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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.11.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3134/04
Rechtsgebiete: AuslG, DVAuslG


Vorschriften:

AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 55 Abs. 3
DVAuslG § 9 Abs. 2 Nr. 1
Dringende persönliche Gründe im Sinne von § 55 Abs. 3 AuslG können vorliegen, wenn dem Ausländer die Durchführung des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens vom Inland aus gestattet ist.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3134/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 15. November 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 13. September 2004 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller vor Bestandskraft der Entscheidung über den Aufenthaltsgenehmigungsantrag vom 21. Mai 2003 zu ergreifen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und hat im Sinne des Tenors Erfolg.

Allerdings kann der wörtlich gestellte Beschwerdeantrag (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), unter Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27. Oktober 2003 gegen Ziffer 2 des Bescheides des Antragsgegners vom 13. Oktober 2003 anzuordnen, nicht zum Erfolg führen. Denn ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist hier nicht statthaft, weil die Versagung nicht zugleich ein kraft Gesetzes eingetretenes fiktives Aufenthalts- oder Bleiberecht beendet hat (siehe Hess. VGH, 30.09.1992 - 12 TG 947/02 - InfAuslR 1993, 67) und somit durch die Ablehnung des Antrags dem Antragsteller keine Rechtsposition entzogen worden ist. Der Aufenthalt des Antragstellers galt nämlich nach der Stellung seines Antrags auf Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 21. Mai 2003 weder als erlaubt (§ 69 Abs. 3 AuslG) noch als geduldet (§ 69 Abs. 2 AuslG). Denn die allein in Betracht kommende fiktive Duldung nach § 69 Abs. 2 AuslG scheitert daran, dass der Antragsteller aufgrund eines sonstigen Verwaltungsaktes, nämlich der Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamtes für die Ankerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. Juni 2001, ausreisepflichtig ist ohne bereits ausgereist zu sein (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AuslG). Bestandskraft oder Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis ist dabei nicht erforderlich (siehe Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 69 AuslG Rdnr. 10).

Der Senat versteht das Beschwerdebegehren und den Beschwerdeantrag aber sinngemäß dahin (§ 88 VwGO), dass hilfsweise der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Aufenthaltsgenehmigungsantrag des Antragstellers begehrt wird. So verstanden hat die Beschwerde Erfolg.

Der Antrag auf Abänderung der im vorangegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren (Aktenzeichen Verwaltungsgericht Gießen 9 G 5467/03 u. Hess. VGH 12 TG 716/04) ist zulässig, weil sich die den damaligen Entscheidungen zu Grunde liegende Sachlage geändert hat (§ 80 Abs. 7 VwGO analog, siehe zur analogen Anwendung dieser Vorschrift im Verfahren nach § 123 VwGO: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 123 VwGO Rdnr. 35). Aufgrund der Ermittlungen in dem gegen den Antragsteller geführten Strafverfahren, das mangels hinreichendem Tatverdacht (§ 170 Abs. 2 StPO) eingestellt worden ist, spricht anders als vorher jetzt Überwiegendes dafür, dass zwischen dem Antragsteller und seiner deutschen Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 6 GG und § 17 Abs. 1 AuslG besteht. Nach den Ermittlungen der Polizei im Strafverfahren war der Antragsteller im Dezember 2003 anders als zu früheren Zeitpunkten zumindest einem Mitbewohner des Mehrfamilienhauses bekannt und dieser Mitbewohner gab an, dass der Antragsteller spät abends jeweils nach Hause kommt und die Wohnung früh morgens wieder verlässt. Für den Zeitraum ab 1. Oktober 2003 zumindest kann dies mit der Arbeit als Ausfahrer einer Pizzeria erklärt werden. Die Ausländerbehörde hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, in welcher Wohnung der Antragsteller, wenn nicht in der angegebenen Ehewohnung, übernachtet bzw. wohnt. Darüber hinaus hat eine der Erzieherinnen des Kindergartens, den der Sohn der Ehefrau des Antragstellers besucht, angegeben, sie habe den Antragsteller ab November 2003 circa sieben bis acht Mal im Kindergarten gesehen, wenn er in Begleitung seiner Ehefrau das Kind zum Kindergarten brachte oder abholte. Auch diese Beobachtung spricht dafür, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Weiter hat der Arbeitgeber des Antragstellers in dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erklärt, der Antragsteller komme mit seiner Frau und deren Sohn öfters in die Pizzeria in D. um dort zu essen, und er meint - dies sicher subjektiv - zu beobachten, dass zwischen dem Antragsteller und dem Kind eine gute Beziehung bestehe. Besuche des Antragstellers mit seiner Frau und deren Kind in der Pizzeria zum gemeinsamen Essen haben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren weitere Zeugen bekundet. Auch diese Zeugen hatten - dies wiederum subjektiv - den Eindruck einer zusammengehörenden Familie.

Wenn aufgrund dieser veränderten Umstände in eine - erneute - Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 1 VwGO) einzutreten ist, ergibt sich, dass der Antragsteller beide Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat. Ein Anordnungsgrund besteht, weil der Antragsgegner beabsichtigt, den Antragsteller in der 49. Kalenderwoche abzuschieben.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich daraus, dass der Antragsteller einen sicherungsfähigen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat, um das Aufenthaltsgenehmigungsverfahren vom Inland aus zu betreiben. Rechtsgrundlage für den Duldungsanspruch ist § 55 Abs. 3 AuslG. Dringende persönliche Gründe erfordern die vorübergehende weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet zur Durchführung des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens, weil dem Antragsteller - insoweit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG gestattet ist, die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau nach der Einreise einzuholen. Denn zum Zeitpunkt der Stellung seines Aufenthaltsgenehmigungsantrags am 21. Mai 2003 hielt sich der Antragsteller noch gestattet im Sinne von § 55 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet auf, weil er eine bis September 2003 gültige Aufenthaltsgestattung besaß und sein Asylverfahren erst durch Rücknahme des Berufungszulassungsantrags im Juli 2003 beendet wurde (§ 67 AsylVfG). Durch die Heirat einer deutschen Staatsangehörigen hat er ferner einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG allein unter der Voraussetzung des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft erworben.

Derzeit spricht Überwiegendes für das Bestehen eines solchen Anspruchs. Neben den bereits oben aufgeführten Umständen, die im Zuge des strafrechtlichen Verfahrens ermittelt worden sind, hat der Antragsteller nunmehr im Abänderungsverfahren und im Beschwerdeverfahren hierzu zwei eidesstattliche Versicherungen der Schwester und einer Arbeitskollegin seiner Ehefrau beigebracht, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller seine Frau zumindest regelmäßig nachts von der Arbeit abholt und dass er sich zu unterschiedlichen Zeiten in der angegebenen Ehewohnung aufgehalten hat. Der Senat hält gerade die Bestätigung der Arbeitskollegin, aus deren Formulierung sich Ahnungslosigkeit über den Zweck der erwünschten Bestätigung ergibt, für jedenfalls hinreichend aussagekräftig, um die am Anfang des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aufgetretenen Zweifel am Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft (Antragsteller kann in der Wohnung nicht angetroffen werden und ist den Hausmitbewohnern nicht bekannt) wieder soweit zu erschüttern, dass im Widerspruchsverfahren der Sachverhalt vertiefend erforscht werden muss, falls die Behörde weiterhin Zweifel am Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft hat. Einige weitere im Beschwerdeverfahren eingereichte Erklärungen Dritter sind demgegenüber wenig aussagekräftig und können höchstens der Ausländerbehörde Hinweise dafür geben, welche Personen gegebenenfalls zu ihren Beobachtungen hinsichtlich des Zusammenlebens des Antragstellers mit seiner Frau näher befragt werden könnten. Soweit die Ausländerbehörde ihre bisherige ablehnende Entscheidung auch auf Differenzen in der getrennt voneinander erfolgten Ausfüllung von Fragebögen der Ehegatten zu den Umständen des Kennenlernens und Zusammenlebens gestützt hat, erscheinen diese Differenzen dem Senat nicht gewichtig im Verhältnis zu den übereinstimmenden Antworten. Die Angaben zum Zeitpunkt des gegenseitigen Kennenlernens (vor eineinhalb Jahren - vor circa zwei Jahren) weichen nicht so gravierend voneinander ab, dass hieraus Schlüsse gezogen werden könnten. Das gleiche gilt für die Beantwortung der Fragen, wann der Entschluss zur Heirat erfolgt sei und wer den Heiratsantrag gemacht habe, und der Fragen nach gegenseitigen Hochzeitsgeschenken.

Der Senat erstreckt die Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung nicht nur bis zum Ergehen eines Widerspruchsbescheides, sondern bis zur Bestandskraft einer ablehnenden Entscheidung, weil derzeit Überwiegendes für ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache spricht. Sollte sich nach weiterer Sachverhaltsaufklärung im Widerspruchsverfahren aber ergeben, dass zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau keine eheliche Lebensgemeinschaft besteht, hat der Antragsgegner die Möglichkeit, einen Antrag auf (erneute) Abänderung (§ 80 Abs. 7 VwGO analog s.o.) zu stellen. Sollte demgegenüber eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, hat sich die einstweilige Anordnung erledigt.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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