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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: 8 UE 879/03
Rechtsgebiete: GewO


Vorschriften:

GewO § 35 Abs. 1 Satz 3
GewO § 35 Abs. 7a
1. Erhält die Gewerbeuntersagungsbehörde von einer schon vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgten Aufgabe des Betriebs des Gewerbes oder der Geschäftsführertätigkeit erst im Gerichtsverfahren Kenntnis, so ist eine auf das Untersagungsverfahren bezogene "Fortsetzungsentscheidung" im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO nicht mehr möglich; an die Stelle dieser Fortsetzungsentscheidung tritt dann aber als zulässige behördliche Entscheidung die ausdrückliche oder konkludente Bekundung im Gerichtsverfahren, an der bereits erlassenen Gewerbeuntersagungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides festhalten zu wollen (im Anschluss an Senatsurteil vom 13.06.1983 - VIII OE 137/81 - GewArch 1984, 22).

2. Die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagungsverfügung beurteilt sich in einem solchen Fall danach, ob die Gewerbeuntersagung ungeachtet der Aufgabe des Betriebs des Gewerbes/der Geschäftsführertätigkeit wegen der Möglichkeit einer künftigen Wiederaufnahme erforderlich blieb ("Untersagungserforderlichkeit").


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 UE 879/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Gewerbeuntersagung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe, ehrenamtliche Richterin Hölzel, ehrenamtlicher Richter Ketter

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 22. August 2002 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten vorläufig vollstreckbar. Jedoch darf die Klägerin die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten des Beklagten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine an die Klägerin persönlich gerichtete Gewerbeuntersagung.

Die Klägerin war Geschäftsführerin und einzige Gesellschafterin der Firma "A. GmbH Baudekorationen". Für diese Firma war im Gewerbemelderegister der Stadt A-Stadt das Gewerbe "Betrieb sowie die Beteiligung an Unternehmen, die die Ausführung von sämtlichen Verputz-, Maler- und Tapezierarbeiten sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte zum Gegenstand haben" eingetragen. 1993 leitete der Beklagte gegen die GmbH und die Klägerin Gewerbeuntersagungsverfahren ein. Mit Verfügung vom 30. Juli 1999 untersagte der Beklagte gemäß § 35 Abs. 7 a i.V.m. Abs. 1 GewO der Klägerin das genannte Gewerbe und erstreckte die Untersagung auf jede selbständige gewerbliche Tätigkeit, soweit diese unter § 35 Abs. 1 GewO fällt, sowie auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person. Gleichzeitig wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 DM angedroht. Gestützt wurde die Gewerbeuntersagung auf im Einzelnen aufgeführte Schulden der GmbH bei öffentlichen Gläubigern. Offen gelassen wurde, ob die Klägerin als "Strohfrau" für ihren Vater agiert habe.

Ebenfalls unter dem 30. Juli 1999 erging eine an die GmbH gerichtete Gewerbeuntersagungsverfügung. Der - nach Erlass des Widerspruchsbescheides - hiergegen gerichteten Klage gab das Verwaltungsgericht Darmstadt mit Urteil vom 14. August 2001 unter dem Aktenzeichen 3 E 914/00 statt, soweit der Beklagte der GmbH auch jede selbständige Tätigkeit untersagt hatte, die unter § 35 Abs. 1 GewO fällt. Dieses Urteil wurde dadurch rechtskräftig, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Februar 2002 unter dem Aktenzeichen 8 UZ 2811/01 den Berufungszulassungsantrag des Beklagten ablehnte.

Gegen die an sie persönlich gerichtete und ihrem Bevollmächtigten am 3. August 1999 zugestellte Gewerbeuntersagungsverfügung legte die Klägerin am 1. September 1999 Widerspruch ein.

Am 12. November 1999 verkaufte die Klägerin ihren Geschäftsanteil an ihre Stiefmutter, Frau Marlies A. geborene D.. Am selben Tag wurden die Klägerin als Geschäftsführerin entlassen und Frau Marlies A. zur neuen Geschäftsführerin bestellt. Von diesen Umständen erfuhr der Beklagte zunächst nichts.

Er wies unter dem 2. März 2000 den Widerspruch zurück und stützte diese Entscheidung auf Zahlungsverbindlichkeiten der GmbH, die die Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH zu verantworten habe. Im Einzelnen gab der Beklagte folgende Schulden bei öffentlichen Gläubigern an: Sozialversicherungsbeiträge bei der AOK Frankfurt in Höhe von 11.761,00 DM, Sozialversicherungsbeiträge bei der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt am Main in Höhe von 6.559,00 DM, Abgabenrückstände bei dem Finanzamt A-Stadt in Höhe von 10.500,00 DM (Säumniszuschläge) und Abgabenrückstände bei dem Finanzamt E-Stadt in Höhe von 20.585,00 DM. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 7. März 2000 zugestellt.

Am 5. April 2000 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie hat vorgetragen, die im Widerspruchsbescheid aufgeführten Zahlungsverbindlichkeiten bestünden nicht. Die Sozialversicherungsbeiträge seien bis auf den aktuellen Abrechnungsmonat bezahlt, so dass hier ein Rückstand nicht bestehe. Die Sozialversicherungsbeiträge bei der Bau-BG, Frankfurt, seien per 31. Dezember 1999 auf 6.559,90 DM zurückgeführt worden. Dieser aktuelle Stand sei mit Schreiben vom 22. Februar 2000 gestundet. Steuerrückstände beim Finanzamt A-Stadt bestünden nicht. Die Steuerrückstände beim Finanzamt E-Stadt seien im Wege einer Pfändung beglichen.

Am 11. Mai 2000 wurde der Geschäftsführer-Wechsel der GmbH im Handelsregister eingetragen. Von dem Geschäftsführer-Wechsel erfuhr der Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 14. August 2001.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 30. Juli 1999 und den Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 2. März 2000 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hätten bei dem Finanzamt E-Stadt Abgabenrückstände in Höhe von 20.585,23 DM bestanden, bei dem Finanzamt A-Stadt Steuerrückstände in Höhe von 10.634,00 DM. Erst nach diesem Zeitpunkt sei der GmbH eine Stundung/Ratenzahlung dieses Betrages gewährt worden. Bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG hätten die Rückstände zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides 3.713,71 DM betragen und bei der AOK "bis 31.03.2000" 9.618,80 DM. Er, der Beklagte habe zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nichts von dem Geschäftsführerwechsel wissen können, da die Eintragung in das Handelsregister erst am 11. Mai 2000, also nach Erlass des Widerspruchsbescheides, erfolgt sei. Es werde darauf ankommen, wie sich der Sachstand zum Zeitpunkt des Geschäftsführerwechsels am 12. November 1999 dargestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH hohe und von ihr zu verantwortende Rückstände hinterlassen. Durch den Geschäftsführerwechsel könne sie sich den Folgen ihres Fehlverhaltens nicht entziehen. Dass die Klägerin ihre Geschäftsführertätigkeit im Laufe des Verfahrens aufgegeben habe, stehe der Gewerbeuntersagung nicht entgegen. Diese Aufgabe lasse ihre festgestellte gewerberechtliche Unzuverlässigkeit und damit auch die potenzielle Gefahr für die Allgemeinheit nicht entfallen. Die Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit erlaube nicht die Schlussfolgerung, dass zukünftig keine selbständige bzw. vergleichbare Tätigkeit mehr ausgeübt werden solle. Gerade wegen des Lebensalters der Klägerin lasse sich nicht ausschließen, dass sie nochmals den Entschluss zu einer selbständigen bzw. vergleichbaren Tätigkeit fasse. Das aber müsse im Hinblick auf die Unzuverlässigkeit der Klägerin verhindert werden. Daher werde unter Ausübung des in § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO eingeräumten Ermessens an der gegen sie ergangenen Gewerbeuntersagung aus Gründen der vorbeugenden Gefahrenabwehr festgehalten.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2002 ergangenen Urteil der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, weil der Beklagte das in § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO vorgesehene Ermessen bezüglich der Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht ausgeübt habe. Die vom Beklagten in den an das Gericht gerichteten Schriftsätzen vom 26. April und 5. Juni 2002 nachgereichten Begründungen könnten den Ermessensausfall nach § 114 Satz 2 VwGO nicht nachträglich heilen. Es spiele keine Rolle, dass die Behördenentscheidung auf Grund von unzutreffenden Auskünften des Amtsgerichts und der Stadt A-Stadt erfolgt sei. Die Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin am 12. November 1999 sei konstitutiv gewesen. Handels- und Gewerberegister seien zwar in der Regel ein Indiz für die tatsächliche Ausübung des Gewerbes; sie änderten aber nichts an der ihnen entgegenstehenden Rechtslage und auch nichts an der Ermittlungs- und Beweislast der Behörde. Diese habe unabhängig von den genannten Indizien aufzuklären, ob das Gewerbe tatsächlich ausgeübt werde. Die Klägerin sei nicht dazu verpflichtet gewesen, der Behörde insoweit einen Hinweis zu geben.

Das Urteil wurde am 4. September 2002 abgesandt. Auf den am 24. September 2002 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag des Beklagten hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) im Hinblick auf die Rechtsfrage zugelassen, ob bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine bisher nicht getroffene Ermessensentscheidung zumindest dann nachgeholt werden kann, wenn die die Ermessensentscheidung erforderlich machenden Umstände der Behörde erst nach Einleitung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bekannt geworden sind. Der Beschluss des Senats wurde dem Beklagten am 7. April 2003 zugestellt.

Am 6. Mai 2003 hat der Beklagte die Berufung begründet und zunächst auf seine Begründung im Schriftsatz vom 23. September 2002 verwiesen. Im Übrigen trägt er vor, durch die Neufassung des § 114 Satz 2 VwGO hätten der Behörde im Hinblick auf die Prozessökonomie weitreichende Heilungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollen. Es habe klargestellt werden sollen, dass ein Nachschieben von Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich sei. Selbst wenn man der restriktiven Auffassung von Schenke (NJW 1997, 88) folge, müsse § 114 Satz 2 VwGO zumindest in den Fällen ein Nachschieben von Ermessenserwägungen gestatten, in denen die Behörde von den das Ermessen auslösenden Tatsachen erst im gerichtlichen Verfahren Kenntnis erlange bzw. trotz entsprechender Ermittlungen auch erst im gerichtlichen Verfahren habe Kenntnis erlangen können. Dies sei zudem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 13. Juni 1983 - 8 OE 137/81 - (GewArch 1984, 22) systemgerecht. Da es nach dieser Rechtsprechung sogar möglich gewesen sei, allein durch konkludentes Bekunden im Rechtsstreit eine Heilung herbeizuführen, müsse es der Behörde erst recht im Lichte des geänderten § 114 Satz 2 VwGO möglich sein, entsprechende Ermessenserwägungen auch noch nachträglich anzustellen. Sonst hätte es der Kläger allein durch bewusstes Verschweigen von das Ermessen auslösenden Tatsachen in der Hand, den Ausgang eines Prozesses positiv zu beeinflussen.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 22. August 2002 - 3 E 915/00 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Heftstreifen) sowie die Gerichtsakten des die Firma A. GmbH Baudekoration betreffenden Parallelverfahrens VG Darmstadt 3 E 914/00 = Hess. VGH 8 UZ 2811/01 (1 Band) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen, die gewechselten Schriftsätze und den darüber hinausgehenden Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

Die vom Senat zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Beklagte fristgemäß eine Berufungsbegründung eingereicht.

Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage nicht stattgeben dürfen. Diese ist zwar zulässig, aber nicht begründet; denn die angefochtene Gewerbeuntersagungsverfügung vom 30. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin ist unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 7 a GewO, denn zur maßgeblichen Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides bestanden erhebliche, von der Klägerin als Geschäftsführerin zu verantwortende Schulden der GmbH, nämlich bei dem Finanzamt E-Stadt Abgabenrückstände in Höhe von 20.585,23 DM und bei dem Finanzamt A-Stadt Steuerrückstände in Höhe von 10.634,00 DM. Auf die Frage, ob außerdem bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes und bei der AOK nennenswerte Rückstände bestanden, kommt es insoweit nicht an.

Der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung steht gemäß § 35 Abs. 7 a Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 GewO nicht entgegen, dass die Klägerin noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides ihre Geschäftsführertätigkeit aufgegeben hat. Denn aus den vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren - insbesondere im Schriftsatz vom 5. Juni 2002 - dargelegten Gründen war im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides die Wiederaufnahme einer entsprechenden Tätigkeit zu erwarten und deshalb die Gewerbeuntersagung erforderlich geblieben.

Der Umstand, dass die Klägerin nicht selbst Gewerbetreibende war, sondern Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der "A. GmbH Baudekorationen", schloss eine an sie persönlich gerichtete Gewerbeuntersagung nicht aus. Nach § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO kann die Untersagung auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragte Personen ausgesprochen werden. Dies und die in § 35 Abs. 7a Satz 3 GewO erfolgte Bezugnahme auf § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO bedeuten, dass jedenfalls bei der Einleitung der gegen den Gewerbetreibenden und den Vertretungsberechtigten gerichteten Untersagungsverfahren der Vertretungsberechtigte in dieser Funktion tätig gewesen sein muss und dass es unschädlich ist, wenn nach diesem Zeitpunkt, aber vor Beendigung des Verfahrens ("während des Verfahrens"), der Gewerbetreibende und/oder der Vertretungsberechtigte ihre Tätigkeit einstellen. Das Untersagungsverfahren gegen den Vertretungsberechtigten kann dann nach dem entsprechend anwendbaren § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO fortgesetzt werden (vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Band I, Gewerbeordnung, Stand: 44. Ergänzungslieferung, Mai 2003, Rdnr. 97 a zu § 35).

Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 7 a Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 GewO sind hier erfüllt, denn zur Zeit der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens im Jahre 1993 übte die Klägerin die Geschäftsführertätigkeit noch aus. Erst am 12. November 1999, also nach Erlass der Gewerbeuntersagungsverfügung vom 30. Juli 1999 und nach Einlegung des Widerspruchs am 1. September 1999, wurde die Klägerin als Geschäftsführerin der A. GmbH Baudekorationen abgelöst.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass der Beklagte von der vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgten Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfahren hat, so dass es für ihn ausgeschlossen war, auf diesen Umstand noch vor Abschluss des Untersagungsverfahrens mit einer auf dieses Verfahren bezogenen "Fortsetzungsentscheidung" gem. § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO zu reagieren. Nach der Rechtsprechung des Senats tritt in einem solchen Fall an die Stelle der "Fortsetzungsentscheidung" im Verwaltungsverfahren die - gegebenenfalls konkludente - Bekundung der Behörde im anhängigen Gerichtsverfahren, an der bereits erlassenen Untersagungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides festhalten zu wwollen (Urteil vom 13.06.1983 - VIII OE 137/81 - GewArch 1984, 22; zustimmend hierzu Friauf/Heß, Kommentar zur Gewerbeordnung, § 35 GewO Rn. 10). Dem folgt der Senat weiterhin, denn nur dieses Verständnis wird der mit der Einfügung des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO durch das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 13. Februar 1974, BGBl. I S. 161, verfolgten Zielsetzung gerecht. Die Vorschrift will verhindern, dass sich unzuverlässige Gewerbetreibende der behördlichen Feststellung ihrer Unzuverlässigkeit dadurch entziehen, dass sie ihr Gewerbe - bzw. hier die Geschäftsführertätigkeit - bei drohender Gewerbeuntersagung aufgeben (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 7/111, S. 6). Wegen der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Gewerbes/der Geschäftsführertätigkeit kann nach wie vor ein berechtigtes Interesse der Behörde an der Feststellung der Unzuverlässigkeit und Untersagung einer gewerblichen Tätigkeit bestehen. § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO ermöglicht es deshalb der Behörde, dieses Interesse noch im Rahmen des anhängigen Untersagungsverfahrens zur Geltung zu bringen. Durch das Weiterführen des einmal eingeleiteten Untersagungsverfahrens wird vermieden, dass gegen den Gewerbetreibenden/den Geschäftsführer nach neu aufgenommener Gewerbetätigkeit/Geschäftsführertätigkeit ein neues - weiteres - Untersagungsverfahren eingeleitet werden muss (vgl. Landmann/Rohmer/Marcks, Kommentar zur Gewerbeordnung, § 35 Rn. 96). Wenn - wie es dem Regelfall entspricht - die Behörde von der Aufgabe des Betriebs des Gewerbes/der Geschäftsführertätigkeit bereits im Verwaltungsverfahren Kenntnis erlangt, so bringt sie ihr fortbestehendes Interesse an der Feststellung der Unzuverlässigkeit durch die in § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO vorgesehene "Fortsetzungsentscheidung" mit dem Ziel des Erlasses der angestrebten Untersagungsverfügung zur Geltung. Hat die Behörde dagegen - wie in dem vorliegenden Fall - die erforderliche Kenntnis erst in dem sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren erlangt, so kann die der Zielsetzung des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO entsprechende Reaktion nur darin bestehen, dass sie nunmehr - ausdrücklich oder konkludent - ihren Willen bekundet, an der bereits erlassenen Untersagungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides festzuhalten. Die bereits vorliegende Untersagungsverfügung ist dann - mit der ergänzenden Begründung, dass die sie rechtfertigende "Untersagungserforderlichkeit" wegen der Möglichkeit einer künftigen Wiederaufnahme von Gewerbe oder Geschäftsführertätigkeit nach wie vor zu bejahen ist - Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die Beklagte hat durch ihre Ausführungen im vorliegenden Gerichtsverfahren in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie ungeachtet der schon im Verwaltungsverfahren erfolgten - ihr selbst aber erst im Gerichtsverfahren zur Kenntnis gebrachten - Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin an der Untersagungsverfügung wegen fortbestehender Untersagungserforderlichkeit festhalte. Als "Neubewertung" der Untersagungsverfügung ist dies nicht zu beanstanden. Damit aber erweist sich die angefochtene Gewerbeuntersagung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als rechtmäßig.

Soweit das Verwaltungsgericht eine Fehlerhaftigkeit der streitigen Gewerbeuntersagung darin gesehen hat, dass der Beklagte das in § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO vorgesehene Ermessen bei der Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens nicht ausgeübt habe und diesen Mangel auch nicht gem. § 114 Satz 2 VwGO durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen im Gerichtsverfahren habe heilen können, kann dem schon im Ansatz nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht, dem anscheinend das Urteil des Senats vom 13. Juni 1983 (a.a.O.) nicht bekannt war, stellt auf ein aus der Ermächtigung der Behörde zur Fortsetzung des Untersagungsverfahrens sich ergebendes Ermessen ab. Dieses Ermessen hätte, wie das Verwaltungsgericht meint, von dem Beklagten im Verlauf des Verwaltungsverfahrens, somit spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ausgeübt werden müssen, sei tatsächlich aber nicht ausgeübt worden und könne auch nicht im Gerichtsverfahren nachgeschoben werden, da § 114 Satz 2 VwGO die erstmalige Begründung einer Ermessensentscheidung ebenso wenig gestatte wie das vollständige Auswechseln bereits angestellter Ermessenserwägungen. Mit dieser Betrachtungsweise lässt das Verwaltungsgericht außer Acht, dass die Behörde, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - erst im Gerichtsverfahren von der Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit erfährt, eine noch auf das Verwaltungsverfahren bezogene Fortsetzungsentscheidung nicht mehr treffen kann, da dieses Verfahren abgeschlossen ist. Fortsetzung im Sinne des § 35 Abs. 3 GewO ist nur denkbar in Bezug auf ein noch nicht abgeschlossenes, also noch anhängiges und insoweit noch "fortsetzungsfähiges" Verwaltungsverfahren. Scheidet die Fortsetzung als solche aus, so gilt dies naturgemäß auch für das auf die Fortsetzung bezogene "Fortsetzungsermessen". Einer Behörde wird nicht abverlangt werden können, Fortsetzungsermessen in Bezug auf ein Verfahren auszuüben, welches sich, weil abgeschlossen, gar nicht fortsetzen lässt.

Unabhängig davon begegnet auch die unmittelbare Anknüpfung der Prüfung des Verwaltungsgerichts an die Ermessensausübung Bedenken. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Urteil vom 16. März 1982 (- 1 C 124/80 - GewArch 1982, 303) klargestellt hat, handelt es sich bei dem Ermessen zur Verfahrensfortsetzung im Stadium des Verwaltungsverfahrens um eine "Entschließung ohne Verwaltungsaktscharakter". Diesem Verständnis hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung in der Folgezeit angeschlossen (vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.12.1999 - 4 A 4559/99 - GewArch 2000, 387 = NVwZ-RR 2000, 779). Gemeint ist damit, dass Außenwirkung erst die regelnde Untersagungsverfügung entfaltet, die als das eigentliche Ziel am Ende des fortgesetzten Verfahrens steht. Die Fortsetzungsentscheidung selbst erweist sich mit Blick auf diese Verfügung als ein bloßer "Verfahrensschritt", dessen Berechtigung keiner selbständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ob die Verfahrensfortsetzung gerechtfertigt war, stellt sich inzident im Zusammenhang mit der Überprüfung der Untersagungsverfügung heraus. Dabei besteht ein Abhängigkeitsverhältnis dahingehend, dass die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung, gestützt auf das Fortbestehen der Untersagungserforderlichkeit, in aller Regel die Aussage erlaubt, dass auch schon die Fortsetzungsentscheidung als nicht nach außen dringender verfahrensmäßiger Ermessensakt rechtmäßig war. Denn die beste Bestätigung dafür, dass die Behörde mit ihrer Fortsetzungsentscheidung "richtig lag", ist die wegen fortbestehender Untersagungserforderlichkeit rechtmäßige Untersagungsverfügung, mit der das fortgesetzte Verfahren seinen Abschluss findet.

Soweit eine Fortsetzungsentscheidung - und damit auch eine hierauf bezogene Ermessensausübung - wegen des bereits beendeten Verwaltungsverfahrens nicht mehr in Betracht kommt, tritt an deren Stelle, wie oben unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 13. Juni 1983 bereits ausgeführt, die Bekundung der Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, an der bereits erlassenen Untersagungsverfügung in der Fassung des Widerspruchsbescheides festhalten zu wollen. Ein Ermessensproblem, wie es das Verwaltungsgericht in Bezug auf die "Fortsetzungsentscheidung" gesehen hat, stellt sich dabei von vornherein nicht. Die "Festhaltensentscheidung" im Gerichtsverfahren geht - im Unterschied zur Fortsetzungsentscheidung im Verwaltungsverfahren - der Untersagungsverfügung nicht zeitlich voraus, sondern sie folgt ihr, in dem sie sie aufrechterhält. Unmittelbarer Anknüpfungspunkt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung bleibt auch hier die als Verwaltungsakt erlassene Gewerbeuntersagung. Ihre Rechtmäßigkeit hängt davon ab, dass sie sich wegen der Möglichkeit der Wiederaufnahme des schon vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens aufgegebenen Betriebs des Gewerbes/der Geschäftsführertätigkeit nach wie vor als erforderlich erweist. Aus der Bejahung der Untersagungserforderlichkeit lässt sich dann - und darin läge wieder eine Parallele zur Fortsetzungsentscheidung im Verwaltungsverfahren - auf die Rechtmäßigkeit auch der Entscheidung der Behörde für das Festhalten an der Untersagungsverfügung schließen.

Das Fortbestehen der Untersagungserforderlichkeit auch nach erfolgter Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin, auf welches es nach den vorstehenden Ausführungen entscheidend ankommt, ist von dem Beklagten rechtsfehlerfrei bejaht worden. Die Begleitumstände des Falles rechtfertigten die Annahme, dass eine künftige Wiederaufnahme der Geschäftsführertätigkeit oder weitergehend des Betriebs dieses oder eines anderen Gewerbes durch die Klägerin nicht nur nicht auszuschließen, sondern als Möglichkeit ernstlich in Betracht zu ziehen war. Die Klägerin hat mit notariellem Vertrag vom 12. November 1999 die Geschäftsführertätigkeit an ihre Stiefmutter abgegeben. Die Geschäftsführung bleibt damit gleichsam "in der Familie". Die Klägerin selbst befindet sich in einem Lebensalter, welches die erneute Übernahme von Aufgaben, wie sie sie nach den Angaben ihres Vaters in der mündlichen Verhandlung am 14. August 2001 vor dem Verwaltungsgericht im Betrieb wahrgenommen hat, jederzeit erlaubt, wobei auch ein anderer Betrieb als der derzeitige Familienbetrieb in Frage kommen mag. Wäre von ihr eine auf Dauer angelegte Aufgabe der Tätigkeit als Gewerbetreibende oder Geschäftsführerin wirklich beabsichtigt gewesen, so hätte es im Übrigen nahegelegen, den Wechsel in der Geschäftsführung schon im Untersagungsverfahren zur Kenntnis zu geben, anstatt zunächst den Versuch zu unternehmen, die Gewerbeuntersagung mit Argumenten, die die ihr zur Last gelegte Unzuverlässigkeit wegen bestehender Abgaben- und Beitragsrückstände betrafen, zu Fall zu bringen.

Der Berufung der Beklagten ist nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt sind. Der Frage, ob an die Stelle einer - wegen behördlicher Kenntniserlangung erst im gerichtlichen Verfahren - nicht mehr möglichen Fortsetzungsentscheidung im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO die Entscheidung der Behörde im Gerichtsverfahren tritt, an der ergangenen Untersagungsverfügung festzuhalten, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

Ende der Entscheidung

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