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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.12.2006
Aktenzeichen: 12 TG 2396/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AufenthG § 81 Abs. 4
Erhöhter Ausweisungsschutz?
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

12 TG 2396/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richter am Hess. VGH Debus

am 28. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 21. September 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Im Ergebnis kann nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht dem Eilrechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht entsprochen hat.

Es kann offen bleiben, ob der mit der Beschwerde angegriffenen Begründung des Verwaltungsgerichts, der Ausweisungsgrund sei bei Erlass der Ausweisungsverfügung bereits "verbraucht" gewesen, gefolgt werden kann. Denn das Ergebnis des Verwaltungsgerichts hat jedenfalls bei der Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug der durch die Ablehnung des Aufenthaltsverlängerungsbegehrens entstandenen vollziehbaren Ausreisepflicht (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland bis zur Hauptsacheentscheidung Bestand. Nach der gebotenen summarischen Überprüfung im Eilverfahren spricht nämlich einiges dafür, dass die Ausweisungsverfügung die gebotene Überprüfung, ob von der Regelausweisung ausnahmsweise abzusehen ist, vermissen lässt und diese Frage auch nicht ohne weiteres verneint werden kann.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin spricht einiges dafür, dass der Antragsteller besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genießt und die an sich gegebene zwingende Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG deshalb zu einer Regelausweisung herabgestuft ist (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG), wovon auch die früher für den Antragsteller zuständige Ausländerbehörde des Landkreises Unterallgäu ausgegangen ist.

Der beschließende Senat ist nach summarischer Prüfung der Auffassung, dass Überwiegendes für die Sichtweise der Ausländerbehörde des Landkreises Unterallgäu spricht, wonach die Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG dazu führt, dass der Antragsteller auch im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG so zu behandeln ist, wie wenn er die ihm erteilte und bis zum 1. Oktober 2003 gültig gewesene Aufenthaltserlaubnis aufgrund seines rechtzeitigen Verlängerungsantrags vom 18. Juli 2003 weiterhin besitzen würde. Mit der Regelung in § 81 Abs. 4 AufenthG hat der Gesetzgeber eine Normierung geschaffen, die über die Fiktion des erlaubten Aufenthalts (§ 69 Abs. 3 AuslG a.F.) im Falle der beantragten Verlängerung eines Aufenthaltstitels hinausgeht. Im Unterschied zu den in § 81 Abs. 3 AufenthG geregelten Konstellationen (erstmalige Beantragung eines Aufenthaltstitels) wird derjenige Ausländer, der bereits einen Aufenthaltstitel inne hatte und dessen rechtzeitige Verlängerung beantragt hat, in § 81 Abs. 4 AufenthG durch die dort angeordnete Fiktion der Fortgeltung des Aufenthaltstitels vom Gesetzgeber offenbar bewusst günstiger gestellt. Nach der Intension des Entwurfs zum Aufenthaltsgesetz (BT-Drs. 15/420, S. 96, zit. bei: Funke-Kaiser in: GK zum AufenthaltsG, § 81 AufenthG, Rdnr. 38; siehe auch Ziffer 81.4.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz) soll die Fortgeltungsfiktion bewirken, dass etwa im Arbeitserlaubnisrecht die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erhalten bleibt, für welche die frühere Erlaubnisfiktion nicht ausreichend war. Hiernach ist mit der Neuregelung in § 81 Abs. 4 AufenthG bezweckt, dass der Ausländer nach rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrags von den Rechtswirkungen seiner seitherigen Aufenthaltserlaubnis soll weiterhin Gebrauch machen können. Die Fiktion der Fortgeltung des Aufenthaltstitels soll hiernach wohl bewirken, dass Vorschriften, die an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, weiterhin anwendbar bleiben. Dies spricht dafür, dass auch Vorschriften des Ausweisungsrechts, die an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, im Falle des § 81 Abs. 4 AufenthG zur Anwendung kommen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann jedenfalls nicht eine Parallele zu den Fällen gezogen werden, in denen lediglich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht, da im Falle des § 81 Abs. 4 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis gerade bereits erteilt worden ist und deren Fortgeltung fingiert wird.

Wenn hiernach der erhöhte Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 4 zur Anwendung kommt, muss die Frage geprüft werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zum Absehen von der Regelausweisung führt. Diese Prüfung ist in der angegriffenen Verfügung nicht erfolgt und aufgrund der im Fall des Antragstellers vorliegenden Umstände kann auch bei der summarischen Prüfung des Eilverfahrens nicht festgestellt werden, dass ein Ausnahmefall ohne weiteres nicht vorliegt. In dieser Situation führt die Interessenabwägung zum Überwiegen der Aufschubinteressen des Antragstellers.

Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere auch berücksichtigt, dass der Antragsteller zwischenzeitlich eine Entziehungstherapie mit Erfolg absolviert hat und mit guter Prognose zur Bewährung vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen worden ist. Hiernach erscheint es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren etwa durch die Begehung erneuter Straftaten schwerwiegend öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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