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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.11.2002
Aktenzeichen: 10 TG 2371/02
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 19 Abs. 2
BSHG § 25 Abs. 1
Eine gemeinnützige Arbeit ist dann zusätzlich, wenn sie ihrer Art und Beschaffenheit nach auch zusätzlich erledigt werden kann (hier: Hausmeistertätigkeiten). Die weite Fassung des § 19 Abs. 2, 2. Halbsatz BSHG fordert nicht primär Tätigkeiten, die sich mit "regulären" Tätigkeiten nicht überschneiden (wie OVG Münster, Urteil vom 27. Mai 1991 - 24 A 899/89-, FEVS 43, 28).
10. Senat 10 TG 2371/02

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sozialhilferechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richterin am Hess. VGH Hannappel

am 26. November 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 5. August 2002 - 7 G 1749/02 - abgeändert. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 5. August 2002 hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe vom 19. Juli 2002 an (Eingang des Eilrechtsschutzantrags beim Verwaltungsgericht) bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids zu gewähren.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. April 2002, durch den der Antragsteller nach § 19 Abs. 2 BSHG zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit (Hausmeistertätigkeiten) in der ..................................-Schule in Fulda herangezogen wird, deshalb rechtswidrig, weil er keine nachvollziehbare Darlegung enthalte, warum die dem Antragsteller aufgegebenen Arbeiten zusätzlich geleistet werden sollten. Für den Adressaten einer Verpflichtung nach § 19 Abs. 2 BSHG müsse erkennbar sein, warum die ihm übertragenen Aufgaben bislang nicht von regulären Bediensteten erledigt worden seien. Da die Heranziehung des Antragstellers im Bescheid vom 26. April 2002 gegen das Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X verstoße, habe die Antragsgegnerin die Sozialhilfe nicht wegen Nichtbefolgung der Arbeitsverpflichtung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG kürzen dürfen.

Zu Recht vertritt die Antragsgegnerin demgegenüber in der Beschwerdebegründung vom 9. September 2002 die Auffassung, ihr Bescheid vom 26. April 2002 sei hinreichend bestimmt; es hieße das Bestimmtheitserfordernis zu überziehen, wenn in einem Heranziehungsbescheid jede einzelne Tätigkeit im vorhinein genauestens dargelegt werden müsste. Der beschließende Senat folgt der in der Kommentarliteratur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass der Begriff "zusätzlich" in § 19 Abs. 2 BSHG nicht eng ausgelegt werden darf (Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., 2001, § 19 Rdnr. 11; OVG Münster, Urteil vom 27. Mai 1991 - 24 A 899/89 -, ZfSH/SGB 1991, 521 = FEVS 43, 28). Aus der weiten Fassung des § 19 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BSHG ("zusätzlich ist nur die Arbeit, die sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde") ist zu schließen, dass jede Arbeit "zusätzlich" sein kann, die im jetzigen (angebotenen bzw. angeordneten) Zeitpunkt nicht absolut notwendig ist und für deren Verrichtung keine regulären Arbeitskräfte bzw. Stellen zur Verfügung stehen (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 19 Rdnr. 10). § 19 Abs. 2 2. Halbsatz BSHG lässt durchaus Tätigkeiten zu, die sich mit regulären Tätigkeiten überschneiden, also auch Tätigkeiten, die nicht "projektartig" sind. Auch solche Tätigkeiten sind "zusätzlich", die ohne die sozialhilferechtliche Schaffung von Arbeitsgelegenheiten nicht erledigt werden könnten, was zum Beispiel der Fall ist, wenn sie in zeitlich kürzeren Intervallen als zwingend geboten verrichtet werden. Die nicht zu vermeidende Überschneidung zwischen notwendiger/normaler und zusätzlicher Arbeit bringt es zwangsläufig mit sich, dass der individuellen Arbeitsaufforderung nach § 19 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz BSHG nicht notwendig entnommen werden kann, dass sie in der praktischen Ausführung wirklich zusätzlich ist. Zutreffend weist das OVG Münster (a.a.O.) darauf hin, dass die Forderung, im Heranziehungsbescheid müssten bereits über die Arbeitsbeschreibung hinaus "Individualisierungen" vorgenommen werden, die eine eindeutige Unterscheidung von nicht zusätzlichen Routinearbeiten ermöglichten, ein undurchführbares Verlangen wäre, das die Vorschrift des § 19 Abs. 2 BSHG letztlich leer laufen ließe. Es müsse insoweit ausreichen, dass die angebotene Arbeit ihrer Art und Beschaffenheit nach prinzipiell auch zusätzlich (neben oder zwischen den Routinearbeiten) erledigt werden könne. Trete dann die Kennzeichnung als gemeinnützig und zusätzlich im Bescheid hinzu, sei den Anforderungen des § 19 Abs. 2 BSHG Genüge getan.

So liegt der Fall hier. Im vorliegenden Fall wurde der Antragsteller der ..................-.........-Schule zur Verrichtung von Hausmeistertätigkeiten (u.a. Elektroarbeiten, Umräumarbeiten, Pflege der Grünanlagen, Reinigungstätigkeiten der Außenanlage) zugeteilt. Ferner heißt es in dem Bescheid, vorstehende Arbeiten dienten dem Gemeinwohl und würden ohne gemeinnützige und zusätzliche Arbeit nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet. Mit der Einsatzstelle sei vereinbart worden, dass die Hilfeempfänger nur zu zusätzlichen Arbeiten eingesetzt würden. Damit ist den oben beschriebenen Anforderungen Genüge getan. Ersichtlich können die angebotenen Hausmeistertätigkeiten ihrer Art und Beschaffenheit nach auch zusätzlich erledigt werden. Nicht erforderlich ist, dass - wie das Verwaltungsgericht meint - die dem Antragsteller angebotene Arbeit einen erkrankten Hausmeister ersetzen würde. Vielmehr reicht es aus, dass der Hausmeister die Arbeiten, die dem Antragsteller übertragen werden sollten, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in diesem Umfang wahrnehmen konnte. Davon ist sowohl bei den Elektroarbeiten (z.B. Auswechseln von Glühbirnen) als auch bei der Pflege der Grünanlagen (Pflanzarbeiten) und den Reinigungstätigkeiten auszugehen. Durch diese Arbeiten hätten "geplante Arbeitsergebnisse (in der Schule) beschleunigt bzw. verbessert werden können" (Mergler/Zink, a.a.O.). Damit stimmt überein, dass in Rechtsprechung und Literatur als Beispiel für zusätzliche Arbeiten insbesondere jahreszeitlich nicht unbedingt notwendige Reinigungsarbeiten in Grünanlagen genannt werden (OVG Münster, a.a.O.). Eine Erläuterung, warum die dem Antragsteller angetragenen Arbeiten bislang nicht von regulären Bediensteten erledigt worden sind, erübrigt sich.

Nach alledem ist der angegriffene Bescheid vom 26. April 2002 rechtmäßig mit der Folge, dass der Antragsteller ihm nachkommen musste. Da er dies nicht getan hat, handelte die Antragsgegnerin nicht ermessenfehlerhaft, als sie ihm die Hilfe zum Lebensunterhalt um 25 % kürzte.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Tenorierung des Verwaltungsgerichts (... Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Kürzung ... bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu gewähren) nicht nachvollziehbar ist. In ihrem den Kürzungsbescheid vom 27. Mai 2002 ergänzenden Bescheid vom 31. Mai 2002 hat die Antragsgegnerin die Kürzung auf die Dauer von drei Monaten befristet (d.h. bis Ende August 2002). Für die ansonsten übliche Befristung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides bestand im vorliegenden Fall somit keine Veranlassung. Zumindestens hätte der Tenor um die Worte ergänzt werden müssen: "längstens bis zum 31. August 2002".

Da der Antragsteller unterlegen ist, hat er die Kosten beider Rechtszüge zu tragen (§ 154 Abs. 1 und 2 VwGO). Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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