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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.11.2000
Aktenzeichen: 10 UZ 4042/98.A
Rechtsgebiete: GG, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 16 Abs. 2 S1
AsylVfG § 26 A Abs. 1
Die Drittstaatenregelung ist auch auf den Fall anwendbar, in dem der Kläger das Flugzeug während eines etwa halbstündigen Zwischenstopps auf dem Flughafen eines Nachbarstaats der Bundesrepublik Deutschland (hier: Paris) nicht verlassen hat, obwohl er hierzu die Möglichkeit gehabt hätte.
Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 6. Oktober 1998 ist zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht gegeben ist.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtsstreitigkeit nur dann, wenn sie eine rechtliche oder eine tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf (BVerwG, 31.07.1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 = EZAR 633 Nr. 9; Hess. VGH, 27.12.1982 - X TE 29/82 -, EZAR 633 Nr. 4 = NVwZ 1983, 237; Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13). Die Rechts- oder Tatsachenfrage muss allgemein klärungsbedürftig sein und nach Zulassung der Berufung anhand des zugrundeliegenden Falls mittels verallgemeinerungsfähiger Aussagen geklärt werden können.

Daran gemessen ist die vom Kläger zunächst aufgeworfene Frage, "ob bei Einreise auf dem Luftweg über einen der sogenannten sicheren Drittstaaten im Sinne von § 26 a AsylVfG schon dann von der Einreise aus dem sicheren Drittstaat auszugehen ist, wenn das zur Einreise benutzte Flugzeug den sicheren Drittstaat nur insoweit berührt hat, als dort vor Einreise in den Geltungsbereich des AsylVfG lediglich ein kurzer Zwischenstopp ohne weitere Inlandsberührung (den sicheren Drittstaat betreffend) stattgefunden hat", nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Zwar ist die vom Kläger aufgeworfene konkrete Frage - soweit ersichtlich - noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Doch lassen sich die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für den Fall der Durchreise des Asylbewerbers in einem verschlossenen und verplombten Lkw über irgendeinen sicheren Drittstaat entwickelten Grundsätze ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen, so dass nicht davon auszugehen ist, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 2. September 1997 - 9 C 5/97 -, BVerwGE 105, 194 ff. = NVwZ 1999, 313 f. = EZAR 208 Nr. 12) ist für den Ausschluss vom Asylgrundrecht nach § 26 a Abs. 1 AsylVfG entscheidend die objektiv bestehende Möglichkeit für den Ausländer, in einem der von ihm auf seiner Flucht berührten Drittstaaten einen ausreichenden Schutz vor politischer Verfolgung zu erlangen, derentwegen er geflohen ist. Für die Anwendung der Drittstaatenregelung komme es zunächst und in erster Linie darauf an, ob der Ausländer - entsprechend dem Verlauf seiner Reise - tatsächlich Gebietskontakt zu dem sicheren Drittstaat gehabt habe, ohne dass es weiter darauf ankäme, ob er etwa im Rechtssinne in den Drittstaat "eingereist" und von dort in die Bundesrepublik Deutschland "ausgereist" sei. Anknüpfungspunkt für eine gesamteuropäische Lastenverteilung, die mit der Drittstaatenregelung bezweckt sei, solle das Betreten des Staatsgebietes durch den Ausländer sein. Bereits dieses (Betreten) begründe nicht nur die Sicherheit des Ausländers, sondern zugleich die Verantwortlichkeit des Drittstaates für die Behandlung eines etwaigen Schutzersuchens. Insoweit komme es auf die tatsächliche Möglichkeit des Anbringens eines Schutzgesuchs durch den einzelnen Ausländer nicht an, entscheidend sei vielmehr die objektiv bestehende Möglichkeit für den Ausländer, Schutz zu erlangen. In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverwaltungsgericht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938/93, 2315/93 - BVerfGE 94, 49 <94>), wonach vom Ausländer selbst zu verantwortende Hindernisse, ein Schutzgesuch anzubringen, außer Betracht blieben. Demzufolge hat das Bundesverwaltungsgericht die Drittstaatenregelung uneingeschränkt auf den Fall für anwendbar erklärt, in dem ein Kläger einen Fluchtweg in einem verschlossenen Lastkraftwagen über einen sicheren Drittstaat gewählt und dabei in Kauf genommen hat, dort ein Schutzgesuch tatsächlich nicht anbringen zu können.

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht zu Recht die Drittstaatenregelung auf den Fall des Klägers, der das Flugzeug während des etwa halbstündigen Zwischenstopps auf dem Pariser Flughafen nicht verlassen hat, obwohl er hierzu durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, angewendet hat. Der tatsächliche Gebietskontakt des Klägers zu dem sicheren Drittstaat Frankreich war hergestellt, zudem hätte der Kläger nach seinen eigenen Angaben ohne weiteres das Flugzeug verlassen und in Paris ein Schutzgesuch anbringen können (s. zu diesem Fall Westphal/Stoppa, Ausländerrechte für die Polizei, 1997, S. 195 f.). Dem typischen Fall, in welchem der Ausländer einen sicheren Drittstaat mit dem Flugzeug überflogen hat, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allein den Fall gleichgestellt, in dem der Ausländer den Drittstaat mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchfahren hat, ohne dass es einen Zwischenhalt gegeben hatte (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, a.a.O.). Beiden Sachverhalten ist gemeinsam, dass eine Kontaktaufnahme mit dem Drittstaat zum Zwecke der Asylantragstellung objektiv nicht möglich ist und deshalb typischerweise ausscheidet (s. auch OVG Münster, Urteil vom 13. Dezember 1996 - 25 A 6103/96.A -, NVwZ 1997, 1143 f. = EZAR 208 Nr. 11). So liegt der Fall hier aber nicht. Wenn der Kläger demgegenüber einwendet, dem Asylsuchenden könne noch nicht einmal der Aufenthalt im Transitbereich eines internationalen Flughafens entgegengehalten werden, selbst wenn er dort die Möglichkeit gehabt hätte, sich mit seinem Asylbegehren an die dortigen Grenzbehörden zu wenden, so kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr schließt sich der beschließende Senat der Auffassung von Hailbronner (Ausländerrecht, 10. Ergänzungslieferung, Oktober 1996, Art. 16 a GG, Rdnr, 330), an, wonach auch bei einem Voraufenthalt im Transitbereich des Flughafens eines sicheren Drittstaates grundsätzlich eine Einreise im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG gegeben sei (so auch Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, GG Rdnr. 99; a.A. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Mai 2000, § 26 a Rdnr. 31 f.).

Die vom Kläger des weiteren formulierte Frage, "ob tamilsprachige srilankische Staatsangehörige moslemischer Religionszugehörigkeit wie der Kläger im Falle der Rückkehr hinsichtlich eines LTTE-Unterstützungsverdachtes wegen ihrer moslemischen Religionszugehörigkeit generell unverdächtig sind oder ob auch dann in aus Sicht der srilankischen Sicherheitskräfte begründeten Einzelfällen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, der LTTE, die Gefahr der Festnahme, Inhaftierung, Folter sowie Einleitung und Durchführung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren im Anschluss an das LTTE-Verbot drohen", entzieht sich bereits einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, wie schon die Fragestellung des Klägers ("in begründeten Einzelfällen") erkennen lässt. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht, gestützt auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes und von amnesty international, darauf hin, dass die moslemische Glaubenszugehörigkeit in aller Regel von den srilankischen Sicherheitskräften als zuverlässiges Indiz gewertet werde, dass jemand die LTTE nicht unterstütze. Dies schließe aber nicht aus, dass moslemische Personen im Einzelfall in Verdacht geraten könnten, mit der LTTE zu sympathisieren. Gleiches ergibt sich aus einer jüngeren Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. November 1998 an das Verwaltungsgericht Hannover. Danach ist nicht ausgeschlossen, dass vereinzelt Moslems (ebenso Singhalesen) - etwa aus Bereicherungsabsicht - mit der LTTE verbotenerweise geschäftliche Beziehungen, etwa in Form der illegalen Versorgung dieser Organisation mit Waffen, Treibstoff, Motoren, Nahrungsmitteln und anderen Waren unterhalten. Der Schmuggel dieser Waren könne strafrechtlich als "Unterstützung terroristischer Aktivitäten" gewertet werden. Nach alledem ist die vom Kläger aufgeworfene Frage auch nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, denn ihre Beantwortung ergibt sich bereits aus der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisquellen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

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