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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.11.2007
Aktenzeichen: 11 UE 1162/07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG
Vorschriften:
AsylVfG § 73 Abs. 3 | |
AsylVfG § 87 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 | |
AufenthG § 60 Abs. 7 |
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Ausländerrechts
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richter am Hess. VGH Debus
am 14. November 2007 beschlossen:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 3. Mai 2006 abgeändert:
Die Klage wird auch hinsichtlich des Klägers zu 1. vollständig abgewiesen.
Der Kläger zu 1. hat ein weiteres Siebtel der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Beklagte hat keine Verfahrenskosten zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten des Berufungsverfahrens und soweit die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts abgeändert wird vorläufig vollstreckbar. Der Kläger zu 1. darf insoweit die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist noch die Verpflichtung der Beklagten, für den Kläger zu 1. Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen.
Der Kläger zu 1., ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahre 1990 aus der Türkei nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 1. November 1990 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Im Hinblick darauf drohte die Beklagte dem Kläger zu 1. mit Bescheid vom 8. Februar 1991 die Abschiebung in die Türkei an und stellte ihren Bescheid sowie den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Februar 1991 zu. Auf Antrag des Klägers zu 1. stellte das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 6. September 1991 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die beiden vorgenannten Bescheide her. Während des Laufs des Hauptsacheverfahrens ergänzte die Beklagte im Jahre 1999 auf gerichtliche Anregung ihre Abschiebungsandrohung um die Angabe, dass Zielstaat der Abschiebung die Türkei sei (siehe Bl. 140 Behördenakte).
Durch Urteil vom 26. Oktober 1999 wies das Verwaltungsgericht Wiesbaden die gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Klage betreffend Asylgewährung und Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 AuslG ab. Gleichzeitig hob das Gericht die Abschiebungsandrohung der Beklagten auf. Als Begründung hierfür führte das Verwaltungsgericht aus, dem Kläger stehe ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG zur Seite. Er sei im Hinblick auf seine Teilnahme an einer Aktion im türkischen Generalkonsulat im Jahre 1992 bei einer Rückkehr in die Türkei von Folter bedroht. Die inzidente Feststellung des Abschiebungshindernisses habe die Aufhebung der Abschiebungsandrohung zur Folge. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde ohne Einlegung von Rechtsmitteln im Dezember 1999 rechtskräftig.
Im April 2000 stellten der Kläger zu 1. und seine Familie Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach der sog. Altfallregelung. Diese wurden von der Beklagten mit Bescheid vom 20. April 2001 abgelehnt und erneut den Klägern die Abschiebung in die Türkei angedroht. Zu § 53 AuslG wurde keine Entscheidung getroffen. Die Kläger legten Widerspruch gegen die Ablehnung ein.
Daneben beantragte der Kläger zu 1. beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG in seiner Person im Hinblick auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 26. Oktober 1999. Das Bundesamt teilte mit, dass es sich wegen § 87 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AsylVfG nicht für zuständig halte, in seinem Fall Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG zu prüfen (siehe Bl. 278 Behördenakte).
Daraufhin traf das Regierungspräsidium Darmstadt im Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2004 zu dem Bescheid vom 12. April 2001 in eigener Zuständigkeit nach Einholung von Amtshilfe des Bundesamts zu dem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis und zur Situation in der Türkei eine negative Feststellung zu § 53 AuslG und wies im Übrigen den Widerspruch der Kläger gegen die Versagung von Aufenthaltsbefugnissen zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 15. Juli 2004 zugestellt.
Am Montag, dem 16. August 2004 haben die Kläger Klage erhoben und erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 20. April 2001 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 12. Juli 2004 zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse auf der Grundlage der Altfallregelung vom 19. November 1999 zu erteilen sowie bezüglich des Klägers zu 1. festzustellen, dass in dessen Person Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit am 3. Mai 2006 verkündetem Urteil verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung, dass in der Person des Klägers zu 1. die Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen und wies die Klagen im Übrigen ab. Zur Begründung des Verpflichtungsausspruches heißt es im Wesentlichen, nach Einschätzung des Gerichts sei der Kläger zu 1. im Hinblick auf die Aktion im türkischen Generalkonsulat im Jahre 1992 nach wie vor bei einer Rückkehr in die Türkei von Folter bedroht.
Gegen das am 11. Mai 2006 zugestellte Urteil hat nur die Beklagte und nur hinsichtlich der Verpflichtung zu einer Feststellung nach § 60 Abs. 7 AufenthG am 8. Juni 2006 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Durch Beschluss vom 5. Juni 2007 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie zu der Feststellung verpflichtet worden ist, dass in der Person des Klägers zu 1. die Voraussetzungen des Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Der Kläger zu 1. beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze im Gerichtsverfahren sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Bände) Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO, weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage auch insoweit abzuweisen, als das Verwaltungsgericht die Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen hat für den Kläger zu 1. Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen. Denn für diese Feststellung ist die Beklagte - worauf die Beteiligten in der gerichtlichen Verfügung vom 31. Oktober 2007 hingewiesen worden sind - nicht zuständig. Vielmehr obliegt die Prüfung des hier geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dies ergibt sich aus § 73 Abs. 3 AsylVfG. Hiernach ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig für Entscheidungen über Zurücknahme oder Widerruf von Feststellungen zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG. Vorliegend hat zwar das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26. Oktober 1999 lediglich inzident die Feststellung getroffen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG (heute: § 60 Abs. 7 AufenthG) vorliegen. Für eine Abänderung dieser Entscheidung ist jedoch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in entsprechender Anwendung von § 73 Abs. 3 AsylVfG zuständig (vgl. zu einer parallelen Konstellation wie hier auch VGH Mannheim, Beschluss vom 27.04.2006 - 11 S 283/05 - juris Rdnr. 21; siehe auch BVerwG, Urteil vom 29.11.1999 - 9 C 16.99 - juris; Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 4.01 - juris).
Der Umstand, dass in unmittelbarer Anwendung des § 73 Abs. 3 AsylVfG ein "Widerruf" deshalb nicht möglich ist, weil das Bundesamt keine positive Feststellung zu § 53 AuslG bzw. § 60 AufenthG getroffen hat, sondern vielmehr das Verwaltungsgericht (lediglich) nach inzidenter Feststellung eines Abschiebungshindernisses eine Abschiebungsandrohung aufgehoben hat, verlagert die zu treffende Prüfung und Entscheidung nicht vom Bundesamt weg (VGH Mannheim, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 18.09.2001, a.a.O.). Hierfür spricht vor allem die dem Asylverfahrensgesetz zugrundeliegende Konzeption der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einerseits und den Ausländerbehörden der Länder andererseits. Diese Konzeption beruht auf dem Gedanken der besseren Sachkunde des Bundesamts für die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse.
Das Bundesamt ist auch nicht durch die Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gehindert zu überprüfen, ob die getroffene Entscheidung bei Änderung der Sachlage noch Bestand haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.09.2001, a.a.O.). Denn die inzidente Feststellung des Verwaltungsgerichts zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG war nicht Gegenstand des prozessualen Anspruchs, über den rechtskräftig entschieden worden ist, sondern lediglich Begründungselement und Vorfrage der Entscheidung über die Aufhebung der Abschiebungsandrohung (BVerwG, Urteil vom 18.09.2001, a.a.O., juris Rdnr. 14).
Etwas anderes ergibt sich entgegen der im vorliegenden Fall vertretenen Auffassung des damaligen Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auch nicht aufgrund der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AsylVfG. Diese Norm wurde als Übergangsvorschrift anlässlich der Umverteilung der Zuständigkeiten von Bundesamt und Ausländerbehörde durch die Gesetzesänderung zum 1. Juli 1992 eingefügt. Hiernach sind bereits begonnene Asylverfahren nach dem vom dem 1. Juli 1992 geltenden Recht zu Ende zu führen, wenn vor dem 1. Juli 1992 das Bundesamt seine Entscheidung an die Ausländerbehörde zur Zustellung abgesandt hat. So lag es im vorliegenden Fall und deshalb wurde das Asylverfahren des Klägers zu 1. zu Recht nach dem vorher geltenden Recht zu Ende geführt. Nach Rechtskraft der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. Oktober 1999, die noch im Jahre 1999 eintrat, gab es jedoch kein "bereits begonnenes Asylverfahren" mehr, das noch hätte zu Ende geführt werden müssen (siehe VGH Mannheim, a.a.O., Rdnr. 22). Auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AsylVfG ergibt sich keine Zuständigkeit der Beklagten, weil das Asylverfahren des Klägers zu 1. nicht vor dem Inkrafttreten des neuen Asylverfahrensgesetzes am 1. Juli 1992 bestandskräftig abgeschlossen war (siehe VGH Mannheim, a.a.O., Rdnr. 24).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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