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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.09.2004
Aktenzeichen: 10 TG 1498/04
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 3c
VwGO § 172
ZPO § 929 Abs. 2
Die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO gilt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO auch für die Vollziehung einstweiliger Anordnungen. Sie beginnt mit der Zustellung des Arrestbefehls bzw. der einstweiligen Anordnung, nicht aber erst dann, wenn für den Vollstreckungsgläubiger zu erkennen ist, dass die unterlegene Behörde der einstweiligen Anordnung nicht nachkommen wird.

Hat der Vollstreckungsgläubiger die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ungenutzt verstreichen lassen, so ist die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung auf die Beschwerde des Vollstreckungsschuldners vom Beschwerdegericht aufzuheben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist wegen zwischenzeitlichen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

10. Senat

10 TG 1498/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sonstigem;

hier: Verpflichtung der Stiftungsaufsicht zur Rücknahme einer Vertretungsbescheinigung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richterin am Hess. VGH Hannappel

am 7. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 20. April 2004 - 2 G 231/04 (2) - geändert. Die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung wird aufgehoben, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerden haben Erfolg.

Allerdings bestehen an der ordnungsgemäßen Vertretung der Antragstellerin zu 1. keine Zweifel mehr, nachdem der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 31. August 2004 eine vom Österreichischen Generalkonsulat in Vancouver beglaubigte Prozessvollmacht der Antragstellerin zu 1. vorgelegt hat.

Die vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. April 2004 erlassene einstweilige Anordnung war aufzuheben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung war abzulehnen, weil die Antragsteller nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO mit der Vollziehung der einstweiligen Anordnung begonnen haben. Dadurch ist das Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte einstweilige Anordnung in Wegfall gekommen.

Die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung verpflichtet den Antragsgegner als Stiftungsaufsicht zu einem bestimmten Tätigwerden, nämlich dazu, der Beigeladenen (Stiftung) aufzugeben, vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Zusammensetzung des Stiftungsvorstands die Vertretungsbescheinigung vom 15. Januar 2004 nicht mehr im Rechtsverkehr einzusetzen und das Original dieser Bescheinigung an das Regierungspräsidium Darmstadt zurückzugeben. Die einstweilige Anordnung ist deshalb nach §§ 168 Abs. 1 Nr. 2, 172 VwGO vollstreckbar, einer Vollstreckungsklausel bedarf es nicht. Die Vollziehung der einstweiligen Anordnung durch Vollstreckung nach § 172 VwGO ist jedoch inzwischen unstatthaft geworden, weil die Antragsteller die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO - diese Bestimmung gilt nach § 123 Abs. 3 VwGO für den Erlass einstweiliger Anordnungen entsprechend - haben verstreichen lassen. Danach ist die Vollziehung unstatthaft, wenn seit der Zustellung des Arrestbefehls bzw. der einstweiligen Anordnung ein Monat verstrichen ist. Im vorliegenden Fall ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. April 2004 den Antragstellern am 26. April 2004 zugestellt worden, so dass die Vollzugsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des 27. Mai 2004 abgelaufen war. Demgegenüber haben die Antragsteller erst mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. Juli 2004, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 7. Juli 2004, die Vollstreckung auf der Grundlage des § 890 Abs. 2 ZPO beantragt, also auf Grund einer Vorschrift, die im vorliegenden Verfahren gar nicht anwendbar ist, da dort von der Verpflichtung die Rede ist, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden.

Die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ist im vorliegenden Verfahren auch nicht etwa erst in dem Zeitpunkt in Gang gesetzt worden, zu dem "die Antragsteller feststellen mussten, dass das Regierungspräsidium Darmstadt keinerlei Veranlassung gesehen hat, die Beigeladene aufzufordern bzw. ihr aufzugeben, vorläufig bis zur bestandskräftigen oder rechtskräftigen Entscheidung über die Zusammensetzung des Vorstandes die Vertretungsbescheinigung vom 15. Januar 2004 im Rechtsverkehr nicht mehr einzusetzen und das Original der Vertretungsbescheinigung an das Regierungspräsidium zurückzugeben" (siehe Schriftsatz der Antragsteller vom 6. Juli 2004 an das Verwaltungsgericht Darmstadt in dem Verfahren 2 M 1520/04 <2>). Abgesehen davon, dass die Antragsteller in dem zitierten Schriftsatz den besagten Zeitpunkt nicht präzisiert haben, hält der beschließende Senat die in der Rechtsprechung vereinzelt vertretene Auffassung, die Monatsfrist werde erst dann in Gang gesetzt, wenn für den Vollstreckungsgläubiger zu erkennen sei, dass die unterlegene Behörde der einstweiligen Anordnung nicht nachkommen werde (siehe OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Dezember 1987, NdsRpfl. 1989, 39 f.; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. September 1983 - 9 S 1924/03 u.a. -, VBlBW 1984, 150), nicht für überzeugend. Wie der 7. Senat des VGH Mannheim im Beschluss vom 17. Dezember 1999 (- 7 S 2505/99 -, NVwZ 2000, 691 f.) zutreffend ausgeführt hat, steht dieser Rechtsprechung der klare Wortlaut der Norm entgegen. Der Argumentation, wonach Verwaltungsbehörden wegen des Rechtsstaatsprinzips rechtskräftige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen befolgen müssen, so dass Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich nicht erforderlich sind, trägt zudem der (auch hier gegebenen) Fallkonstellation der nicht rechtskräftigen, vollziehbaren verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht Rechnung. Wenn die Behörde die einstweilige Anordnung im Rechtsmittelverfahren überprüfen lassen will, besteht kein Anlass zur Annahme, dass sie gleichwohl schon erfüllen will.

Im Übrigen ist der u.a. vom 9. Senat des VGH Mannheim vertretene spätere Fristbeginn nicht mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar, da nicht immer mit hinreichender Sicherheit festzustellen ist, ob und wann die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie die ihr obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllen will (so zu Recht Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 562; VGH D-Stadt, Beschluss vom 13. März 2003 - 4 C 03.640, NVwZ-RR 2003, 699). Dass der von der Monatsfrist abweichende Fristbeginn nur schwer zu bestimmen ist, zeigt auch der vorliegende Fall (s. der oben zitierte Schriftsatz der Antragsteller vom 6. Juli 2004).

Schließlich wäre die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO im vorliegenden Verfahren selbst dann nicht eingehalten worden, wenn man sie mit dem Eingang der Beschwerde des Antragsgegners beim Verwaltungsgericht (hier am 6. Mai 2004) beginnen lassen wollte, also in dem Zeitpunkt, in dem kein Anlass zu der Annahme bestand, dass die Behörde der einstweiligen Anordnung freiwillig nachkommen werde.

Als von Amts wegen zu beachtende gesetzliche Frist kann die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO weder verkürzt noch verlängert werden (siehe Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 563 m.w.N.), wohl aber kann bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO gewährt werden. Hier sind Wiedereinsetzungsgründe jedoch nicht erkennbar; einen entsprechenden begründeten Antrag haben die Antragsteller nicht gestellt, obwohl sie vom Verwaltungsgericht in dem Verfahren 2 M 1520/04 (2) mit gerichtlicher Verfügung vom 9. Juli 2004 darauf hingewiesen worden sind, dass der Vollstreckung der einstweiligen Anordnung die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO entgegenstehen könnte.

Ist aber die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO verstrichen und kommt auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht, so ist die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung gegenstandslos geworden, da sie nicht mehr vollzogen werden kann. Folglich war die einstweilige Anordnung im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. April 2004 aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen zwischenzeitlichen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen (siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom 20. September 1988 - 8 TG 2440/88 -, in juris web; Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 564). Dem steht nicht entgegen, dass sich weder der Antragsgegner noch die Beigeladene in ihrer Beschwerdebegründung auf das Fristversäumnis nach § 929 Abs. 2 ZPO berufen haben. Zwar darf das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Beschwerdegründe prüfen und berücksichtigen. Nach einer überzeugenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur gilt aber dann etwas anderes, wenn die angegriffene Entscheidung aus anderen als den dargelegten Gründen offensichtlich rechtswidrig ist (siehe Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Aufl., § 146 Rdnr. 43 m.w.N.). Wie der VGH Mannheim (Beschluss vom 19. Juli 2001 - NJ 9 S 2/01 -, NVwZ-RR 2002, 75 f. m.w.N.) in Bezug auf das Rechtsmittel der Zulassung der Berufung zutreffend ausgeführt hat, bestehen Sinn und Zweck des Darlegungsgebotes darin, das Zulassungsverfahren zu vereinfachen, indem es das Prüfungsprogramm des Oberverwaltungsgerichts darauf beschränkt zu klären, ob die dargelegten Gründe eine Zulassung des Rechtsmittels tragen. Dieser Zweck wird jedoch nicht berührt, wenn die Zulassung aus Gründen, die offensichtlich sind, also auch ohne deren Darlegung durch den Rechtsmittelführer, erfolgen kann ( VGH Mannheim, a.a.O. ). Diese Gesichtspunkte sind ohne weiteres auf die Darlegung der Beschwerdegründe nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu übertragen.

Erst recht darf die gerichtliche Überprüfung nicht auf die dargelegten Beschwerdegründe beschränkt werden, wenn wie hier eine in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungsvoraussetzung - nämlich das Rechtsschutzbedürfnis - für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung inzwischen weggefallen ist.

Für den Fall, dass die Antragsteller beabsichtigen, beim Verwaltungsgericht erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beantragen, sei darauf hingewiesen, dass Zweifel am Anspruch der Antragsteller auf Einschreiten der Stiftungsaufsicht - begehrt wird wie erwähnt ein Tätigwerden der Aufsichtsbehörde Regierungspräsidium - nicht von der Hand zu weisen sind. Die Stiftungsaufsicht wird grundsätzlich im öffentlichen Interesse und im Interesse der Stiftung, nicht aber im Interesse von Mitgliedern von Organen der Stiftung tätig (siehe auch Stengel, Kommentar zum Hessischen Stiftungsgesetz, 2. Aufl. 2000, § 10 Anm. 2.2, S. 57 und BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1985 - 7 B 211/84 -, NJW 1985, 2964 f. ). Dies muss vor allem dann gelten, wenn dem beantragten Einschreiten der Rechtsaufsicht Organstreitigkeiten zugrunde liegen, die vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden können, was hier auch geschehen ist ( s. Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 12. Dezember 2003 - , Az. 2-19 0 457/03 ). Angesichts des im vorliegenden Fall bestehenden Streits um die Zusammensetzung des Stiftungsvorstandes ist der zivilgerichtliche Organstreit nicht nur der näherliegende, sondern auch der durchgreifendere Verfahrensweg, um eine Konfliktlösung zu erreichen. Zu Recht weist die Beigeladene daraufhin, dass die Rücknahme der Vertretungsbescheinigung die Kernfrage ungeklärt ließe, wer nun aufgrund Gesetz und Satzung zur Vertretung der Stiftung befugt ist.

Durch die Entscheidung über die Beschwerde des Antragsgegners erledigt sich dessen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 28. Juni 2004.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren den Antragstellern aufzuerlegen, da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich folglich dem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den hier noch anwendbaren §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F..

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).



Ende der Entscheidung

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