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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 08.04.2009
Aktenzeichen: 11 A 2264/08
Rechtsgebiete: ARB 1/80, AufenthG


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 4 Abs. 5
AufenthG § 16 Abs. 3
Die Nebenbestimmung, nach der eine Erwerbstätigkeit insgesamt 90 Tage oder 180 halbe Tage im Jahr nicht überschreiten darf, hindert nicht eine mindestens einjährige ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung beim selben Arbeitgeber im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 24. Januar 2008 - C-294/06 - gibt der Senat seine anderslautende bisherige Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 9. Juni 2006 - 12 TG 786/06 -, InfAuslR 2006, 335) auf.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 A 2264/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Fischer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, ehrenamtliche Richterin Rahn, ehrenamtliche Richterin Heckmann

ohne mündliche Verhandlung am 8. April 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 14. August 2008 wird zurückgewiesen. Auf den erstinstanzlich nicht beschiedenen Antrag des Klägers wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen, die ihn berechtigt, seine Beschäftigung bei seinem derzeitigen Arbeitgeber fortzuführen oder - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - sich auf ein für seinen bisherigen Beruf von einem anderen Arbeitgeber unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsagenturen im Bundesgebiet eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ... 1977 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Am 31. August 2000 erhielt er eine bis zum 30. August 2002 befristete Aufenthaltsbewilligung zum Studium der Informatik an der Technischen Universität Darmstadt. Der Aufenthaltstitel enthielt den Zusatz: "Erwerbstätigkeit nur während der Semesterferien gestattet". Mit dem vorgenannten Zusatz wurde der Aufenthaltstitel mehrfach verlängert. 18. April 2005 erfolgte eine Verlängerung des Aufenthaltstitels als Aufenthaltserlaubnis bis zum 17. April 2007 nunmehr mit dem Zusatz: "Beschäftigung für 90 ganze Tage bzw. 180 halbe Tage im Jahr, sowie studentische Nebentätigkeit gestattet, selbstständige Nebentätigkeit nicht gestattet". Diese Aufenthaltserlaubnis verlängerte der Beklagte am 11. Oktober 2007 bis zum 10. Oktober 2008. Derzeit ist der Kläger im Besitz einer Fiktionsbescheinigung, da vor der nochmaligen Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis das Ergebnis einer vorzunehmenden Sicherheitsabfrage abzuwarten ist.

Bereits am 22. Juni 2006 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Dem Antrag beigefügt war ein Arbeitsvertrag vom 20. April 2005 zwischen dem Kläger und seinem Onkel - Süleyman A. -, der eine Schneiderei betreibt. Danach besteht zwischen dem Kläger und seinem Onkel seit dem 1. Mai 2005 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Gleichzeitig war eine Bescheinigung des Onkels des Klägers vom 21. Juni 2006 beigefügt, wonach der Kläger ab dem 1. Mai 2005 ununterbrochen in der Schneiderei arbeitet. Aus den beigefügten "Abrechnungen über die Brutto-Netto-Bezüge" ergibt sich, dass der Kläger in den Monaten März bis Juni 2006 monatlich eine Vergütung von brutto 410 € erhielt. Aus einer Bescheinigung des Steuerberaters des Onkels des Klägers vom 18. Juli 2006 folgt, dass der Kläger wöchentliche 12 Stunden verteilt auf drei Tage je vier Stunden arbeitet, wobei die Verteilung der drei Arbeitstage auf die Woche variiert und jeweils nach Auftragslage festgelegt wird.

Mit Verfügung vom 15. Januar 2007 lehnte der Landrat des Landkreises Offenbach den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 4 Abs. 5 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 ARB 1/80 ab. Die der Aufenthaltserlaubnis beigefügte Auflage, wonach der Kläger lediglich 90 ganze Tage bzw. 180 halbe Tage im Jahr arbeiten dürfe, verhindere eine einjährige unterbrochene Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber.

Am 6. Februar 2007 erhob der Kläger Klage. Zu deren Begründung trugt er vor, der Umstand, dass er einer Teilzeitbeschäftigung in einem Umfang von 12 Stunden pro Woche nachgehe, stehe seiner Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen.

Der Kläger beantragte,

den Bescheid des Landrats des Kreises Offenbach vom 15. Januar 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholte der Kläger im Wesentlichen den Inhalt des angefochtenen Bescheids.

Mit Urteil vom 14. August 2008 hob das Verwaltungsgericht die angegriffene Verfügung vom 15. Januar 2007 auf. Zur Begründung führte die Vorinstanz aus, die Verfügung sei rechtswidrig, da dem Kläger nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 80/1 ein Aufenthaltsrecht zustehe.

Am 17. Oktober 2008 hat der Beklage die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 24. November 2008 im Wesentlichen damit begründete, die Nebenbestimmung zur Aufenthaltserlaubnis des Klägers, wonach diesem eine Beschäftigung bis zu 90 ganzen Tagen oder 180 halben Tagen im Jahr gestatte sei, verhindere, dass er die erste Stufe nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 80/1 erreiche. Diese Nebenbestimmung führe dazu, dass die Erwerbstätigkeit auf nicht mehr als 180 Tage im Jahr verteilt werden könne. Somit könne der Kläger keine einjährige ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber vorweisen. Zudem handele es sich bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit von wöchentlich 12 Stunden bei einer monatlichen Vergütung von 410 € um eine untergeordnete, unwesentliche Tätigkeit, die für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 80/1 nicht ausreiche.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 14 August 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Im Übrigen hat er eine weitere Bescheinigung des Steuerberaters seines Onkels vom 20. Februar 2009 vorgelegt, aus welcher sich ergibt, dass er - der Kläger - nach wie vor zu den oben genannten Konditionen bei seinem Onkel beschäftigt ist.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung des Beklagten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid zu Recht aufgehoben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Darüber hinaus ist auszusprechen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 zu erteilen, da auch die Ablehnung der Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Verpflichtung des Beklagten und Berufungsführers zur Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis ist zulässig, weil ein entsprechendes Begehren des Klägers nach wie vor rechtshängig ist. Der Kläger hat im ersten Rechtszug, in welchem ebenfalls ohne mündliche Verhandlung entschieden wurde, schriftsätzlich zwar ausdrücklich nur beantragt, die angefochtene Verfügung vom 15. Januar 2007 aufzuheben (Bl. 2 GA). Aus dem Inhalt seiner innerhalb der Klagefrist beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klagebegründung vom 5. Februar 2007 ergibt sich allerdings, dass er sich ausdrücklich eines Anspruchs auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 berühmt hat. Infolge dessen war das Verwaltungsgericht gehalten - auch zur Vermeidung der Abweisung einer isolierten Anfechtungsklage als unzulässig -, das Begehren des Klägers nach § 88 VwGO unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots der Effektivität des Rechtsschutzes als eine Verpflichtungsklage auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis auszulegen (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 88 Rdnr. 3). Die Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung der begehrten Aufenthaltserlaubnis durch das Rechtmittelgericht ist in prozessualer Hinsicht auch nicht aufgrund der Regelung des § 129 VwGO ausgeschlossen. Danach darf das Berufungsgericht das angefochtene Urteil nur soweit abändern, als eine Änderung beantragt ist. Zwar hat nur der Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil, das den Bescheid vom 15. Januar 2007 kassiert hat, aufzuheben. Der erstinstanzlich unentschieden gebliebene Verpflichtungsantrag ist aber auch ohne ausdrückliche Antragstellung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, weil das Verwaltungsgericht in verfahrensfehlerhafter Weise über die (sinngemäß) beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht befunden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1985 - 2 C 14.84 -, BVerwGE 71, 73 [77]; Hess. VGH, Beschluss vom 26. November 1997 - 14 UE 4076/97 -, juris, Rdnr. 14; Blanke in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 129 Rdnr. 3; Kopp/Schenke, a. a. O., § 128 Rdnr. 1). Indem die Vorinstanz lediglich über die Aufhebung des angefochtenen Bescheids, nicht aber über die beantragte Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis entschieden hat, hat sie gleichsam unzulässigerweise ein (unechtes) Teilurteil erlassen. Die Unzulässigkeit dieser Verfahrensweise folgt daraus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Urteils nach § 110 VwGO - eine Teilbarkeit des Streitgegenstandes - nicht vorliegen. Denn die Aufhebung des die Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheids des Beklagten vom 15. Januar 2007 ist nicht von der Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis unabhängig (vgl. dazu auch Hess. VGH, Urteil vom 21. Mai 1971 - VI OE 29/71 -, HessVGRspr. 1971, 67; Wolff in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 110 Rdnr. 9; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner. VwGO, Stand: März 2008, § 110 Rdnr. 6; Kopp/Schenke, a. a. O., § 110 Rdnr. 4).

Schließlich ist die Rechtshängigkeit des erstinstanzlich geltenden gemachten Verpflichtungsbegehrens auch nicht zwischenzeitlich dadurch entfallen, dass der Kläger nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, binnen zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen Urteils gemäß § 120 VwGO dessen Ergänzung um den Verpflichtungsausspruch zu beantragen (vgl. dazu Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 120 Rdnr. 7). Denn im Verhältnis von Teilurteil zu Vollurteil findet jedenfalls dann keine Urteilsergänzung nach § 120 VwGO statt, wenn das Gericht - wie hier - den Umfang des Klagebegehrens nicht vollständig ermittelt hat (Wolff in: Sodan/ Ziekow, a. a. O., § 110 Rdnr. 9; Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a. a. O., § 120 Rdnr. 7; vgl. auch Kopp/Schenke, a. a. O., § 120 Rdnr. 2).

Der Verpflichtungsantrag ist begründet, weil der im Jahre 1998 zu Studienzwecken in das Bundesgebiet eingereiste Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, nach § 4 Abs. 5 AufenthG einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Ihm steht nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstriche 1 und 2 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht zu. Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt (Spiegelstrich 1). Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er grundsätzlich das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl zu bewerben (Spiegelstrich 2). Nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis (Spiegelstrich 3).

Liegen dies Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vor, stehen dem türkischen Staatsangehörigen neben dem beschäftigungsrechtlichen Anspruch zugleich auch diejenigen aufenthaltsrechtlichen Ansprüche zu, deren er bedarf, um seine beschäftigungsrechtlichen Ansprüche effektiv wahrzunehmen. Andernfalls wäre das Recht auf Ausübung der Beschäftigung praktisch wirkungslos (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - C-237/91 -, InfAuslR 1993, 41 = NVwZ 1993, 258 ff.; BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 13.00 -, InfAuslR 2001, 61, m. w. N.).

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 und 2 ARB 1/80.

Der Kläger ist aufgrund der von ihm ausgeübten Beschäftigung bei seinem Onkel Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.

Der Assoziationsratsbeschluss definiert selbst den Begriff des Arbeitnehmers nicht. Um die Arbeitnehmereigenschaft zu erfüllen, muss der türkische Staatsangehörige eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben, wobei solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbracht werden, für die als Gegenleistung eine Vergütung gezahlt wird (EuGH, Urteile vom 26. November 1998 - C-1/97 -, InfAuslR 1999, 6, Rdnr. 25, und 24. Januar 2008 - C-294/06 -, juris, Rdnr. 28). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Er ist seit dem 1. Mai 2005 in der Schneiderei seines Onkels beschäftigt. Dort besorgt der Kläger die Büroangelegenheiten und führt die Buchhaltung. Nach den übersandten Bescheinigungen des Steuerberaters seines Onkels arbeitet der Kläger drei Tage je Woche mit einer Arbeitszeit von 4 Stunden täglich. Dafür enthält er ein Arbeitsentgelt in Höhe von 410 € im Monat.

Sowohl in Bezug auf die Arbeitszeit als auch in Bezug auf die Höhe des Arbeitsentgelts kann die weisungsgebundene Tätigkeit des Klägers nicht als völlig untergeordnet oder unwesentlich angesehen werden. Er arbeitet in einem Umgang von 12 Stunden je Woche. Hierbei handelt es sich zwar um keine Vollzeittätigkeit. Im Vergleich zur üblichen Arbeitszeit von ca. 40 Stunden pro Woche kann diese Tätigkeit aber nicht als unwesentlich bezeichnet werden. Dabei ist es unerheblich, dass es sich nach dem deutschen Sozialversicherungsrecht um eine geringfügige Tätigkeit handelt. Ob ein türkischer Staatsangehöriger den Status eines Arbeitnehmers hat, ist nicht nach innerstaatlichem Sozialversicherungsrecht, sondern nach dem europäischen Recht zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 26. November 1998 - C-1/97 -, a. a. O., Rdnr. 6 ff.; vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. März 1993 - 4 L 175/92 -, InfAuslR. 1993, 164 ff.). Maßgeblich sind die Vorschriften, die - wie namentlich Art. 39 EGV - die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft betreffen. Diese verlangen jedoch weder eine bestimmte Mindestdauer der Arbeitszeit noch ein Mindesteinkommen (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 4. Dezember 1995 - 12 TG 3096/95 -, InfAuslR 1996, 133). Prinzipiell genügen Teilzeittätigkeiten ebenso wie bloße Nebenbeschäftigungen. Auch eine sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung ist geeignet, die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts zu vermitteln (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Oktober 1998 - 18 B 2762/97 -, InfAuslR 1999, 101; OVG Berlin, Beschluss vom 25. September 1996 - 8 S 35/96 -, InfAuslR 1997, 189; Benassi, Die aufenthaltsrechtliche Bedeutung des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 im Lichte der neuen Rechtsprechung, InfAuslR 1995, 89). In diesem Sinne ist selbst eine Tätigkeit von 10 Stunden pro Woche als eine tatsächliche und echte Tätigkeit anzusehen, die nicht im Sinne der Definition des Europäischen Gerichtshofes einen so geringen Umfang hat, dass sie nur völlig untergeordnet und unwesentlich ist (so Kokott, Schlussanträge vom 18. Juli 2007 zu der Rechtssache C-294/06, juris, Rdnr. 61). Dieser Einschätzung steht auch nicht die oben zitierte Entscheidung des Senats vom 4. Dezember 1995 entgegen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass eine unselbstständige Erwerbstätigkeit von 18 Stunden ausreicht, um eine Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 anzunehmen. Dort wird aber nicht ausgeführt, dass ein geringerer Beschäftigungsumfang eine Rechtsposition nach der vorbenannten Bestimmung ausschließt.

Dass dem Kläger die Einreise zu Studienzwecken erlaubt worden ist, steht seiner Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht entgegen. Für den Erwerb der Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ist es nicht erforderlich, dass der türkische Staatsangehörige bereits als Arbeitnehmer in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft eingereist ist. Es ist vielmehr ausreichend, dass er diesen Status erst nach der Einreise erlangt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - C-294/06 -, Rdnr. 38, 40 f.). Somit kann auch ein türkischer Student die Berechtigung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erwerben, wenn er zur Finanzierung des Studiums einer erlaubten Nebenbeschäftigung nachgeht.

Der Kläger gehört auch dem regulären Arbeitsmarkt im Bundesgebiet an. Der Begriff regulärer Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 besagt lediglich, dass das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats lokalisiert sein muss oder aber eine enge Verknüpfung zu diesem Hoheitsgebiet aufweist (EuGH, Urteile vom 30. September 1997 - C-98/96 -, InfAuslR 1997, 434, und 26. November 1998 - C-1/97 -, InfAuslR 1999, 6; BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 13.00 -, InfAuslR 2001, 61). Der Begriff ist nicht dahingehend auszulegen, dass er einen allgemeinen Arbeitsmarkt von beispielsweise begrenzten Märkten mit besonderer Zwecksetzung abgrenzt (so Kokott, Schlussanträge vom 18. Juli 2007 zu der Rechtssache C-294/06, juris, Rdnr. 46 ff.; EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - C-294/06 -, juris, Rdnr. 35). Es ändert somit nichts an der Beschäftigung des Klägers auf dem regulären Arbeitsmarkt, dass er seine Tätigkeit als Student in Form einer Nebenbeschäftigung zur Finanzierung seines Studiums ausgeübt.

Der Kläger ist in der Bundesrepublik auch ordnungsgemäß beschäftigt. Eine ordnungsgemäße Beschäftigung bedeutet eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaats und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - C-294/06 -, juris, Rdnr. 29 f.). Außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates stehen.

Seit dem Beginn seiner Beschäftigung am 1. Mai 2005 hält sich der Kläger auf der Grundlage eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet auf. Seine am 18. April 2005 verlängerte Aufenthaltserlaubnis war bis zum 17. April 2007 gültig. Anschließend erfolgte eine nochmalige Verlängerung bis zum 10. Oktober 2008. Da vor der beantragten weiteren Verlängerung das Ergebnis einer Sicherheitsanfrage abzuwarten ist, wurde dem Kläger eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausgestellt. Sein Aufenthaltstitel gilt nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend.

Die erfolgte Beschränkung des Aufenthalts des Klägers auf Studienzwecke führt nicht zu einer lediglich vorläufigen Position des Klägers auf dem Arbeitsmarkt, die jederzeit in Frage gestellt werden konnte. Für die Charakterisierung einer Beschäftigung als ordnungsgemäß ist es irrelevant, dass der Arbeitnehmer bei seiner Einreise in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates darüber unterrichtet war, dass sein Aufenthalt und seine Beschäftigung von der Einhaltung bestimmter zeitlicher und sachlicher Bedingungen abhängig sind (vgl. EuGH, Urteile vom 30. September 1997 - C-98/96 -, InfAuslR 1997, 434, und vom 24. Januar 2008 - C-294/06 -, juris, Rdnr. 43 ff.). Der Umstand, dass der Aufenthalt im Mitgliedstaat für eine bestimmte Dauer zum Zwecke des Studiums vorgesehen ist, führt nicht zu einem ungesicherten, vorläufigen Aufenthalt. Um eine vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt handelt es sich vielmehr, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise infolge der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Ablehnung eines Aufenthaltstitels bis zum Ausgang des Rechtsstreits im Mitgliedstaat verbleiben und dort einer Beschäftigung nachgehen kann (vgl. EuGH, Urteile vom 20. September 1990 - C-192/89 -, NVwZ 1991, 255, und 16. Dezember 1992 - C-237/91 -, InfAuslR, 41). Die Erwerbstätigkeit des Klägers verstößt auch nicht gegen arbeitserlaubnisrechtliche Vorschriften. Die Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken berechtigt den Kläger zur Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 90 ganze Tage oder 180 halbe Tage im Jahr nicht überschreiten darf. Diesen Umfang hat der Kläger durch die von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht überschritten.

Der Kläger war auch für die Dauer von drei Jahren ununterbrochen bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt. Dies ergibt sich hinlänglich aus den vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen seines Onkels vom 21. Juni 2006 (Bl. 112 der Ausländerakte) sowie des Steuerberaters seines Onkels vom 20. Februar 2009 (Bl. 170 der Gerichtsakte). Danach ist der Kläger seit dem 1. Mai 2005 ohne Unterbrechungen bei seinem Onkel tätig. An einer ununterbrochenen Tätigkeit vermag auch die Nebenbestimmung, die der Aufenthaltserlaubnis des Klägers beigefügt ist, nichts zu ändern. Nach dieser Nebenbestimmung darf eine Beschäftigung, die insgesamt 90 ganze Tage oder 180 halbe Tage im Jahr überschreitet, nicht ausgeübt werden. Der Senat hält insoweit an seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 9. Juni 2006 - 12 TG 786/06 -, InfAuslR 2006, 335 f.), diese Nebenbestimmung hindere eine ununterbrochene Beschäftigung während eines Jahres, da die Tätigkeit nicht auf mehr als 180 Tage pro Jahr verteilt werden könne (so auch Gutmann, Anm. zum Urteil des EuGH vom 24. Januar 2008, InfAuslR 2008, 151 und Gutmann in: GK-AufenthG, Stand: März 2008, IX-1 Art. 6 ARB Nr. 1/80 EWG/Türkei, Rdnr. 64) nicht mehr fest (wie hier: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 1. Aufl. 2008, 3.1 Art. 6 Rdnr 9). Diese Nebenbestimmung zwingt nicht etwa dazu, jeweils hintereinander 90 Tage ganztägig oder 180 Tage halbtägig zu arbeiten und anschließend - bevor im nächsten Jahr eine Beschäftigung wieder aufgenommen wird - das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die Regelung des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, die dem Kläger die Möglichkeit der Ausübung einer Beschäftigung im vorgenannten Umfang einräumt, soll es gerade nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drucksache 15/420, S. 74) ausländischen Studenten ermöglichen, "ganzjährig stundenweise oder in den Semesterferien mit voller Arbeitszeit und im Semester entsprechend kürzer oder gar nicht ihr Studium zu finanzieren". Nach der Intention des Gesetzgebers, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommt, steht es folglich im Belieben des ausländischen Studenten, wie er die 90 vollen Arbeitstage oder die 180 halben Arbeitstage über das gesamte Jahr verteilt. Der Umstand, dass ein Student in der Woche zwei Tage nicht arbeitet, verhindert nicht, dass er über das Jahr gesehen ununterbrochen beschäftigt ist (so aber VG Darmstadt, Urteil vom 22. Februar 2008 - 5 E 214/07(3) -, InfAuslR 2008, 344 = AuAS 2008, 206; wie hier: Hailbronner, AuslR, Stand Juni 2008, Art. 6 ARB 1/80 Rdnr. 36 f.). Eine Unterbrechung der Arbeitszeit in der Form, dass der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer drei halbe Tage in der Woche arbeitet und die verbleibenden Werktage der Woche "frei" hat, vermag ein Hineinwachsen in die Rechtsposition des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 somit nicht zu hindern. Eine derartige Auffassung widerspräche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach auch Personen, die nur in Teilzeit beschäftigt sind, als Arbeitnehmer anzusehen sind (so Kokott, Schlussanträge vom 18. Juli 2007 zu der Rechtssache C-294/06, juris, Rdnr. 24). Derartige Unterbrechungen in der Arbeitszeit sind nicht gleichzusetzen mit Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass es sich bei der Tätigkeit um eine unregelmäßige Gelegenheitsarbeit von beschränkter Dauer handelt (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 4. Dezember 1995 - 12 TG 3096/95 -, InfAuslR 1996, 133). Der Kläger ist vielmehr im Rahmen eines über mehrere Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses kontinuierlich - wenn auch in einem beschränkten Umfang von 4 Stunden an drei Tagen in der Woche - tätig. Dies genügt zum Erwerb der Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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