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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.07.2003
Aktenzeichen: 1 TG 1275/03
Rechtsgebiete: GG, HGB, HV


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
HBG § 4 Abs. 2 S. 1
HBG § 8 Abs. 1
HV Art. 134
1. Die dienstliche Beurteilung selbst ist keine Entscheidung über die persönlichen Angelegenheiten des beurteilten Bediensteten im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 HBG, sondern eine Wertung, die künftige derartige Entscheidungen lediglich vorbereitet. Für die dienstliche Beurteilung der Leistungen während einer Abordnungszeit ist die Dienststelle zuständig, deren Aufgaben wahrgenommen wurden (wie BVerwG, Urteil vom 17.04.1986 - 2 C 28.83 - ZBR 1986, 330 m. w. N.).

2. Die dienstliche Beurteilung der Leistungen während einer Abordnung ist von der für eine personelle Auswahlentscheidung zuständigen Stelle zu würdigen und im Hinblick auf die Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle in Beziehung zu den dienstlichen Beurteilungen der Mitbewerber zu setzen. Dabei ist der Dienstherr nicht an die Beurteilung der Leistung und Eignung durch den bei der Abordnungsdienststelle zuständigen Vorgesetzten gebunden. Er hat den Inhalt und das Gesamturteil der Beurteilung durch die Abordnungsdienststelle eigenständig in das in seinem Geschäftsbereich angewandte Notenschema einzuordnen, wobei es nicht an der notwendigen Aufgeschlossenheit auch für außerhalb des eigenen Geschäftsbereichs erbrachte Leistungen fehlen darf.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

1. Senat 1 TG 1275/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ernennung zur Vorsitzenden Richterin/zum Vorsitzenden Richter am Landgericht

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Kittelmann, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Dr. Bark

am 15. Juli 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 29. April 2003 - 8 G 1837/02 (1) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.843,04 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben.

Die Antragstellerin hat bei Beachtung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum vorläufigen Rechtsschutz in dienstrechtlichen Konkurrentenverfahren (Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 - DVBl. 2002, 1633 ff.) den geltend gemachten Anspruch nicht glaubhaft gemacht, dem Antragsgegner zu untersagen, den Beigeladenen bei der Besetzung der Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters am Landgericht ... der Antragstellerin vorzuziehen.

Der Senat wendet die Grundsätze seiner Rechtsprechung zum sog. Bewerbungsverfahrensanspruch, wie er sie für beamtenrechtliche Beförderungen entwickelt hat, in ständiger Rechtsprechung auf die Ernennung eines Bewerbers um ein Richteramt mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamtes an (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 1996 - 1 TG 1445/96 - HessVGRspr. 1996, 92 = NVwZ 1997, 615 m. w. N., und vom 18. September 2002 - 1 TG 1301/02 -). Gemessen an diesen Maßstäben verletzt die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen die Antragstellerin nicht in ihrem von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 134 HV gewährleisteten grundrechtsgleichen Recht auf chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 1989, DVBl. 1989, 1247; Hess. StGH, Urteil vom 13. Mai 1991, NVwZ-RR 1993, 201 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 - DVBl. 1994, 593 m. w. N.).

In formeller Hinsicht ist zwar regelmäßig bei Personalauswahlentscheidungen im Bereich des Hessischen Ministeriums der Justiz, so auch im vorliegenden Verfahren, zu beanstanden, dass die vom Minister gebilligte Auswahlentscheidung vom 31. Juli 2002 entgegen einem rechtsstaatlichen gesetzlichen Erfordernis (vgl. § 39 Abs. 1 HVwVfG) und entgegen der Erlasslage (vgl. Erlass vom 11. Januar 1993 - 201-I/1-1321/92-I/13 -, vgl. dazu Senatsbeschluss vom 23. November 1999 - 1 TZ 3058/99 -) nicht in gerichtlich überprüfbarer Weise schriftlich begründet worden ist. Dies ist erst im Lauf des Verwaltungsstreitverfahrens mit dem vom Staatssekretär unterzeichneten Schriftsatz vom 12. Dezember 2002 nachgeholt worden. Ein solches Nachschieben von Auswahlerwägungen wird von der Rechtsprechung als zulässig erachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 18. August 1992 - 1 TG 1074/92 - HessVGRspr. 1993, 19 = NVwZ 1993, 284) und führt gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HVwVfG zur Heilung des ursprünglichen Verfahrensfehlers; zur erwünschten Akzeptanz von Personalentscheidungen trägt es nicht bei.

Die Entscheidung des Antragsgegners, den Beigeladenen der Antragstellerin vorzuziehen, genügt auch den Bedingungen rationaler Abwägung. Es ist nachvollziehbar, dass der Antragsgegner aufgrund des vorgenommenen Eignungs- und Leistungsvergleichs den Beigeladenen für besser geeignet hält, die Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters am Landgericht ... zu erfüllen.

Das Verwaltungsgericht hat die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen deshalb für rechtswidrig angesehen, weil ihr weder eine förmliche aktuelle dienstliche Beurteilung der Antragstellerin noch eine ausreichende nicht förmliche Beurteilung zu Grunde liege. Es sei fehlerhaft, dass der Hessische Minister der Justiz die ihm vom Bundesministerium der Justiz übersandten Beurteilungen als aktuelle dienstliche Beurteilungen übernommen habe. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts war es rechtlich nicht geboten, dass vor der Auswahlentscheidung eine dienstliche Beurteilung der Antragstellerin durch den Präsidenten des Landgerichts ... erstellt wurde. Die Antragstellerin, die vor ihrer Ernennung zur Regierungsdirektorin im Bundesministerium der Justiz am 19. Dezember 2002 Richterin am Landgericht ... war, leistete bereits seit dem 1. Februar 2000 aufgrund einer Abordnung Dienst im Bundesministerium der Justiz. Ihre dienstlichen Leistungen als Richterin am Landgericht ... bis zum Beginn der Abordnung sind in dem Dienstleistungszeugnis des Präsidenten des Landgerichts ... vom 12. April 2000 beurteilt worden. Für die dienstliche Beurteilung der Leistungen während ihrer Abordnungszeit war allein das Bundesministerium der Justiz zuständig. Unerheblich ist, dass die dienstliche Beurteilung aus Anlass der Bewerbung der Antragstellerin um eine Richterstelle im hessischen Justizdienst erstellt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, ist die dienstliche Beurteilung selbst keine Entscheidung über die persönlichen Angelegenheiten des beurteilten Beamten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG (= § 4 Abs. 2 Satz 1 HBG), sondern eine Wertung, die künftige derartige Entscheidungen lediglich vorbereitet (BVerwG, Urteil vom 17. April 1986 - 2 C 28.83 - ZBR 1986, 330 m. w. N.). Das vom Dienstherrn durch den oder die Beurteiler abzugebende Werturteil darüber, ob und inwieweit der beurteilte Bedienstete den zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des wahrgenommenen konkreten Amtes und der betreffenden Laufbahn entspricht, enthält zugleich eine konkretisierende Bestimmung dieser zahlreichen Anforderungen, die gleichfalls in weitgehender Ermessens- und Beurteilungsfreiheit des Dienstherrn liegt und die sachgerecht nur von den für die Beurteilung zuständigen Bediensteten der Dienststelle vorgenommen werden kann, deren Aufgaben wahrgenommen werden (BVerwG, a. a. O.).

Im Fall der Antragstellerin, die zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung und der Auswahlentscheidung noch zum Bundesministerium der Justiz abgeordnet war, verstößt es insbesondere nicht gegen allgemeine Beurteilungsgrundsätze, dass vor der Auswahlentscheidung eine förmliche dienstliche Beurteilung des Präsidenten des Landgerichts ... nicht erstellt wurde, bei der die Beurteilungen des Bundesministeriums der Justiz als Beurteilungsbeiträge berücksichtigt wurden. Nach der Beurteilung ihrer dienstlichen Leistungen als Richterin am Landgericht vor ihrer Abordnung an das Bundesministerium der Justiz durch das Dienstleitungszeugnis des Präsidenten des Landgerichts ... vom 12. April 2000 war sie nicht mehr im hessischen Justizdienst tätig. Bei dieser Konstellation war es ausreichend, dass die dienstlichen Beurteilungen des Bundesministeriums der Justiz in dem Besetzungsbericht des Präsidenten des Landgerichts vom 15. Juli 2002 und maßgeblich von dem die Auswahlentscheidung treffenden Hessischen Minister der Justiz gewürdigt und - wie geschehen - im Hinblick auf die Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle einer Vorsitzenden Richterin/eines Vorsitzenden Richters am Landgericht in Beziehung zu den dienstlichen Beurteilungen der Mitbewerber gesetzt wurde (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. April 1995 - 12 B 82/95 - RiA 1996, 206 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. August 1998 - 2 B 11635/98 - AS RP-SL 27, 120 ff.).

Die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen ist schlüssig begründet und kann gerichtlich nicht beanstandet werden. In den vom Staatssekretär unterzeichneten Schriftsatz vom 12. Dezember 2002, in dem die Auswahlerwägungen des Justizministeriums erstmals schriftlich niedergelegt worden sind, wird nach einer zusammenfassenden Darstellung des jeweiligen beruflichen Werdegangs von Antragstellerin und Beigeladenem im Wesentlichen ausgeführt: ... (persönlichkeitsbezogene Auswahlerwägungen)

Diese Auswahlerwägungen tragen im Verhältnis zur Antragstellerin rechtsfehlerfrei die Entscheidung zu Gunsten des Beigeladenen. Das persönlichkeitsbedingte Urteil über die Eignung der Bewerber unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung nur in einem beschränkten Umfang. Bei derartigen Werturteilen besteht für den Dienstherrn eine Beurteilungsermächtigung, so dass das Gericht die Beurteilung nicht etwa mit Hilfe von Sachverständigen im Einzelnen nachprüfen darf. Es ist ihm verwehrt, das Urteil des Dienstherrn in vollem Umfang zu überprüfen oder dies gar durch ein eigenes zu ersetzen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich nur darauf zu erstrecken, ob die Verwaltung gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, anzuwendende Begriffe oder den rechtlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1980 - 2 C 8.78 - BVerwGE 60, 245 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 30. Juni 1998 - 1 TG 2045/98 -; BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2002 - 2 BvR 723/99 - DVBl. 2002, 1203 ff. m. w. N.).

Aufgrund der sich aus den Akten und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sachlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner bei der Eignungsbeurteilung der Antragstellerin im Vergleich zu dem Beigeladenen diese Grundsätze nicht beachtet hat. Die Auswahlerwägungen des Antragsgegners in den im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Schriftsätzen sind nachvollziehbar, in sich schlüssig und stehen im Einklang mit den dienstlichen Beurteilungen und dem sonstigen wesentlichen Inhalt der Personalakten. Es kann insbesondere gerichtlich nicht beanstandet werden, in welcher Weise der Antragsgegner die dienstlichen Beurteilungen des Bundesministeriums der Justiz bei seiner Auswahlentscheidung berücksichtigt hat. Die bei Personalentscheidungen zu treffende Eignungsprognose steht dem für die Stellenbesetzung verantwortlichen Dienstvorgesetzten zu, der selbst und ohne Bindung an außerhalb seines Geschäftsbereichs erstellte "fremde" Beurteilungen und Beurteilungsbeiträge einschätzen muss, ob und wie der betreffende Bewerber die Aufgaben der ausgeschriebenen Stelle voraussichtlich erfüllen wird (OVG Rheinland-Pfalz, a. a. O.). Im Fall der Antragstellerin hat der Antragsgegner die dienstlichen Beurteilungen des Bundesministeriums der Justiz über die Antragstellerin verwertet und unter Berücksichtigung der darin enthaltenen leistungsbezogenen Informationen das Gesamturteil in gerichtlich nicht zu beanstandender Weise eigenständig in das in seinem Geschäftsbereich angewandte Notenschema eingeordnet. Es ist nicht erkennbar, dass er dies nicht gewissenhaft und nicht mit der notwendigen Aufgeschlossenheit auch für außerhalb des eigenen Geschäftsbereichs erbrachte Leistungen getan hat.

Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in ihrer dienstlichen Beurteilung des Bundesministeriums der Justiz vom Mai 2000 der Zwischenbeurteiler ausgeführt hat, dass er sich die Antragstellerin sehr gut als Idealbesetzung für die Übernahme eines Vorsitzes einer Landgerichtskammer vorstellen könnte. Bei einer personellen Auswahlentscheidung ist der zuständige Dienstvorgesetzte oder die zuständige Stelle nicht an die Beurteilung der Leistung und Eignung eines zu einem anderen Dienstherrn abgeordneten Bediensteten durch den dortigen Vorgesetzten gebunden (OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.).

Die Antragstellerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Eventuelle außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, denn er hat sich am Verfahren nicht mit eigenem Antrag und Kostenrisiko beteiligt (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 i. V. m. §§ 13 Abs. 4, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat berechnet den Streitwert ebenso wie das Verwaltungsgericht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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