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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 10 UZ 2839/05
Rechtsgebiete: WRV, GG
Vorschriften:
WRV Art. 137 Abs. 3 | |
GG Art. 4 Abs. 1 | |
GG Art. 140 |
Die Zulässigkeit der Klage scheitert nicht daran, dass die Regelungen des Mitgliedschaftsrechts zum innerkirchlichen Bereich i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV gehören.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Sonstigem;
hier: Feststellung der Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde A-Stadt
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richterin am Hess. VGH Hannappel
am 27. Juni 2006 beschlossen:
Tenor:
Auf den Antrag der Kläger wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2005 - 11 E 1452/04 (1) - zugelassen.
Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 10 UE 1552/06 als Berufungsverfahren fortgesetzt.
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der Entscheidung über die Kosten im Berufungsverfahren.
Gründe:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig und auch begründet, da jedenfalls der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vorliegt. Nach derzeitiger Einschätzung des beschließenden Senats bestehen ernstliche Zweifel an den die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Ausführungen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Kläger auf Feststellung, dass sie vom 11. November 2002 bis zu ihrem Austritt aus der Jüdischen Gemeinde A-Stadt Ende Oktober 2003 nicht deren Mitglieder gewesen sind, als unzulässig abgewiesen. Die Kläger, französische Staatsangehörige jüdischer Herkunft, haben am 8. November 2002 ihren ersten Wohnsitz nach A-Stadt verlegt und in der Anmeldung gegenüber dem Bürgeramt unter "Religion" "mosaisch" angegeben. Gegen die "Begrüßung" als neue Gemeindemitglieder durch Schreiben der Steuerabteilung der Beklagten vom 12. Mai 2003 haben sich die Kläger erfolglos mit dem Ziel zur Wehr gesetzt, als Nichtmitglieder angesehen zu werden. § 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten ("Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sind alle Personen jüdischen Glaubens, die in Frankfurt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben und nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach ihrem Zuzug nach A-Stadt gegenüber dem Gemeindevorstand schriftlich erklären, dass sie nicht Mitglieder der Gemeinde sein wollen") sei verfassungswidrig; abgesehen davon hätten sie die Drei-Monats-Frist gar nicht einhalten können.
Das Verwaltungsgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob die Streitfrage der mitgliedschaftlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft der Überprüfung durch staatliche Gerichte entzogen sei und sich somit die Unzulässigkeit der Klage bereits daraus ergebe, dass für sie der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet sei. Jedenfalls sei die erhobene Feststellungsklage gegenüber einer möglichen Anfechtungsklage gegen den entsprechenden Steuerbescheid gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO subsidiär und damit unzulässig - unterstellt, die Beklagte beabsichtige überhaupt, die Kläger für den Zeitraum 8. November 2002 bis 31. Oktober 2003 zur Synagogensteuer heranzuziehen (Anm.: diese Absicht der Beklagten besteht nach wie vor). Die Kläger hätten ihr Interesse an der begehrten Feststellung ausschließlich damit begründet, dass von der Mitgliedschaft bei der Beklagten die Pflicht zur Bezahlung der Kirchensteuer abhängig sei. Ein darüber hinausgehendes ideelles Interesse der Kläger sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
Dagegen wenden sich die Kläger mit dem Hinweis, ihnen sei es schon immer primär um die Frage gegangen, ob sie bereits durch den Zuzug nach A-Stadt aufgrund ihrer jüdischen Abstammung Mitglieder einer orthodox geprägten jüdischen Gemeinde wie der in A-Stadt geworden seien, obwohl sie sich mit deren Zielen nicht identifizierten. Dass mit dieser Frage auch die Synagogensteuer verknüpft sei, sei eine Folge des ideellen Aspekts des Falles. Das Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO könne deshalb nicht verneint werden.
Auch nach Auffassung des beschließenden Senats besteht ein berechtigtes Interesse der Kläger an der von ihnen erstrebten Feststellung, ob sie jemals Mitglieder bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, gewesen sind, weil damit grundrechtlich geschützte Interessen der Kläger berührt sind (Art. 4 Abs. 1 GG). Auf die Rechtsfigur der vorbeugenden Feststellungsklage kann und muss nicht zurückgegriffen werden; der vom Verwaltungsgericht ausschließlich in den Blick genommene steuerrechtliche Aspekt betrifft einen anderen Streitgegenstand.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der mit gegenseitigen Rechten und Pflichten ausgestattete Status der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ein Rechtsverhältnis begründet, das Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO sein kann (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982 - 5 C 103.81 -). Die Kläger haben auch ein berechtigtes Interesse an der von ihnen angestrebten Feststellung. Unter berechtigtem Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO versteht man jedes nach vernünftigen Erwägungen durch die Sachlage gerechtfertigte schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur. Ein Interesse ideeller Natur ist insbesondere in Fällen von tief greifenden Grundrechtseingriffen zu bejahen (Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO-Kommentar, § 43 Rdnr. 77 m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier gegeben, da sich die Kläger auf die Verletzung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 GG berufen können. Zur Glaubens- und Gewissensfreiheit gehört die negative Bekenntnisfreiheit und damit auch die Freiheit, einer religiösen Vereinigung wie der Beklagten nicht anzugehören (negative religiöse Vereinigungsfreiheit, siehe Kokott in Sachs: Kommentar zum Grundgesetz, 1996, Art. 4 Rdnr. 46).
Unerheblich ist dabei, dass die von den Klägern gewünschte Feststellung ein in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis betrifft. Es liegt zwar keine der herkömmlichen Fallgruppen mit "anhaltender abträglicher Wirkung" vor, die ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse begründen (Wiederholungsgefahr, fortdauernde Diskriminierung, geplante Schadensersatzklage), doch stellt ein Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eine eigenständige, ein besonderes Feststellungsinteresse begründende Fallgruppe dar (Sodan, a.a.O., § 43 Rdnr. 100, 90 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2/95 -, NJW 1997, 2534 ff.). Dies gebietet zudem der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.
Bei summarischer Überprüfung ist auch nicht zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, weil - wozu das Verwaltungsgericht wohl neigt - die Regelungen der kirchlichen Mitgliedschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) ausschließlich dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegen und der Überprüfung durch die staatlichen Gerichte nicht zugänglich sind. Die von den Klägern gegen diese - die Entscheidung nicht tragenden - Erwägungen des Verwaltungsgerichts vorgebrachten ernstlichen Zweifel greifen durch.
Das Bundesverfassungsgericht hat es in seinem Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - (BVerfGE 30, 415 ff.) dahingestellt sein lassen, ob daraus, dass das Recht der Kirchen zur selbständigen Ordnung der Kirchenmitgliedschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV durch das für alle geltende Gesetz beschränkt sei, folge, dass auch für den innerkirchlichen Bereich Schranken gezogen seien; jedenfalls dürfe das Kirchensteuerrecht nicht an eine Mitgliedschaftsregelung anknüpfen, welche die Grundrechte des Beschwerdeführers verletze. Unbestritten haben Regelungen der Mitgliedschaft prinzipiell kircheninternen Charakter, so dass der Staat sie einfach hinzunehmen hat. So kann und darf der Staat den Religionsgemeinschaften keine Mitglieder aufdrängen (s. Korioth in: Maunz-Dürig, GG, Art. 140 Rdnr.34; BFH, Urt. Vom 24. März 1999 - I R 124/97 -, NVwZ 1999, 1149). Doch berührt - nach der derzeitigen Einschätzung des beschließenden Senats - eine kirchliche Mitgliedschaftsregelung, die eine Person einseitig und ohne Rücksicht auf ihren erkennbar zutage getretenen Willen der Kirchengewalt unterwirft, vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten negativen Vereinigungsfreiheit nicht nur den innerkirchlichen Bereich (zur Unterscheidung zwischen innerkirchlichem und staatlichem Bereich : BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 1965 -1 BvR 732/64- , BVerfGE 18, 385). Sie greift in den weltlichen Bereich über, und zwar nicht nur dann, wenn sie für die Kirchensteuerpflicht herangezogen wird. Der Staat ist an die sonst zu beachtende Pflicht zur Zurückhaltung nicht gebunden, wenn die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV angesprochene Schranke des für alle geltenden Gesetzes dadurch tangiert ist, dass das innerkirchliche Mitgliedschaftsrecht in den Rechtskreis von außenstehenden Dritten eingreift (Korioth, a.a.O., Art. 140 Rdnr. 34). Dazu dürften auch Personen wie die Kläger gehören, die sich gegen die von ihnen behauptete Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes wehren, also die unfreiwillige oder die gegen eine ausdrücklich entgegenstehende Willensbekundung erfolgende mitgliedschaftliche Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft rügen, die als Verletzung des Grundrechts der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG zu beurteilen ist (Korioth, a.a.O.). Die negative Bekenntnis- bzw. Vereinigungsfreiheit würde leer laufen, wenn der staatliche Rechtsschutz von vornherein ausgeschlossen wäre.
Zum selben Ergebnis gelangte man möglicherweise dann, wenn man Klagen, die den kirchlichen Bereich betreffen, grundsätzlich als zulässig ansehen und die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung des staatlichen Zugriffs bei der Begründetheitsprüfung zur Geltung bringen würde (so von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 319 unter Hinweis auf das Urteil des BGH vom 28. März 2003 -V ZR 261/02-, BGHZ 154, 306 ff. = NJW 2003, 2097 ff. zur Gehaltsklage eines Geistlichen der Heilsarmee). Einer abschließenden Klärung dieser Frage bedarf es indes in diesem Zusammenhang nicht.
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 1990 (10 TG 3074/89, KirchE 28, 59 ff.) steht dieser vorläufigen Einschätzung des beschließenden Senats nicht entgegen, da es dort um die Verfassung und Organisation der Religionsgemeinschaft ging (Wahl zum Mitglied eines Organs einer jüdischen Gemeinde).
Da bereits der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt, muss auf die beiden anderen - im Übrigen nicht näher dargelegten - Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht näher eingegangen werden.
Das Antragsverfahren wird nach § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen; die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Senatsvorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe, siehe § 124a Abs. 6, Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO).
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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