angesichts des Alters des Kindes in dieser Form schwer vorstellbare Angaben, so z.B. G. habe "seit Jahren nach seinem Papa gefragt". Doch liegt nunmehr immerhin eine (für den Fall falscher Angaben strafrechtlich relevante) eidesstattliche Versicherung der Person vor, die die unmittelbarsten Kenntnisse der tatsächlichen Verhältnisse hat und die von einer inzwischen entstandenen engen Beziehung zwischen dem Antragsteller und G. spricht. Frau D. kann ggf. von der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin unter Heranziehung eines geeigneten Dolmetschers näher zu den Einzelheiten befragt werden.

Das Oberverwaltungsgericht sieht sich veranlasst darauf hinzuweisen, dass bei der Prüfung, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Kind G. vorliegt, die Frage, ob der Antragsteller tatsächlich der leibliche Vater von G. ist, keine Rolle spielt. Der Antragsteller hat die Vaterschaft mit Zustimmung der Kindesmutter durch Beurkundung vor einem Notar anerkannt (§§ 1592 Nr. 2, 1595 Abs. 1, 1597 Abs. 1 BGB). Damit steht die Vaterschaft für die Dauer der Wirksamkeit dieser Erklärung rechtlich fest. Dafür, dass die Vaterschaftsanerkennung bezüglich des Kindes G. aufgrund bestehender Vaterschaft eines anderen Mannes unwirksam sein könnte (§ 1594 Abs. 2 BGB), ist nichts ersichtlich. Dann ist die Anerkennung wirksam, da auch sonst keiner der im Gesetz abschließend normierten Unwirksamkeitsgründe vorliegt (§ 1598 Abs. 1 BGB). Diese Regelung dient der Rechtssicherheit (vgl. BT-Drs. 13/4899, S. 85; 16/3291, S. 10 m.w.N.). Etwaige Überlegungen, ausländerrechtliche Folgen bei bewusst wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkennungen ausschließen zu wollen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 3.3.2005, InfAuslR 2005, 258 ff.), sind jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313, in Kraft seit 1. Juni 2008) mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber eine befristete Anfechtungsmöglichkeit durch die nach Landesrecht zu bestimmende zuständige Behörde (§§ 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 und 4, 1600b Abs. 1a BGB) geschaffen, um gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen zum Zweck der Erlangung z.B. von Aufenthaltstiteln einschreiten zu können (vgl. BT-Drs. 16/3291, S. 9). Die durch Vaterschaftsanerkennung begründete Vaterschaft (§ 1592 Nr. 2 BGB) gilt erst dann nicht mehr, wenn aufgrund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt wird, dass der Anerkennende nicht der Vater des Kindes ist (§ 1599 Abs. 1 BGB). Erst recht ist dann von der Vaterschaft auszugehen, wenn von der Anfechtungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht wird.

Zwar sieht nach allem auch das Beschwerdegericht noch erheblichen Aufklärungsbedarf hinsichtlich der ein Ausreisehindernis nach Art. 6 Abs. 1 GG begründenden Voraussetzungen. Würde bei dieser Sachlage der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, können im Fall des tatsächlichen Bestehens der familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und dem Kind G. indes möglicherweise schwer reparable Folgen eintreten für die grundsätzlich zu schützende Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft und für das Wohl des Kindes G. , falls ihm eine wichtige Bezugsperson genommen würde. Bei Erlass einer einstweiligen Anordnung hat es die Antragsgegnerin hingegen in der Hand, durch zügige Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse bald Klarheit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu gewinnen und daraus durch Bescheidung des Aufenthaltserlaubnis-Antrags die Konsequenzen zu ziehen.

c) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dem Antragsteller sei eine Ausreise zur Durchführung des Visumsverfahrens zur Familienzusammenführung zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade bei einem kleinen Kind - G. ist drei Jahre und vier Monate alt - die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass hier auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein kann (BVerfG, Beschl. v. 31.8.1999, InfAuslR 2000, 67/69). Es braucht hier nicht entschieden zu werden, welche Zeitspanne im konkreten Fall noch als vertretbare Trennungszeit angesehen werden könnte, da der Zeitraum jedenfalls deshalb gegenwärtig nicht absehbar ist, weil der Antragsteller erst beantragen müsste, die Sperrwirkung der Zurückschiebung zu befristen (§ 11 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AufenthG).

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. In Fällen, in denen im Kern um den Bestand oder die Erteilung eines Aufenthaltsrechts gestritten wird - auch wenn formal nur aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Streit sind -, ist es sachgerecht, den vollen

Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG anzusetzen, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren halbiert wird (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 24.1.2008, 1 Bs 1/08, 1 So 1/08).

Ende der Entscheidung

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