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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.01.2007
Aktenzeichen: 5 UZ 2485/06
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 130 | |
AO § 131 | |
AO § 218 Abs. 2 |
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Kommunaler Steuern
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider
am 16. Januar 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 4. September 2006 - 8 E 1025/05 - wird abgelehnt.
Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren auf 3170,01 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor des vorliegenden Beschlusses bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 4. September 2006 ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthaft, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Der mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2006 allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des vorgenannten Zulassungsgrundes sind dann gegeben, wenn der die Zulassung des Rechtsmittels unter Hinweis auf diesen Zulassungstatbestand begehrende Beteiligte einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, von 163).
Das Verwaltungsgericht hat den Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 15. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2005 im angefochtenen Umfang aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil die Beklagte bei Erlass des Abrechnungsbescheids die Bindungswirkung der bestandskräftigen Anrechnungsverfügungen vom 21. August 2000 und vom 3. September 2001 missachtet habe. Die dem Abrechnungsbescheid entgegenstehenden Anrechnungsverfügungen hätten nur unter den Voraussetzungen der §§ 130, 131 Abgabenordnung - AO - beseitigt werden können, die indessen nicht vorlägen.
Dem hält der Bevollmächtigte der Beklagten entgegen, die rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Anrechnungsverfügungen vom 21. August 2000 und vom 3. September 2001 entfalteten keine Bindungswirkung. Dies folge aus der Regelungssystematik der Abgabenordnung, da § 218 Abs. 2 AO eine gegenüber den §§ 130, 131 AO vorrangige Spezialvorschrift darstelle. Nach Sinn und Zweck des § 218 Abs. 2 AO solle die Finanzbehörde über das Bestehen beziehungsweise Nichtbestehen eines Anspruchs ohne Bindung an frühere Anrechnungsverfügungen entscheiden können und müssen.
Diese Einwände wecken beim Senat keinen ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Verfügungen der Steuerbehörden über die Anrechnung von entrichteten Vorauszahlungen oder einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen auf die im Wege der Veranlagung festgesetzte Jahressteuerschuld gehören zum Steuererhebungsverfahren. Sie werden nur aus Zweckmäßigkeitsgründen mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden. Der Sache nach handelt es sich bei dem Steuerbescheid und der Anrechnungsverfügung aber um zwei Regelungen, die auch in ihrer rechtlichen Beurteilung voneinander zu trennen sind und hinsichtlich der Bestandskraft, Rücknahme und Änderbarkeit unterschiedlichen Vorschriften unterliegen. Die Anrechnungsverfügung wirkt nicht rechtsbegründend (konstitutiv), da sie keine Rechte und Pflichten zur Entstehung bringt, die der Steuerpflichtige nicht auch ohne sie hätte. Es handelt sich vielmehr um einen "deklaratorischen" Verwaltungsakt, dessen Außenwirkung sich je nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattungsverfügung äußert. Aus dieser rechtlichen Einordnung der Anrechnungsverfügung erfolgt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 130 Abs. 2 AO, dass sie, wenn sie einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), nur zurückgenommen beziehungsweise geändert werden kann, wenn eine der hierfür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gegeben ist. Die Anrechnungsverfügung stellt deshalb einen Verwaltungsakt mit Bindungswirkung dar, der als begünstigender Verwaltungsakt das durch ihn begründete Vertrauen des Steuerpflichtigen auch gegenüber einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO im Rahmen des § 130 Abs. 2 AO schützt. Auch der Vorrang des Abrechnungsverfahrens gemäß § 218 Abs. 2 AO als des spezielleren und umfassenderen Verfahrens zur Entscheidung über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis besagt nichts über den Inhalt des Abrechnungsbescheids und die bei seinem Erlass zu beachtenden Bindungen an vorausgegangene Verwaltungsakte. Dieser Vorrang gilt nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht; es soll aus Gründen der Praktikabilität ausgeschlossen werden, dass über dieselbe Frage der Anrechnung von Steuern in zwei verschiedenen Verwaltungs- und Klageverfahren entschieden werden kann beziehungsweise muss (BFH, Urteil vom 15. April 1997 - VII R 100/96 -, BFHE 182, 506 = BStBl II 1997,787 = DStZ 1997, 686).
Auch der weitere Einwand des Bevollmächtigten der Beklagten, eine rechtswidrig zu hohe Anrechnung von Vorauszahlungen für einen falschen Zeitraum in einem Steuerbescheid stelle für sich genommen noch keine Begünstigung dar, nach der gefestigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung werde die Festsetzung einer Abgabe vielmehr ausschließlich als belastender Verwaltungsakt qualifiziert, weckt beim Senat keine Zweifel im oben genannten Sinne. Wie den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist, handelt es sich bei der Anrechnung von Vorauszahlungen durch eine Anrechnungsverfügung um einen eigenständigen Verwaltungsakt, der gerade nicht dem Festsetzungsverfahren, sondern dem Steuererhebungsverfahren zuzurechnen ist. Die Außenwirkung dieses Verwaltungsakts äußert sich - wie der Bundesfinanzhof im vorgenannten Urteil ausdrücklich ausführt - je nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattungsverfügung und hat dementsprechend einen begünstigenden oder einen belastenden Charakter.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die Höhe des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 3,47 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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