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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 12 TG 298/05
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 14 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 15
AufenthG § 4
AufenthG § 5
AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG § 6
AufenthG § 81 Abs. 4
VwGO § 80
1. Die Einreise mit einem anderen als dem für den eigentlichen Zweck des Aufenthalts erforderlichen Visum i. S. v. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hindert nicht die Auslösung der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AuslG. Der Eilrechtsschutz gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde, mit der die beantragte Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels abgelehnt wird, richtet sich in diesen Fällen nach § 80 Abs. 5 VwGO.

2. Die Ausländerbehörde hat, wenn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, im Rahmen der gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung auch die Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens zu prüfen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 298/05

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Debus

am 16. März 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Januar 2005 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 29. September 2004 angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, 4; 147 VwGO) und begründet. Auf das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, das allein das Beschwerdegericht zu überprüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist die verwaltungsgerichtliche Entscheidung abzuändern.

Der Eilantrag ist nunmehr auf der Grundlage des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen und deshalb als nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft anzusehen. Die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes vom 1. Januar 2005 sind hier anwendbar, da ein Widerspruchsbescheid bisher nicht ergangen ist und kein Fall des § 104 Abs. 1 AufenthG vorliegt.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist aus diesem Grund hier auch dann nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, wenn berücksichtigt wird, dass aufgrund des zwischenzeitlich angestrengten Petitionsverfahrens vorläufig ohnehin keine Abschiebungsmaßnahmen ergriffen werden, denn auf eine Eilbedürftigkeit im Sinne von § 123 VwGO kommt es hier nicht an.

Gemäß der nunmehr anwendbaren Bestimmung des § 81 Abs. 4 AufenthG ist festzustellen, dass mit der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung ein fiktives Bleibe- oder Aufenthaltsrecht in Deutschland zunächst begründet, aber durch die Ablehnung des Antrags beendet wurde (zu § 69 AuslG vgl. Hess. VGH, 14.02.1991 - 12 TH 1568/90 -, NVwZ-RR 1991, 426; Hess. VGH, 30.09.1992 - 12 TG 947/92 -, EZAR 622 Nr. 17 = InfAuslR 1993, 67). Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz knüpft ersichtlich an ein fiktives Aufenthalts- oder Bleiberecht nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthaltsG an und ist auf eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung gerichtet (ebenfalls zu § 69 AuslG: Hess. VGH, 30.03.1998 - 12 TZ 994/98 -; Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -; OVG Hamburg, 12.01.1996 - Bs V 4/96 -, EZAR 622 Nr. 27 = NVwZ-RR 1996, 109).

Die bis zum 31. Dezember 2004 anwendbare Regelung des § 69 Abs. 2 AuslG, nach deren Maßgabe das Verwaltungsgericht hier zugrunde gelegt hat, dass infolge einer unerlaubten Einreise des Antragstellers die Duldungsfiktion mit Stellung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht ausgelöst wurde, entfaltet insoweit keine Wirkung mehr, da gemäß § 102 AufenthG nur die nach § 69 AuslG eingetretenen Wirkungen der Erlaubnis- oder Duldungsfiktion fortgelten. Da eine Übergangsvorschrift für den Fall der Hemmung des Eintritts der Wirkungen des § 69 AuslG fehlt, ist nach alledem der im Jahr 2004 vor Geltung des Aufenthaltsrechts abgeschlossene Sachverhalt der Einreise allein nach dem Aufenthaltsgesetz zu beurteilen, denn auch wenn der Gegenstand des Eilverfahrens allein an den anfechtenden Teil des Widerspruchs anknüpft, so kommt es hier jedoch auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung und damit des Widerspruchsbescheids an, der hier noch aussteht.

Ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass seine Einreise lediglich mit der Absicht eines Aufenthalts zu Besuchszwecken erfolgt war und er erst angesichts der Weigerung seiner Ehefrau, mit ihm gemeinsam in sein Heimatland Türkei zurückzukehren, den Entschluss zu einem dauernden oder jedenfalls längerfristigen Aufenthalt in Deutschland gefasst hat, ist nach § 81 AufenthG nicht entscheidend, da der Antragsteller mit einem Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG eingereist ist und mit der Stellung des Antrags auf einen anderen Aufenthaltstitel, nämlich zum Zweck der Familienzusammenführung, die Fiktion des Fortbestands seines bisherigen Aufenthaltstitels ausgelöst hat.

Der Antragsteller ist mit einem vom 3. bis 17. August 2004 befristeten Visum der Kategorie "C" nach dem Schengener Übereinkommen mit dem Vermerk "Dauer des Aufenthalts für 15 Tage" sowie "Nur für Besuchs- und Geschäftsreisen" als "Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eingereist und verfügte damit zum Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung am 13. August 2004 über einen Aufenthaltstitel im Sinne der §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 81 Abs. 4 AufenthG. An der Fiktion des Fortbestands dieses Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde ändert sich auch dann nichts, wenn man seine Einreise als unerlaubt im Sinne von § 15 Abs. 1 AufenthG ansieht, da er für den von ihm eigentlich beabsichtigten Daueraufenthalt ein Visum nach § 6 Abs. 4 AufenthG (sogenanntes "nationales Visum") hätte einholen müssen (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Auf die Frage, ob eine unerlaubte Einreise nach dem Aufenthaltsgesetz grundsätzlich immer dann vorliegt, wenn der Ausländer mit einem kurzfristig geltenden Visum einreist, obwohl er einen Daueraufenthalt beabsichtigt, kommt es hier nämlich nicht an, da in § 81 AufenthG im Unterschied zu § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG keine Regelung enthalten ist, die im Fall einer unerlaubten Einreise bestimmt, dass die Fiktion des Fortbestandes des ursprünglichen Aufenthaltstitels nicht eintritt. Zudem fehlt es an einer Regelung, die § 71 Abs. 2 S. 1 AuslG entspricht, wonach bisher gerichtliche Verfahren vor der Ausreise nur mit der Rüge zugelassen waren, dass der Versagungsgrund nach § 8 AuslG (jetzt § 5 AufenthG) nicht vorliegt, sodass Ausnahmen von der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 9 AuslG nicht vor der Ausreise gerichtlich geltend gemacht werden konnten. Ergänzend ist die Einreise mit dem erforderlichen Visum i. S. v. §§ 6 und 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zwar Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann die Ausländerbehörde hiervon jedoch ebenso wie von der Voraussetzung der erforderlichen Vollständigkeit der Angaben im Visumantrag (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) absehen, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

Allerdings ist angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts in § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("Die Einreise ... ist unerlaubt, wenn er .... 2. den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt) weiterhin davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eindeutig an der bisher auch dem Ausländergesetz zugrunde gelegten Wertung festgehalten hat, wonach der für den jeweils beabsichtigten Aufenthaltszweck erforderliche Aufenthaltstitel grundsätzlich vom Ausland aus zu beantragen ist; es werden nunmehr jedoch andere Rechtsfolgen hieran angeknüpft: Nach der Feststellung einer unerlaubten Einreise unterliegt der betroffene Ausländer dem Verteilungsverfahren des § 15a AufenthG, er soll innerhalb von sechs Monaten zurückgeschoben werden (§ 57 Abs. 1 AufenthG) und die Ausreisepflicht ist vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG); letzteres gilt aber ausdrücklich nicht in den Fällen des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Eine Zurückweisung an der Grenze kann gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich auch dann erfolgen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der beabsichtigte Aufenthalt nicht dem im Visumverfahren angegebenen Zweck dient. Dies alles spricht dafür, dass der Gesetzgeber zwischen dem Fall der unerlaubten Einreise (§ 15 Abs. 1 AufenthG) und dem Fall des Zweckwechsels (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) differenziert und als "unerlaubte Einreise" nur die Fälle ansehen will, in denen trotz Verpflichtung zur Einholung eines Aufenthaltstitels in Form des Visums dieses überhaupt nicht eingeholt wurde (so auch die "Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/ EU" - Anwendungshinweise -, Ziffer 14.1.2.3.2).

Der demnach gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Eilantrag hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den ausdrücklich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 29. September 2004 gerichteten Eilantrag im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt. Die Ausweisung und Abschiebungsandrohung sind nach den nunmehr anwendbaren Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes offensichtlich rechtswidrig mit der Folge, dass das persönliche Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Ausreise überwiegt (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -).

Die Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung allein aufgrund der Einreise ohne das für den beabsichtigten Daueraufenthalt benötigte, mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilte Visum (§ 6 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 31 Abs. 1 DVAufenthG, früher § 11 DVAuslG) sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung offensichtlich rechtswidrig, da hierin keine Ermessensentscheidung gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG getroffen worden ist und die Antragsgegnerin diese auch nach gerichtlichem Hinweis nicht nachgeholt hat. Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind, ist zur Überzeugung des beschließenden Senats hinreichend glaubhaft gemacht. Die Heiratsurkunde und die hier vorgelegte Meldebescheinigung des Antragstellers für den Wohnsitz der Ehefrau sprechen dafür, dass der Antragsteller - wie in seinen Anträgen angegeben - in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau lebt, die deutsche Staatsangehörige ist, und er demnach einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Die Ausländerbehörde hat insoweit keine entgegenstehenden Feststellungen getroffen und Anhaltspunkte dafür, dass dennoch keine familiäre Lebensgemeinschaft besteht, sind auch nicht ersichtlich. Auf die Sicherung des Lebensunterhalts kommt es hier gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht an, und wenn auch ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund der Einreise mit einem anderen als dem hier gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG erforderlichen Visum nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vorliegt, so führt dieser hier jedoch nicht zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis, da § 5 Abs. 2 AufenthG insoweit die speziellere Regelung darstellt.

An der demnach erforderlichen Ermessensentscheidung fehlt es hier. Die in dem angegriffenen Bescheid angestellten Erwägungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung können die nach § 5 Abs. 2 AufenthG anzustellenden Ermessenserwägungen nicht ausfüllen, da sich die Ausländerbehörde an die zum damaligen Zeitpunkt geltende Vorschrift des § 71 Abs. 2 AuslG gebunden sah und auch das ihr nach § 9 AuslG eröffnete Ermessen nicht ausgeübt hat, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen aus ihrer Sicht nicht vorlagen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist die Frage der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens zu klären und damit sind die persönlichen Umstände des Antragstellers ebenso wie die Umstände seiner Einreise und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu berücksichtigen (vgl. hierzu die Anwendungshinweise, Ziff. 5.2.2 u. 5.2.3). Diejenigen Umstände, die der Antragsteller hierzu vorgebracht hat, sind von der Ausländerbehörde in ihrer Entscheidung - nach der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechtslage zu Recht - aber gerade nicht berücksichtigt worden.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 4, 66 Abs. 3 S. 3 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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