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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.11.2003
Aktenzeichen: 12 TG 2668/03
Rechtsgebiete: AuslG, SchÜbkDÜbk, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 46 Nr. 2
AuslG § 58 Abs. 1
AuslG § 59 Abs. 1
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 6
AuslG § 93 Abs. 3 Nr. 4
SchÜbkDÜbk Art. 2 Abs. 1
SchÜbkDÜbk Art. 96
SchÜbkDübk Art. 21
VwGO § 80 Abs. 5 S. 3
1. Für die Fortführung einer Anfechtungsklage gegen eine Ausweisung und Abschiebungsandrohung besteht auch nach Vollzug der Abschiebung noch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Übergang auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht geboten.

2. Auch für die Fortführung eines vorläufigen Rechtschutzverfahrens gegen eine Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung besteht nach Vollzug der Abschiebung noch ein Rechtsschutzbedürfnis. Neben der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen kann auch die Aufhebung der Vollziehung angeordnet werden.

Hierfür ist als Grundlage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs erforderlich.

3. Die Passbesitzpflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG ist auch dann erfüllt, wenn der Ausländer den Pass nicht mitführt, den Behörden jedoch binnen angemessener Frist nachweist, dass er über einen gültigen Pass verfügt.

4. Eine Einreise ist nicht im Nachhinein als unerlaubt im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG anzusehen, wenn der Ausländer die Grenze rechtmäßig ohne Personenkontrolle überschritten hat und später festgestellt wird, dass er zum Einreisezeitpunkt zwar nachweisbar einen Pass besessen, diesen aber beim Grenzübertritt nicht mitgeführt hat. Aufgrund von Art. 2 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens spricht vieles dafür, dass beim Überschreiten der Binnengrenzen der Schengener Vertragsstaaten keine Passmitführungspflicht nach § 59 Abs. 1 AuslG mehr besteht.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 2668/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 19. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 2003 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 4. September 2003 hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet und hinsichtlich der Ausweisungsverfügung wiederhergestellt. Außerdem wird die Aufhebung der Vollziehung angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Staatenloser ehemals rumänischer Staatsangehörigkeit und wurde am 3. September 2003 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin angetroffen, wo er eine von Spanien ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung mit sich führte. Ferner besitzt der Antragsteller einen ebenfalls in Spanien ausgestellten Staatenlosen-Reisepass, führte ihn jedoch bei seinem Aufenthalt in Deutschland nicht mit sich, vielmehr befand sich der Pass in Spanien und wurde dem Antragsteller von Verwandten in den Tagen nach dem 3. September 2003 nachgesandt. Mit der Begründung, er sei nicht im Besitz eines erforderlichen Passes, wurde der Antragsteller festgehalten und in Abschiebehaft genommen. Das Amtsgericht Frankfurt ordnete am 4. September 2003 Abschiebehaft zum Zwecke der Abschiebung nach Rumänien an. Ebenfalls unter dem 4. September 2003 verfügte die Antragsgegnerin die Ausweisung des Antragstellers mit der Begründung, dieser habe sich wegen unerlaubter Einreise ohne Pass strafbar gemacht (§§ 46 Nr. 2, 92 Abs. 1 Nr. 6, 58 AuslG). Ferner wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Rumänien angedroht. Nach der für ihn negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 23. September 2003 im hiergegen gerichteten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wurde der Antragsteller am 24. September 2003 nach Rumänien abgeschoben.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist auch unter Berücksichtigung der Anforderungen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO zulässig. Zwar enthielt das Beschwerdevorbringen zunächst keinen ausdrücklichen Beschwerdeantrag, jedoch lässt sich dem Beschwerdevorbringen hinreichend deutlich entnehmen, dass der Antragsteller seinen erstinstanzlich gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid der Antragsgegnerin anzuordnen, in vollem Umfang weiterverfolgt (siehe zu den Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags: Hess. VGH, 25.09.2002 - 12 TG 2216/02.A -, EZAR 625 Nr. 3). Nach Vollzug der Abschiebung ist ausdrücklich der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gestellt worden.

Für den gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Entgegen der Auffassung von Verwaltungsgericht und Ausländerbehörde ist der Antragsteller zunächst nämlich - wie sogleich auszuführen sein wird - nicht unerlaubt nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG eingereist und deshalb nicht gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 1 AuslG unabhängig von dem Ergehen der Ausweisungsverfügung vollziehbar ausreisepflichtig geworden.

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Eilverfahrens ist ferner auch nicht deshalb weggefallen, weil der Antragsteller inzwischen nach Rumänien abgeschoben worden ist; vielmehr besteht das Rechtsschutzbedürfnis wegen § 8 Abs. 2 AuslG fort. Weder die in dem ausländerbehördlichen Bescheid vom 4. September 2003 verfügte Ausweisung noch die ergangene Abschiebungsandrohung haben sich durch die tatsächlich erfolgte Abschiebung des Antragstellers in dem Sinne erledigt, dass nunmehr kein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung von Hauptsacheverfahren und Eilverfahren mehr bestünde. Beide Verwaltungsakte entfalten nämlich wegen der Regelung in § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG fortdauernde Rechtswirkungen. Bis zu einer Aufhebung der Ausweisung und der Abschiebungsandrohung darf der Antragsteller nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Dies bleibt unberührt von einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Im Hinblick darauf ist nach Vollzug der Abschiebung im Hauptsacheverfahren nicht der Übergang auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) geboten und zulässig, sondern die Fortführung des Anfechtungsverfahrens (Hess. VGH, 17.02.1997 - 12 UE 1739/95 -, EZAR 044 Nr. 11 = AuAS 1997, 175; Funke-Kaiser in GK-AuslR, § 50 AuslG Rdnr. 81; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 113 VwGO Rdnr. 102 und 104; Schmitt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 113 VwGO Rdnr. 81; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, § 45 Rdnr. 221; VG Hamburg, 09.07.1997 - 15 VG 2635/97, Juris).

In gleicher Weise wie für das Hauptsacheverfahren besteht auch für die Fortführung des Eilverfahrens ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Schoch in Schoch u.a., VwGO § 80 VwGO Rdnr. 336; VGH Baden-Württemberg, 31.10.1978 - XI 2307/78 -, ESVGH 29, 11), wobei nach Vollzug der Abschiebung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 der Rechtsschutzantrag dahin erweitert werden kann, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen (Hess. VGH, 17.02.1997, a.a.O.; Funke-Kaiser in GK-AuslR, a.a.O.; a.A. OVG Berlin, 13.05.2002 - 8 S 16.02 -, NVwZ 2003, 239 = AuAS 2002, 138). Als Grundlage für letzteren Ausspruch ist aber weiterhin zunächst die Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich (Schoch, a.a.O., § 80 VwGO Rdnr. 233; Schmitt, a.a.O., § 80 VwGO Rdnr. 92; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rdnr. 780). Das fortdauernde Interesse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besteht für den Antragsteller demnach zunächst darin, die Aufhebung der Vollziehung zu erreichen und damit während des Laufs eines eventuellen Hauptsacheverfahrens wieder nach Deutschland einreisen zu können. Hieran kann der Antragsteller insbesondere deshalb ein Interesse haben, weil er als Staatenloser im Besitz einer spanischen Aufenthaltsgenehmigung und eines von Spanien ausgestellten Staatenlosen-Passes gemäß § 21 Abs. 1 SDÜ sich grundsätzlich bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der Schengener Vertragsstaaten bewegen und innerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten die Grenze nach Deutschland ohne Personenkontrolle überqueren darf (siehe Art. 2 Abs. 1 SDÜ). Darüber hinaus besteht für den Antragsteller ein Interesse zu erreichen, dass gemäß Art. 96 Abs. 1 SDÜ im Schengener Informationssystem - SIS - gespeicherte Daten über Einreisesperren (vgl. dazu Ziffer 5.1.3 der allgemeinen Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommen [AAH-SDÜ v. 28.01.1998]) gelöscht werden. Eine solche Löschung ist nämlich gemäß Art. 96 Abs. 3 SDÜ bereits dann geboten, wenn die ausländerbehördliche Maßnahme "aufgeschoben" ist.

Der Antrag ist auch begründet. Aufgrund des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ist festzustellen, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 4. September 2003 zu Unrecht abgelehnt hat. Die Ausweisungsverfügung und die Abschiebungsandrohung sind nämlich offensichtlich rechtswidrig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange nicht, die persönlichen Interessen des Antragstellers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Entgegen der Auffassung von Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht erfüllt der Antragsteller keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG, er ist insbesondere nicht unerlaubt im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nach Deutschland eingereist. Nach dieser Vorschrift ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass nicht besitzt. Die in § 4 Abs. 1 AuslG normierte Passbesitzpflicht ist zu unterscheiden von der Passmitführungspflicht nach § 59 Abs. 1 AuslG in den dort genannten Fällen des Grenzübertritts (siehe Nr. 4.1.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 17. Juni 2000 - AuslG-VwV -; Renner, Ausländerrecht, § 4 AuslG Rdnr. 2; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AuslG Rdnr. 9). Das Merkmal "Besitz eines gültigen Passes" ist auch dann erfüllt, wenn der Ausländer den Pass zwar nicht mitführt, jedoch der Ausländerbehörde binnen angemessener Frist nachweist, dass er über einen gültigen Pass verfügt (Nr. 4.1.1.2 AuslG-VwV). Bei dem in Spanien ausgestellten Staatenlosen-Ausweis handelt es sich um ein zugelassenes Passersatzpapier (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 DV-AuslG i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 AuslG). Nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist eine Einreise aber nicht unerlaubt, wenn der Ausländer den nach § 4 Abs. 1 erforderlichen Pass oder Passersatz lediglich nicht mit sich führt, sondern erst dann, wenn er den erforderlichen Pass nicht besitzt (Hailbronner, a.a.O., § 58 Rdnr. 34). Daher lässt sich nicht feststellen, dass ein Ausländer, der im Bundesgebiet angetroffen wird, ohne einen Pass oder ein Passersatzpapier mit sich zu führen, unerlaubt nach Deutschland eingereist sein muss und sich damit strafbar nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG gemacht hat. Soweit Nr. 58.1.2.3 der AuslG-VwV für die Verwaltungsbehörden bestimmt, bei einem Ausländer, der den Pass bei der Einreise nicht mit sich führt, sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt seien, ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Vorschrift auf die Situation bei der Einreise an der Grenzübergangsstelle bezieht und nicht auf das Antreffen eines Ausländers im Bundesgebiet und im Übrigen lediglich eine Regel für die praktische Handhabung und Beweisführung aufstellt, nicht aber den Wortlaut von § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ändern kann oder soll. Unabhängig davon geht auch die Verwaltungsvorschrift davon aus - wie es allein dem Wortlaut und systematischen Zusammenhang der §§ 4, 58 und 59 AuslG entspricht -, dass im Einzelfall etwas anderes gelten kann, wenn der Ausländer bis zur Beendigung der Einreise den Nachweis erbringen kann, dass er im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes ist. Ferner heißt es in der Verwaltungsvorschrift, der Ausländer besitzt den Pass dann nicht mehr, wenn er ihn verloren oder unauffindbar verlegt hat. Hiernach ist Besitz eines Passes also nicht zu verneinen, wenn der Pass sich auffindbar und beschaffbar an anderer Stelle befindet.

Der Antragsteller erfüllt auch nicht den Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Er hat sich nicht deshalb strafbar gemacht, weil er sich entgegen § 4 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 AuslG ohne Pass oder Ausweisersatz im Bundesgebiet aufhielt. Unabhängig davon, ob die von Spanien ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung als Ausweisersatz im Sinne von § 39 Abs. 1 AuslG anzusehen ist, scheidet eine Strafbarkeit bereits deshalb aus, weil § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG durch die Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 AuslG an die Passbesitzpflicht anknüpft und nicht an eine - nicht gegebene - Pflicht zur Mitführung des Passes jederzeit während des Aufenthalts in Deutschland (siehe auch Hailbronner, a.a.O., § 92 AuslG Rdnr. 26).

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller durch das Nicht-Mitführen seines Passersatzes ordnungswidrig verhalten hat (§§ 46 Nr. 2 AuslG, 93 Abs. 3 Nr. 4 AuslG). Zwar kann aufgrund des Umstandes, dass der Passersatz des Antragstellers sich zunächst noch in Spanien befunden hatte, die Feststellung getroffen werden, dass der Antragsteller zwangsläufig auch bei der Einreise ins Bundesgebiet den Passersatz nicht mit sich geführt hat. Es spricht aber vieles dafür, dass hierdurch ein Verstoß gegen § 59 Abs. 1 bzw. § 93 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 59 Abs. 1 AuslG nicht begründet werden kann. Nach § 59 Abs. 1 AuslG ist zwar die Einreise in das Bundesgebiet nur an den zugelassenen Grenzübergangsstellen zulässig, und der Ausländer ist hierbei verpflichtet, einen gültigen Pass mit sich zu führen, soweit nicht auf Grund anderer Rechtsvorschriften oder zwischenstaatlicher Vereinbarungen Ausnahmen zugelassen worden sind. Nach Art. 2 Abs. 1 SDÜ dürfen jedoch die Binnengrenzen der Vertragsstaaten an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Hierdurch könnte nicht nur die Verpflichtung, zugelassene Grenzübergänge zu benutzen, sondern auch die Verpflichtung, beim Grenzübertritt einen Pass bzw. Passersatz mit sich zu führen, für die Überschreitung der Binnengrenzen der Schengener Vertragsstaaten aufgehoben worden sein (so Hailbronner, a.a.O., § 59 AuslG Rdnr. 13; ferner wohl auch Nanz, ZAR 1994, 99, 101, der davon spricht, die Verpflichtung zum Vorzeigen der Reisedokumente sei weggefallen, was aber nicht bedeute, dass der Reisende nicht mehr im Besitz dieser Dokumente sein müsse; a. A. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 59 AuslG Rdnr. 7; Funke-Kaiser in: GK-AuslR, § 59 AuslG Rdnr. 10 und 20; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Auflage, S. 354 sowie Nr. 5.3.2 AAH-SDÜ und Nr. 59.1.3.2 AuslG-VwV). Die Passmitführungspflicht dient nämlich neben der Sicherung der Identitätsfeststellung insbesondere dazu, im Rahmen des grenzüberschreitenden Verkehrs die ausländerrechtliche Rechtmäßigkeit der Einreise kontrollieren zu können (Jansen, ZAR 1998, 70, 75). Dieses Ziel der Passmitführungspflicht geht jedoch im Wesentlichen ins Leere, wenn aufgrund des Schengener Durchführungsübereinkommens die Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten - abgesehen von dem Fall der zeitweiligen Wiedereinführung aufgrund einer besonderen Situation (Art. 2 Abs. 2 SDÜ) - weggefallen sind und eine Einreise ins Bundesgebiet aus anderen Vertragsstaaten an jeder Stelle zulässig und möglich ist. Hiernach spricht vieles dafür, dass durch die Regelung im Schengener Durchführungsübereinkommen nicht nur die in § 59 Abs. 1 AuslG statuierte Pflicht zur Benutzung von zugelassenen Grenzübergangsstellen, sondern auch die Passmitführungspflicht bei der Einreise suspendiert wird, weil eine Passmitführungspflicht ihren Zweck nicht mehr erfüllt, wenn - wie im Normalfall - keine Personenkontrollen mehr stattfinden. Daher liegt es nach Auffassung des Senats auch nahe, dass die Passmitführungspflicht an den Binnengrenzen nicht von dem Vorbehalt nach Art. 2 Abs. 3 SDÜ erfasst ist. Nach diesem Vorbehalt bleiben von der Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen zwar unberührt unter anderem die im Recht einer Vertragspartei vorgesehenen Verpflichtungen über den Besitz, das Mitführen und das Vorzeigen von Urkunden und Bescheinigungen. Dieser Vorbehalt dürfte sich jedoch auf Dokumente beziehen, zu deren Mitführung auch im Inland eine Verpflichtung besteht und nicht auf solche Dokumente, deren Mitführung im Wesentlichen zum Zweck der Durchführung von Grenzkontrollen vorgesehen ist.

Da keine Zweifel an der Richtigkeit des von der Ausländerbehörde festgestellten Sachverhalts ersichtlich sind, wonach der Antragsteller von Spanien kommend nach Deutschland eingereist ist, lässt sich hiernach eine Ordnungswidrigkeit in Form eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Mitführung des Passersatzes nicht feststellen: Spanien gehört ebenso wie Deutschland zu den Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens, und eine andere Annahme als die, dass der Antragsteller entweder auf dem Luftweg oder über das ebenfalls zu den Vertragsstaaten zählende Frankreich nach Deutschland eingereist ist, wäre jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung fernliegend.

Auch wenn zu Grunde gelegt würde, dass sich der Antragsteller zwangsläufig bei Einreise ins Bundesgebiet ordnungswidrig nach § 93 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 59 Abs. 1 AuslG verhalten hätte, erweist sich die auf § 46 Nr. 2 AuslG gestützte Ausweisungsverfügung bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung als offensichtlich rechtswidrig. Denn die Ermessensausübung der Antragsgegnerin (§ 45 Abs. 1 AuslG) ist in jedem Fall fehlerhaft, weil sie einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde legt. Dem Antragsteller wird als Ausweisungsgrund unzutreffenderweise eine unerlaubte Einreise und damit eine Straftat nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG vorgehalten und nicht ein deutlich weniger gewichtiger Verstoß gegen die lediglich bußgeldbewehrte Vorschrift des § 59 Abs. 1 AuslG. Es fehlt an jeglichen Ermessenserwägungen dazu, weshalb ein in Betracht kommender weniger gewichtiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften, die keine Straftat beinhalten, eine nach pflichtgemäßer Ermessensausübung sogar unbefristete Ausweisung rechtfertigen kann.

Nach alledem war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 4. September 2003 hinsichtlich der Abschiebungsandrohung anzuordnen und hinsichtlich der Ausweisungsverfügung wiederherzustellen. Für die Bestimmung des näheren Inhalts der im Tenor angeordneten Aufhebung der Vollziehung ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch insoweit nur eine vorläufige Regelung in Betracht kommt und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen werden darf (vgl. zu einer derartigen Konstellation nach vollzogener Abschiebung Hess. VGH, 08.06.1990 - 12 TH 2430/89). Hiernach hat die Antragsgegnerin zunächst die Löschung einer Einreisesperre im Schengener Informationssystem zu veranlassen (Art. 96 Abs. 3 SDÜ, siehe oben). Ferner hat die Antragsgegnerin einen eventuell im Pass des Antragstellers angebrachten Vermerk "abgeschoben" vorläufig ungültig zu stempeln (siehe Hess. VGH, 08.06.1990, a.a.O.; ferner Hess. VGH, 09.05.1986 - 7 TH 107/83). Um dem Antragsteller vorläufig die erneute Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, hat die Ausländerbehörde ihm ggf. eine Betretenserlaubnis nach § 9 Abs. 3 AuslG zu erteilen. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin - gegebenenfalls durch Hinweise an andere Ausländerbehörden - darauf hinzuwirken, dass dem Antragsteller im Falle einer erneuten Einreise nach Deutschland während des Laufs des Hauptsacheverfahrens nicht mit der Begründung einer unerlaubten Einreise nach Abschiebung (§ 8 Abs. 2 AuslG) erneut die Abschiebung angedroht wird. Weniger unmittelbare Folgen der rechtswidrig erfolgten Abschiebung sind nicht mehr dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. dem Hauptsacheverfahren gerichtet auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung und Abschiebungsandrohung zuzuordnen, sondern einem selbstständigen Verfahren (etwa Schadensersatzforderungen).

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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