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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.03.2007
Aktenzeichen: 1 UZ 2770/06
Rechtsgebiete: BBesG, HBG, MVergV


Vorschriften:

BBesG § 48
HBG § 85 Abs. 2
MVergV § 3
MVergV § 5
Frühbereitschaft für Lehrer im Sinne einer Anwesenheitsverpflichtung zu Beginn der 1. Unterrichtsstunde ist kein Bereitschaftsdienst im herkömmlichen Sinne.

Die kurze Zeitspanne bis zur Feststellung, ob Vertretungsbedarf besteht oder nicht, ist nicht als quantifizierbare Arbeitszeit einzustufen, sondern den sonstigen pädagogischen Tätigkeiten außerhalb der Pflichtstundenregelung zuzuordnen.

Durch die Frühbereitschaft darf die den Lehrern abverlangte Arbeitszeitleistung unter Berücksichtigung der jährlichen Gesamtarbeitszeit den Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der übrigen Beamten nicht überschreiten (hier verneint bei ein bis zwei Tagen im Schuljahr).


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 UZ 2770/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Besoldung und Versorgung

hier: Mehrarbeitsvergütung für Frühbereitschaft

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Präsident des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richterin am Hess. VGH Schild

am 28. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 31. August 2006 - 1 E 2043/05 - wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 103,32 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, auch wenn er vom Kläger als Nichtzulassungsbeschwerde bezeichnet worden ist. Aus ihm lässt sich mit der notwendigen Klarheit erkennen, dass der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil erreichen will, und auch die aus seiner Sicht die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Gründe im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO sind hinreichend dargetan.

Der gestellte Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg, da Gründe für eine Zulassung der Berufung im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, weil das Verwaltungsgericht die vom Kläger zu erbringende geforderte Frühbereitschaft nicht als Bereitschaftsdienst im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und nicht als quantifizierbare Arbeitszeit eingestuft hat.

Zwar trifft es zu, dass der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2000 (Rs C 303/98) betreffend die Arbeitszeit der Ärzte in den spanischen Gesundheitszentren festgestellt hat, dass der Bereitschaftsdienst dieser Ärzte in den Teams zur medizinischen Grundversorgung insgesamt als Arbeitszeit und ggf. als Überstunde im Sinne der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 anzusehen ist. Die Form des von diesen Ärzten zu erbringenden Bereitschaftsdienstes unterscheidet sich jedoch erheblich von der Frühbereitschaft, zu der der Kläger vom Schulleiter der Prälat-Diehl-Schule am 16. Dezember 2004 herangezogen worden ist. Während nämlich die Ärzte während des kompletten Bereitschaftsdienstes persönlich in der Gesundheitseinrichtung anwesend sein müssen, beschränkte sich die Anwesenheitsverpflichtung des Klägers auf den Beginn der ersten Schulstunde, solange, bis geklärt war, ob Bedarf für einen Vertretungsunterricht bestand oder nicht. Nachdem klar war, dass der Kläger keine Vertretungsstunde halten musste, war er in seiner weiteren Verhaltensweise frei. Er hätte nach Hause zurückkehren können, im Schulgebäude Unterricht vorbereiten, andere ihm obliegende Aufgaben erfüllen oder die Zeit sonst nach seinen Wünschen verbringen können. Insoweit unterscheidet sich diese vom Kläger zu leistende Frühbereitschaft in erheblicher Art und Weise von dem Bereitschaftsdienst, wie er sowohl der vom Kläger zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als auch den sonstigen, ausdrücklichen Arbeitszeitregelungen über Bereitschaftsdienst zu Grunde liegt. Entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch für den Begriff des Bereitschaftsdienstes wird jeweils unterstellt, dass der betreffende Beamte sich während der gesamten Dauer seiner Bereitschaft für den Dienstherrn zur Verfügung zu halten hat, um bei Bedarf zur Dienstleistung herangezogen werden zu können, wie dies beispielhaft in § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der hessischen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten (HPolAZVO) geregelt ist. Dieser Zeitraum, in dem der Beamte sich zur Verfügung halten muss, endet bei der Frühbereitschaft bereits nach wenigen Minuten, nämlich sobald feststeht, ob Vertretungsbedarf in einer Klasse besteht oder nicht. Sofern eine entsprechende Vertretungsstunde zu leisten ist, ist diese selbstverständlich als quantifizierbare Arbeitszeit auf die Unterrichtsstunden des Lehrers anzurechnen und - falls kein Ausgleich möglich ist und die Grenze von drei Unterrichtsstunden im Monat überschritten wird (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MVergV) - auch als Mehrarbeit zu vergüten. Wenn jedoch - wie hier - die Verfügbarkeitsverpflichtung nach wenigen Minuten wieder endet, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht diesen kurzen Zeitraum nicht als Bereitschaftsdienst im herkömmlichen Sinne betrachtet hat.

Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht diese nicht einmal minutengenau festlegbare Zeitspanne anders als die gemäß der Pflichtstundenverordnung für Lehrer zu haltenden Unterrichtsstunden nicht als quantifizierbare Arbeitszeit bewertet. Es liegt in der Tat nahe, diese kurzfristige Anwesenheitspflicht genauso wie die sonstigen dienstlichen Obliegenheiten des Lehrers einzustufen, die mit einer Anwesenheit an der Schule ohne Unterrichtserteilung verbunden sind, wie beispielsweise die Teilnahme an Konferenzen, das Führen von Elterngesprächen oder die Mitgestaltung von Projektwochen. Dass hier eine größere Nähe zu den Mehrarbeitsvorschriften vorliegen soll und deshalb diese Regelungen entsprechend anzuwenden seien, unabhängig von der Dauer der einzelnen Frühbereitschaft, vermag der Senat nicht festzustellen.

Allerdings ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Arbeitszeit der Lehrer entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u. a. Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 2 NB 2.89 - NVwZ 1990, 771 f.) und auch des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (u.a. Beschluss vom 22. August 2000 - 1 N 2320/96 -) in die allgemeine beamtenrechtliche Arbeitszeitregelung eingebettet ist und die den Lehrern abverlangte Arbeitszeitleistung unter Berücksichtigung der jährlichen Gesamtarbeitszeit im Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der übrigen Beamten bleiben muss. Da lediglich die Pflichtstunden der Lehrer nach den jeweiligen Pflichtstundenverordnungen numerisch feststehen und sie ihre sonstigen pädagogischen Aufgaben nicht in exakt messbarer Form wahrnehmen, sondern deren Umfang nur grob pauschalierend geschätzt werden kann, besteht in der Tat Veranlassung, diese nicht quantifizierbaren Tätigkeiten der Lehrer nicht zu überfrachten. Durch die Frühbereitschaft an ein oder zwei Tagen im Schulhalbjahr wird die einzuhaltende Grenze sicherlich nicht überschritten; der Beklagte wird jedoch darauf zu achten haben, dass nicht auf dem Umweg über ständige zusätzliche Übertragung von nicht quantifizierbaren Arbeitsanteilen die Arbeitszeit der Lehrer insgesamt höher wird als dies für die übrigen Beamtengruppen der Fall ist.

Außerdem wird bei einer eventuellen Heranziehung zur Frühbereitschaft ebenso wie bei der Beauftragung mit Vertretungsunterricht der verfassungsrechtlich normierte Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten sein, d. h. alle Lehrkräfte müssen gleichmäßig entsprechend dem Umfang ihrer Arbeitszeitverpflichtung herangezogen werden, so dass eine reduzierte Arbeitszeit auch zu einer reduzierten Teilnahme an der Frühbereitschaft führt (vgl. zu diesem Problemkreis bei Klassenfahrten bereits Hess. VGH, Beschluss v. 14.07.2006, 1 UE 1712/05). Zudem müssen - was nach den Ausführungen des Beklagten an der Prälat-Diehl-Schule allerdings auch der Fall ist - sonstige Gesichtspunkte wie die übrige Unterrichtsgestaltung für die herangezogene Lehrkraft an diesem Tag oder andere von ihr aktuell wahrzunehmende Aufgaben mitberücksichtigt werden.

Angesichts der Zuordnung der Frühbereitschaft zu den sonstigen pädagogischen Tätigkeiten der Lehrer, die nicht von der Pflichtstundenregelung erfasst werden, bedarf es keiner gesonderten Rechtsgrundlage für deren Anordnung. Vielmehr gehört es zum Weisungsrecht des Schulleiters nach § 16 Abs. 1 Dienstordnung, die Anwesenheit der Lehrkraft in der Schule zur Wahrnehmung konkreter Aufgaben anzuordnen, und eine dieser Aufgaben kann ebenso wie die Teilnahme an Konferenzen auch die Wahrnehmung der Frühbereitschaft sein.

Insoweit teilt der Senat die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster (Beschluss vom 8. November 2005 - 6 A 2650/03 -), wonach es ohne weiteres zulässig ist, dass Lehrkräfte nach mündlicher Anordnung der Schulleitung Bereitschaftsdienst durch Anwesenheit im Schulgebäude zwecks kurzfristiger Übertragung möglichen Vertretungsunterrichts leisten. Allerdings weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass die vom OVG Münster noch nicht als Mehrarbeit eingestufte Anwesenheitsverpflichtung von zusätzlichen zwei bis drei Stunden pro Woche aus der Sicht des Senats zu hoch gegriffen ist.

Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen. Zum einen hat der Kläger schon keine konkrete Rechtsfrage formuliert, die für den Senat entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf. Denn die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen zur Zulässigkeit eines - den arbeits- und gemeinschaftsrechtlichen Definitionen entsprechenden - Bereitschaftsdienstes stellen sich vorliegend nicht. Zudem sprechen die besonderen Umstände des Einzelfalls - nämlich die Ableistung von drei Vertretungsstunden und der Frühbereitschaft im selben Monat - dagegen, dass sich das Problem der Vergütungsfähigkeit als Mehrarbeit im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 2 HBG, § 3 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MVergV öfters ergeben wird, über die beiden dem Senat bekannten Einzelfälle an der Prälat-Diehl-Schule hinaus. Mittlerweile gilt auch die "Unterrichtsgarantie plus", für deren Zwecke gesondert heranziehbare Vertretungskräfte zur Verfügung stehen, so dass nicht jedes Mal auf schulinterne Lehrkräfte zurückgegriffen werden muss.

Schließlich weist die Rechtssache auch keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere, über das normale Maß beamtenrechtlicher Streitigkeiten hinausgehende Schwierigkeiten sind nicht gegeben. Auch aus dem Umstand, dass keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung vorliegen, ist regelmäßig und auch hier abzuleiten, dass die Rechtssache keine besonderen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Februar 1997 - 8 S 375/07 - VBlBW 1997, 219).

Da der Zulassungsantrag erfolglos bleibt, hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG. Der Senat geht entsprechend einer zu gewährenden Mehrarbeitsvergütung von 25,83 € gemäß § 4 Abs. 3 Ziffer 4 MVergV für eine Unterrichtsstunde des höheren Dienstes an Gymnasien von insgesamt höchstens vier denkbar zu vergütenden Stunden aus.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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