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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.09.2008
Aktenzeichen: 1 B 1628/08
Rechtsgebiete: AufenthV, AufenthG


Vorschriften:

AufenthV § 39 Nr. 3
AufenthG § 5 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 28
AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2
Der Begriff "Einreise" im § 39 Nr. 3 AufenthV stellt auf die letzte, der Antragstellung vorausgehende Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ab.

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitel i. S. v. § 39 Nr. 3 AufenthV müssen regelmäßig sämtlich während der Geltungsdauer des kurzfristigen Schengen-Visums entstanden sein; es genügt nicht, wenn dies nur für das letzte noch fehlende Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs der Fall ist.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 B 1628/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Präsident des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richterin am Hess. VGH Schild

am 22. September 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14. Juli 2008 - 9 L 1417/08.GI - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis für die Antragstellerin zu 1. zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann zu Recht abgelehnt. Die Beschwerdebegründung, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, bietet keinen Anlass zu einer abweichenden Entscheidung.

Die Antragstellerin hat auch unter Berücksichtigung von § 39 Nr. 3 AufenthV keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis. Zwar mag sie ihren Antrag - entgegen den Feststellungen des Antragsgegners - noch rechtzeitig vor Ablauf ihres von den französischen Behörden ausgestellten Schengenvisums für kurzfristige Aufenthalte gestellt haben. Insoweit folgt der Senat der Fristberechnung, die das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Beschluss (S. 8 des Beschlussabdrucks) vorgenommen hat und geht ebenfalls davon aus, dass jedenfalls für die Zwecke der Anwendung der nationalen Regelung des § 39 AufenthV die Fristberechnung nach deutschem Recht vorzunehmen ist und die 90 Tage bei einer Einreise am 11. Oktober 2007 demgemäß erst am 9. Januar 2008 endeten. Die Antragstellerin hat also die Aufenthaltserlaubnis noch zu einem Zeitpunkt beantragt, zu dem sie sich im Besitz eines gültigen Schengenvisums für kurzfristige Aufenthalte befand, so dass § 39 Ziffer 3 AufenthV grundsätzlich anwendbar ist. Die weitere Bedingung, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sein müssen, erfüllt die Antragstellerin jedoch nicht.

Dabei legt der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht zugrunde, dass die Antragstellerin das französische Schengenvisum nur für die Teilnahme an der von ihr gebuchten Pauschalreise nach Paris erhalten hat und am 11. Oktober 2007 ordnungsgemäß über den Pariser Flughafen Roissy eingereist ist. Anschließend nahm die Antragstellerin allerdings nicht an der Parisreise teil, sondern traf sich mit ihrem jetzigen Ehemann - dem Antragsteller zu 2. -, um mit ihm am 18. Oktober 2007 in Dänemark die Ehe zu schließen. Erst danach reisten die Antragsteller gemeinsam in die Bundesrepublik Deutschland und meldeten sich bereits am 19. Oktober 2007 bei der Ausländerbehörde des Antragsgegners. Über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verfügte die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt ausweislich der Vermerke der Ausländerbehörde über diese und eine weitere Vorsprache am 22. Oktober 2007 nicht.

Bei diesem Geschehensablauf spricht alles dafür, dass die maßgebliche Einreise im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV erst nach der Eheschließung in Dänemark erfolgt ist und damit die entscheidende Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG - nämlich die Eheschließung, um den Status als "Ehegatte eines Deutschen" zu erhalten - bereits vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und nicht erst danach erfüllt war.

Der Senat ist auch ebenso wie das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass der Begriff "Einreise" in § 39 Ziffer 3 AufenthV nur die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber die Einreise in den Schengenraum als solchen meinen kann. Denn bei § 39 Nr. 3 AufenthV handelt es sich um eine nationale Ausnahmeregelung zu den generellen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG, die in der Regel die Einreise mit dem für den angestrebten Aufenthaltszweck erforderlichen Visum und die Eintragung der maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag verlangen. Insofern können auch Rückausnahmen von dieser Regelung, wie sie mit § 39 AufenthV aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 99 Abs. 1 AufenthG ergangen sind, nur nationale Abweichungen erlauben, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift folgerichtig auf die nationale Einreise abzustellen haben. Dem entspricht auch die Begründung des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) zur Änderung des Aufenthaltsrechtes aufgrund der Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drs. 16/5065, S. 240) hat nämlich die bisherige Fassung von § 39 Nr. 3 AufenthV mit der Formulierung, dass "... die Voraussetzungen eines Anspruchs erfüllt" sein müssen, einen visumpflichtigen Ausländer berechtigt, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise zu stellen, obwohl er im Visumantrag touristische Zwecke angibt und nur deswegen ein Schengenvisum ohne Zustimmung der Ausländerbehörde erhalten kann. Dabei wird das Visum für den Kurzaufenthalt entgegen dem angegebenen Zweck für einen auf Dauer angelegten Aufenthalt genutzt und somit die Beteiligung der Ausländerbehörden umgangen. Diese Umgehungsmöglichkeit soll durch die neue Formulierung "nach der Einreise entstanden" ausgeschlossen werden, wobei sogar in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die bisherige - jetzt zu verhindernde - Praxis z. B. der Heirat eines Deutschen in Dänemark verwiesen wird. Diesem Zweck kann die Neuregelung nur entsprechen, wenn der Begriff "Einreise" als (letzte) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor Stellung des Antrags auf Aufenthaltserlaubnis verstanden wird, denn nur dann werden Missbrauchs- oder Umgehungsmöglichkeiten durch z. B. ausländische Eheschließungen ausgeschlossen (so im Ergebnis auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.07.2008 - 11 S 1041/08 -, der zwar zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt, jedoch die Regelung des § 39 Nr. 3 AufenthV ebenfalls als eine solche betrachtet, die als Ausnahme von der nationalen Visumpflicht nur auf die letzte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abstellen kann - vgl. S. 13 des Beschlussabdrucks -).

Dieser Argumentation kann die Antragstellerin nicht entgegenhalten, dass ihr Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft letztlich erst zu dem Zeitpunkt entstanden ist, als sie ausreichende deutsche Sprachkenntnisse im Sinne von § 28 Satz 5 i. V. m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachweisen konnte, also erst nach Absolvieren der Sprachprüfung bei der VHS im Mai 2008. Dem stehen zum einen die bereits vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen entgegen, dass dann die Sprachprüfung und damit der Nachweis der Sprachkenntnisse nicht mehr während der Geltungsdauer des Schengenvisums erfolgt ist und es damit an der Voraussetzung des Besitzes eines (noch gültigen) Schengenvisums bei Entstehung des Anspruchs fehlt. Zum zweiten bietet die nachgewiesene akademische Bildung der Antragstellerin auch hinreichenden Anlass, von erkennbar geringem Integrationsbedarf im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auszugehen, so dass die deutschen Sprachkenntnisse als Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entbehrlich sein dürften.

Schließlich sprechen aber auch generelle Erwägungen dagegen, es für die Entstehung des Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise ausreichen zu lassen, wenn nur die letzte noch fehlende Anspruchsvoraussetzung nach der Einreise erfüllt wird (so aber VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.07.2008 - 11 S 1041/08 -). Vielmehr liegt es nach dem Wortlaut der Vorschrift ("Voraussetzung e n") sowie deren Sinn und Zweck bedeutend näher, dass regelmäßig sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erst nach der Einreise entstanden sein dürfen, weil bei einem Abstellen allein auf das letzte, bislang noch fehlende Tatbestandsmerkmal für Manipulationen ein weiter Raum eröffnet würde. Gerade das Merkmal der einfachen deutschen Sprachkenntnisse zeigt dies sehr deutlich: Würde man nämlich zulassen, dass allein der Erwerb der Sprachkenntnisse nach der Einreise erfolgt ist, während sämtliche übrigen Voraussetzungen von § 28 oder § 30 AufenthG bereits früher erfüllt sind, so könnte ein mit einem/r Deutschen oder einem in Deutschland lebenden fremden Staatsangehörigen verheirateter Ausländer ohne weiteres mit einem kurzfristigen Schengenvisum einreisen, die Deutschkenntnisse während der Geltungsdauer des Schengenvisums in Deutschland erwerben und dann mit Aussicht auf Erfolg unter Berufung auf § 39 AufenthV einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellen, obwohl das nach dem Aufenthaltsgesetz vorgesehene Visumverfahren als Integrationsvoraussetzung den Erwerb der Sprachkenntnisse bereits im Heimatland vorsieht. Das vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg für die gegenteilige Auffassung angeführte Beispiel des Ehegattennachzugs zu Ausländern, bei dem dann nur solche Ehen privilegiert wären, bei denen beide Ehegatten im Zeitpunkt der Einreise das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, überzeugt demgegenüber nicht. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG soll lediglich eine Eheschließung von Ehegatten unter 18 Jahren ausschließen, jedoch nicht die Privilegierung nach § 39 Nr. 3 AufenthV auch für von Anfang an volljährige Ehegatten ausschließen, was bei einer sinn- und zweckorientierten Auslegung von § 39 Nr. 3 AufenthV entsprechend berücksichtigt werden kann.

Da die Antragstellerin somit nicht durch § 39 Nr. 3 AufenthV privilegiert ist, die Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einzuholen, ist sie auch nicht davon befreit, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 AufenthG erfüllt sein müssen, d. h. dass sie mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Daran fehlt es angesichts des vorgeschobenen Aufenthaltszwecks, an einer Pauschalreise nach Paris teilzunehmen, und des tatsächlichen Aufenthaltszwecks der Eheschließung und der zu führenden Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Ehegatten. Von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen kann - außer im Fall eines Anspruchs auf Erteilung des Aufenthaltstitels - zwar auch aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles abgesehen werden, wenn es nicht zumutbar erscheint, das Visumverfahren nachzuholen. Diese Unzumutbarkeit hat das Verwaltungsgericht jedoch trotz des ärztlichen Attestes über eine zunehmende reaktive Depression der Antragstellerin wegen der befürchteten Trennung von ihrem Ehemann zu Recht verneint. Denn unabhängig davon, dass die Depression durch das ärztliche Attest letztlich nur behauptet, nicht aber im Einzelnen nachvollziehbar beschrieben oder belegt wird und das Attest darüber hinaus nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen, sondern von einem Arzt für Allgemeinmedizin stammt, haben die Antragsteller es auch selbst in der Hand, die vorübergehende Rückkehr der Antragstellerin nach Russland zur Durchführung des Visumverfahrens verträglich zu gestalten, indem z. B. der ebenfalls aus Tomsk stammende Antragsteller sie dorthin für einen gewissen Zeitraum begleitet.

Soweit die Antragstellerin sich ergänzend darauf beruft, dass ihr aufgrund des Auslandsbezuges durch die Eheschließung in Dänemark als Ehefrau eines Unionsbürgers auch eine Aufenthaltserlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 EG zusteht, ist diese Aufenthaltserlaubnis nicht Gegenstand des angefochtenen Ablehnungsbescheides und damit auch nicht des anhängigen Beschwerdeverfahrens. Vielmehr wird darüber aufgrund des nachträglich gestellten Antrages vom 14. August 2008 zunächst die Ausländerbehörde zu entscheiden haben.

Da die Antragsteller unterlegen sind, haben sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG und geht für jeden Antragsteller von der Hälfte des Auffangstreitwertes aus.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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