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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.11.2001
Aktenzeichen: 3 TZ 2357/01
Rechtsgebiete: BauGB, HBO


Vorschriften:

BauGB § 34
HBO § 6 Abs. 9
HBO § 50
Zum Verzicht auf Nachbarrechte durch einen Vertrag über die zukünftige Bebauung im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb.

Zum Gebot der Rücksichtnahme (Tiefgarage und Zufahrt in der Abstandsfläche eines unbebauten Nachbargrundstücks).


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

3 TZ 2357/01

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (Antrags nach § 80 a VwGO gegen die Genehmigung eines Verwaltungsgebäudes sowie die Erschließung einer Tiefgarage im Grenzbereich)

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Eisenberg, Richter am Hess. VGH Dr. Michel

am 16. November 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - 4 G 2218/01 (V) - wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 50.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks xxxxxxxxxxxxx (Gemarkung xxxxxxxxxx, Flur ..., Flurstücke ... und ...) in Bad Homburg v.d.H. - Baugrundstück -. Die Antragstellerin ist Eigentümerin von zwei nordwestlich an das Baugrundstück angrenzenden - noch unbebauten - Grundstücken mit der zukünftigen Bezeichnung Flur ..., Flurstücke ... a und b mit einer Größe von 1160 qm bzw. 1180 qm.

Unter dem 01.12.1999 haben die Antragsgegnerin - Bauaufsichtsbehörde - und als Käufer u.a. die Beigeladene sowie die xxxxxxxxxxxxxxx, vertreten durch Herrn xxxxxxxxxxxxx, den Ehemann der Antragstellerin, einen als öffentlich-rechtlichen Vertrag bezeichneten Vertrag geschlossen, dem die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der xxxxxxxxxxxxx an deren Stelle entsprechend ihrem Schreiben an die Antragsgegnerin vom 23.12.1999 beigetreten ist.

Die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch vorhandene Bebauung auf den Grundstücken der Beteiligten war als "internationale Ausbildungsstätte" bauaufsichtlich genehmigt und wird in der Präambel des Vertrags als gewerbliche Nutzung bezeichnet. Die zukünftige Bebauung wird im Vertrag als Wohnbebauung (Grundstück der Antragstellerin) und Bürogebäude (Baugrundstück) festgelegt. Art und Maß der baulichen Nutzung sowie Bauweise und Grundstücksgröße werden im Einzelnen geregelt. Die Vertragspartner stimmten darin überein, dass sich die derart festgelegte Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

Gegenstand des Nachbarstreits ist die von der Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15.03.2001 zum Neubau eines Verwaltungsgebäudes auf dem Baugrundstück, gegen die die Antragstellerin mit Schreiben vom 19.03.2001 Widerspruch eingelegt hat.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 01.08.2001 abgelehnt.

Gegen diesen Beschluss hat die Bevollmächtigte der Antragstellerin rechtzeitig Antrag auf Zulassung der Beschwerde gestellt und diesen auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 5 VwGO gestützt.

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Beschwerde gegen die im Tenor des Beschlusses näher bezeichnete Entscheidung ist gemäß § 146 Abs. 4 und 5, § 124 Abs. 2 VwGO statthaft, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg, weil die von der Antragstellerin geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben sind.

Die Anforderungen an den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, sind unter Berücksichtigung der Darlegungen der Antragstellerin in ihrem Zulassungsantrag nicht erfüllt.

Sie macht geltend, ein Verzicht auf ihre nachbarlichen Abwehrrechte könne nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 01.12.1999 hergeleitet werden. Sie, die Antragstellerin, sei der Auffassung, dass sie überhaupt nur insoweit auf ihre Abwehrrechte gegenüber der Beigeladenen und der Antragsgegnerin verzichtet habe, als sich das Neubauvorhaben auch tatsächlich in die Umgebung einfüge, wohingegen das Verwaltungsgericht der - unzutreffenden - Auffassung sei, dass jedes Vorhaben, das innerhalb der vertraglich abgestimmten Bandbreite liege und zur Genehmigung gestellt werde, auch tatsächlich genehmigungsfähig und genehmigungspflichtig sei. Die überwiegende Unterbauung des Baugrundstücks für die Zwecke einer Tiefgarage bis an die Grenze des Grundstücks der Antragstellerin sei unzulässig. Die Erschließung der Tiefgarage in der Abstandsfläche zu ihrem Grundstück verstoße gegen die Freihaltungsverpflichtung des Vertrages, die ausdrücklich einen Bereich von 5 m bis zur Grenze der für Wohnzwecke vorgesehenen Grundstücke von jeglicher Bebauung ausgenommen habe. Insoweit könne es nicht darauf ankommen, ob die Antragstellerin infolge der Überdachung der Tiefgaragenzufahrt von deren zukünftiger Nutzung "zumutbar" beeinträchtigt werde.

Dieser Vortrag vermag keinen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu begründen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass der Inhalt des Vertrages vom 01.12.1999 als Verzicht auf nachbarliche Abwehrrechte der am Vertrag beteiligten Käufer im Rahmen des Vertragsinhaltes auszulegen ist. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffende Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) und weist ergänzend auf Folgendes hin: Im Rahmen des Vertragsinhalts haben die Käufer der Grundstücke sich wechselseitig mit einer Bebauung der Grundstücke der jeweils anderen Erwerber nach Maßgabe der im Vertrag verabredeten Bebauung, im Vertrag als "geplante Bebauung" bezeichnet, einverstanden erklärt. Anders als bei einer Prüfung eines Vorhabens durch die Bauaufsichtsbehörde auf seine Rechtmäßigkeit kommt es nach den im Vertrag vom 01.12.1999 abgegebenen Erklärungen der Käufergemeinschaft nicht darauf an, ob sich die geplante Bebauung gemäß § 34 BauGB in die nähere Umgebung einfügt, sondern lediglich darauf, dass sich die genannte Bebauung innerhalb der in § 1 des Vertrags vereinbarten Beschränkungen von Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche hält. Anders als bei einer Verzichtserklärung der Nachbarn, die sich hinsichtlich materieller Abwehrrechte regelmäßig auf das Bauvorhaben beschränkt, das Gegenstand des jeweiligen Genehmigungsverfahrens ist, in dem sie abgegeben wurde, bezieht sich das Einverständnis der Erwerber der Grundstücke auf jede nach Maßgabe des § 1 des Vertrages für die anderen Grundstücke beantragte und genehmigte Bebauung. Dass das mit der Baugenehmigung vom 15.03.2001 genehmigte Verwaltungsgebäude die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht einhält, wird von der Antragstellerin nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Dass und ggfs. in welcher Weise sich das Vorhaben darüberhinaus an der in der Umgebung vorhandenen Bebauung ausrichten müsste, ergibt sich - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - aus dem Vertrag nicht. Das von der Antragstellerin im Zulassungsverfahren angeführte Zitat aus der Magistratsvorlage vom 10.11.1999, wonach sich die zulässige Bebauung an der südöstlich angrenzenden Bebauung zu orientieren habe, gibt die Einschätzung der Bauaufsichtsbehörde wieder, findet sich jedoch im Vertrag selbst nicht.

Soweit sich die Antragstellerin gegen die Unterbauung des Baugrundstücks für die Zwecke einer Tiefgarage und gegen die Anordnung der Zu- und Ausfahrt in der Abstandsfläche zum Grundstück der Antragstellerin wendet, lässt der Senat dahingestellt, ob sich insoweit eine Bindung der Antragstellerin durch eine u.a. aus der Teilnahme des Architekten xxxxxxxxxx an einer Besprechung des Architekten der Beigeladenen vom 26.07.2000 abgeleitete Anscheinsvollmacht ergeben könnte. Jedenfalls kann ein Abwehrrecht der Antragstellerin gegen die Errichtung der Tiefgarage und die Anlage der Zu- und Abfahrt in der Abstandsfläche nicht festgestellt werden, weil die Anlagen nicht gegen den Vertrag vom 23.12.1999 verstoßen und ihre Ausgestaltung nicht gegen Vorschriften verstößt, die nachbarschützende Wirkung haben.

Zutreffend weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass gemäß § 2 Tz. 2.2.2 des Vertrages über die nach § 50 HBO i.V.m. der städtischen Stellplatzsatzung erforderliche Anzahl hinaus so viele Stellplätze geschaffen werden sollten, dass der tatsächliche Bedarf der im Gebäude voraussichtlich arbeitenden Menschen und der regelmäßig zu erwartenden Besucher gedeckt werden sollte. Der Vertrag verhält sich hinsichtlich des Baugrundstücks lediglich zu dem geplanten Bürogebäude und schließt eine Unterbringung der Kraftfahrzeuge in einer Tiefgarage nicht aus. Die Antragstellerin wird auch durch die Lage und Ausgestaltung der Zufahrt nicht in Nachbarrechten verletzt. Entgegen ihrer Auffassung ist durch den Vertrag keine "bebauungsfreie" Zone zu ihrer Nachbargrenze vereinbart. Vielmehr sieht - worauf die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat - § 1 Bürogebäude Spiegelstrich 7 des Vertrages, lediglich vor, dass ein seitlicher Grenzabstand zur geplanten Wohnbebauung von mindestens 5 m einzuhalten ist. Die Zu- und Abfahrtsrampe zu der Tiefgarage braucht bauordnungsrechtlich keinen Grenzabstand einzuhalten, denn es handelt sich dabei um keine Anlage oder Einrichtung, von der Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (§ 6 Abs. 9 i.V.m. Abs. 1 HBO). Ob von der Rampe Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen, ist danach zu beurteilen, ob die Errichtung oder Nutzung der baulichen Anlagen Wirkungen zu äußern geeignet ist, die den Zweck der Abstandsregelung tangieren. Dabei sind die Gefahren im bauordnungsrechtlichen Sinne maßgebend, vor denen die Regelung der Abs. 1 bis 8 schützen sollen, nämlich die Gefahr der Brandübertragung, die Gefahr einer unzumutbaren Verschattung oder unzureichenden Lüftung sowie die Beeinträchtigung des Nachbarfriedens. Derartige Gefahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit durch das Befahren der Rampe Geräusche oder Abgase entstehen, handelt es sich nicht um Wirkungen von Gebäuden, sondern um Wirkungen, wie sie von Verkehrsflächen ausgehen. § 8 Abs. 9 HBO ist somit nicht einschlägig (Hess. VGH, B. v. 21.02.1996 - 4 TG 239/96 -; B. v. 31.08.1993 - 4 TH 1263/93 - BRS 55 Nr. 122).

Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Zu- und Abfahrt kann nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Betrachtung auch nicht festgestellt werden, dass sie die nach § 34 Abs. 1 BauGB gebotene Rücksichtnahme gegenüber dem Nachbargrundstück der Antragstellerin vermissen lässt. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen wesentlich von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Zwar kann eine offene Ein- und Ausfahrtrampe mit geringem Abstand zur Nachbargrenze an sich geeignet sein, eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zu Lasten des Nachbarn herbeizuführen, wenn keinerlei bauliche Vorkehrungen getroffen werden, um Lärmeinwirkungen auf ein Nachbargrundstück zu vermeiden. Ob die gebotene Rücksichtnahme tatsächlich verletzt wird, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls; im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten, dass die Zufahrt gegenüber dem höher gelegenen Grundstück der Antragstellerin durch eine bereits genehmigte Stützmauer, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist, abgeschirmt wird und mit einer Überdachung versehen werden soll. Hinzu kommt, dass das Grundstück der Antragstellerin noch unbebaut ist, sodass auch bei der Ausgestaltung der Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück, die ihrerseits einen seitlichen Grenzabstand von mindestens 5 m zu wahren hat (§ 1 Wohnbebauung Spiegelstrich 4 des Vertrages vom 01.12.1999), die hier streitgegenständliche Bebauung und Nutzung des Baugrundstücks berücksichtigt werden kann. Zu den Bauvorlagen gehört auch eine Schallprognose, derzufolge in der morgendlichen Einfahrts- und abendlichen Abfahrtszeit die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Wohngebiet von tagsüber 50 dBA selbst dann nicht überschritten würden, wenn die Zufahrtsrampe offen geblieben wäre, wie dies ursprünglich vorgesehen war. Die Antragstellerin ihrerseits hat sich mit der Ausgestaltung der Zu- und Abfahrt inhaltlich nicht auseinandergesetzt, vielmehr in ihrer Zulassungsbegründung in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob die Antragstellerin infolge der Überdachung der Tiefgaragenzufahrt von deren zukünftiger Nutzung "zumutbar" beeinträchtigt werde.

Die Beschwerde ist auch nicht aus den Gründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Wenn in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bestehen, weist die Rechtssache in der Regel auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die hier auch nicht dadurch dargetan sind, dass es sich - wie die Antragstellerin darlegt -, nicht um einen "alltäglichen" baurechtlichen Nachbarfall handelt.

Auch eine Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 GG), die die Antragstellerin in einer "Überraschungsentscheidung" sieht, kann nicht zu einer Zulassung der Beschwerde führen. Insoweit verweist der Senat auf seine Ausführungen zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, aus denen sich ergibt, dass aus Gründen des materiellen Rechts keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen. Die Antragstellerin hat nicht dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Mangel beruht oder beruhen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 3 und 25 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -) und folgt der zutreffenden Festsetzung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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