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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.01.2003
Aktenzeichen: 11 TG 3210/02
Rechtsgebiete: TierSchG


Vorschriften:

TierSchG § 7 Abs. 2
TierSchG § 8 Abs. 3
TierSchG § 8 Abs. 5 a
Tierversuche können nach § 8 Abs. 3 TierSchG genehmigungsfähig sein, wenn im Rahmen eines schlüssigen Forschungsbeitrags und umfassenden Forschungsprojekts die Auswirkungen der Einnahme eines bestimmten Antidepressivums auf das Gehirngewebe von Ratten untersucht wird.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

11. Senat

11 TG 3210/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Tierschutzes

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Präsidenten des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Dr. Dyckmans, Richter am Hess. VGH Igstadt

am 29. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 18. Oktober 2002 (Az.: - 10 G 2357/02 -) wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere innerhalb der gesetzlichen Frist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen den im Tenor der vorliegenden Entscheidung näher bezeichneten erstinstanzlichen Beschluss bleibt erfolglos.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die auf die Antragserwiderung des Antragsgegners vom 14. August 2002 bezogene Stellungnahme des Antragstellers vom 12. September 2002 dem Antragsgegner erst zusammen mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zugegangen ist. Selbst wenn durch diese Vorgehensweise der Vorinstanz der Anspruch des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt und das erstinstanzliche Verfahren folglich mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet wäre, würde dieser Umstand allein nicht zur Aufhebung des Beschlusses erster Instanz führen. Da das Beschwerdegericht die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wie das Verwaltungsgericht erneut, allerdings gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt auf die von dem Beschwerdeführer dargelegten Gründe, nochmals überprüft, hat es ungeachtet bestehender Verfahrensmängel zu prüfen, ob die Entscheidung in der Sache Bestand hat. Im Übrigen hatte der Antragsgegner im vorliegenden Beschwerdeverfahren Gelegenheit, sich umfassend zu der erwähnten Stellungnahme des Antragstellers vom 12. September 2002 zu äußern und damit seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu verwirklichen.

Gegen den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts bestehen entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch in der Sache keine Bedenken. Unter Berücksichtigung der von ihm mit der Beschwerde dargelegten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu überprüfen hat, hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 19. Juni 2002 wiederherzustellen, zu Recht entsprochen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Bescheid des Regierungspräsidiums Gießen über die Aufhebung der fiktiven Genehmigung für die von dem Antragsteller beantragten Tierversuche gemäß § 8 Abs. 5 a TierSchG stelle sich deshalb als offensichtlich rechtswidrig dar, weil das genehmigungsbedürftige Vorhaben des Antragstellers nach § 8 Abs. 3 TierSchG genehmigungsfähig sei, lässt auch mit Blick auf den Vortrag des Antragsgegners in der Beschwerdeschrift Rechtsfehler nicht erkennen.

Erfolglos wiederholt der Antragsgegner mit der Beschwerde seine Auffassung, der Antragsteller habe die - gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 a in Verbindung mit § 7 Abs. 2 TierSchG erforderliche - Unerlässlichkeit des beantragten Tierversuchs nicht wissenschaftlich begründet dargelegt.

Er bezieht sich zur Begründung dieser Ansicht nunmehr auf die von dem Antragsteller im Rahmen seines Antrages unter Punkt 1.3.2 mitgeteilte Absicht, die mit Clozapin behandelten Ratten nach festgesetzten Zeitpunkten zu töten, ihre Hirne zu entnehmen und vor allem im Bereich des Hypothalamus die dopaminergen Zellen und andere Systeme zu untersuchen. Diese Darlegungen ließen - so der Antragsgegner - ein wissenschaftliches Grundkonzept nicht erkennen. Es fehle eine Hypothese, weshalb ausgerechnet die vom Antragsteller ausgewählten Parameter verwendbare Erkenntnisse liefern sollten. Der Antragsteller treffe keine Aussage darüber, warum er diese Parameter ausgewählt habe und welche verwendbaren Erkenntnisse er damit erzielen wolle. Eine Aussagekraft der Parameter in Bezug auf die Gewichtszunahme werde nicht vorgetragen, und zwar weder im Antrag auf Genehmigung des Versuchsvorhabens selbst noch in der ergänzenden Stellungnahme oder in der Antragsschrift. Damit liege kein wissenschaftliches Grundkonzept vor, mit der Folge, dass eine Unerlässlichkeit des Vorhabens nicht wissenschaftlich begründet dargelegt sei. Dieser Einwand entbehrt der Grundlage.

Bereits in seinem Schreiben vom 7. März 2002 an das Regierungspräsidium Gießen hat der Antragsteller bezüglich der bereits im Anhörungsschreiben der Behörde vom 21. Februar 2002 geäußerten Zweifel an der Aussagekraft der von dem Antragsteller beabsichtigten Versuche im Hinblick auf neuere Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Gewichtsregulation seine diesbezüglichen Angaben im Genehmigungsantrag ergänzt. Hierbei hat der Antragsteller im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass mit den beabsichtigten immunhistochemischen Untersuchungen an den Hirnen der Tiere nach Behandlung und Tötung die Erwartung auf Erkenntnisse hinsichtlich der Transmitteraktivitäten in bestimmten Hirnregionen der behandelten Tiere verbunden sei. Die Mechanismen der Gewichtsregulation und die daran beteiligten Faktoren bei Gabe von antipsychotisch wirkenden Substanzen seien so kompliziert, dass sie keinesfalls mit einem einmaligen Versuchsansatz gelöst werden könnten. Auch genetische Faktoren würden bei der Diskussion um dieses Problem ins Feld geführt. Deshalb sei es nötig und sinnvoll, nach tierischen Modellsystenen zu suchen, wie dies auch für andere neurologische Erkrankungen in ausgiebiger Weise praktiziert werde. Die entnommenen Hirne der Ratten würden - so der Antragsteller in dem erwähnten Schreiben vom 7. März 2002 - allen im Förderungsantrag genannten morphologischen Untersuchungen unterworfen. Der gestellte Tierversuchsantrag werde indessen nur für diejenigen Untersuchungen gestellt, die von ihm selbst durchgeführt und fachlich vertreten werden könnten. Diese von ihm geplanten und von ihm zu verantwortenden morphologischen Untersuchungen stellten immer noch den Goldstandard der Beurteilung dar. Ohne Kenntnis der Morphologie, die einschließlich Immunhistochemie in ihrer ganzen Breite durchgeführt werden solle, seien weitergehende Untersuchungen im zentralen Nervensystem nicht sehr sinnvoll. In dem als Anlage 1 zu dem vorerwähnten Schreiben beigefügten Schreiben des Koordinators des Neuronetzes M (Nationalesgenomforschungsnetzwerk) Prof. H.... wird darüber hinaus umfassend die Bedeutung der von dem Antragsteller geplanten Tierversuche im Rahmen der von der vorgenannten Einrichtung betriebenen Forschung zur Aufklärung von durch Antikonvulsiva und Psychopharmaka verursachten Gewichtsveränderungen erläutert. In der zu dem Schreiben des Antragstellers an das Regierungspräsidium Gießen vom 7. März 2002 weiterhin beigefügten Anlage 2 ("Identifikation und Charakterisierung von Tiermodellen für Antipsychotika-induziertes Übergewicht") wird schließlich die Einbindung der von dem Antragsteller beantragten Versuche in das Gesamtkonzept des Forschungsprojekts zur Aufklärung der mit Antipsychotika einhergehenden Gewichtszunahmen mit Hilfe von Tiermodellen, die hierbei im Einzelnen zur Anwendung gelangenden morphologischen Untersuchungsmethoden und die durch diese Untersuchungen zu erwartenden hirnorganischen Veränderungen detailliert beschrieben.

Die Auswahl der Untersuchungsmethoden und die von dem Antragsteller hierbei erwarteten wissenschaftlichen Ergebnisse sind damit im Sinne eines schlüssigen Gesamtkonzepts hinreichend umrissen. Welche weiteren, in dem Genehmigungsantrag bzw. den erläuternden Erklärungen des Antragstellers nicht bzw. nicht vollständig enthaltenen Darlegungen zur Begründung der Unerlässlichkeit des beantragten Tierversuchs nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 TierSchG erforderlich sein sollen, ist unter diesen Umständen nicht erkennbar.

Weiter gehende Anforderungen dürfen an den Genehmigungsantrag nicht gestellt werden. Insbesondere ist es, wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegt, unzulässig, über eine bloße Plausibilitätskontrolle hinaus die wissenschaftlichen Einschätzungen des antragstellenden Wissenschaftlers durch eigene Erwägungen zu ersetzen (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1994 - 1 BvL 12/99 -, NVwZ 1994, 894, 895).

Den weiteren Einwand des Antragsgegners in der Beschwerdeschrift, die aus den beabsichtigten Versuchen gewonnenen Ergebnisse würden voraussichtlich deshalb keine entscheidende Beachtung in der Wissenschaft finden, weil der zur Verwendung gelangende Rattenstamm schlecht charakterisiert sei und es bereits Versuche mit gut charakterisierten Rattenstämmen gebe und eine Vergleichbarkeit mit dem hier vorgesehenen Rattenstamm nicht gegeben sei, hat bereits die Vorinstanz in den Gründen ihres Beschlusses unter Hinweis auf die Ausführungen des Antragstellers in seiner Stellungnahme vom 7. März 2002 widerlegt. Darüber hinaus reichende Gesichtspunkte, die eine andere als die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Einschätzung nahe legen könnten, hat der Antragsgegner mit seiner Rechtsmittelschrift nicht dargetan.

Da sich unter Berücksichtigung der von dem Senat allein zu prüfenden Beschwerdevorbringens des Antragsgegners das Vorhaben des Antragstellers als genehmigungsfähig erweist, kommt es auf die weiteren, allgemein gehaltenen Ausführungen des Antragsgegners zur rechtlichen und ethischen Bewertbarkeit von Tierversuchen durch die zuständige Behörde nicht an. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob die Ansicht der Vorinstanz, der Aufhebungsbescheid erweise sich auch deshalb als rechtswidrig, weil die von der Behörde gegen das Vorhaben geltend gemachten Bedenken dem Antragsteller erst nach In-Kraft-Treten der fiktiven Genehmigung zugegangen seien und sich der Antragsgegner bei Ausübung seines Ermessens nicht mit der Frage des Vertrauensschutzes auseinandergesetzt habe, zutreffend ist. Diese Ausführungen bewegen sich im Rahmen einer von dem Verwaltungsgericht für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides gegebenen zusätzlichen Begründung. Selbst wenn sich dieser Teil der Begründung als rechtlich nicht haltbar erweisen sollte, würde sich an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund der vom Antragsgegner erfolglos angefochtenen weiteren Begründungselemente nichts ändern.

Da der Antragsgegner mit seinem Rechtsmittel erfolglos bleibt, hat er die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitgegenstandswertes beruht auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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