Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.10.2003
Aktenzeichen: 10 UZ 2113/03
Rechtsgebiete: BSHG, SGB I


Vorschriften:

BSHG § 107
SGB I § 30 Abs. 3 S. 2
Bei der Frage, ob im Frauenhaus eines Ortes ein gewöhnlicher Aufenthalt i.S.v. § 107 Abs. 1 BSHG i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I begründet werden kann, ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Flucht in das Frauenhaus zum gegebenen Zeitpunkt die einzige Möglichkeit war, einen neuen Aufenthalt zu begründen, ohne dass Alternativen zur Verfügung standen.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

10 UZ 2113/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sozialhilferechts

hier: Kostenerstattung bei Umzug (§ 107 BSHG)

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richter am VG Kassel Spillner (abgeordneter Richter)

am 9. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 2003 - 2 E 2427/00 (3) - wird abgelehnt.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des vom Beklagten allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 107 Abs. 1 BSHG bejaht und erkannt, dass Frau A. während ihres Aufenthaltes im Frauenhaus Bad Schwalbach vom 25./27. Januar bis 13. März 1996 dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Nach dem hier heranzuziehenden § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dabei ist unter "Ort" die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus oder gar eine bestimmte Wohnung, so dass auch der Umzug in ein Frauenhaus an einem anderen Ort einen Umzug im Sinne von § 107 BSHG darstellen kann (Bay. VGH, Urteil vom 5. Dezember 2001 - 12 B 98.1044 -, FEVS 54, 418 ff.). Ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt ist nicht erforderlich. Es genügt, dass der Betreffende sich an dem Ort "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1973 - V C 107.72 -, BVerwGE 42, 196 = FEVS 21, 361). Auch die Absicht, den gewählten Ort wieder zu verlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen oder Ereignisse eintreten, schließt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus (Bay. VGH, a.a.O., S. 420).

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist mit dem Verwaltungsgericht zu Grunde zu legen, dass Frau A. bei ihrer Flucht vor den Misshandlungen ihres Mainzer Freundes in das Haus für Frauen in Not in Bad Schwalbach am 25. Januar 1996 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bad Schwalbach begründet hat. Dass ihr Aufenthalt im Bad Schwalbacher Frauenhaus nur wenige Wochen dauerte, und dass es sich bereits am 15. Februar 1996 abzeichnete, dass sie bei ihrer Mutter in Dietz ein Zimmer anmieten konnte, ändert nichts an dieser rechtlichen Einschätzung. Indizien dafür, dass das Frauenhaus für Frau A. bis auf Weiteres der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen sein sollte, hat das Verwaltungsgericht auf Blatt 8 des angefochtenen Urteils benannt. Wenn der Beklagte dem entgegenhält, die Aufnahme im Bad Schwalbacher Frauenhaus sei rein zufällig erfolgt, da keine entsprechenden freien Plätze in der Nähe der Mutter (Limburg/Dietz) verfügbar gewesen seien, so übersieht er, dass entscheidend darauf abzustellen ist, ob die Flucht in das Frauenhaus zum gegebenen Zeitpunkt die einzige Möglichkeit war, einen neuen Aufenthalt zu begründen, ohne dass Alternativen zur Verfügung standen. Stets dann kann bereits davon gesprochen werden, der Betreffende halte sich an dem Ort des Frauenhauses bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs auf.

Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Aktenlage davon auszugehen, dass sich für Frau A. am 25./27. Januar 1996 eine Wohnsitznahme in der Nähe ihrer Mutter in Dietz noch nicht als reale Möglichkeit abzeichnete. Dies war offensichtlich erst am 15. Februar 1996 (s. Bl. 18 R d. BA) bzw. am 29. Februar 1996 (s. Aktenvermerk des Bad Schwalbacher Jugend- und Sozialamtes vom selben Tage, Bl. 26 d. Hefters mit den Blättern 1 bis 32) der Fall.

Der Charakterisierung von Frauenhäusern durch den Beklagten als Notlösungen "mit dem stetigen Ziel, den Wohnsitz möglichst bald zu verlegen" ist nichts entgegenzusetzen. Frauen, die ihre Zuflucht in einem Frauenhaus suchen, tun dies in der Hoffnung, möglichst bald wieder eine eigene Bleibe und eine neue Existenzgrundlage zu finden. Die feste Absicht, das Frauenhaus wieder zu verlassen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, schließt jedoch - wie erwähnt - die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes am Ort des Frauenhauses nicht aus. Dies übersieht der Beklagte, wenn er hervorhebt, es habe für Frau A. zweifelsohne von Anfang an festgestanden, dass sie im Frauenhaus Bad Schwalbach nur vorübergehend bleiben werde. Dass das Frauenhaus Bad Schwalbach für Frau A. Ende Januar 1996 die einzige Zufluchtsmöglichkeit ohne greifbare Alternativen war, hat auch der Beklagte nicht widerlegen können.

Der Inanspruchnahme des Beklagten steht im vorliegenden Fall auch nicht § 109 BSHG entgegen. Ein Frauenhaus ist weder eine Anstalt bzw. ein Heim und regelmäßig auch keine gleichartige Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 2 BSHG (s. Bay. VGH, a.a.O., 420 m.w.N.; zu den Ausnahmen siehe Schellhorn/Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl. 2002, § 97 Rdnr. 103).

Da der Antrag auf Zulassung der Berufung erfolglos bleibt, hat der Beklagte nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Diese bestehen nur aus den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten, da Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück