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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.02.2001
Aktenzeichen: 1 TZ 2569/00
Rechtsgebiete: VwGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 4
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO § 138 Nr. 6
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 154 Abs. 1
VwGO § 162 Abs. 3
GKG § 13 Abs. 1 Satz 1
GKG § 13 Abs. 4 Satz 1 a
GKG § 13 Abs. 4 Satz 2
GKG § 14 Abs. 3
GKG § 20 Abs. 3
Die Niederschrift über ein schulfachliches Überprüfungsgespräch kann im Rahmen des bei einer Personalauswahlentscheidung gebotenen aktuellen Eignungs- und Leistungsvergleichs nur dann verwertet werden, wenn sie selbst hinreichend aktuell ist.

Dies setzt voraus, dass die Überprüfung im Zeitpunkt der Niederschrift nicht länger als fünf Monate zurückliegt. Enthält die Niederschrift neben dem zeitlichen und inhaltlichen Ablauf des Verfahrens auch zum Ergebnis der Überprüfung vergleichende und wertende Erwägungen, die für Dritte nachvollziehbar sind, so bestehen keine Bedenken gegen ihre Verwertung, wenn bis zur Auswahlentscheidung nicht mehr als zwölf Monate verstrichen sind.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

1 TZ 2569/00

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Übertragung einer Funktionsstelle im Bereich der beruflichen Schulen

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Kittelmann, Richter am Hess. VGH Thorn, Richter am Hess. VGH Dr. Bark

am 1. Februar 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragsgegners auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2000 - 9 G 2178/00 (2) - wird abgelehnt.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Zulassungsverfahren auf 11.700,93 DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 2000 hat keinen Erfolg. Die Beschwerde ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch wegen Abweichung des angefochtenen Beschlusses von Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs noch wegen eines Verfahrensmangels nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3, 4 und 5 VwGO zuzulassen, da der Antragsgegner nicht gegen alle die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Gründe einen Zulassungsgrund geltend gemacht hat.

Das Verwaltungsgericht hat die streitgegenständliche Auswahlentscheidung des stellvertretenden Leiters des Staatlichen Schulamts vom 10. März 2000, die auf dem ausdrücklich gebilligten Auswahlvermerk vom 3. März 2000 beruht, zunächst deshalb beanstandet, weil für die Stelle einer Fachlehrerin/eines Fachlehrers für arbeitstechnische Fächer als Koordinatorin/Koordinator für Fachpraxis an beruflichen Schulen, hier: den Beruflichen Schulen des Main-Kinzig-Kreises in Schlüchtern, kein hinreichendes stellenspezifisches Anforderungsprofil entwickelt und der Stellenausschreibung zu Grunde gelegt worden sei (S. 3, 2. Abs. des Abdrucks). Einen weiteren, die Entscheidung selbständig tragenden Rechtsfehler hat das Verwaltungsgericht darin gesehen, dass die Ausführungen des Auswahlvermerks zu den im Überprüfungsverfahren gezeigten Leistungen der Bewerber nicht nachvollziehbar seien, weil der Verwaltungsvorgang keinerlei nachprüfbare Aufzeichnungen zu Ablauf und Inhalt des Überprüfungsverfahrens vom 29. April 1999 enthalte (S. 4, 2. Abs. bis S. 5, 1. Abs. des Abdrucks).

Hiergegen hat der Antragsgegner die eingangs bezeichneten Zulassungsgründe geltend gemacht. Es bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, ob die Voraussetzungen dieser Zulassungsgründe, insbesondere die gerügte Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung von der Rechtsprechung des Senats zur Festlegung des Anforderungsprofils (Beschluss des Senats vom 21. Oktober 1998 - 1 TG 2378/98 -) und zur Dokumentation von Überprüfungsgesprächen (Beschluss vom 8. Juni 1999 - 1 TG 1829/99 - HessVGRspr. 2000, 18) gegeben sind; denn jedenfalls vermag der Senat die für die Beschwerdezulassung erforderliche Feststellung nicht zu treffen, dass der angefochtene Beschluss auf einer Divergenz oder einem Verfahrensmangel beruht bzw. dass die vom Antragsgegner aufgeworfene Grundsatzfrage für die Entscheidung in einem Beschwerdeverfahren erheblich wäre.

Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf Seite 5, 2. Absatz des Beschlussabdrucks einen weiteren Abwägungsfehler gerügt, der "ebenfalls zur Rechtsfehlerhaftigkeit der (Auswahl-)Entscheidung führt" und damit den angefochtenen Beschluss selbständig trägt. Gegen die Verwertung der im Überprüfungsverfahren vom 29. April 1999 gewonnenen Erkenntnisse in der knapp ein Jahr später getroffenen Auswahlentscheidung bestünden durchgreifende Bedenken, da die Auswahlentscheidung letztlich nicht mehr auf einem aktuellen Eignungs- und Leistungsvergleich beruhe. Dieser Feststellung ist der Antragsgegner nicht mit einem Zulassungsgrund entgegengetreten.

Im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung am 10. März 2000 waren seit dem Überprüfungsverfahren knapp 10 1/2 Monate verstrichen. Es bedarf keiner abschließenden Klärung, ob das vorhandene, aber nicht zu den Verwaltungsakten gelangte Protokoll vom 2./8. Juli 1999 im vorliegenden Zulassungsverfahren zu berücksichtigen wäre, obwohl es dem Verwaltungsgericht im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt sein konnte; denn das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens durfte ohnehin nicht verwertet werden.

Zwar hat der Senat erst kürzlich entschieden, dass dienstliche Beurteilungen als Grundlage eines Eignungs- und Leistungsvergleichs hinreichend aktuell seien, wenn der ihnen zu Grunde liegende Beurteilungszeitraum nicht länger als ein Jahr zurückliege (Beschluss vom 19. September 2000 - 1 TG 2902/00 - ZfPR 2000, 302). Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch auf schriftliche Aufzeichnungen von Überprüfungsgesprächen nicht ohne weiteres übertragen, weil diese nach Art einer Momentaufnahme Eindrücke vom Ablauf einer Prüfungssituation wiedergeben, während einer dienstlichen Beurteilung regelmäßig Beobachtungen zu Grunde liegen, die über einen längeren Zeitraum gewonnen wurden und infolge ihrer Intensität das Gedächtnis des Beurteilers in anderer Weise beanspruchen als ein Prüfungsprotokoll.

Nach Auffassung des Senats sind die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe (vgl. §§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 4 VwGO) entsprechend anzuwenden, weil die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen der an der Urteilsberatung beteiligten Richter mit denjenigen vergleichbar sind, die bei einer Prüfungsniederschrift gestellt werden müssen. Nach dieser Rechtsprechung ist ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil nicht mit Gründen versehen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO, wenn es nicht bis zum Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung vollständig abgefasst und unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1992 - GemSOBG 1/92 - BVerwGE 92, 367 = NJW 1993, 2603). Danach besteht nicht mehr die Gewähr, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Gründe richtig, vollständig und zuverlässig wiedergegeben worden sind. Diese Erwägungen gelten nach Auffassung des Senats entsprechend für die Niederschrift über ein schulfachliches Überprüfungsverfahren.

Eine zeitnah, jedenfalls aber innerhalb von fünf Monaten erstellte Niederschrift eines schulfachlichen Überprüfungsverfahrens wird allerdings dem gebotenen aktuellen Leistungs- und Eignungsvergleich nur dann zu Grunde gelegt werden können, wenn in ihr nicht nur der äußere Ablauf, sondern auch das Ergebnis der Überprüfung in Gestalt vergleichender und wertender Erwägungen zur Leistung der Bewerber für Dritte nachvollziehbar festgehalten worden ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, eine derartige Niederschrift entsprechend einer dienstlichen Beurteilung als - noch - hinreichend aktuell anzusehen, wenn seit der Überprüfung bis zur Auswahlentscheidung nicht mehr als zwölf Monate vergangen sind.

Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht aufgrund des ihm unterbreiteten Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen, dass das Ergebnis der Überprüfungsgespräche vom 29. April 1999 nicht nachvollziehbar festgehalten war, und zwar schon deshalb, weil der Antragsgegner die hinreichend zeitnah am 2./8. Juli 1999 erstellte Niederschrift des schulfachlichen Dezernenten erst im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 28. Juli 2000 vorgelegt hat. Darin werden im Übrigen lediglich der zeitliche Rahmen und der inhaltliche Ablauf des Überprüfungsverfahrens wiedergegeben; nachvollziehbare wertende Erwägungen sind der Niederschrift nicht zu entnehmen.

Da der Antrag auf Zulassung der Beschwerde im Ergebnis erfolglos bleibt, wird der Antragsgegner eine erneute Auswahlentscheidung zu treffen haben. Dabei wird die Niederschrift vom 2./8. Juli 1999 über das Überprüfungsverfahren vom 29. April 1999 schon wegen des Zeitablaufs nicht (mehr) verwertet werden können. Der Senat weist allerdings im Interesse der Vermeidung eines weiteren Verwaltungsstreitverfahrens darauf hin, dass die Entscheidung, wäre sie zeitnah bzw. auf der Grundlage einer verwertbaren Niederschrift getroffen worden, in der Sache gerichtlich nicht zu beanstanden gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Zu einer Billigkeitsentscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Zulassungsverfahren nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein Anlass, da diese keine Sachanträge gestellt und somit kein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus §§ 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1 a und 2, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat berechnet den Streitwert ebenso wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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