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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.09.2000
Aktenzeichen: 1 TG 2902/00
Rechtsgebiete: HGB, VwGO


Vorschriften:

HBG § 8
VwGO § 123 Abs. 1
1. Der übergangene Bewerber um einen seinem statusrechtlichen Amt entsprechenden Dienstposten - hier: Sachgebietsleiter bei einem Finanzamt (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) - besitzt zur Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs im Wege einer einstweiligen Anordnung den erforderlichen Anordnungsgrund, wenn nur Inhaber dieser Dienstposten die Möglichkeit haben, sich mit Aussicht auf Erfolg um eine Beförderungsstelle zu bewerben.

2. Eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung setzt voraus, dass der Dienstherr bereits in der Stellenausschreibung für den zu besetzenden Dienstposten ein spezifisches Anforderungsprofil festlegt, soweit dies nicht schon durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsvorschriften vorgegeben ist.

3. Der für die Auswahlentscheidung aktuelle Leistungsvergleich setzt voraus, dass der der letzten Beurteilung zu Grunde liegende Beurteilungszeitraum nicht länger als zwölf Monate zurückliegt.


Gründe:

Die mit Senatsbeschluss vom 23. August 2000 - 1 TZ 2367/00 - zugelassene Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung und zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, denn die einstweilige Anordnung ist nötig, um wesentliche Nachteile von ihm abzuwenden. Eine Verweisung auf das Klageverfahren gäbe ihm keinen ausreichenden Rechtsschutz zur Sicherung und Durchsetzung seines sog. Bewerbungsverfahrensanspruchs. Zwar könnte bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren die Übertragung des streitbefangenen Dienstpostens auf den Beigeladenen - anders als bei einer Beförderung - wieder rückgängig gemacht werden. Die zwischenzeitlich zu Lasten des Antragstellers eingetretenen Nachteile würden dadurch jedoch nicht beseitigt. Der Antragsteller hat unwidersprochen vorgetragen, dass zur Zeit bei den hessischen Finanzämtern eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 13 BBesO (gehobener Dienst) nur auf dem Dienstposten eines Sachgebietsleiters möglich sei, und dass die Wahrnehmung eines solchen Dienstpostens die Möglichkeit des prüfungsfreien Aufstiegs in den höheren Dienst bei der Finanzverwaltung eröffne. Der Dienstposten des Sachgebietsleiters bildet danach gleichsam das Nadelöhr für das berufliche Fortkommen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 12 BBesO in der hessischen Finanzverwaltung bei einem Finanzamt. Da für eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 13 BBesO (gehobener Dienst) an einem hessischen Finanzamt nur Sachgebietsleiter in Frage kommen, würde der Beigeladene im Falle seiner Betrauung mit dem fraglichen Dienstposten gegenüber dem Antragsteller nicht nur einen Bewerbungsvorsprung erzielen, vielmehr würde der Antragsteller für ihn künftig als Konkurrent ausscheiden. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich deshalb wesentlich von den Fällen, in denen die Besetzung eines Dienstpostens mit statusgleichen Bewerbern im Streit ist, ohne dass sich dies unmittelbar oder mittelbar auf statusändernde Maßnahmen oder künftige Bewerbungsverfahren entscheidend auswirkt. Um nicht von vornherein von künftigen Auswahlverfahren ausgeschlossen zu sein, ist es unter diesen Umständen erforderlich und geboten, bereits im streitbefangenen Dienstpostenvergabeverfahren den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch eine einstweilige Anordnung zu sichern.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die getroffene Auswahlentscheidung verletzt ihn in seinem sog. Bewerbungsverfahrensrecht, das eine faire und (chancen-)gleiche Behandlung seiner Bewerbung mit rechtsfehlerfreier Wahrnehmung der Beurteilungsermächtigung sowie die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens einschließlich etwaiger Anhörungs- und Beteiligungsrechte umfasst (vgl. zum Inhalt des Bewerbungsverfahrenanspruchs: Beschluss des Senats vom 23. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 - DVBl. 1994, 593 = ZBR 1994, 347).

Das Auswahlverfahren ist fehlerhaft, weil das Anforderungsprofil nicht bereits mit der Ausschreibung der Stelle, sondern erst in der Auswahlentscheidung am 29. April 1999 festgelegt wurde. Eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung setzt aber voraus, dass der Dienstherr für den zu besetzenden Dienstposten bereits in der Stellenausschreibung ein spezifisches Anforderungsprofil festlegt, soweit dies nicht schon durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsvorschriften vorgegeben ist. Hier hätte zwar für den Antragsgegner die Möglichkeit bestanden, zur Konkretisierung des Anforderungsprofils auf § 5 der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO), der die Aufgaben der Sachgebietsleiter umschreibt, Bezug zu nehmen; dies hat er jedoch nicht getan. Er hat auch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich das Anforderungsprofil für den fraglichen Dienstposten aus § 5 FAGO ergibt, denn in seinem Schriftsatz vom 11. September 2000 verweist er hinsichtlich des Anforderungsprofils allein auf seinen Auswahlvermerk vom 29. April 1999. Hinzu kommt, dass § 5 FAGO nicht ohne weiteres voraussetzt, dass der Sachgebietsleiter - wie hier im Auswahlvermerk vom 29. April 1999 gefordert - die in seinem Sachgebiet auftretenden organisatorischen Probleme löst, denn die Organisation des Finanzamtes und damit auch die Lösung organisatorischer Probleme in Teilen desselben obliegt gemäß § 3 Abs. 6 FAGO dem Vorsteher.

Die getroffene Auswahlentscheidung ist auch deshalb fehlerhaft, weil sie auf einer unzureichenden Entscheidungsgrundlage beruht. Bei seiner Auswahlentscheidung hat der Dienstherr auf der Grundlage des gesamten für die persönliche und fachliche Einschätzung von Eignung und Leistung der Bewerber/innen bedeutsamen Inhalts der Personalakten, wobei der letzten (aktuellen) Beurteilung wesentliche Bedeutung zukommt, die persönliche und fachliche Eignung der Bewerber/innen im Hinblick auf das spezifische Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens einem Vergleich zu unterziehen und nach Feststellung der insoweit bedeutsamen Tatsachen eine wertende Abwägung und Zuordnung vorzunehmen. In dem Auswahlvermerk vom 29. April 1999 heißt es hierzu: Die Auswahlentscheidung erfolge gemäß § 8 HBG nach Eignung, Leistung und Befähigung. Hierfür bilde die letzte turnusmäßige Beurteilung der Bewerberinnen und Bewerber die Grundlage. Soweit bei einzelnen Bewerbern diese Beurteilung bereits länger zurückliege, komme zudem dem aktuellen Leistungsbild eine verstärkte Bedeutung zu.

Die turnusmäßige Beurteilung des Antragstellers vom 12. August 1998 betraf den Beurteilungszeitraum vom 1. Februar 1995 bis 31. Januar 1998 und damit einen Zeitraum, der annähernd 15 Monate vor der Auswahlentscheidung lag. Ein aktueller Leistungsvergleich liegt aber nur dann vor, wenn der der Auswahlentscheidung zu Grunde gelegte Beurteilungszeitraum nicht länger als zwölf Monate zurückliegt.

Der Auswahlentscheidung vom 29. April 1999 ist nicht zu entnehmen, dass "dem aktuellen Leistungsbild" des Antragstellers "verstärkte Bedeutung" beigemessen wurde. In dem Vermerk wird darauf verwiesen, dass der Antragsteller in der Beurteilung für den Beurteilungszeitraum bis einschließlich Januar 1998 im Gesamturteil fünf Punkte erhalten habe. Der von ihm in einer Gegenvorstellung beantragten Änderung des Gesamturteils auf sechs Punkte sei nicht entsprochen worden, da hierfür eine über die vorhandene fachliche Qualifikation hinausgehende größere Führungs- und Handlungsverantwortung sowie Initiative vorausgesetzt werde. Die Auswahlentscheidung berücksichtigt damit allein das Leistungsbild des Antragstellers für die Zeit bis zum 31. Januar 1998 und lässt zudem den weiteren Inhalt der Personalakte außer Betracht. Allerdings bezieht sich die Formulierung "Führungs- und Handlungsverantwortung" auf die Stellungnahme des Vorstehers des Finanzamtes Spohrstraße (ohne Datum) zu der Bewerbung des Antragstellers. Aber auch hier wird mit dem Hinweis darauf, dass von dem Antragsteller aufgrund seiner herausgehobenen Funktion (Hauptsachbearbeiter AO) und seiner hohen fachlichen Qualifikation mehr Führungs- und Handlungsverantwortung erwartet werde, nicht der Ist-Zustand beschrieben, sondern die Tatsache begründet, dass ihm in der letzten Beurteilung (lediglich) fünf Punkte erteilt worden seien.

Im Übrigen erscheint es widersprüchlich, dass das Nichterreichen von sechs Punkten u.a. mit einer offensichtlich zu geringen Führungsverantwortung begründet wird, in der Beurteilung vom 12. August 1998 jedoch die das Führungsverhalten betreffenden Beurteilungsmerkmale keine Eintragungen enthalten. Selbst wenn dieser Teil des Beurteilungsformulars nach Teilziffer 12.4 der Beurteilungsrichtlinien im Falle des Antragstellers nicht auszufüllen war, dann hätte doch das auf eine gewisse Führungsschwäche hinweisende Urteil im Besetzungsbericht in dem abschließenden Teil der dienstlichen Beurteilung vom 12. August 1998 begründet werden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes entspricht der Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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