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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 12 TG 2210/03
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AuslG § 19 Abs. 1 Satz 2
Eine besondere Härte im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AuslG kommt in Betracht, wenn der Ausländer sich während des Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft eine Existenzgrundlage oder vergleichbare materielle Positionen geschaffen hat, die er wegen der Rückkehrverpflichtung aufgeben muss.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 2210/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 24. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. Juli 2003 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 10. April 2003 bis zur Entscheidung über den Widerspruch angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des Verfahrens zu zwei Drittel und der Antragsteller zu einem Drittel zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, 4; 147 VwGO) und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 10. April 2003 zu Unrecht abgelehnt. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung sind nämlich unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) offensichtlich rechtswidrig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse, welche die persönlichen Interessen des Antragstellers überwiegen und über das den angegriffenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigende Interesse hinausgehen, jedenfalls bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14). Dabei ist hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis zugrunde gelegt, dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an ein fiktives Aufenthalts- oder Bleiberecht nach § 69 Abs. 3 oder 2 AuslG anknüpft und sich auf eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung richtet und nicht auf eine Verlängerung der Fiktion (Hess. VGH, 30.03.1998 - 12 TZ 994/98 -; Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -; OVG Hamburg, 12.01.1996 - Bs V 4/96 -, EZAR 622 Nr. 27 = NVwZ-RR 1996, 109).

Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; denn der Antragsteller hat jedenfalls bei summarischer Betrachtung im vorliegenden Eilverfahren Anspruch auf Erteilung einer eigenständigen Aufenthaltserlaubnis nach § 19 Abs. 1 AuslG nach Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner inzwischen eingebürgerten früheren Ehefrau.

Die aus der Rückkehrverpflichtung des Antragstellers resultierende Notwendigkeit der Auflösung des Betriebs eines Transportunternehmens kann eine besondere Härte im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AuslG darstellen. Nach der Neufassung des § 19 Abs. 1 AuslG zum 1. Juni 2000 ist der Gesetzgeber zu dem schon früher verwendeten Begriff der "besonderen Härte" zurückgekehrt, nachdem in der Fassung des AuslG von 1997 das Vorliegen einer "außergewöhnlichen Härte" als im Ausland drohende erhebliche Nachteile oder im Inland auftretende unvertretbare Folgen im Zusammenhang mit der Rückkehrverpflichtung unter Berücksichtigung gewachsener Bindungen und von Integrationsleistungen im Bundesgebiet Voraussetzung für das eheunabhängige Aufenthaltsrecht waren. Diese Fälle mussten zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so gravierend sein, dass eine andere Entscheidung als die der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vertretbar war (Renner, Nachtrag "Staatsangehörigkeitsrecht" zur 7. Auflage des Kommentars Ausländerrecht, § 19 AuslR, Rdnr. 13 m.w.Nachw.). Nach der Neufassung des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AuslG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, von dem in § 17 Abs. 1 bezeichneten Aufenthaltszweck unabhängiges Aufenthaltsrecht verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. Eine besondere Härte im Sinne von Satz 1 Nr. 2 liegt nach der ersten Alternative insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht. Nachdem der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Neufassung klargestellt hat, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bereits dann gewährt werden soll, wenn der Ehegatte durch die Rückkehr ins Herkunftsland ungleich härter getroffen werde als andere Ausländer, die nach kurzer Aufenthaltszeit Deutschland verlassen müssten (BT-Drs. 14/2368, S. 4), und unter Berücksichtigung der Entwicklung dieser Vorschrift genügt nunmehr für die Annahme einer besonderen Härte, dass der Ehegatte durch die Rückkehr ungleich härter als andere Ausländer getroffen wird und seine schutzwürdigen Belange beeinträchtigt werden (Renner, aaO, § 19 AuslR, Rdnr. 13, 15 f). Zu den schutzwürdigen Belangen in diesem Sinn gehören auch im Inland geschaffene materielle und ideelle Werte, insbesondere auch erhebliche Vermögenswerte des Ausländers.

Unter diesen Voraussetzungen und nach der im Eilverfahren und Beschwerdeverfahren allein möglichen summarischen Prüfung ist das Vorliegen einer besonderen Härte hier naheliegend. Der Antragsteller hat in Folge seines ehebedingten Aufenthalts über das gewöhnliche Maß hinausgehende Integrationsleistungen erbracht und mit der Betriebsgründung und -führung, zu der er erst aufgrund der nicht mehr auf die Ausübung unselbständiger Erwerbstätigkeit beschränkten Aufenthaltsgenehmigung vom 13. September 2000 berechtigt war, eine Vielzahl schutzwürdiger Rechtspositionen erworben und zudem mit der Einrichtung eines weiteren Arbeitsplatzes nicht nur materielle Werte geschaffen, die durch eine durch Rückkehr erzwungene Betriebsaufgabe nicht nur beeinträchtigt, sondern verloren gehen würden. Die Rückkehrverpflichtung würde ihn zur Betriebsaufgabe und damit der Aufgabe dieser Rechtspositionen sowie seiner Existenzgrundlage zwingen, denn entgegen der offenbar gegenüber dem Antragsteller geäußerten Ansicht des Antragsgegners erscheint eine Weiterführung des Betriebs im Rhein-Main-Gebiet von seinem Heimatland Türkei aus nur schwer vorstellbar, da dieser ja auch seine Arbeitskraft einbringt und Vertragsabschlüsse unter diesen Voraussetzungen nahezu unmöglich sein dürften. Dazu, ob und inwieweit es für den Antragsteller zumutbar ist, in der Türkei in gleicher oder ähnlicher Weise eine neue Existenz aufzubauen, liegen offensichtlich keinerlei Erkenntnisse vor.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann aus den im Rahmen des Eilverfahrens ersichtlichen tatsächlichen Umständen nicht geschlossen werden, dass es an der Berücksichtigungsfähigkeit dieses schutzwürdigen Belangs fehlt, weil dieser erst nach Beendigung der familiären Lebensgemeinschaft geschaffen wurde. Dies ergibt sich insbesondere nicht schon aus der erst zum 1. Mai 2001 erfolgten Gewerbeanmeldung, da zu diesem Zeitpunkt die eheliche Lebensgemeinschaft offensichtlich noch bestand, die - wie auch das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat - nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen erst am 17. Mai 2001 mit dem Auszug der Ehefrau aus der offensichtlich bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsam bewohnten Wohnung in A-Stadt aufgehoben worden ist. Gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, damit sei der Gewerbebetrieb des Antragstellers insgesamt in der Zeit nach der nur noch 14 Tage andauernden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau begründet und aufgebaut worden, wendet dieser zu Recht ein, dass Gründung und Aufbau des von ihm betriebenen Kleintransportunternehmens schon zuvor über geraume Zeit erfolgt sind und die Kosten verursachende Anmeldung als Gewerbe erst zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurde, in dem nach Prüfung aller bedeutsamen Voraussetzungen sowie einer Marktanalyse eine Betriebsgründung als sinnvoll und sicher erschien. Dies wird auch bestätigt durch die Vorlage einer Bescheinigung der Firma C vom 7. Oktober 2002, wonach dem Antragsteller schon seit ca. 20 Monaten Aufträge erteilt worden sind; demnach ist der Zeitpunkt der Aufnahme erster Geschäftstätigkeiten auf etwa Februar-März des Jahres 2001 zu datieren, und es erscheint als nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller zunächst geprüft hat, ob eine Sicherung des Lebensunterhalts durch diese Tätigkeiten möglich erscheint, bevor er diese dann mit allen hieraus folgenden rechtlichen Konsequenzen zur Grundlage seiner Existenz gemacht hat.

Es sind bisher auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt mit der Auflösung der Lebensgemeinschaft gerechnet hat oder rechnen musste. Vielmehr ist das Ehepaar Anfang des Jahres 2001 offenbar gemeinsam von D-Stadt nach A-Stadt umgezogen, wo der Antragsteller seit Januar 2001 und seine Ehefrau seit März 2001 gemeldet waren. Weder sind die Gründe für die Trennung bekannt, noch gibt es Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der entsprechenden Angaben der Ehefrau des Antragstellers, die diese im Juli 2002 gegenüber der Ausländerbehörde offenbar unter Vorlage einer Ladung zur Verhandlung in dem Ehescheidungsverfahren im September 2002 gemacht hat. Jedenfalls für die im Rahmen des Eilverfahrens allein in Betracht kommende summarische Prüfung reichen die bisher zugänglichen tatsächlichen Umstände nicht für den Schluss aus, dass der Antragsteller auf den weiteren Bestand seiner Aufenthaltsgenehmigung nicht vertrauen durfte. Es ist Aufgabe des Widerspruchsverfahrens, den diesbezüglichen Sachverhalt aufzuklären und in der Entscheidung über den Widerspruch die dann möglicherweise zusätzlich vorliegenden Tatsachen und Erkenntnisse zu berücksichtigen. Hieraus folgt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nur bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch zu treffen ist.

Diese besondere Härte ist auch nicht anders als durch Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu vermeiden, insbesondere kann die Aufenthaltsbeendigung nicht durch Erteilung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung vermieden werden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 15 i.V.m. § 7 Abs. 1 AuslG nicht in Betracht kommt, da sich entgegen der Ansicht des Antragstellers aus den von der Stadt Bad Nauheim und der IHK Friedberg vorgelegten Bescheinigungen ein öffentliches Interesse an dem Betrieb des Kleintransportunternehmens nicht entnehmen lässt. Mit der Formulierung in der Stellungnahme der IHK hat diese es offengelassen, ob ein besonderes örtliches Bedürfnis "im Hinblick auf die Unternehmensführung" bestehen kann, und die Vorlage weiterer Steuererklärungen angeregt, während die Stadt Bad Nauheim das Bestehen eines besonderen örtlichen Bedürfnisses ebenso wie ein übergeordnetes Interesse ausdrücklich verneint hat. Der Antragsteller hat auch nicht mit der Beschwerde darzulegen vermocht, dass ein solches besonderes öffentliches Interesse gleichwohl besteht, und es kann deshalb offen bleiben, ob die Vorschrift des § 15 AuslG neben § 19 AuslG, wie das Verwaltungsgericht meint, überhaupt anwendbar ist. Allerdings erscheint es als zweifelhaft, dies für die Fälle zu bejahen, in denen der Ausländer nach Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft nunmehr die Aufenthaltsgenehmigung für einen anderen Aufenthaltszweck begehrt, denn dies ist der von § 19 AuslG umfasste Regelfall, da ja der bisherige Aufenthaltszweck der familiären Lebensgemeinschaft entfallen ist und § 19 AuslG nach Ansicht des beschließenden Senats insoweit auch eine abschließende Regelung darstellt (so auch: GK-AuslR, § 19 AuslG Rdnr. 119; Hailbronner, Ausländerrecht, § 15 AuslG Rdnr. 7; Hess. VGH, 24.08.1992, InfAuslR 1993, S. 126 u. 04.05.1993, NVwZ-RR 1994, 55).

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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