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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.01.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3028/03
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 42 Abs. 2
AuslG § 55 Abs. 2
AuslG § 69 Abs. 1 S. 2
AuslG § 69 Abs. 3 S. 2
AuslG § 8 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
Auch bei unerlaubter Einreise der Mutter gilt der Aufenthalt ihres kurz nach der Einreise im Bundesgebiet geborenen Kindes bis zur Entscheidung über einen für das Kind fristgerecht gestellten Aufenthaltsgenehmigungsantrag als erlaubt.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3028/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich, Richterin am Hess. VGH Lehmann

am 12. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 20. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO), aber nicht begründet.

Aufgrund der gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 20. Oktober 2003 vorgebrachten Bedenken kann zunächst nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 24. Juli 2003 im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt hat, wobei eine über das Beschwerdevorbringen hinausgehende Überprüfung dem beschließenden Senat verwehrt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO; zur Beschränkung der Prüfung im Beschwerdeverfahren vgl. Hess.VGH, 05.07.2002 - 12 TG 959/02 -, EZAR 037 Nr. 7). Die Abschiebungsandrohung ist nämlich offensichtlich rechtmäßig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse, welche die persönlichen Interessen der Antragsteller überwiegen und über das den angegriffenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigende Interesse hinausgehen, insoweit den Rechtsschutzanspruch der Antragsteller einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wird gemäß § 50 Abs. 3 AuslG von vornherein nicht vom Vorliegen von Duldungsgründen (§ 55 AuslG), das heißt von Gründen, die vorübergehend einer Abschiebung entgegenstehen, berührt. Soweit die Antragstellerinnen in diesem Zusammenhang mit der Beschwerde geltend machen, jedenfalls für einen vorübergehenden Zeitraum kurz vor und kurz nach der Niederkunft der Antragstellerin zu 1. hätte die aufschiebende Wirkung angeordnet werden bzw. die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt werden müssen, kam diesem Gesichtspunkt - wie die Antragstellerinnen selbst erkennen - im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Bedeutung mehr zu. Den Antragstellerinnen hätte es hier oblegen, durch Abgabe entsprechender Erledigungs- bzw. Teilerledigungserklärungen eine kostenmäßige Berücksichtigung dieses Umstandes zu erreichen. Eine Überraschungsentscheidung kann daher in der beanstandeten Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts nicht gesehen werden.

Soweit die Antragstellerinnen weiter mit der Beschwerde geltend machen, die Vollziehung der angedrohten Abschiebung habe auch zum jetzigen Zeitpunkt eine unzumutbare Härte zur Folge und das Verwaltungsgericht habe im Rahmen der von ihm vorgenommene Interessenabwägung gerade die Bedeutung des Kindeswohls bei ausländerrechtlichen Entscheidungen in Bezug auf einen Elternteil völlig außer Acht gelassen, fehlt es für die hiermit eingeforderte Interessenabwägung an einem rechtlichen Anknüpfungspunkt. Zwar hat auch das Verwaltungsgericht insoweit (Beschlussabdruck S. 7 zweiter Absatz am Anfang) tatsächlich missverständliche Formulierungen gewählt, die mit dem Beschwerdevorbringen aufgegriffen werden, in der Sache ist seine Prüfung indes anhand der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe erfolgt. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Abschiebungsandrohung (§ 50 AuslG) offensichtlich rechtmäßig ist, weil die Antragstellerinnen wegen ihrer unerlaubten Einreise (§ 58 Abs. 1 AuslG) vollziehbar ausreisepflichtig sind (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 AuslG), und dass gemäß § 71 Abs. 2 AuslG Rechtsbehelfe gegen die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung deshalb nur darauf gestützt werden können, dass der Versagungsgrund des § 8 AuslG nicht vorliegt. Hiergegen haben die Antragstellerinnen keine Beschwerdegründe geltend gemacht. Diesem gesetzlichen System liegt die Bewertung des Gesetzgebers zu Grunde, dass ein überragendes öffentliches Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften zur Verhinderung ungesteuerter Einreisen nach Deutschland besteht, und der Verordnungsgeber hat auch mit den Durchbrechungen des zwingenden Versagungsgrundes der unerlaubten Einreise (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG; § 9 Abs. 2 DVAuslG) grundsätzlich abschließend zu erkennen gegeben, in welchen Fällen andere - etwa verfassungsrechtlich durch Art. 6 GG geschützte - Interessen der Vorrang vor der Einhaltung der Einreisevorschriften zukommen kann. Unter diesen Umständen ist - solange die Verfassungsmäßigkeit der eben genannten Vorschriften nicht in Frage steht - darüber hinaus kein Raum für eine Abwägung von privaten Interessen mit öffentlichen Interessen.

Soweit die Antragstellerinnen über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs hinaus im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners erstreben, ihnen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsstreitverfahrens gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 24. Juli 2003 Duldungen zu erteilen, kann der Antrag bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil er die Hauptsache vorwegnehmen würde und diese Vorwegnahme nicht notwendig erscheint zur Verwirklichung ihrer Rechte oder um wesentliche Nachteile für die Antragstellerinnen abzuwenden (§ 123 Abs. 1 VwGO). Denn zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Antragstellerinnen genügt der Antrag, dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, Abschiebungsmaßnahmen zu ergreifen. Die rechtlich gebotenen Folgerungen hieraus, nämlich die Erteilung von Duldungen, solange eine Abschiebung rechtlich unzulässig ist, hat der Antragsgegner dann von sich aus zu ziehen. In diesem Sinne umgedeutet hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.

Die Antragstellerinnen können nicht verlangen, ihre Abschiebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 24. Juli 2003 zu untersagen. Denn dieser Bescheid erweist sich nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens wie ausgeführt als offensichtlich rechtmäßig. Dies umfasst auch grundsätzlich die Feststellung, dass sowohl die Ehe der Antragstellerin zu 1. mit einem in Deutschland als Asylberechtigten lebenden afghanischen Staatsangehörigen als auch das familiäre Zusammenleben der Eheleute mit der 13-jährigen Antragstellerin zu 2. nach Maßgabe der Vorschriften in § 8 Abs. 1 AuslG und § 9 Abs. 2 DVAuslG zurücktreten muss, weil kein Fall vorliegt, der es den Antragstellerinnen zu 1. und 2. gestatten würde, das Aufenthaltsgenehmigungsverfahren vom Inland aus zu betreiben.

Etwas anderes ergab sich allerdings vorübergehend aus der Beziehung zu der 2003 geborenen Tochter der Antragstellerin zu 1., nachdem für diese im Hinblick auf ihren Vater, der als Asylberechtigter in Deutschland lebt, ein Aufenthaltsgenehmigungsantrag gestellt worden war. Hierzu hat das Verwaltungsgericht übersehen, dass der Aufenthalt dieser Tochter gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 AuslG nach fristgerechter Stellung des Aufenthaltsgenehmigungsantrages bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt galt. Der Ausschlussgrund nach § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 greift für das neugeborene Kind nicht ein, weil es nicht unerlaubt eingereist, sondern im Bundesgebiet geboren ist. Die 2003 geborene Tochter der Antragstellerin zu 1. war daher bis zur Entscheidung über den gestellten Erlaubnisantrag nicht vollziehbar ausreisepflichtig (§ 42 Abs. 2 AuslG) und durfte daher nicht abgeschoben werden. Hieraus ergab sich zunächst für die Antragstellerin zu 1. ein vorübergehendes Abschiebungshindernis und ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Duldung (§ 55 Abs. 2 AuslG), weil unter diesen Umständen ihre Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich war (§ 55 Abs. 2 AuslG). Die Trennung einer Mutter von ihrem Säugling durch Abschiebung ist unzumutbar und würde einen Verstoß der Abschiebungsmaßnahme gegen Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG begründen. Letztlich ergab sich hieraus auch ein Abschiebungshindernis hinsichtlich der Antragstellerin zu 2., denn jedenfalls ohne nähere Feststellungen der Ausländerbehörde über etwaige verwandtschaftliche Beziehungen in Georgien oder die Versorgung der minderjährigen Antragstellerin zu 2. in Frankreich im Rahmen des dort anhängigen Asylverfahrens erschien auch die alleinige Abschiebung einer 13-Jährigen rechtlich und tatsächlich unmöglich (§ 55 Abs. 2 AuslG).

Diese vorübergehenden Abschiebungshindernisse sind jedoch nunmehr entfallen, nachdem die Ausländerbehörde durch Bescheid vom 15. Dezember 2003 den Aufenthaltsgenehmigungsantrag des 2003 geborenen Kindes der Antragstellerin zu 1. negativ beschieden hat. Denn damit ist die Fiktionswirkung des erlaubten Aufenthalts zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung der Ausländerbehörde vom 15. Dezember 2003 entfallen (§ 69 Abs. 3 AuslG). Hieran würden auch eventuell gegen die Ablehnung eingelegte Rechtsmittel nichts ändern, denn gemäß § 72 Abs. 1 AuslG haben Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung keine aufschiebende Wirkung. Auch durch die Einleitung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gegen die Verfügung vom 15. Dezember 2003 könnte die aufenthaltsrechtliche Position des am 1. August 2003 geborenen Kindes nicht zurückerlangt werden (siehe Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 69 AuslG Rdnr. 16 m.w.N.).

Deshalb ist zugrunde zu legen, dass nunmehr auch das Kleinkind der Antragstellerin zu 1. vollziehbar ausreisepflichtig ist und damit einer gemeinsamen Ausreise der Antragstellerinnen mit dem Kleinkind keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Die Veränderung der Sach- und Rechtslage durch Ergehen des ausländerbehördlichen Bescheides vom 15. Dezember 2003 ist auch in das vorliegende Beschwerdeverfahren eingeführt worden durch die gerichtliche Verfügung vom 17. Dezember 2003. Den Antragstellern hätte es hier - wie bei der im erstinstanzlichen Verfahren eingetretenen Änderung der Sachlage - oblegen, durch Abgabe entsprechende Erledigungs- bzw. Teilerledigungserklärungen eine kostenmäßige Berücksichtigung dieses Umstandes zu erreichen. Der ausländerbehördliche Schriftsatz vom 23. Dezember 2003 enthielt keinen neuen Sachvortrag mehr, sondern Rechtsausführungen ohne Bezug auf den neuen Bescheid vom 15. Dezember 2003.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO in Verbindung mit § 100 ZPO und aus §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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