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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.12.2004
Aktenzeichen: 12 TG 3649/04
Rechtsgebiete: ARB 1/80, FreizügG/EU, Richtlinie 2004/38/EG


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 14 Abs. 1
ARB 1/80 Art. 7 S. 1
FreizügG/EU § 7
Richtlinie 2004/38/EG Art. 31
1. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erwerben auch die in Deutschland geborenen Kinder eines türkischen Arbeitnehmers, der eine aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 6 ARB 1/80 inne hat. Das Aufenthaltsrecht kann weiter geltend gemacht werden, wenn der türkische Arbeitnehmer inzwischen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und erlischt ferner nicht dadurch, dass der Begünstigte etwa durch Verbüßung einer zeitigen Freiheitsstrafe zeitweilig dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht (jeweils im Anschluss an EuGH, 11.11.2004, C-467/02).

2. Türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht aufgrund Assoziationsrechts inne haben, können sich nicht auf entsprechende Anwendung der für Unionsbürger bestehenden verfahrensrechtlichen Position nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU berufen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 3649/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 29. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 11. November 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, Abs. 4, 147 VwGO), im Ergebnis aber nicht begründet.

Aufgrund der gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vorgebrachten Beschwerdegründe kann nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den ausländerbehördlichen Bescheid zu Unrecht abgelehnt hat. Die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung erscheinen im Ergebnis offensichtlich rechtmäßig.

Zu Recht meint der Antragsteller allerdings, dass er entgegen der Auffassung der Ausländerbehörde eine aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 inne hat und diese Position insbesondere nicht durch die Verbüßung von etwa einem Jahr Jugendhaft erloschen ist. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. November 2004 (Rechtssache C-467/02; Juris) sind mehrere auch für den Fall des Antragstellers einschlägige Fragen geklärt: Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfasst auch die Situation einer volljährigen Person, die Kind eines türkischen Arbeitnehmers ist, welcher dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates angehört oder angehört hat, auch wenn der Betreffende - wie hier der Antragsteller - im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gewohnt hat und nicht etwa - wie es dem bloßen Wortlaut von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 entsprechen würde - als Familienangehöriger erst die Genehmigung erhalten hat, zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. Weiter lässt es Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht zu, dass der aufenthaltsrechtliche Status einer begünstigten Person durch längere Abwesenheit vom Arbeitsmarkt etwa wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe - wie hier im Fall des Antragstellers - beeinträchtigt wird. Hiernach führt weder der Umstand, dass der Vater des Antragstellers sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung bereits in Rente befunden und damit nicht mehr dem Arbeitsmarkt angehört hat, noch der Umstand, dass der Antragsteller etwa ein Jahr Jugendhaft verbüßt hat, zum Erlöschen seiner aufenthaltsrechtlichen Position nach Art. 7 ARB 1/80. Vielmehr steht dem Antragsteller, der in Deutschland als Kind eines türkischen Arbeitnehmers geboren ist, diese Position weiterhin zu. Nach dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dürfte die aus der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs (EuGH, 06.06.1995, C -434/93 -, NVwZ 1995, 1093 = InfAuslR 1995, 261 - "Bozkurt") abgeleitete Auffassung, dass dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Arbeitnehmer ihren Familienangehörigen - im Unterschied zur Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 - kein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermitteln können (siehe dazu Gutmann in GK-AuslR, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 37) nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Es kann allerdings darauf hingewiesen werden, dass auch nach dieser seitherigen Auffassung die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 weiter wirkt bzw. wieder auflebt, wenn der Familienangehörige des früheren Arbeitnehmers selbst einen Arbeitsplatz gefunden hat (Gutmann, a.a.O. Rn. 38) und es nicht erforderlich ist, dass der Familienangehörige erst selbst durch einjährige ordnungsgemäße ununterbrochene Beschäftigung bei einem Arbeitgeber eine eigene Position aus Art. 6 ARB 1/80 erwirbt. Diese Auffassung ergab sich aus der zutreffenden Erkenntnis, dass ansonsten eine nicht einsehbare Lücke in der aufenthaltsrechtlichen Position im ersten Jahr einer Beschäftigung auftreten würde, obwohl die Integration des Familienangehörigen durchgehend besteht. Auch auf der Grundlage dieser Auffassung stünde dem Antragsteller die aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 7 ARB 1/80 zu, weil er ausweislich seiner Glaubhaftmachung im Beschwerdeverfahren seit dem 22. November 2004 einen Arbeitsplatz als Gebäudereiniger inne hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der aufenthaltsrechtlichen Position des Antragstellers ist der aktuelle Zeitpunkt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass vorliegend noch kein Widerspruchsbescheid ergangen ist und würde sich im Übrigen auch aus der Rechtsprechung des EuGH (11.11.2004, a.a.O.) sowie des Bundesverwaltungsgerichts (03.08.2004 - 1 C 29/02 -, Juris) zur Notwendigkeit der Berücksichtigung aktueller Entwicklungen bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen ergeben.

Hiernach hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Antragstellers nach Maßgabe von Art. 14 ARB 1/80 davon ab, ob auf den Einzelfall des Antragstellers bezogen angenommen werden kann, dass auch in Zukunft von ihm erhebliche Gefährdungen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit in entsprechender Anwendung von Art. 39 Abs. 3 EG ausgehen (siehe EuGH, 11.11.2004, a.a.O. zur dahingehenden Auslegung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80; siehe ferner BVerwG, 03.08.2004, a.a.O.). Bei Anlegung dieses Maßstabes ist derzeit nicht hinreichend erkennbar, dass die durch die mindestens bis ins Jahr 2003 hineinreichende, vielfältige Straffälligkeit des Antragstellers dokumentierte schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr besteht. Noch im November 2003 - bereits nach Strafantritt in der Jugendhaftanstalt - kam die Jugendgerichtshilfe in einem Bericht über den Antragsteller zu der Einschätzung, dass dieser aufgrund seiner labilen Situation ohne grundlegende Änderung seines Lebenswandels sehr gefährdet sei, wieder in die Straffälligkeit abzugleiten und deshalb keine günstige Entwicklungsprognose über ihn derzeit abgegeben werden könne. Zwar enthält der Bericht der Justizvollzugsanstalt Rockenberg vom 10. August 2004 dann eine erheblich günstigere Einschätzung aufgrund des zwischenzeitlichen Vollzugsverlaufs und der Antragsteller ist deshalb am 23. September 2004 nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe vorzeitig zur Bewährung entlassen worden. In dem Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 10. August 2004 heißt es, der Antragsteller habe es während der gesamten Haftzeit geschafft, sich ordnungsgemäß zu verhalten, disziplinarische Maßnahmen hätten nie verhängt werden müssen, alle Urinkontrollen seien ohne Drogenbefund gewesen. Er habe sich auch sehr große Mühe gegeben, seinem bisher unstrukturierten Lebenswandel eine neue Wendung zu geben und sich ernsthaft mit seinem früheren Fehlverhalten auseinandergesetzt, habe Angebote der Anstalt stets angenommen und so seinem Gefängnisalltag eine sinnvolle Gestaltung gegeben. Er sei seit einem halben Jahr in eine Vertrauensposition gestellt worden, die er bisher nie missbraucht habe. Der Antragsteller habe in der Haftanstalt an dem Grundausbildungslehrgang Metall teilgenommen und diesen mit sehr gutem Erfolg besucht.

Weiter heißt es in dem Bericht jedoch dann, für die Zeit nach der vorzeitigen Entlassung aus der Haftanstalt sei bereits Kontakt zum Arbeitsamt B-Stadt und zur Bildungswerkstatt der Hessischen Wirtschaft in Gießen aufgenommen worden, wo für den Antragsteller eventuell eine überbetriebliche Lehrfortsetzung möglich sei, der Berufsberater des Arbeitsamtes habe sich zuversichtlich gezeigt, dass der Antragsteller eine Lehrfortsetzung für die Zeit nach der Haftentlassung finde. Weiter war seitens der Jugendvollzugsanstalt vorgesehen, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung Aufnahme im Haushalt seines Bruders in Butzbach findet und der Wohnortwechsel von Frankfurt nach Butzbach für ihn gleichermaßen einen Neuanfang bedeuten soll. Entgegen dieser von der Vollzugsanstalt eingeleiteten Orientierung für die Zeit nach der Haftentlassung hat der Antragsteller jedoch dann ausweislich seines Vortrags im Beschwerdeverfahren eine Stelle als Reiniger angenommen und seinen Wohnsitz wieder nach Frankfurt verlegt. Mit dem Beschwerdevorbringen wird auch nicht erklärt, aus welchen Gründen der Antragsteller der Empfehlung der Vollzugsanstalt nicht gefolgt ist. Diese neueste Entwicklung lässt den Antragsteller nach Auffassung des Senats wieder erheblich gefährdet erscheinen, in das alte Milieu zurückzukehren und erneut straffällig zu werden. Weder hat er seinen Wohnsitz außerhalb seiner bisherigen Umgebung in Frankfurt genommen noch hat er die in der Haftanstalt begonnene Berufsausbildung fortgesetzt. Vielmehr hat er offenbar eine ungelernte Tätigkeit angenommen, bewegt sich wieder in Frankfurt und das Erreichen eines Schul- bzw. Berufsabschlusses ist nicht erkennbar. Unter diesen Umständen ist trotz der Haftzeit eine nachhaltige Stabilisierung des Antragstellers nicht zu erkennen und auch nicht in naher Zukunft zu erwarten. Es kann hierzu noch darauf hingewiesen werden, dass der Antragsteller bei einer Fortsetzung seiner Lehre assoziationsrechtlich nicht schlechter gestanden hätte als bei Aufnahme einer abhängigen - ungelernten - Beschäftigung, da der notwendige Bezug zum Arbeitsmarkt auch durch eine betriebliche Lehre fortgesetzt worden wäre und nach der oben angeführten Rechtsprechung des EuGH (11.11.2004, a.a.O.) es ohnehin nicht mehr auf die ununterbrochene Innehabung eines Arbeitsplatzes ankommen dürfte.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestehen auch keine rechtlichen Zweifel an der Anordnung des Sofortvollzuges und der hierin zum Ausdruck kommenden Absicht des Antragsgegners, ihn vor Abschluss des gegen die Ausweisungsverfügung gerichteten Hauptsacheverfahrens abzuschieben. Insbesondere ist § 7 des ab 1. Januar 2005 geltenden Freizügigkeitsgesetzes/EU - FreizügG/EU - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. Nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger erst ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Freizügigkeitsrecht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Dies bedeutet, die Ausreisepflicht beginnt für Unionsbürger erst mit Bestandskraft der feststellenden Verfügung und die Anordnung des Sofortvollzugs der feststellenden Verfügung ist nicht zulässig bzw. führt nicht zur Begründung einer Ausreisepflicht (so bereits sinngemäß Hess. VGH, 28.09.2004 - 12 TG 1986/04 -, InfAuslR 2004, 425; s. ferner Hess. VGH, 29.12.2004 - 12 TG 3212/04 -).

Zwar hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden (siehe z. B. EuGH, 20.02.2000 - C-340/97 - "Nazli" - InfAuslR 2001, 161; zuletzt 11.11.2004, a.a.O.), dass die Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluss ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden müssen und das Bundesverwaltungsgericht hat die Übertragung dieser Grundsätze auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ausdrücklich bestätigt, soweit es sich um materiell-rechtliche Positionen handelt (BVerwG, 03.08.2004 - 1 C 29.02 -, a.a.O.) aber offen gelassen, ob die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze auch insoweit zu übertragen sind, als sie nur verfahrensrechtlichen Gehalt haben (BVerwG, a.a.O). Mit der Regelung in § 7 Abs. 1 FreizügG/EU werden jedoch keine gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze umgesetzt, vielmehr geht die hier gewährte verfahrensrechtliche Position von Unionsbürgern über die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Position hinaus und eine Übertragung der nationalen Regelung in § 7 Abs. 1 FreizügG/EU scheidet deshalb aus.

Die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sind zusammengefasst in der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der EU, L 158/77 vom 30.04.2004). Diese Richtlinie ist umzusetzen bis zum 30. April 2006, aus ihr lässt sich aber bereits jetzt der gemeinschaftsrechtliche Stand der Freizügigkeitsrechte entnehmen. In der Richtlinie ist unter anderem geregelt, welche Verfahrensgarantien bestehen, wenn das grundsätzliche Freizügigkeitsrecht beschränkt werden soll. Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung zur Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde einlegen können. Nach Art. 31 Abs. 2 Richtlinie darf eine Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet grundsätzlich nicht erfolgen, wenn neben dem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, mit der die Ausweisung verfügt worden ist, auch ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt wird, solange nicht über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entschieden wurde. Nach Art. 31 Abs. 4 der Richtlinie schließlich können die Mitgliedstaaten dem Betroffenen verbieten, sich während des anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens in ihrem Hoheitsgebiet aufzuhalten, dürfen ihn jedoch nicht daran hindern, sein Verfahren selbst zu führen, es sei denn die öffentliche Ordnung oder Sicherheit könnte durch das persönliche Erscheinen ernsthaft gestört werden oder der Rechtsbehelf richtet sich gegen die Verweigerung der Einreise in das Hoheitsgebiet.

Nach diesen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen ist die Anordnung des Sofortvollzugs einer Ausweisung mit der Folge des Entstehens einer Ausreisepflicht bereits vor Unanfechtbarkeit der Verfügung in der Hauptsache nicht ausgeschlossen, vielmehr ist lediglich garantiert, dass bis zur Entscheidung über einen vorläufigen Rechtsschutzantrag eine Abschiebung nicht erfolgen darf. Über diesen Standard geht Art. 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU hinaus.

Hiernach können sich assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht auf gemeinschaftsrechtliche Grundsätze berufen, aus denen sich ergeben würde, dass der Vollzug einer Ausweisungsverfügung vor Bestandskraft der Verfügung unzulässig wäre. Vielmehr erstreckt sich die gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung darauf, bis zu einer Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abgeschoben zu werden.

Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass der nationale Gesetzgeber die weitergehende Rechtsschutzgewährleistung in Art. 7 Abs. 1 FreizügG/EU auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstrecken wollte. Nach seinem eindeutigen Wortlaut gilt das Freizügigkeitsgesetz ausschließlich für Unionsbürger (§ 1 FreizügG/EU) und auch § 7 FreizügG/EU enthält keine Erweiterung des Anwendungsbereichs. Vielmehr geht der Gesetzgeber ausweislich der ausdrücklichen Regelungen unter anderem in § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AufenthG davon aus, dass für Ausländer, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, das Aufenthaltsgesetz in vollem Umfang und nicht nur - wie für Unionsbürger durch die Verweisung in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU geregelt - in sehr eingeschränktem Umfang gilt. Demzufolge finden auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige die Vorschriften der §§ 50, 51 AufenthG über die Begründung der Ausreisepflicht Anwendung. Hiernach ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Das Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen erlischt auch nach dem ab 01.01.2005 geltenden Recht grundsätzlich durch die wirksame Zustellung einer Ausweisungsverfügung (§§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthaltsG; zu Fortbestehensfiktionen für Teilbereiche s. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthaltsG).

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



Ende der Entscheidung

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