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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.01.2003
Aktenzeichen: 10 TP 2906/02
Rechtsgebiete: GG, HGO


Vorschriften:

GG Art. 3
HGO § 66 Abs. 1 Satz 2
HGO § 66 Abs. 1 Nr. 2
1. Dem Beschluss einer Stadtverordnetenversammlung, auf Grund einer historischen Verantwortung eine Entschädigung an noch ausfindig zu machende Personen zahlen zu wollen, die während der NS-Zeit zu Zwangsarbeiten auf dem Stadtgebiet herangezogen wurden, kommt nicht die Qualität einer Anspruchsgrundlage für den konkreten Zahlungsanspruch eines einzelnen Betroffenen zu.

2. Mangels gesetzlicher Vorgaben steht es der Stadt grundsätzlich frei, über die Modalitäten der Auszahlung selbst zu entscheiden.

3. Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung können sich Ansprüche hinsichtlich der Art der Auszahlung erst dann ergeben, wenn sich diesbezüglich eine ständige Verwaltungspraxis herausgebildet hat.


10 TP 2906/02 VG Frankfurt am Main 5 E 2824/02 (3)

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

wegen: Entschädigung für die Heranziehung zu Zwangsarbeiten

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch

am 24. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2002 - 5 E 2824/02 (3) - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin für das in Aussicht genommene Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs gegen die Antragsgegnerin wegen der Heranziehung der Antragstellerin zu Zwangsarbeiten während der NS-Zeit fehlt es vorliegend an einer Anspruchsgrundlage.

Eine solche kann insbesondere nicht dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 26. Oktober 2000 entnommen werden, der auf einem kurzfristig in die Tagesordnung aufgenommenen interfraktionellen Antrag vom 25. Oktober 2000 beruht. Der in den Beschluss übernommenen Antragsvorlage fehlt es an sämtlichen Merkmalen, die einen individuellen Anspruch eines Einzelnen begründen könnten.

Voraussetzung wäre, dass - ähnlich wie bei einem Verwaltungsakt - wenigstens ein konkreter Personenkreis ersichtlich ist, an den sich der Beschluss in seiner Außenwirkung auch richten müsste. Dies ist - wie sich aus dem Wortlaut des zu Grunde liegenden Antrags eindeutig ergibt - nicht der Fall. Es ist dort ganz allgemein von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern die Rede, die in Frankfurt beschäftigt waren. Der tatsächlich betroffene Personenkreis soll erst durch Recherchen des Instituts für Stadtgeschichte herausgefunden werden.

Auch die Begründung des Antrags, auf dem die Beschlussfassung basiert, spricht dafür, dass hier keine Anspruchsgrundlage für einen einklagbaren Zahlungsanspruch geschaffen werden sollte. Es handelt sich erkennbar um eine allgemeine politische Weichenstellung, was durch die Bezugnahme auf die Resolution vom 16. Dezember 1999 unterstrichen wird. Dort wird nämlich ohne konkrete Nennung von Personen dargelegt, die Stadt Frankfurt am Main wolle sich im Bewusstsein ihrer historischen Verantwortung an der Entschädigung von Männern und Frauen beteiligen, die Zwangsarbeit leisten mussten.

Im Übrigen kommt den Beschlüssen der Gemeindevertreter bzw. der Stadtverordneten (vgl. § 49 HGO) in der Regel keine unmittelbare Außenwirkung zu. Gemäß § 50 HGO hat die Gemeindevertretung bzw. die Stadtverordnetenversammlung über die Angelegenheiten der Gemeinde zu beschließen, insbesondere in den in § 51 HGO aufgeführten ausschließlichen Zuständigkeitsbereichen. Mit der Ausführung der von der Gemeindevertretung gefassten Beschlüsse ist dagegen regelmäßig gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1 Nr. 2 der Gemeindevorstand befasst. Der Beschluss vom 26. Oktober 2000 kann daher nur als Handlungsauftrag an den Gemeindevorstand bzw. den Magistrat aufgefasst werden, nicht aber als Anspruchsgrundlage für den konkreten Zahlungsanspruch eines einzelnen Betroffenen.

Ob sich darüber hinaus ein individueller Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer Selbstbindung der Verwaltung ergeben könnte, kann hier dahingestellt bleiben, denn jedenfalls ist eine ständige Verwaltungspraxis dahingehend, dass ehemaligen Zwangsarbeitern aus der Ukraine die in Aussicht gestellte Entschädigung vor Ort bei der Antragsgegnerin persönlich und in DM bzw. Euro ausgezahlt wird, nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin hat insofern entschieden eine derartige Auszahlungspraxis bestritten. Die Antragstellerin hat demgegenüber lediglich erklärt, es seien Gelder auch direkt an ukrainische Zwangsarbeiter ausgezahlt worden, worüber die Frankfurter Rundschau berichtet habe. Selbst wenn dies in Einzelfällen so gehandhabt worden sein sollte, wofür es - abgesehen von einem Fall, über den ein Artikel der FAZ berichtete, der zu den Landgerichtsakten gereicht wurde - keine Belege gibt, so ist damit noch keine Selbstbindung der Verwaltung dargelegt. Allein die Tatsache, dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin selbst erklärt, die Interessen von über 500.000 ehemaligen ukrainischen NS-Arbeitern zu vertreten, zeigt, dass es angesichts der Vielzahl von möglichen Antragstellern (nach eigener Einschätzung der Antragsgegnerin liegt die Zahl der Berechtigten immerhin bei 600 bis 800 Personen) auf der Hand liegt, dass eine anspruchsbegründende ständige Verwaltungspraxis durch möglicherweise erfolgte Einzelauszahlungen nicht begründet worden sein kann.

In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass die Beauftragung der ukrainischen Stiftung mit der Abwicklung der Auszahlung keinen Bedenken begegnet. Zum einen ist eine solche Verfahrensweise von Anfang an in dem interfraktionellen Antrag und dem darauf beruhenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vorgesehen gewesen, so dass die Antragsgegnerin in rechtmäßiger Weise von dieser Möglichkeit Gebrauch machen konnte. Im Übrigen war sie mangels gesetzlicher Vorgaben frei in der Wahl der Ausgestaltung der Zahlungsweise. Für eine Verpflichtung zur Auszahlung der Entschädigung an den Bevollmächtigten der Antragstellerin gibt es schon mangels individuellen Anspruchs keine Anhaltspunkte. Da die Auszahlung grundsätzlich über die beauftragte Stiftung erfolgt, ist auch diesbezüglich ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz nicht erkennbar. Im Übrigen ergibt sich aus dem zu den Akten gereichten Schreiben der GTZ an die Antragsgegnerin vom 23. Februar 2001, dass die Einschaltung der ukrainischen Stiftung für Verständigung und Aussöhnung ausdrücklich empfohlen wird, zum einen, weil sie über beste Kontakte verfügt, zum anderen aber auch, weil Auszahlungen, die nicht über diese Stiftung erfolgen, nach den Auskünften der GTZ mit mindestens 30 % einkommenssteuerpflichtig sind, so dass davon auszugehen ist, dass die Einschaltung der Stiftung auch den Interessen der Entschädigungsberechtigten dient.

Obwohl es hierauf mangels Existenz einer Anspruchsgrundlage nicht mehr ankommt, sei noch erwähnt, dass auch kein Anspruch speziell darauf bestehen würde, dass die beabsichtigte Entschädigung in DM bzw. jetzt in Euro ausgezahlt wird. Für eine entsprechende Festlegung gibt der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung nichts her. Dass der Betrag von 2.000,00 DM genannt wird, liegt offenkundig daran, dass bei dem spontanen Antrag der Stadtverordnetenversammlung selbstverständlich niemand einen entsprechenden Betrag in ukrainischer Währung angegeben konnte. Allerdings ist entgegen den Einwänden der Antragstellerin offensichtlich geplant, die Entschädigungen in der Ukraine in DM bzw. Euro auszuzahlen, was sich ebenfalls aus dem bereits erwähnten Schreiben der GTZ an die Antragsgegnerin vom 23. Februar 2001 ergibt. Dass diese auszuzahlende Hilfe auf möglicherweise weiterhin bestehende Ansprüche gegen die deutsche Wirtschaft angerechnet würde, beruht auf einer reinen Spekulation der Antragstellerin und lässt sich durch nichts belegen, zumal in dem zu Grunde liegenden Beschluss vom 26. Oktober 2000 ausdrücklich festgehalten ist, dass die Leistungen über den Entschädigungsfonds des Bundes und der Wirtschaft unberührt bleiben sollen.

Ob der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin darüber hinaus schon daran scheitert, dass sie auf der bisher vorliegenden Liste derjenigen Personen aufgeführt war, für die die Auszahlung der Entschädigung bereits eingeleitet war, spielt auf Grund des vorher Gesagten keine Rolle mehr. Für den Fall, dass schon eine Auszahlung erfolgt sein sollte, wäre ein möglicher Anspruch ohnehin untergegangen. Im Übrigen zeigt aber die Existenz der Liste und die dazu gehörige Korrespondenz, dass jedenfalls von der Antragsgegnerin alle zur Abwicklung der Auszahlung der vorgesehenen Entschädigung notwendigen Schritte unternommen wurden. Insofern ist davon auszugehen, dass die Auszahlung der vorgesehenen Entschädigung zeitnah auch für die Personen erfolgen kann, die in der Liste mit Stand vom 02.10.2002 noch nicht aufgeführt sind. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin, der außer dem vorliegenden Antrag achtzehn weitere, gleichlautende Anträge für andere Antragsteller gestellt hat, hat zwar die noch nicht erfolgte Registrierung einiger seiner Mandantinnen bemängelt, diesbezüglich sei jedoch nebenbei bemerkt, dass offensichtlich die Listen des Antragstellervertreters auch nicht fehlerfrei sind. So befinden sich unter den im Schriftsatz vom 15. Oktober 2002 genannten Namen der Antragstellerinnen aus den Parallelverfahren, die angeblich noch nicht zur Zahlung registriert sind, zwei Antragstellerinnen, an die nach der Liste aus der Ukraine vom 02.10.2002 bereits Beträge angewiesen wurden, während eine Antragstellerin in der Aufstellung fehlt, an die offenbar noch keine Zahlung angewiesen wurde. Darüber hinaus befindet sich in der Liste des Bevollmächtigten auch ein Name, der in keinem der 19 hier anhängigen Parallelverfahren als Antragstellerin auftaucht.

Da das Rechtsmittel somit ohne Erfolg bleibt, hat die Antragstellerin gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, wobei außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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