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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.05.2005
Aktenzeichen: 10 TP 980/05
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 188 S. 2 a.F. | |
VwGO § 60 Abs. 1 | |
VwGO § 74 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss
10. Senat
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Sozialhilferechts
hier: Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Klageverfahren
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch
Richter am Hess. VGH Thorn, Richterin am Hess. VGH Hannappel, Richter am Hess. VGH Dr. Jürgens
am 20. Mai 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 24. Januar 2005 - 5 E 2088/04 - PKH - wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO), da die Klagefrist gemäß § 74 VwGO für die noch zu erhebende Klage abgelaufen ist und der innerhalb der Klagefrist gestellte und vor Auflauf dieser Frist noch nicht beschiedene Antrag auf Prozesskostenhilfe im hiesigen gerichtskostenfreien Verfahren kein der Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO darstellt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht insofern zutreffend auf die Grundsätze in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.02.1989 - 5 ER 612/89 - in NVwZ-RR 1989, 665).
Was das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung für gerichtskostenfreie Verfahren nach § 188 Satz 1 VwGO entschieden hat, die ohne Inanspruchnahme und ohne einen Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts betrieben werden, gilt aber gleichermaßen für gerichtskostenfreie Verfahren, wenn ein Antragsteller bereits anwaltlich vertreten ist und/oder mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe gleichzeitig die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt (vgl. grundlegend Hess. VGH, Beschluss vom 19. November 1993 - 9 TP 2075/93 - in Hess. VGRspr 1994, 33; MDR 1994 1147). Diese Grundsätze sind vom erkennenden Senat ausdrücklich übernommen worden (vgl. Beschluss vom 13. August 2004 - 10 TP 1928/04 -). Dieser Rechtsprechung ist ebenso der 5. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs gefolgt (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2004 - 5 TP 2880/04 -).
Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Zur Erhebung einer Klage vor dem Verwaltungsgericht ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass die Antragstellerin rechtsunkundig ist (ebenso entschieden bei mangelnder Kenntnis der deutschen Schriftsprache; vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 13. August 2004 - 10 TP 1928/04 -). Es besteht nämlich die Möglichkeit, auf die auch in der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen ist, die Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Selbst wenn es einem Antragsteller nicht möglich sein sollte, wenigstens laienhaft sein Begehren zu begründen und eine Vertretung im Sinne von § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich erschiene, so ist auch dies kein Hindernis, das ohne vorherige Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht zu meistern wäre. Immerhin besteht die Möglichkeit, Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG) in Anspruch zu nehmen, wobei nach § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG sich ein Ratsuchender sogar unmittelbar an einen Rechtsanwalt wenden und einen Antrag auf Beratungshilfe nachträglich stellen kann. Insofern kann auch das Argument der Schwerbehinderung der Antragstellerin nicht durchgreifen. Dies gilt umso mehr, als die in dem Bescheid zur Feststellung des Grades der Schwerbehinderung aufgeführten Krankheiten nicht den Schluss rechtfertigen, die Antragstellerin sei unfähig, auf Grund einer Rechtsmittelbelehrung in eigenen Angelegenheiten tätig zu werden.
Aus den genannten Gründen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin die rechtzeitige Klageerhebung unzumutbar und sie deshalb im Sinne von § 60 VwGO ohne Verschulden daran gehindert war, die Klagefrist einzuhalten.
Demgegenüber rechtfertigen die Argumente aus der Beschwerdebegründung kein anderes Ergebnis. Insbesondere verstößt die Entscheidung nicht gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts. In der vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 26. September 2002 (- 1 BvR 1419/01 - abgedruckt in DVBl 2003, 130) getroffenen Entscheidung ging es um die Zwei-Wochen-Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Hierzu wurde auf eine feststehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen, von der das Oberverwaltungsgericht in dem zu Grunde liegenden Fall nicht ohne weiteres abweichen konnte. Die Entscheidung betrifft also einen anderen Sachverhalt als den vorliegenden. Was die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeht, so ist eingangs bereits auf eine Entscheidung zu gerichtskostenfreien Verfahren verwiesen worden. Die in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Grundsätze sind von verschiedenen Senaten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. obige Zitate) dahingehend weiterentwickelt worden, dass die Nichtbescheidung eines innerhalb der Klagefrist eingereichten Prozesskostenhilfeantrags vor Ablauf dieser Frist in gerichtskostenfreien Verfahren nach § 188 VwGO auch dann kein Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO darstellt, wenn der Antrag von einem Rechtsanwalt gestellt oder die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt wird (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 13. August 2004 - 10 TP 1928/04 - und Hess. VGH, Beschluss vom 25. Oktober 2004 - 5 TP 2880/04 -). Diese Wertung für einen Fall wie den vorliegenden steht auch nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein mittelloser Beteiligter, der ein Rechtsmittel einlegt, Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hat, wenn er ein Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hat und wenn darüber erst nach Ablauf dieser Frist entschieden worden ist (vgl. zum Beispiel BVerwGE 15, 306 [308]). Dies gilt nämlich nur für die Fälle, in denen bereits mit Beschreitung eines Rechtsweges ein Kostenrisiko verbunden ist, sei es, weil ein Verfahren nicht gerichtskostenfrei ist und deshalb bereits mit Klageerhebung Kosten anfallen können oder sei es, weil ein einschlägiges Rechtsmittel nur durch Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts formgerecht eingelegt werden kann und deshalb die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens schon aus diesem Grunde unter einem Kostenrisiko steht (vgl. BVerwG, NVwZ 2002, 992: Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn der Kläger erst als Folge des bewilligenden Prozesskostenhilfebeschlusses in der Lage ist, ein den formellen Erfordernissen genügendes Rechtsmittel anzubringen).
Anders sieht es dagegen bei gerichtskostenfreien Verfahren aus. Bei diesen kann eine mittellose Partei unmittelbar Klage erheben, ohne befürchten zu müssen, im Falle des Unterliegens außer mit den eigenen Aufwendungen wie Porti und Telefongebühren mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, da auf die Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe keinen Einfluss hat (§ 123 ZPO). Der von der Antragstellerin gewählte Weg, dass ein Prozesskostenhilfeantrag zunächst nur mit einem Klageentwurf eingereicht wird, der dann erst als Klage zugestellt wird, wenn Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, ist nur in Verfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vor den Amts- oder Landgerichten üblich. In diesen Zivilverfahren ist eine Klage erst mit Zustellung der Klageschrift erhoben (§ 253 Abs. 1 ZPO), während im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bereits die Einreichung der Klageschrift die Rechtshängigkeit der Klage herbeiführt (§ 81 VwGO) und somit die (in zivilrechtlichen Streitigkeiten so nicht existierende) Klagefrist eingehalten werden kann. In gerichtskostenfreien Verfahren kann die mittellose Partei somit zur Wahrung der Klagefrist direkt Klage erheben, ohne befürchten zu müssen, mit Kosten belastet zu werden, die in nicht von § 188 Satz 2 VwGO erfassten Verfahren anfallen können. Wird dieser gangbare Weg nicht genutzt, gibt es keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin stellt dies auch keine Sondermeinung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs dar, sondern entspricht der nahezu einhelligen neueren Rechtsprechung auch anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. Mai 2001 - 7 S 646/01 - in NVwZ-RR 2001, 802 und vom 2. Mai 1996 - 7 S 297/95 - in NVwZ-RR 1997, 502; OVG Hamburg, Beschluss vom 5. Februar 1998 - OVG BS IV 171/97 - in NJW 1998, 2547; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. März 1999 - 12 E 12427/98 -, juris; offengelassen OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. September 2004 - 1 O 280/04 -, juris).
Das Vorgehen des Verwaltungsgerichts wiederspricht aus den genannten Gründen weder den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, noch wird der Antragstellerin ein außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liegendes Risiko aufgebürdet und damit der Zugang zu den Gerichten erschwert , da sie die Möglichkeit hat, unabhängig von nicht in ihrem Machtbereich liegenden Einflüssen alles zu ihrer Rechtswahrnehmung mögliche zu unternehmen.
Etwas anderes folgt für den vorliegenden Fall auch nicht aus den diagnostizierten Behinderungen der Antragstellerin. Wie bereits zuvor festgestellt, liegt ohnehin die Mehrzahl der gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf Gebieten, die auf die Fähigkeit, ihre Rechte wahrzunehmen, keinerlei Einfluss haben können. Aber auch die seelische Behinderung der Antragstellerin kann vorliegend nicht zu einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand führen. Die Antragstellerin ist offensichtlich nicht so krank, dass sie überhaupt nicht selbständig handeln kann, was sich schon aus der Tatsache ergibt, dass sie einen Rechtsanwalt aufsuchen konnte. Ebenso gut hätte sie zu Protokoll der Geschäftsstelle Klage erheben oder einen Antrag auf Beratungshilfe stellen und sich dann zu dem Rechtsanwalt begeben bzw. gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG diesen direkt aufsuchen können. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin bereits im Widerspruchsverfahren von ihrem jetzigen Bevollmächtigten vertreten wurde, der sie entsprechend hätte beraten können. Von einer Fristversäumung ohne Verschulden kann bei dieser Konstellation keine Rede sein.
Eine Kostenentscheidung braucht nicht zu ergehen, da Gerichtskosten in Verfahren aus dem Gebiet der Sozialhilfe nach § 188 Satz 2 VwGO a.F., der i.V.m. § 206 Abs. 1 SGG für das vorliegende Verfahren noch gilt, nicht anfallen und gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO außergerichtliche Kosten in Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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