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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 10 UE 1392/06
Rechtsgebiete: BKAG


Vorschriften:

BKAG § 32 Abs. 2 S. 1
BKAG § 32 Abs. 3
BKAG § 32 Abs. 5 S. 1
Wenn in Dateien des Bundeskriminalamts personenbezogene Daten zu mehreren Vorkommnissen gespeichert sind, ist für die Daten zu den einzelnen Vorkommnissen jeweils gesondert zu prüfen, ob die weitere Speicherung noch erforderlich im Sinne von § 32 Abs. 2 Satz 1 BKAG ist. Dies folgt aus der Vorschrift des § 32 Abs. 5 Satz 1 BKAG. Eine Speicherung über die Aussonderungsprüffrist von zehn Jahren nach § 32 Abs. 3 BKAG hinaus ist zulässig, wenn die Daten sich auf besonders schwerwiegende Rechtsgutsverletzungen beziehen und die Gefahr der Wiederholung einer solch schweren Straftat droht oder der Betroffene erneut Straftaten der gleichen oder einer ähnlichen, ebenfalls besonders schwerwiegenden Deliktsart begangen hat.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 UE 1392/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -10. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Thorn

als Berichterstatter am 23. Mai 2007 ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 19. Juli 2005 - 6 E 1334/03 (V) - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der außergerichtlichen Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger will erreichen, dass das Bundeskriminalamt einen Teil der Daten löscht, die bei der Behörde zu seiner Person gespeichert sind. Dabei geht es im vorliegenden Verfahren allein um Daten, die einen Vorfall am 27. Oktober 1996 betreffen. Danach soll der Kläger sich mit anderen Personen auf Bahngleisen niedergelassen haben, um einen Castor-Transport zu blockieren.

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu diesem Vorfall stellte die zuständige Staatsanwaltschaft am 10. Juni 1997 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ein.

Für diese Daten setzte das Bundeskriminalamt zunächst eine Aussonderungsprüffrist im Sinne von § 32 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt (BKAG) bis zum 26. Oktober 2001 fest. Im Oktober 2001 verlängerte die Behörde die Prüffrist bis zum 10. Juni 2006. Der Grund für diese Verlängerung war ein Vorfall am 11. Juni 2001. Danach soll der Kläger zusammen mit anderen Personen an diesem Tag wiederum Bahngleise wegen eines Castor-Transports blockiert haben. Zu diesem Vorfall finden sich in den Behördenakten, welche die Beklagte vorgelegt hat, keine Hinweise über den Ausgang des Ermittlungsverfahrens. Schließlich setzte das Bundeskriminalamt im Januar 2002 eine neue Prüffrist bis zum 4. November 2011 fest.

Mit einem Schreiben vom 3. Februar 2002 beantragte der Kläger bei dem Bundeskriminalamt die Löschung der über ihn gespeicherten Daten. Diesen Antrag lehnte die Behörde mit Bescheid vom 13. Februar 2002 ab. Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies das Bundeskriminalamt mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2002 zurück.

Darauf hin hat der Kläger am 19. Juli 2002 bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage erhoben. Er hat zunächst beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2002 zu verpflichten, die über ihn gespeicherten personenbezogenen Daten insoweit zu löschen, als die Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind.

Mit einem Schriftsatz vom 12. Januar 2005 hat der Kläger dann klargestellt, dass seine Klage sich nur auf die Daten zu dem Vorfall vom 27. Oktober 1996 bezieht, zu dem die Staatsanwaltschaft am 10. Juni 1997 das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Beide Beteiligten haben ihre Anträge begründet.

Mit Urteil vom 19. Juli 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2002 verpflichtet, die über den Kläger gespeicherten personenbezogenen Daten insoweit zu löschen, als sich diese auf den Tatzeitpunkt 27. Oktober 1996 beziehen und das Ermittlungsverfahren mit Beschluss der Staatsanwaltschaft Lüneburg am 10. Juni 1997 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte sich mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung gewandt. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 13. Juni 2006 - 10 UZ 2167/05 - entsprochen. Daraufhin hat die Beklagte die Berufung innerhalb der verlängerten Begründungsfrist begründet.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 19. Juli 2005 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Auch er begründet seinen Antrag.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis erklärt, dass der Berichterstatter allein und ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheidet.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, das angefochtene Urteil und den Inhalt der beigezogenen Behördenakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, die der Senat zugelassen hat und die auch im Übrigen zulässig ist, ist nicht begründet und daher zurückzuweisen. Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann der Berichterstatter diese Entscheidung allein und ohne mündliche Verhandlung treffen.

Maßgeblich für die Entscheidung des Berufungsgerichts ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung. Nach dieser Sach- und Rechtslage hat der Kläger jetzt einen Anspruch darauf, dass das Bundeskriminalamt die Daten, die in seinen Dateien über ihn im Zusammenhang mit dem Vorkommnis am 27. Oktober 1996 (Blockade von Bahngleisen durch einen Sitzstreik vor einem Castor-Transport) gespeichert sind, löscht.

Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch bildet die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Satz 1 BKAG. Danach hat das Bundeskriminalamt die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Ein solcher Sachverhalt ist hier hinsichtlich der Daten über die Beteiligung des Klägers an dem Vorkommnis am 27. Oktober 1996 gegenwärtig gegeben. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Speicherung dieser Daten jetzt noch erforderlich ist.

Zwar ist bei der Beurteilung der Erforderlichkeit auf die Aufgaben des Bundeskriminalamts als Zentralstelle nach § 2 BKAG abzustellen, wie sie die Beklagte in der Berufungsbegründung hervorgehoben hat. Andererseits sind die Art und Schwere der Rechtsgutsverletzung, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und vor allem der Zusammenhang mit späteren Taten des Betroffenen zu berücksichtigen. Schließlich ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 32 Abs. 3 BKAG eine Obergrenze für die Aussonderungsprüffrist von 10 Jahren festgesetzt hat.

Das Berufungsgericht hält zwar an der Ansicht aus dem Zulassungsbeschluss vom 13. Juni 2006 fest, dass die Speicherung von personenbezogenen Daten im Einzelfall auch über die Aussonderungsprüffrist von 10 Jahren hinaus erforderlich sein kann. Dies gilt insbesondere bei einer besonders schwerwiegenden Rechtsgutsverletzung und der Gefahr der Wiederholung einer solch schweren Straftat oder, wenn der Betroffene erneut Straftaten der gleichen oder einer ähnlichen, ebenfalls besonders schwerwiegenden Deliktsart begangen hat.

Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen des Tatbeitrags des Klägers vom 27. Oktober 1996 eingestellt hat, belegt aber, dass die Strafverfolgungsbehörde die Rechtsgutsverletzung nicht als schwerwiegend angesehen hat. Dieser Bewertung ist der Sachbearbeiter des Bundeskriminalamts gefolgt, als er die Aussonderungsprüffrist zunächst auf 5 Jahre festgesetzt hatte.

Zwar spricht die Tatsache, dass der Kläger sich in den Jahren 1997, 1999, 2000 und 2001 erneut an der Blockade von Castor-Transporten beteiligt hat, dafür, dass es geboten war, die ursprüngliche Aussonderungsprüffrist von 5 Jahren um weitere 5 Jahre auf insgesamt 10 Jahre zu verlängern. Doch kann nicht festgestellt werden, dass die nochmalige Verlängerung der Aussonderungsprüffrist für die Daten zu dem Vorfall vom 27. Oktober 1996 bis zum Jahr 2011 erforderlich war.

Diese Verlängerung hat der Sachbearbeiter des Bundeskriminalamts deshalb verfügt, weil der Kläger im November 2001 ein Ehrenmal für gefallene Soldaten mit Zement beschmiert und dabei unter Anderem antifaschistische Aufkleber angebracht hatte. Diese Straftat, die zu einer Bestrafung mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 20,00 € geführt hat, betraf aber Rechtsgüter, die sich von den Rechtsgütern, die bei dem Vorfall vom 27. Oktober 1996 verletzt wurden, so deutlich unterschieden, dass sie es nicht gebieten konnte, die Aussonderungsprüffrist auch hinsichtlich der Daten zu dem Vorfall vom 27. Oktober 1996 weiter zu verlängern. Dabei ist Folgendes zu beachten: Wenn - wie hier - personenbezogene Daten zu mehreren Vorkommnissen gespeichert sind, ist für die Daten zu den einzelnen Vorkommnissen jeweils gesondert zu prüfen, ob die weitere Speicherung noch erforderlich ist. Davon ist bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Diese Sicht ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 32 Abs. 5 Satz 1 BKAG geboten, obwohl dies zu einem erheblichen Prüfungsaufwand der Behörde führt. Schon das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 22. Oktober 2003 - 6 C 3.03 - (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 402.46 BKAG Nr. 2) zu Recht auf die Unterschiede im Wortlaut bei den Vorschriften des § 32 Abs. 5 S. 1 BKAG einerseits und der §§ 489 Abs. 6 und 494 Abs. 2 StPO andererseits hingewiesen. Wenn der Gesetzgeber die Regelung in § 32 Abs. 5 S. 1 BKAG nicht an die genannten Regelungen in der Strafprozessordnung angepasst hat, so ist daraus zu schließen, dass er unterschiedliche Rechtsfolgen bei den Daten im Sinne von § 32 BKAG einerseits und bei den Daten im Sinne der genannten Vorschriften der Strafprozessordnung andererseits will.

Auch die anderen Vorkommnisse, die in den vorgelegten Behördenakten vermerkt sind, lassen eine weitere Speicherung der Daten zu dem Vorfall vom 27. Oktober 1996 jetzt nicht mehr erforderlich erscheinen. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass diese Vorkommnisse nach dem Inhalt der Behördenakten nicht zu Bestrafungen geführt haben. Sie wurden offensichtlich von den maßgeblichen Strafverfolgungsbehörden nicht als schwerwiegende Rechtsgutsverletzungen gewertet.

Da die Klage nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage begründet ist, ist der Berufung gegen die stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu entsprechen.

Nach § 154 Abs. 2 VwGO hat die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sie mit ihrem Rechtmittel unterlegen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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