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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.07.2007
Aktenzeichen: 11 TG 1414/07
Rechtsgebiete: AufenthG, ARB 1/80


Vorschriften:

AufenthG § 81 Abs. 4
ARB 1/80
Ein ordnungsgemäßer Wohnsitz iSd § 7 Satz ARB 1/80 setzt wie der Begriff der ordnungsgemäßen Beschäftigung iSd Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gefestigte aufenthaltsrechtliche Position voraus. Die Fiktion einer Aufenthaltserlaubnis oder des Fortbestehens eines Aufenthaltstitels (§ 81 Abs. 3 und 4 AufenthG) genügt diesen Anforderungen nicht.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

11 TG 1414/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 26. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 18. Juni 2007 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 24. Februar 2006 gegen den Bescheid des Landrats des Wetteraukreises vom 31. Januar 2006 wird angeordnet.

Dem Antragsteller wird für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren und für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B, B-Straße, B-Stadt, mit der Maßgabe bewilligt, dass er Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 115,- € aufzubringen hat.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; die außergerichtlichen Kosten der Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe werden jedoch nicht erstattet.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist begründet.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers ist anzuordnen, weil der Bescheid des Landrats des Wetteraukreises vom 31. Januar 2006 über die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und der Androhung der Abschiebung des Antragstellers offensichtlich rechtswidrig ist mit der Folge, dass dem Interesse des Antragstellers, einweilen im Bundesgebiet bleiben zu dürfen, der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner Ausreisepflicht einzuräumen ist.

Die Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides ergibt sich entgegen der Beschwerde nicht schon daraus, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 zusteht. Ein wohl vorher erworbener Anspruch aus dieser Vorschrift ist dadurch erloschen, dass der Antragsteller das Bundesgebiet in den Jahren 1997/98 für die Dauer von ca. zwei Jahren verlassen hat, ohne einen Grund dafür mitzuteilen. Nach summarischer Prüfung, wie sie im Eilverfahren allein möglich ist, besteht an diesem Sachverhalt kein Zweifel. Das hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt und wird insbesondere durch das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 7. November 2002 (12 Ls 31 Js 4964/02) bestätigt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts übersiedelte der Antragsteller für zwei Jahre in die Türkei, wo er bei seinen Großeltern lebte und die Schule "mit einer Art Hauptschulabschluss" besuchte. Auch wenn sich aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Antragstellers und seiner Eltern der Zeitraum seines Aufenthaltes in der Türkei nicht genau eingrenzen lässt, ändert das nichts an dem grundsätzlichen Tatbestand der zweijährigen Abwesenheit.

Aufgrund dieser Ausreise ist nicht nur die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis (nach dem damals geltenden § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG), sondern auch die Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 erloschen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. z.B. Urteil vom 07.07.2005, C-373/03, juris, Rdnr. 27, m.w.N.) tritt der Verlust der Rechte aus Art. 6 und 7 ARB 1/80 ein, wenn der türkische Staatsangehörige die Bundesrepublik Deutschland für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigten Grund verlässt. Ein in diesem Sinne berechtigter Grund lässt sich hier schon deshalb nicht ermitteln, weil der Antragsteller keine Angaben zu dem Zweck der Ausreise gemacht hat. Zwar sprechen die Feststellungen des Strafgerichts dafür, dass es dem Antragsteller und seinen Eltern um einen Schulabschluss in seinem Heimatland ging, andererseits war der Antragsteller in jener Zeit aber auch schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten, so dass auch eine Rückkehr für nicht absehbare Dauer beabsichtigt gewesen sein konnte.

Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland hat der Antragsteller auch nicht, wie er meint, die Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 erneut erworben. Insoweit fehlt es an einem dreijährigen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne dieser Bestimmung. Die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes bestimmt sich wie die Ordnungsmäßigkeit einer Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nach den nationalen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Aufnahmestaates (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1995, InfAuslR 95, 265, 267). Hierzu bedarf es einer Aufenthaltserlaubnis, die hier dem Antragsteller am 28. März 2001 - zumindest auch zum Zwecke der Familienzusammenführung - erteilt worden ist. Mit dem Ablauf dieser Erlaubnis am 10. Februar 2003 endete aber auch die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes (BVerwG, a.a.O. S. 267). Allein der Umstand, dass der Antragsteller am selben Tag die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt hat und sein Aufenthalt deshalb bis zu der Entscheidung über den Antrag als erlaubt galt (zunächst nach § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG und später nach § 81 Abs. 4 AufenthG), begründet keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne des Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80. Die Ansprüche aus Art. 6 und 7 ARB 1/80 sollen erst nach einer Verfestigung des Aufenthaltes im Aufnahmestaat erworben werden. Das setzt eine nach nationalem Recht gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition voraus (vgl. EuGH, Urteil vom 20.09.1990, C-192/89, juris, Rdnr. 30 ff.). Dementsprechend reicht die vorläufige und rein verfahrensrechtliche Fiktion einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer der Entscheidung über den Antrag nicht aus, einen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne des Art. 7 Satz 1, 1. Gedankenstrich ARB 1/80 zu begründen (Hailbronner, Ausländerrecht, D 5.2 Art. 7 ARB 1/80, Rdnr. 24). Ob bei späterer Erteilung der Erlaubnis der Wohnsitz als ununterbrochen ordnungsgemäß anzusehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn jedenfalls in dem Rechtsstreit um die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht noch keine gesicherte Rechtsposition im Sinne dieser Rechtsprechung.

Der Bescheid über die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ist jedoch deshalb offensichtlich rechtwidrig, weil die Ausländerbehörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Sie hat den Antrag allein am Maßstab der §§ 34 Abs. 2 und 3 i.V.m. 5 Abs. 1 AufenthG geprüft und festgestellt, dass der Antragsteller einen Ausweisungstatbestand erfüllt hat und keine Veranlassung besteht, von den Regelvoraussetzungen abzuweichen. Demgegenüber erfüllt der Antragsteller nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen des § 37 AufenthG, der eine erleichterte Wiederkehr in die Bundesrepublik Deutschland nach einem Auslandsaufenthalt ermöglicht. Abweichend von § 5 Abs. 1 AufenthG stellt das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes im Rahmen des § 37 AufenthG keinen (Regel-) Versagungsgrund dar, sondern eröffnet der Ausländerbehörde lediglich die Möglichkeit, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Rahmen einer Ermessensentscheidung abzulehnen (§ 37 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG).

Der Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein Rückgriff auf § 37 AufenthG hier deshalb ausgeschlossen sei, weil dem Antragsteller nach seiner Rückkehr, nämlich am 28. März 2001, eine Aufenthaltserlaubnis für den Kindernachzug (nach dem damals geltenden § 20 AuslG) erteilt worden sei. Denn zum einen lässt sich nicht sicher feststellen, zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrundlage die Aufenthaltserlaubnis am 28. März 2001 erteilt worden ist; immerhin hatte die Ausländerbehörde auch neue Nachweise über den Schulbesuch des Antragstellers angefordert, was auf eine Prüfung des § 16 AuslG hindeutet. Zum anderen würde eine für den Kindernachzug nach § 20 AuslG erteilte Aufenthaltserlaubnis nicht der späteren Anwendung des § 37 AufenthG entgegenstehen. Die Intention der Vorschrift, jungen Ausländern, die hier aufgewachsen sind und die Schule besucht haben, nach einem Auslandsaufenthalt die Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern, wird auch dann erreicht, wenn ihnen zwischenzeitlich vorübergehend eine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Zweck erteilt worden ist. Die - auch zeitlichen - Grenzen für die Anwendbarkeit dieser Privilegierung ergeben sich vielmehr aus dem Tatbestand der Vorschrift selbst.

Nach allem hätte der Antragsgegner die von dem Antragsteller beantragte Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nur im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 37 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG ablehnen dürfen. Das ihm durch diese Vorschrift eingeräumte Ermessen hat der Antragsgegner allerdings nicht ausgeübt. Er hat zwar mit Schriftsatz vom 27. Februar 2007 Ermessenserwägungen nachgeschoben, damit aber nicht den Ermessensfehler ausräumen können. Denn § 114 Satz 2 VwGO lässt es zwar zu, dass Ermessenserwägungen auch noch im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden dürfen, das eröffnet aber nicht die prozessuale Möglichkeit, eine gänzlich unterbliebene Ermessensbetätigung mit heilender Wirkung im gerichtlichen Verfahren nachzuholen. Hierzu bedarf es einer erneuten Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Schließlich ist der Mangel fehlender Ermessensausübung auch nicht deshalb unbeachtlich, weil der Ermessensspielraum hier so weit eingeschränkt ist, dass letztlich nur eine Entscheidung, nämlich die Versagung der Aufenthaltserlaubnis, ermessensfehlerfrei getroffen werden könnte. Denn auf der einen Seite sprechen zwar die strafrechtlichen Verfehlungen des Antragstellers nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland gegen eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsgegner trägt auch zu Recht vor, dass die familiären Bindungen und sonstigen Beziehungen des Antragstellers zu seinem Heimatland seine Rückkehr nicht als von vornherein unzumutbar erscheinen lassen. Auf der anderen Seite ist der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen; vor allem aber spricht für ihn, dass er offensichtlich einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgeht und nunmehr erwartet werden kann, dass er sich straffrei führen wird.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO. Dass die Rechtsverfolgung des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen. Die Kosten der Prozessführung kann der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nur in Raten aufbringen. Nach den vorgelegten Abrechnungen liegt sein Einkommen abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und der Steuer bei durchschnittlich 900,- €. Davon sind seine Aufwendungen für Nebenkosten der Wohnung, die Fahrtkosten sowie der Betrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO abzusetzen. Für einen Abzug von Aufwendungen für sonstige Verpflichtungen besteht allerdings keine Veranlassung. Somit ergibt sich bei einem einzusetzenden Einkommen zwischen 350,- und 400,- € eine Ratenzahlungsverpflichtung von 115,- € monatlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 und 53 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und §§ 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

Ende der Entscheidung

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