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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.01.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3204/03
Rechtsgebiete: AuslG, VwGO


Vorschriften:

AuslG § 7 Abs. 2
AuslG § 8 Abs. 2
AuslG § 47 Abs. 2
AuslG § 69 Abs. 3
AuslG § 72
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123
1. Die Zulässigkeit eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug einer Ausweisungsverfügung kann nicht mit dem Hinweis auf eine anderweitige Ausreisepflicht wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses verneint werden, wenn die Ausländerbehörde lediglich die vollziehbare Ausreiseverpflichtung im Anschluss an die Ausweisungsverfügung zu vollziehen beabsichtigt.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren gegen eine Ausweisungsverfügung und eine Abschiebungsandrohung entfällt grundsätzlich nicht mit der Abschiebung des Ausländers während des Verfahrens.

3. Macht die Ausländerbehörde von der ihr eingeräumten Möglichkeit, Unterbrechungen des rechtmäßigen Aufenthalts durch eine verspätete Antragstellung nach § 97 AuslG außer Betracht zu lassen, Gebrauch, so ist der Aufenthalt des Ausländers bis zur Entscheidung über den Verlängerungsantrag gemäß § 69 Abs. 3 AuslG erlaubt.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3204/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 20. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers (Ast.) gegen die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber der ausländerbehördlichen Verfügung vom 13. Juni 2003 durch das Verwaltungsgericht ist zurückzuweisen, weil sie zwar zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO), aber nicht begründet ist. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist der Eilrechtsschutzantrag hinsichtlich der Ausweisungsverfügung und der Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis allerdings nicht unzulässig. Es widerspräche grundlegenden Anforderungen an den vorläufigen Rechtsschutz gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (1. a), dem Ast. das erforderliche Rechtsschutzinteresse im Hinblick auf eine sonstige Ausreisepflicht (1. b) oder wegen seiner am Tage der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erfolgten Abschiebung (1. c) abzusprechen. Außerdem kann der Antragsteller hinsichtlich der Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis trotz seines um einige Tage verspäteten Verlängerungsantrags Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nehmen (1. d). Sein Begehren kann aber entgegen der Beschwerdebegründung insgesamt aus materiellen Gründen keinen Erfolg haben (2.).

1. Gegen die Zulässigkeit der Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz bestehen nach dem Beschwerdevorbringen keine durchgreifenden Bedenken (zur grundsätzlichen Beschränkung der Überprüfung im Beschwerdeverfahren vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO; Hess. VGH, 5.7.2002 - 12 TG 959/02 -, EZAR 037 Nr. 7; Hess. VGH, 23.10.2002 - 9 TG 2712/02 -, EZAR 012 Nr. 7 = InfAuslR 2003, 84).

a) Für die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften der §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO ist zunächst zugrunde zu legen, dass auch für Ausländer ein grundgesetzlicher Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) gewährleistet ist (vgl. z. B. BVerfG, 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 -, BVerfGE 51, 386 = EZAR 123 Nr. 2; BVerfG, 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1 = NVwZ 1985, 409; BVerfG, 12.9.1995 - 2 BvR 1179/95 -, EZAR 622 Nr. 25 = NVwZ 1996, 58) und der Suspensiveffekt der Rechtsmittel in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten einen fundamentalen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) bildet (BVerfG, 19.06.1973 - 1 BvL 14/72 u.a. -, BVerfGE 35, 263 = NJW 1973, 2196), der Sofortvollzug also nur die aufgrund einer sorgfältigen Interessenabwägung gerechtfertigte Ausnahme von der Regel der aufschiebenden Wirkung bleiben muss. Dabei darf die Zulässigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes nicht ohne Rücksicht auf den Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren betrachtet werden. Der einstweilige Rechtsschutz dient nämlich in erster Linie dem Ziel, den möglichen Erfolg im Hauptsacheverfahren zu sichern und inzwischen drohende irreparable Schäden und Beeinträchtigungen tunlichst zu vermeiden. Hierbei sind indes die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zu berücksichtigen, weil nur so die Wirkungen der sofortigen Vollziehung und die Möglichkeiten der nachträglichen Beseitigung oder Milderung der Vollzugsfolgen sachgerecht eingeschätzt werden können. Im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind auch die Rechtsschutzinstrumente der §§ 80 Abs. 5, 113, 123 VwGO gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auszulegen und zu nutzen. Ob und in welcher Weise dem rechtsuchenden Ausländer bei der jeweiligen Fallgestaltung vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist, kann nur im Blick auf die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG und die besonderen Rechtsfolgen von Ausweisung, Abschiebungsandrohung und Abschiebung festgestellt werden. Eine sachgerechte Lösung muss den Gesetzeswortlaut und das grundsätzliche Verhältnis zwischen vorläufigem und endgültigem Rechtsschutz beachten und im Interesse einer möglichst wirksamen Rechtsschutzgewährung vor allem die jeweiligen bereichsspezifischen Besonderheiten berücksichtigen. Unter diesem Vorzeichen sind die beiden hier entscheidungserheblichen Fallgestaltungen zu untersuchen: das Nebeneinander mehrerer Ausreisepflichten und die Abschiebung während des Rechtsstreits um den Sofortvollzug der Aufenthaltsbeendigung. Dabei ist darauf zu achten, dass dem betroffenen Ausländer nicht mit dem Hinweis auf eine anderweitige Ausreisepflicht und ein fehlendes Rechtsschutzinteresse vorläufiger Rechtsschutz in vollem Umfang verwehrt wird.

b) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Ast. hinsichtlich der von der Ausländerbehörde für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nicht im Hinblick auf eine anderweitige Ausreisepflicht des Ast. als unzulässig. Damit besteht ein schützenswertes Interesse auch an der Fortführung dieses Rechtsschutzbegehrens mit der Beschwerde.

Zwar kann und muss ein Klage- oder Antragsbegehren als unzulässig angesehen werden, wenn sich die Positionen des Rechtsmittelführers auch im Falle seines Erfolgs nicht günstiger darstellen würden, die Rechtsverfolgung als keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil verspricht (dazu m.w.N. Hess. VGH, 19.3.2002 - 12 TG 165/02 -, EZAR 040 Nr. 5 = AuAS 2002, 125). Das Verwaltungsgericht hat aber hier ein Rechtsschutzbedürfnis bezüglich der Ausweisung zu Unrecht mit der Begründung verneint, mit der vom Ast. angestrebten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung würde sich seine Rechtsposition nicht verbessern, weil er unabhängig von der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aufgrund der für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung (vgl. §§ 42 Abs. 2 Satz 2, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) schon seit 8. Juli 1999 infolge Ablaufs der zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig sei (§ 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG). Der Ast. habe nämlich nicht spätestens bei Ablauf der bis 7. Juni 1999 geltenden Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung beantragt.

Hierzu ist zunächst daran zu erinnern, dass ein Ausländer Eilrechtsschutz grundsätzlich gegenüber jeder ausländerbehördlichen Maßnahme in Anspruch nehmen kann, die seine sofortige Abschiebung aus Deutschland ermöglicht. Bei einer aus mehreren Gründen bestehenden Ausreisepflicht kommt es für die Zulässigkeit einstweiligen Rechtsschutzes zunächst einmal und vor allen Dingen darauf an, ob die Abschiebung nur aufgrund einer oder aufgrund mehrerer Behördenbescheide droht (Hess. VGH. 19.03.2002, a.a.O.); denn nur gegen einen konkret drohenden Vollzug kann einstweiliger Rechtsschutz beantragt und gewährt werden. So kann Rechtsschutz gegen die Vollziehung der Ausreisepflicht aufgrund einer Asylablehnung nicht mit der Begründung versagt werden, der Ausländer sei auch wegen Fehlens einer Aufenthaltsgenehmigung oder aufgrund einer Ausweisung ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde erklärtermaßen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auszuführen beabsichtigt und nicht die in der Ausweisungsverfügung enthaltene eigene Abschiebungsandrohung. Einerseits kann nämlich die Ausländerbehörde zwischen mehreren Grundlagen für eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung wählen, andererseits kann dem Ausländer der nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierte vorläufige Rechtsschutz gegenüber einer konkreten Abschiebungsmaßnahme nicht deswegen versagt werden, weil die Abschiebung auch aus anderen, von der Ausländerbehörde aber nicht in Anspruch genommenen Gründen vorgenommen werden könne. Sonst wäre der Betroffene dieser Art Vollzugsmaßnahmen schutzlos ausgeliefert, weil ihm eine Abschiebung auf dieser weiteren Grundlage jedenfalls vorerst nicht ernsthaft droht und ihm gerichtliche Hilfe gegen die bevorstehende Abschiebung auf der ersten Grundlage mit Hinweis auf die auch sonst bestehende Ausreisepflicht versagt wird.

Auch insoweit können keine für alle denkbaren Fallgestaltungen gültigen Grundsätze aufgestellt werden, weil es entscheidend auf das rechtliche Verhältnis der im Einzelfall bestehenden Grundlagen für die Ausreisepflicht zu einander und auf das Verhalten und die Absichten der Ausländerbehörde ankommt. Verzichtet die Ausländerbehörde zum Beispiel aus welchen Gründen auch immer gänzlich auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht oder beabsichtigt sie Zwangsmaßnahmen erst in ferner Zukunft, besteht kein Anlass für ein gerichtliches Einschreiten im Wege eines Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 oder § 123 VwGO. Ähnlich kann es sich verhalten, wenn sich die Ausländerbehörde für die Durchsetzung einer asylrechtlich begründeten Ausreisepflicht (mit Abschiebungsandrohung des Bundesamts) entscheidet und auf eine anlässlich einer Ausweisung erlassene eigene Abschiebungsandrohung nicht zurückgreift. Dann kann nur asylrechtlicher vorläufiger Rechtsschutz in Anspruch genommen werden (zu einem Zusammentreffen zweier derartiger Ausreisepflichten vgl. Hess. VGH, 17.3.1997 - 3 TG 3656/96 -, NVwZ-Beil. 1997, 57 = AuAS 1997, 207). Schließlich kann die Ausreiseverpflichtung auch in der Weise aufgrund zweier Tatbestände entstehen, dass es an einer Aufenthaltsgenehmigung gänzlich fehlt oder eine bestehende befristete Genehmigung abgelaufen ist und außerdem eine Ausweisung ergeht. Dann kann die Ausländerbehörde den letzteren Entstehungsgrund heranziehen und auf dieser Grundlage die Abschiebung androhen und vollziehen oder aber die behördliche Ausweisung insoweit unbeachtet lassen und die gesetzlich begründete Ausreisepflicht vollziehen (zur Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO statt nach § 80 Abs. 5 VwGO bei einem Zusammentreffen zweier derartiger Ausreisepflichten vgl. Hess. VGH, 9.3.2002 - 12 TZ 74/99 -, NVwZ-Beil. 2000, 6 = AuAS 1999, 161).

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts stellt sich die Lage für den Ast. so dar, dass dieser aus zweierlei Gründen ausreisepflichtig war: wegen Ablaufs der Aufenthaltserlaubnis seit 8. Juli 1999 und infolge der Ausweisung seit der am 23. Juni 2003 erfolgten Zustellung der Ausweisungsverfügung. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht bei dieser Sachlage angenommen, der Ast. dürfe angesichts der gesetzlich begründeten vollziehbaren Ausreisepflicht (§ 42 Abs. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG) einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollziehung der sofort vollziehbaren Ausreisepflicht aufgrund der mit Sofortvollzug ausgestatteten Ausweisung (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG) einstweiligen Rechtsschutz nicht in Anspruch nehmen. Denn tatsächlich drohte dem Ast. die Abschiebung nicht wegen Ablaufs der vorherigen Aufenthaltserlaubnis, sondern allein aufgrund der Ausweisung. Die Ausländerbehörde hat die auf dem Fehlen einer Aufenthaltserlaubnis beruhende Ausreisepflicht weder vor noch bei noch nach Erlass der Ausweisungsverfügung erwähnt und die Abschiebungsandrohung folgerichtig ausschließlich auf die Ausweisung gestützt. Unter diesen Umständen bedeutete die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber der Vollziehung der Ausweisung mit dem Hinweis auf eine anderweitige Ausreisepflicht einen im Hinblick auf die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG unzulässigen vollständigen Ausschluss des Ast. vom vorläufigen Rechtsschutz. Dem Ast. drohte nämlich nach dem eindeutigen Verhalten der Ausländerbehörde aufgrund des genehmigungslosen Zustands jedenfalls keine unmittelbar bevorstehende Gefahr von Abschiebungsmaßnahmen, gegen die er vorsorglich gerichtliche Hilfe hätte in Anspruch nehmen können. Da die Aufenthaltserlaubnis bereits am 7. Juli 1999 abgelaufen war und die Ausländerbehörde die jetzt vom Verwaltungsgericht festgestellte Ausreisepflicht fast vier Jahre lang nicht zum Anlass für eine Abschiebung genommen hatte, brauchte der Ast. mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf dieser Grundlage nicht (mehr) zu rechnen und konnte infolge dessen insoweit einstweiligen Rechtsschutz unter Berufung auf eine Abschiebegefahr nicht in Anspruch nehmen.

Unabhängig davon erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Sofortvollzugs der Ausweisung auch deshalb als fehlerhaft, weil der Verlängerungsantrag des Ast. vom 16. Juli 1999 jedenfalls in diesem summarischen Verfahren als rechtzeitig gestellt zu behandeln ist (dazu näher unter 1. d) und das Verwaltungsgericht daher zu Unrecht für den Zeitraum ab 8. Juli 1999 eine vollziehbare Ausreisepflicht nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zugrunde gelegt hat.

c) Dem Rechtsschutzinteresse des Ast. an der Einlegung der Beschwerde und der Fortführung des Beschwerdeverfahrens steht nicht die am 10. November 2003 erfolgte Abschiebung in die Türkei entgegen.

Wie der beschließende Senat in ständiger Rechtsprechung entscheidet, besteht für die Fortführung des Eilverfahrens auch nach dem Vollzug der Ausreisepflicht durch Abschiebung zumindest dann weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn zugleich nach § 50 Abs. 5 Satz 3 die Aufhebung der Vollziehung beantragt wird (zuletzt näher begründet und mit Nachw. versehen in Hess. VGH, 19.11.2003 - 12 TG 2668/03 -). Der davon abweichenden Ansicht des 9. Senats des Gerichtshofs, die dieser soweit ersichtlich erstmals in dem Beschluss vom 11. Dezember 2003 (9 TG 546/03) vertreten hat, vermag der beschließende Senat nicht zu folgen.

Dabei ist von der Überlegung auszugehen, dass im Anfechtungsstreit um eine Ausweisungsverfügung nach zwischenzeitlicher Abschiebung nicht der Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage geboten und zulässig ist, sondern weiterhin die Anfechtung der Ausweisung und der Abschiebungsandrohung begehrt werden darf und muss, um deren Rechtswidrigkeit festzustellen (dazu m. Nachw. der st. Rspr. Hess. VGH, 19.11.2003, a.a.O.; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, Rdnr. 8/221). Mit der Aufhebung der Ausweisung und der Abschiebungsandrohung als rechtswidrig steht zugleich fest, dass die zur Vollziehung der vollziehbaren Ausreisepflicht infolge Ausweisung vorgenommene Abschiebung rechtswidrig war. Hieraus folgt ohne weiteres, obwohl die Abschiebung als Realakt nicht aufgehoben werden kann und daher auch nicht aufgehoben ist, dass das pauschal durch jede Ausweisung und Abschiebung ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 8 Abs. 2 AuslG nicht mehr greift. Die dort vorgesehene Sperrwirkung entfalten Ausweisung und Abschiebung allerdings zunächst ungeachtet eines Rechtsbehelfs gegen den Grundverwaltungsakt. Denn diese tritt hinsichtlich der Ausweisung trotz Anfechtung durch Widerspruch oder Klage ein (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG), und zwar auch dann, wenn die Ausweisung nicht für sofort vollziehbar erklärt ist. Soweit die Sperre durch die tatsächliche Abschiebung ausgelöst wird, können Rechtsschutzanträge in der Hauptsache hieran zunächst nichts ändern.

Art und Umfang des vorläufigen Rechtsschutzes müssen sich entsprechend dessen Sicherungszweck an dieser besonderen Ausgestaltung des Hauptsacheverfahrens ausrichten. Einerseits darf der Hauptsacheentscheidung nicht vorgegriffen werden, andererseits muss diese so weit wie möglich offen gehalten werden. Insbesondere darf der mögliche Erfolg in der Hauptsache nicht durch den tatsächlichen Vollzug vollständig oder zum großen Teil verhindert oder entwertet werden. Ein Rechtsschutzinteresse kann billigerweise mit Hinweis auf den bereits vorgenommenen Vollzug dann nicht verneint werden, wenn diese Grundsätze eingehalten werden. Hierfür hat der Gesetzgeber mit der nach § 80 Abs. 5 Sätze 1 und 3 VwGO vorgesehenen Möglichkeit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der gleichzeitigen Aufhebung der Vollziehung geeignete Mittel zur Verfügung gestellt, wobei die "Aufhebung der Vollziehung" je nach Art und Wirkung des Vollzugsakts gestaltet werden muss. Wie der 9. Senat des Gerichtshofs in dem bereits erwähnten Beschluss vom 11. Dezember 2003 zutreffend hervorgehoben hat, kann die an Ausweisung und Abschiebung anknüpfende Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG durch gerichtliche Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 Sätze 1 und 3 VwGO nicht beseitigt werden. Dies kann, wie oben aufgezeigt, erst mit einem Erfolg in der Hauptsache erreicht werden. Zuvor kann zwar die Abschiebung als tatsächlicher Vollziehungsakt ebenso wenig vorläufig wie im Hauptsacheverfahren endgültig aufgehoben werden, der Betroffene kann jedoch in den Stand vor der Abschiebung versetzt und damit so gestellt werden, als sei er nicht abgeschoben werden. Damit wird die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen, weil weder die Sperrwirkung der Ausweisung noch die der Abschiebung beseitigt wird. Dem Ausländer wird auch kein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht, und zwar auch nicht vorläufig. Sein Aufenthalt wird vielmehr, indem trotz Ausreisepflicht von einer Abschiebung zunächst bis zur endgültigen Entscheidung abgesehen wird, vorübergehend geduldet (vgl. § 55 Abs. 1 AuslG). Dabei setzt eine positive Entscheidung nach Abschiebung wie auch sonst im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ein überwiegendes privates Interesse an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet voraus, in aller Regel also die summarische Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausweisung und der Abschiebungsandrohung.

Die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO notwendigen Maßnahmen richten sich nach den besonderen Voraussetzungen für eine Wiedereinreise zum vorläufigen weiteren Aufenthalt nach Ausweisung und Abschiebung (dazu Hess. VGH, 9.5.1986 - 7 TH 107/83, 8.6.1990 - 12 TH 2430/89 und 19.11.2003 - 12 TG 2668/03). Die Ausländerbehörde hat vor allem die vorläufige Ungültigkeit des Abschiebungsvermerks in dem Nationalpass des Ausländers zu veranlassen sowie eine Betretenserlaubnis (§ 9 Abs. 3 AuslG) und eine Duldung zu erteilen. Ob sie auch die Löschung der Einreisesperre im Schengener Informationssystem nach Art. 96 Abs. 3 SDÜ zu bewirken hat (dazu Hess. VGH, 19.11. u. 11.12.2003, jew. a.a.O.), kann hier offen bleiben; jedenfalls hat sie sicherzustellen, dass dem Ast. bei seiner Wiedereinreise nicht die SIS-Ausschreibung entgegen gehalten wird. Um dem Ast. die Wiedereinreise zu ermöglichen, hat sie erforderlichenfalls das Auswärtige Amt, den Bundesgrenzschutz und/oder andere Ausländerbehörden um Amtshilfemaßnahmen zu ersuchen.

d) Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Anordnung des Suspensiveffekts hinsichtlich der Ablehnung der Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung abgelehnt, die Verlängerungsanträge seien verspätet gestellt. Tatsächlich hat der Ast. erst am 16. Juli 1999 die Verlängerung der bis 7. Juli 1999 geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt. Er ist jedoch zumindest für das vorliegende Eilverfahren so zu behandeln, als sei sein rechtmäßiger Aufenthalt damit nicht unterbrochen. Es muss nämlich, da die Ausländerbehörde dem Ast. die verspätete Antragstellung weder mit der angegriffenen Verfügung vom 13. Juni 2003 noch sonst entgegengehalten hat, zugrunde gelegt werden, dass die Ausländerbehörde die Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthalts um wenige Tage gemäß § 97 AuslG außer Betracht gelassen hat (Hess. VGH, 04.12.1995 - 12 TG 3096/95 -, EZAR 025 Nr. 16 = NVwZ-RR 1997, 67 = InfAuslR 1996, 133). Hierfür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass sie dem Ast. fortlaufend Bescheinigungen über ein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 69 Abs. 3 AuslG ausgestellt hat. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass eine Fiktionsbescheinigung allein kein Aufenthaltsrecht schaffen kann und eine Ermessensentscheidung nach § 97 AuslG nach außen erkennbar getroffen werden muss. Diese Voraussetzungen sind aber hier nach Lage der Behördenakten jedenfalls bei summarischer Betrachtung als erfüllt anzusehen. Eine andere Beurteilung würde der Ausländerbehörde unzulässigerweise ein widersprüchliches Verhalten unterstellen.

2. Der nach alledem zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung ist in der Sache nicht begründet. Es kann aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt hat. Die Ausweisung, die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung sind nämlich offensichtlich rechtmäßig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse, welche die persönlichen Interessen des Ast. überwiegen und über das den angegriffenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigende Interesse hinausgehen, den Rechtsschutzanspruch des Ast. einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht unter Hinweis auf die Straftaten des Ast. und die letzte Verurteilung durch das Amtsgericht A-Stadt vom 30. September 2002 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubs zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und elf Monaten unter Einbeziehung der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 14. Dezember 1999 wegen schweren Raubs in vier Fällen, räuberischer Erpressung und Computerbetrugs die Ausweisung aufgrund von § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG verfügt und eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens eines Ausweisungstatbestands (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) versagt sowie eine Ausnahme von der Regelausweisung und der Regelablehnung mit zutreffender Begründung abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde vorgebrachten Bedenken rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Soweit zur Begründung auf die Antragsschrift vom 10. Oktober 2003 und die Widerspruchsbegründung vom selben Tag Bezug genommen wird, lässt sich jedenfalls bei summarischer Betrachtung eine Rechtswidrigkeit der ausländerbehördlichen Verfügung nicht feststellen. Die Voraussetzung für die Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG ist mit der strafgerichtlichen Verurteilung vom 30. September 2002 erfüllt. Dort ist zwar die Entscheidung vom 14. Dezember 1999 einbezogen, dies ändert aber nichts daran, dass der Ast. damit insgesamt wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt ist, wie § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG verlangt. Es kann dahinstehen, ob der Ast. die Voraussetzungen für den Abschiebungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens - zehnjähriger rechtmäßiger Aufenthalt - erfüllt; denn die Ausländerbehörde hat zutreffend begründet, dass von dem Ast. eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht, und sie ist dazu im Einzelnen auf die von dem Ast. begangenen Straftaten und auf die Entwicklung des persönlichen Verhaltens des Ast. eingegangen. Diese spezialpräventiven Überlegungen werden durch das Vorbringen des Ast., er sei bei Begehung der Straftaten noch minderjährig gewesen und diese lägen schon einige Jahre zurück, nicht erschüttert, zumal sich der Ast. nach Begehung der letzten Straftat nicht in Freiheit, sondern teilweise noch in Haft befunden hat. Im Übrigen sei dazu, ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt, darauf hingewiesen, dass der Ast. inzwischen im Juli 2003 erneut rechtskräftig verurteilt ist, und zwar durch das Landgericht Aschaffenburg wegen gemeinschaftlichen Raubs zu einer Jugendstrafe von einem Jahr. Diese Straftat wurde im März 2003 begangen und bestätigt damit im Nachhinein sehr eindrucksvoll die negative Gefahrenprognose der Ausländerbehörde.

Wie die Ausländerbehörde zutreffend ausgeführt hat, steht der Ausweisung des Ast. angesichts der von ihm ausgehenden schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch nicht entgegen, dass er in Deutschland geboren und hier aufgewachsen ist. Wenn die Ausländerbehörde dabei unter anderem darauf abgestellt hat, die staatlichen Belange seien gerade im Bereich der Drogenkriminalität bedroht, obwohl der Ast. kein Drogendelikt begangen hat, dann ist diese insoweit fehlerhafte Begründung letztlich unschädlich, weil auch die von dem Kläger begangenen schweren Straftaten gegen Eigentum und körperliche Integrität schwerwiegende Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellten und eine entsprechende Wiederholung befürchten lassen.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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