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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.02.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3548/03
Rechtsgebiete: ARB 1/80, AuslG, EG


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1
ARB 1/80 Art. 6 Abs. 2
AuslG § 45
AuslG § 46 Nr. 2
EG Art. 39
1. Eine Verfestigungsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB erlischt, wenn der Betreffende nach Beendigung einer abhängigen Beschäftigung über mehrere Jahre hinweg ausschließlich selbständig als Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH tätig ist.

2. Für die Beurteilung, ob eine selbstständige Tätigkeit oder eine Beschäftigung vorliegt, sind auch die tatsächlichen Umstände heranzuziehen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3548/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 9. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO), aber nicht begründet.

Aufgrund der gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 12. Dezember 2003 vorgebrachten Beschwerdegründe kann nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 29. September 2003 zu Unrecht abgelehnt hat, wobei eine über das Beschwerdevorbringen hinausgehende Überprüfung dem beschließenden Senat verwehrt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO; zur Beschränkung der Prüfung im Beschwerdeverfahren vgl. Hess.VGH, 05.07.2002 - 12 TG 959/02 -, EZAR 037 Nr. 7). Die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind nämlich nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens offensichtlich rechtmäßig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse, welche die persönlichen Interessen des Antragstellers überwiegen und über das den angegriffenen Verwaltungsakt selbst rechtfertigende Interesse hinausgehen, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23,155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14).

Die Ausweisungsverfügung ist auf Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG ergangen mit der Annahme, dass der Antragsteller keinen Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 genießt, weil er die Voraussetzungen hierfür nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht erfüllt. Mit seinem Beschwerdevorbringen wendet sich der Antragsteller - wie schon erstinstanzlich - gegen die beiden unabhängig voneinander hierzu herangezogenen Begründungsstränge. Es kann offen bleiben, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe sich die im Jahre 1995 erteilte ehebezogene Aufenthaltserlaubnis erschlichen und sei deshalb nicht auf ordnungsgemäßer Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 beschäftigt gewesen, tragfähig ist. Denn mit seinem Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller die selbstständig tragende andere Begründung des Verwaltungsgerichts und der Ausländerbehörde, er habe nach Aufnahme seiner Geschäftsführertätigkeit bei der Firma D zum 1. April 1999 ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1, 2. oder 3. Spiegelstrich ARB 1/80 verloren und nicht erneut erreichen können, nicht erschüttert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 6 ARB 1/80 in gleicher Weise zu verstehen wie der Arbeitnehmerbegriff in Art. 39 EG (EuGH, 19.11.2002 - C 188/00 -, EZAR 816 Nr. 12 m.w.N.). Hiernach hat der Begriff des Arbeitnehmers eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung und darf nicht eng ausgelegt werden. Um als Arbeitnehmer zu gelten, muss eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind (EuGH, a.a.O.). In Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses nach gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, 19.11.2002, a.a.O.; EuGH, 08.06.1999 - C 337/97 -, EZAR 811 Nr. 41). Als Arbeitnehmer in diesem Sinne kann nicht angesehen werden, wer Geschäftsführer einer Gesellschaft und deren einziger Gesellschafter ist (EuGH, 27.06.1996 - C 107/94 -, Juris, zitiert in EuGH, a.a.O., EZAR 811 Nr. 41). Eine solche Person ist nicht Arbeitnehmer im Sinne von Art. 39 EG und Art. 6 ARB 1/80, sondern übt eine selbstständige Erwerbstätigkeit aus.

Diesen Grundsätzen im Ergebnis entsprechend haben die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht angenommen, durch die Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit sei der Antragsteller aus dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland ausgeschieden. Ob diese Annahme so allgemein gesprochen zutreffend ist, bleibt offen. Immerhin ist denkbar, dass neben der selbstständigen Tätigkeit auch eine unselbstständige Tätigkeit ausgeübt wird und damit die Zugehörigkeit zum unselbstständigen Arbeitsmarkt ununterbrochen bleibt. Aber nach den tatsächlichen Umständen des Falles erfüllte der Antragsteller im gesamten Zeitraum seiner Tätigkeit als Geschäftsführer jedenfalls nicht die Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses, so dass auch kein Verhältnis einer "Scheinselbstständigkeit" (siehe hierzu VG Köln, 24.08.2003 - 12 K 3760/99 -, demnächst EZAR 029 Nr. 26) vorlag. Der Antragsteller besaß nach Aktenlage eine Arbeitserlaubnis lediglich für eine unselbstständige Tätigkeit als Schneider und damit nicht für denjenigen Arbeitsmarkt, auf dem er als Geschäftsführer tätig war. Es ist ferner nicht erkennbar, dass Lohnsteuer für ihn abgeführt worden ist und er für diese Tätigkeit rentenversichert war. Weiter ist das Bestehen eines Arbeitsvertrages nicht dargetan.

Maßgebend für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 ARB ist allein, ob einmal erreichte Anwartschaften aufgrund einer Beschäftigung als Arbeitnehmer nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 2 ARB aufrecht erhalten geblieben oder untergegangen sind. Hiernach ergibt sich, dass die selbstständige Tätigkeit des Antragstellers vom 1. April 1999 bis 14. Oktober 2002 keinen Tatbestand nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB erfüllt, der aufgrund vorangegangener Beschäftigung erworbene Ansprüche unberührt lässt. Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 regelt, unter welchen Voraussetzungen Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß beschäftigt ist, Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt werden (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB) bzw. welche Zeiten zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt werden, jedoch für den weiteren Bestand aufgrund vorangegangener Beschäftigungszeit erworbene Ansprüche unschädlich sind.(Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB). Hiernach berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind sowie Abwesenheitszeiträume wegen langer Krankheit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche, dies gilt bereits nach Erreichen der Position des 1. Spiegelstrichs aus ARB 1/80 (s. dazu Hess. VGH, 10.03.2003 - 12 UE 318/02 -, EZAR 029 Nr. 23 = InfAuslR 2003, 219). Weitere Voraussetzung für den Erhalt der Verfestigungsposition ist nach der Rechtsprechung des EuGH (23.01.1997 - C 171/95 -, EZAR 811 Nr. 29, - Tetik) grundsätzlich, dass der Betreffende alle Formalitäten erfüllt, die im betreffenden Mitgliedstaat gegebenenfalls vorgeschrieben sind, zum Beispiel indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats während des dort vorgeschriebenen Zeitraums zur Verfügung steht. Auf diese Weise kann nach der Rechtsprechung des EuGH (23.01.1997, a.a.O.) auch gewährleistet werden, dass derjenige, der zeitweise nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedsstaat nicht missbraucht, sondern tatsächlich dazu nutzt, eine neue Beschäftigung zu suchen. Ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis besteht nicht und eine einmal erreichte Verfestigungsposition nach Art. 6 ARB 1/80 erlischt, wenn der Bezug zu einem Beschäftigungsverhältnis bzw. der Suche hiernach mehr als nur unwesentlich unterbrochen wird.

Hiernach lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller nach dem Beginn seiner selbstständigen Tätigkeit als Geschäftsführer am 1. April 1999 die erreichte aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 6 Abs. 1 aufrecht erhalten konnte. Er war aus dem Beschäftigungsverhältnis der Firma E ausgeschieden und erfüllte nicht die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB. Er befand sich nicht auf der Suche nach einer Beschäftigung und war auch nicht bei der deutschen Arbeitsverwaltung als arbeitssuchend gemeldet. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag des Klägers, in Wirklichkeit sei nicht er, sondern ein anderer der Geschäftsführer gewesen, er sei lediglich Anweisungen des wirklichen Geschäftsführers gefolgt, habe nicht die deutsche Sprache beherrscht, sei nicht über die Pflichten eines Geschäftsführers einer GmbH belehrt worden, aller Schriftverkehr sei von seinem damaligen "Arbeitgeber" bearbeitet worden, er habe die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH nicht gekannt und sein "Arbeitgeber" habe Geldstrafen des Gerichts für ihn bezahlt. Entscheidend ist, dass der Antragsteller objektiv im Handelsregister als Gesellschafter und Geschäftsführer eingetragen war und nach den tatsächlichen Umständen wie dargelegt kein Beschäftigungsverhältnis vorlag. Im Übrigen ist der Vortrag des Antragstellers, er habe die tatsächlichen Verhältnisse unter anderem auch deshalb nicht verstanden und überblickt, weil er der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei, nur schwer zu vereinbaren mit dem anderen "Standbein" seines Vortrags, wonach er bereits zuvor über mehrere Jahre mit einer deutschen Staatsangehörigen nicht - türkischer Abstammung eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt haben will.

Somit ist bei der Überprüfung im vorliegenden Rechtsschutzverfahren nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde im Ergebnis zu Recht angenommen hat, der Antragsteller habe die bis zum Jahre 1999 erreichte assoziationsrechtliche Verfestigungsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durch seine Geschäftsführertätigkeit wieder verloren und durch die anschließende Beschäftigung vom 21. Juni bis zum 3. Dezember 2002 bei der Firma F nicht erneut eine Verfestigungsposition erworben, wobei dieses Beschäftigungsverhältnis nach Maßgabe der ausländerbehördlichen Verfügung durch den Arbeitgeber wegen unentschuldigten Fehlens gekündigt worden ist. An dieser Situation hat sich auch nichts durch die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angegebene geringfügige Beschäftigung von April bis August 2003 geändert.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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