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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: 1 TG 3694/00
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 27 Abs. 2
Aus der Vorschrift des § 27 Abs. 2 SGB VIII folgt, dass die in den §§ 28 bis 35 des Gesetzes genannten Hilfeformen nicht abschließend sind, dass es vielmehr daneben atypische Hilfeformen geben kann. Eine solche kann in Betracht kommen, wenn ein Kleinstkind nach der Drogenentziehung seiner Eltern zusammen mit diesen in eine Nachsorge-Einrichtung aufgenommen werden soll (vgl. Wiesner, NDV 1998, 225, 227).
Gründe:

Der Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1., die der Senat mit Beschluss vom 14. November 2000 - 1 TZ 3333/00 - zugelassen hat, ist zu entsprechen. Denn der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. nicht begründet; er ist aber gegenüber dem Antragsgegner zu 2. begründet.

Der Senat ist ebenso wie das Verwaltungsgericht der Ansicht, dass ein Sachverhalt glaubhaft gemacht ist, nach dem der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe während seines Aufenthalts in der Einrichtung "Stationäre Nachsorge" in Villmar hat. Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 27 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) i.V.m. einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 34 dieses Gesetzes und i.V.m. § 39 SGB VIII.

Aus der Vorschrift des § 27 Abs. 2 SGB VIII folgt, dass die in den §§ 28 bis 35 des Gesetzes genannten Hilfeformen nicht abschließend sind, dass es vielmehr daneben atypische Hilfeformen geben kann. Dabei kommt es auf den Bedarf im Einzelfall an.

Der Senat teilt die von Wiesner (Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge - NDV - 1998, 225, 227 unter 7.) vertretene Ansicht, dass dann, wenn sich ein Kind nach der Drogenentziehungskur seiner Mutter mit dieser in einer Nachsorgeeinrichtung aufhält, in der Regel Leistungen der Jugendhilfe angezeigt sind, und zwar als atypische Form der Hilfe zur Erziehung außerhalb des Elternhauses.

Diese Sicht ist nicht nur dann geboten, wenn sich das Kind mit nur einem Elternteil in einer Nachsorgeeinrichtung befindet, sondern auch dann, wenn sich beide Elternteile dort einer Therapie unterziehen. Die Nachsorge in einer stationären Einrichtung nach einer Drogenentziehungskur ist gerade deshalb nötig, weil die Eltern noch der Stabilisierung bedürfen, der Hilfe, die Aufgaben des Alltags zu bewältigen, ohne wieder in die Drogenabhängigkeit abzugleiten. Dazu gehört auch die Hilfe bei der Bewältigung ihrer erzieherischen Aufgaben.

Zwar heißt es in dem Schreiben des früheren Therapeuten vom 30. Juni 2000 (Bl. 2 der Behördenakte der Antragsgegnerin zu 1.), die Mutter des Antragstellers habe mehr Sicherheit in ihrer Elternrolle gewonnen, ihr Erziehungsverhalten sei insgesamt zielgerichtet und kindgerecht. Doch ist damit noch nicht gesagt, dass sie hinreichend stabilisiert ist, um ihre Erziehungsaufgaben allein oder mit ihrem Lebensgefährten, dem Kindesvater, zusammen zu bewältigen. Vielmehr wird in dem genannten Schreiben vom 30. Juni 2000 gerade betont, dass die stationäre Nachsorge zur Stabilisierung notwendig ist. Damit ist ein Bedarf an Erziehungshilfe glaubhaft gemacht. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt.

In einem solchen Fall hat das Jugendamt - ebenso wie im Fall der Aufnahme des Kindes mit seiner Mutter in einer Einrichtung des Strafvollzugs (vgl. Wiesner, a.a.O.) - zu prüfen, welche Alternativen es für das Kind gibt, und dann, wenn die gemeinsame Aufnahme des Kindes mit seinen Eltern in der Nachsorgeeinrichtung sachgerecht erscheint, in der Regel einen Hilfeplan im Sinne von § 36 SGB VIII aufzustellen und schließlich die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Kindes in der Einrichtung entstehen, zu übernehmen.

Nach dem Sachverhalt, wie er sich bisher darstellt, erscheint es aus der Sicht der Jugendhilfe sachgerecht, dass der Antragsteller gemeinsam mit seinen Eltern in der Nachsorgeeinrichtung lebt. Daher besteht ein Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe, die hier nach § 39 SGB VIII auch Leistungen für den Lebensunterhalt des Antragstellers einschließt.

Dieser Anspruch richtet sich gegen den örtlich zuständigen Träger der Jugendhilfe. Dieser ist seit der Aufnahme der Eltern und des Antragstellers in die Einrichtung in Villmar der Beigeladene, und zwar nach § 86 Abs. 1 SGB VIII. Denn die Eltern des Antragstellers haben dort seither ihren gewöhnlichen Aufenthalt.

Da aber der Beigeladene als der örtlich zuständige Träger nicht tätig geworden ist, ist der Antragsgegner zu 2. nach § 86d SGB VIII vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet. Dessen Kosten hat der Beigeladene nach § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zu erstatten. Diese Erstattungspflicht hat aber nicht zur Folge, dass der Antragsteller die Leistungen unmittelbar von dem Erstattungspflichtigen verlangen kann. Gegenüber dem Beigeladenen ist dann die Antragsgegnerin zu 1. nach § 89e Abs. 1 SGB VIII zur Erstattung verpflichtet. Diese hat ihre Erstattungspflicht bereits anerkannt.

Nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten ist es nach § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geboten, dass der Antragsteller die Hälfte seiner eigenen außergerichtlichen Kosten und die gesamten außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1. zu tragen hat, während der Antragsgegner zu 2. die zweite Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers und seine eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen hat. Es entspricht nicht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der Staatskasse oder dem Antragsteller und dem Antragsgegner zu 2. aufzuerlegen. Nach § 188 Satz 2 VwGO werden in Verfahren aus dem Gebiet der Jugendhilfe keine Gerichtskosten erhoben.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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